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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 15.09.2008
Aktenzeichen: BVerwG 1 C 12.08
Rechtsgebiete: VwGO
Vorschriften:
VwGO § 101 Abs. 1 | |
VwGO § 101 Abs. 2 | |
VwGO § 108 Abs. 1 | |
VwGO § 108 Abs. 2 | |
VwGO § 137 Abs. 1 | |
VwGO § 137 Abs. 2 | |
VwGO § 137 Abs. 3 | |
VwGO § 138 Nr. 3 | |
VwGO § 144 Abs. 4 |
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
BVerwG 1 C 12.08
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts ohne mündliche Verhandlung am 15. September 2008 durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft und Dr. Störmer
für Recht erkannt:
Tenor:
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. April 2008 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe:
I
Der Kläger, ein aus dem Kosovo stammender Albaner, wendet sich gegen seine Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland.
Der Kläger heiratete im August 1994 eine deutsche Staatsangehörige und erhielt daraufhin eine Aufenthaltserlaubnis, die im Oktober 1998 unbefristet verlängert wurde. Die Ehe wurde im September 2000 geschieden. Der Kläger ist im Bundesgebiet mehrfach strafrechtlich aufgefallen.
Im August 2003 heiratete er eine serbisch-montenegrinische Staatsangehörige; drei gemeinsame Kinder waren in den Jahren 1988, 1992 und 1997 im Kosovo geboren worden. Die Beklagte äußerte daraufhin gegenüber dem Standesamt den Verdacht, dass der Kläger mit seiner nunmehrigen Ehefrau bereits zuvor verheiratet gewesen sei und im Bundesgebiet in Bigamie gelebt habe.
Die Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 30. November 2004 aus der Bundesrepublik aus und drohte ihm die Abschiebung an. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen.
Das Berufungsgericht hat ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung der Berufung des Klägers mit Urteil vom 18. April 2008 stattgegeben und die Entscheidung des Verwaltungsgerichts sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. November 2004 aufgehoben.
Auf die Beschwerde der Beklagten, die sie u.a. auf ihr fehlendes Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gestützt hat, hat der Verwaltungsgerichtshof die Revision zugelassen.
Mit der Revision rügt die Beklagte einen Verstoß gegen den Grundsatz der mündlichen Verhandlung. Gleichzeitig sei ihr Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt worden; dabei handele es sich um einen absoluten Revisionsgrund. Obwohl im Beschwerdeverfahren die Grundsatzfrage aufgeworfen worden sei, ob § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG auch den Ausländer privilegiere, der sich die Niederlassungserlaubnis erschlichen habe, beschränke sie sich auf den Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag. Denn in der Berufungsentscheidung habe sich der Verwaltungsgerichtshof nicht abschließend mit der Frage befasst, ob der Kläger die Niederlassungserlaubnis erschlichen habe.
Der Kläger tritt der Revision entgegen und macht geltend, die Berufungsentscheidung beruhe nicht auf dem Verfahrensverstoß. Der Beklagten sei das rechtliche Gehör nicht versagt worden, denn sie habe in dem die mündliche Verhandlung vorbereitenden schriftlichen Verfahren ausreichend Gelegenheit zum Vortrag ihrer Rechtsauffassung gehabt. Der Verstoß gegen das Mündlichkeitsprinzip sei nicht kausal, denn in der Sache hätte nicht anders entschieden werden können.
II
Die Revision, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), hat mit ihrer Verfahrensrüge Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an den Verwaltungsgerichtshof.
Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat - wie die Revision zu Recht geltend macht und der Verwaltungsgerichtshof in seiner Abhilfeentscheidung auch eingeräumt hat - gegen den Grundsatz der mündlichen Verhandlung (§ 101 Abs. 1 VwGO) verstoßen; denn er hat der Berufung des Klägers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung stattgegeben. Das Berufungsgericht bedarf gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO des Einverständnisses der Beteiligten, wenn das Urteil ohne mündliche Verhandlung ergehen soll. Ein Verstoß gegen dieses Gebot verletzt zugleich den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO), denn den Beteiligten wird die Möglichkeit weiteren Vorbringens abgeschnitten (Beschluss vom 17. Oktober 1997 - BVerwG 4 B 161.97 - Buchholz 310 § 87a VwGO Nr. 3 = NVwZ-RR 1998, 525). Vorliegend haben die Beteiligten im Berufungsverfahren nicht auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet. Die irrtümliche Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, ein Verzicht läge vor, ist für das Vorliegen des Verfahrensverstoßes ohne Bedeutung (Urteil vom 26. Februar 2003 - BVerwG 8 C 1.02 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 67 = BayVBl. 2003, 671).
Die Berufungsentscheidung beruht auch auf diesem Verfahrensmangel (§ 138 Nr. 3 VwGO). Zwar wird § 138 Nr. 3 VwGO dann einschränkend ausgelegt, wenn die Verletzung des rechtlichen Gehörs sich nicht auf das Gesamtergebnis des Verfahrens ausgewirkt haben kann. Ein solcher Fall liegt entgegen der Ansicht des Klägers hier aber nicht vor. Denn die Verletzung von § 101 Abs. 1 VwGO erfasst das angegriffene Urteil insgesamt und beschränkt sich nicht auf einzelne tatrichterliche Ausführungen und Feststellungen. Damit fehlt dem Revisionsgericht jede tatrichterliche Grundlage für eine materiellrechtliche Entscheidung, so dass der erkennende Senat das Berufungsurteil auch nicht auf die Richtigkeit des Ergebnisses aus anderen Gründen (§ 144 Abs. 4 VwGO) prüfen kann (Urteile vom 30. August 1962 - BVerwG 8 C 49.60 - BVerwGE 15, 24 <25> und vom 26. Februar 2003 - BVerwG 8 C 1.02 - a.a.O.). Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 137 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Gerichtskosten für das Revisionsverfahren werden gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG wegen der unrichtigen Sachbehandlung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht erhoben.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Revisionsverfahren auf 5 000 € festgesetzt (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG).
Ende der Entscheidung
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