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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 17.10.2006
Aktenzeichen: BVerwG 1 C 18.05
Rechtsgebiete: AufenthG
Vorschriften:
AufenthG § 60 Abs. 7 |
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
BVerwG 1 C 18.05
Verkündet am 17. Oktober 2006
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 17. Oktober 2006 durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann und Hund, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. November 2004 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe:
I
Der Kläger erstrebt die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG.
Der 1958 in Angola geborene Kläger war bereits 1993 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hatte ohne Erfolg ein Asyl- und ein Asylfolgeverfahren betrieben. Nachdem er 1998 nach Angola zurückgekehrt war, kam er im Februar 2001 erneut in die Bundesrepublik Deutschland und beantragte wiederum Asyl. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) lehnte den Asylantrag mit Bescheid vom 8. Juni 2001 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Angola an.
In dem dagegen gerichteten Klageverfahren hat der Kläger erstmals unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung seines behandelnden Arztes Dr. S. vorgetragen, er leide an einer Erkrankung der Atemwege ("M. Boeck Sarkoidose") und sei auf die Einnahme cortisonhaltiger Präparate angewiesen. Bei einer Absetzung der Medikamente würde es zu einer kontinuierlichen Verschlechterung der Erkrankung mit zunehmender chronischer Luftnot bis hin zum Tode kommen. Die notwendigen Cortisonpräparate seien in Angola nicht erhältlich und für ihn auch nicht bezahlbar.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG hinsichtlich Angolas vorliegen. Es hat dies - unabhängig von der Erkrankung des Klägers - auf eine nach seiner Auffassung in Angola bestehende allgemeine extreme Gefahrenlage für abgeschobene Asylbewerber wegen schlechterdings untragbarer sozialer, hygienischer und medizinischer Verhältnisse gestützt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Auf Antrag des beteiligten Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung gegen den stattgebenden Teil des verwaltungsgerichtlichen Urteils wegen Abweichung von seiner Rechtsprechung zur allgemeinen Gefahrenlage in Angola zugelassen. Im Berufungsverfahren hat der Kläger weitere ärztliche Atteste eingereicht und ergänzend geltend gemacht, wegen seiner Vorerkrankung würde er im Falle des Hinzutretens einer weiteren Erkrankung, wie etwa einer Infektion oder gar TBC oder Aids, in Angola bei nicht prompter Behandlung in eine extrem lebensbedrohende Lage geraten. Das Oberverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 23. November 2004 das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG. Die vorliegenden Erkenntnismittel über die allgemein in Angola herrschenden Verhältnisse böten entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts keine ausreichende Grundlage für die Annahme, dass zurückkehrende Angolaner gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würden. Die Krankheiten, unter denen der Kläger leide, rechtfertigten ebenfalls noch nicht die Annahme, ihm drohe bei einer Rückkehr eine so extreme Gesundheitsgefährdung, dass die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG gerechtfertigt sei. Zur Sarkoidose sei dem Kläger attestiert worden, diese Erkrankung habe sich zwischenzeitlich in Lunge, Leber und womöglich auch in der Milz manifestiert. Er sei deshalb auf regelmäßige Einnahme cortisonhaltiger Tabletten angewiesen. Bei Infekten sei zusätzlich und kurzfristig die Einnahme von ACC-Tabletten sowie von Antibiotika erforderlich. Der Kläger bedürfe regelmäßiger internistischer Kontrollen, um die Therapie eventuell anpassen zu können. Würde die Behandlung unterbrochen, sei mit einer kontinuierlichen Verschlechterung der Erkrankung zu rechnen. Das könne eine zunehmende chronische Atemnot zur Folge haben, die bis zum Tode führen könne. Zwar bestehe die Möglichkeit, dass der Kläger die Medikamente nach Angola mitnehme. Träten aber weitere Erkrankungen wie namentlich eine Infektion oder gar TBC oder Aids hinzu, wäre dies für den Kläger bei nicht prompter Behandlungsmöglichkeit extrem lebensgefährlich. Eine Würdigung der Atteste ergebe, dass für den Kläger eine ausreichende Prognose, er werde aufgrund seiner Erkrankung alsbald nach seiner Rückkehr in eine lebensbedrohliche Situation geraten, nicht gerechtfertigt sei. Dabei komme es nicht darauf an, ob er die erforderliche Medikation in seinem Heimatland zu angemessenen Bedingungen würde erhalten können. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, bestünde keine ausreichende Grundlage für die Annahme, er werde "alsbald" nach seiner Rückkehr in eine ernstliche gesundheitliche Bedrängnis geraten. Dass die Erkrankung bei fortschreitender Verschlechterung und/oder Hinzutreten anderer Erkrankungen in Angola einen Prozess einleiten könne, der eine wesentliche Gesundheitsbeeinträchtigung oder gar den Tod zur Folge habe, reiche für die Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG bei gesundheitlicher Vorschädigung (noch) nicht aus. Es müsse vielmehr konkret abzusehen sein, dass sozusagen unmittelbar mit der Abschiebung ein Prozess eingeleitet werde, welcher in einem überschaubaren Zeitraum zu den genannten Gefahren für Leib oder Leben führen werde. Dafür reiche die in den Attesten dargestellte Möglichkeit eines unter Umständen letal oder mit schweren Gesundheitseinschränkungen einhergehenden Prozesses, wenn weitere Ursachen hinträten, nicht aus. Für die Richtigkeit dieser Annahme spreche auch, dass sich der Kläger vor seiner letzten Ausreise in Deutschland für zwei Jahre mit Medikamenten habe eindecken und den Zeitraum dort habe überbrücken können. Es komme ferner hinzu, dass der Kläger ausweislich eines Attests auch in Deutschland seine Medikamente nur "inkonstant" eingenommen habe. Wenn das so sei und der Gesundheitszustand dem Kläger gleichwohl eine regelmäßige Arbeitsverrichtung ermöglicht habe, bestehe kein ausreichender Anhaltspunkt dafür, dass er alsbald nach seiner Rückkehr nach Angola in eine lebensbedrohliche Situation geraten werde.
Mit seiner vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger, das Berufungsgericht hätte das - angesichts der katastrophalen Gesundheits- und Versorgungslage in Angola zu erwartende - Hinzutreten weiterer Erkrankungen durch Infektion als Ursache für eine wesentliche Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes nicht ohne weitere Aufklärung unberücksichtigt lassen dürfen.
Die Beklagte und der Bundesbeauftragte verteidigen die Entscheidung des Berufungsgerichts.
II
Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Beklagten und des Beteiligten in der mündlichen Verhandlung über die Revision verhandeln und entscheiden, weil in der Ladung darauf hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Revision des Klägers ist begründet. Die Berufungsentscheidung beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da die Feststellungen des Berufungsgerichts für eine abschließende Entscheidung des Senats in der Sache nicht ausreichen, wird der Rechtsstreit unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch der Anspruch des Klägers auf Feststellung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt). Diese Bestimmung, die nach Ergehen der Berufungsentscheidung mit Wirkung vom 1. Januar 2005 an die Stelle des bisherigen § 53 Abs. 6 AuslG getreten ist, ist der Entscheidung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen (vgl. Urteil vom 8. Februar 2005 - BVerwG 1 C 29.03 - BVerwGE 122, 376 m.w.N. zum Übergang von § 51 Abs. 1 AuslG zu § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Inhaltliche Veränderungen folgen aus diesem Austausch der Rechtsgrundlage nicht, da die beiden Vorschriften in ihren tatbestandlichen Voraussetzungen wörtlich übereinstimmen. Die Änderungen auf der Rechtsfolgeseite (Ersetzung der Kann-Regelung in § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG durch eine Soll-Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) wirken sich auf das vorliegende Verfahren, in dem es nur um die Feststellung des Vorliegens der (tatbestandlichen) Voraussetzungen der Vorschrift durch das Bundesamt geht, nicht aus (vgl. auch Urteil vom 27. Juni 2006 - BVerwG 1 C 14.05 - juris Rn. 12, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen).
2. Soweit das Berufungsgericht aufgrund seiner Würdigung der Erkenntnismittel eine extreme allgemeine Gefahrenlage für zurückkehrende Angolaner und damit eine Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung verneint hat, ist dies allerdings revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch der Kläger hat insoweit keine Revisionsrügen erhoben.
3. Hinsichtlich der - vorrangig zu prüfenden - Frage, ob bei dem Kläger wegen der geltend gemachten Verschlimmerung seiner Erkrankung an Sarkoidose in Angola die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung vorliegen, hält die Berufungsentscheidung dagegen einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
a) Sie ist insoweit zunächst schon deshalb nicht mit Bundesrecht vereinbar, weil sie bei der Prüfung, ob dem Kläger wegen seiner Erkrankung bei einer Rückkehr nach Angola eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG droht, nicht eindeutig vom richtigen Gefahrenmaßstab ausgegangen ist (vgl. zuletzt etwa auch Beschluss vom 24. Mai 2006 - BVerwG 1 B 118.05 - zur Veröffentlichung in der Sammlung Buchholz vorgesehen).
Nach den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätzen ist die Gefahr, dass sich eine Erkrankung des Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert, in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfen ist (vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 C 16.05 - juris Rn. 18 unter Hinweis auf Urteile vom 9. September 1997 - BVerwG 9 C 48.96 - InfAuslR 1998, 125 <dialysepflichtige Niereninsuffizienz> und vom 25. November 1997 -BVerwG 9 C 58.96 - BVerwGE 105, 383 <angeborener Herzfehler/Vorhofseptumdefekt> und vom 29. Juli 1999 - BVerwG 9 C 2.99 - juris <u.a. Folgen von Total-Endo-prothesen-Operationen, Diabetes mellitus und Immunthrombozytopenie>). Maßgeblich hierfür war die Erwägung, dass der Begriff der Gefahr im Sinne dieser Vorschrift hinsichtlich des Entstehungsgrundes der Gefahr nicht einschränkend auszulegen ist und eine Gefahr für die Rechtsgüter Leib und Leben auch dann vorliegen kann, wenn sie durch die bereits vorhandene Krankheit konstitutionell mit bedingt ist. Erforderlich aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist danach, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht.
Ein strengerer Maßstab gilt in Krankheitsfällen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausnahmsweise nur dann, wenn zielstaatsbezogene Verschlimmerungen von Krankheiten als allgemeine Gefahr oder Gruppengefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zu qualifizieren sind. Dies kommt allerdings bei Erkrankungen nur in Betracht, wenn es - etwa bei Aids - um eine große Anzahl Betroffener im Zielstaat geht und deshalb ein Bedürfnis für eine ausländerpolitische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 AufenthG besteht (vgl. auch hierzu zuletzt Urteil vom 18. Juli 2006 a.a.O. unter Hinweis auf das Urteil vom 27. April 1998 - BVerwG 9 C 13.97 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 12 = NVwZ 1998, 973). In solchen Fällen kann Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung nur dann gewährt werden, wenn im Abschiebezielstaat für den Ausländer (entweder aufgrund der allgemeinen Verhältnisse oder aufgrund von Besonderheiten im Einzelfall, vgl. Urteil vom 21. September 1999 - BVerwG 9 C 9.99 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 22 und Urteil vom 8. Dezember 1998 - BVerwG 9 C 4.98 - BVerwGE 108, 77 <83> = Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 13 S. 65 f.) landesweit eine extrem zugespitzte Gefahr wegen einer notwendigen, aber nicht erlangbaren medizinischen Versorgung zu erwarten ist, wenn mit anderen Worten der betroffene Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (Urteil vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 <328>).
Nach diesen Grundsätzen kann im Fall des Klägers angesichts des eher singulären Charakters seiner Erkrankung (Sarkoidose) deren zielstaatsbezogene Verschlimmerung nicht als allgemeine Gefahr qualifiziert werden, die der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG unterliegt und nur im Falle einer extremen Zuspitzung zu einer Feststellung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das Bundesamt führt, sondern sie ist nach dem Maßstab der "erheblichen konkreten Gefahr" in unmittelbarer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu beurteilen.
Zwar hat das Berufungsgericht sich im Ausgangspunkt zutreffend auf das bereits zitierte Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. November 1997 (a.a.O.) zur Auslegung des Begriffs der erheblichen konkreten Gefahr im Falle einer zielstaatsbezogenen Verschlimmerung einer Erkrankung bezogen und das darin aufgestellte Erfordernis wiedergegeben, dass der Gesundheitszustand sich alsbald nach der Rückkehr in den Heimstaat wegen der dortigen Behandlungsmöglichkeiten wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern müsse. Seine Ausführungen an anderer Stelle lassen aber erkennen, dass es der Sache nach seiner Prüfung doch eher einen erhöhten und damit zu strengen Gefahrenmaßstab zugrunde gelegt hat. Hierauf deutet neben der Verwendung des Begriffs der "extremen Gesundheitsgefährdung" auch das vom Berufungsgericht aufgestellte Erfordernis hin, dass der Ausländer in seinem Heimatland "praktisch keine Überlebenschance" haben dürfe (BA S. 15 unten und 16 oben). Auch die Verengung der Prüfung auf eine "lebensbedrohliche Situation" im Zielstaat der Abschiebung und der Verweis auf den engen Schutzumfang bei verfassungskonformer Anwendung der Vorschrift (BA S. 17) legen den Schluss nahe, dass das Berufungsgericht zwischen den unterschiedlichen Gefahrenmaßstäben bei direkter und bei verfassungskonformer Anwendung der Vorschrift nicht hinreichend klar unterschieden hat. Bereits dies stellt einen Rechtsfehler dar, auf dem die Entscheidung beruht. Denn hiervon ist erkennbar die gesamte Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts zur Frage der zielstaatsbezogenen Verschlimmerung der Erkrankung des Klägers beeinflusst. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Entscheidung bei Anlegung des korrekten Gefahrenmaßstabs anders ausgefallen wäre.
b) Unabhängig davon verstößt die Berufungsentscheidung auch insoweit gegen Bundesrecht, als sie die vom Kläger geltend gemachte Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung wegen des Hinzutretens von Infektionen in Angola von vornherein und ohne nähere Prüfung nicht für ausreichend gehalten hat, um eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen (BA S. 17). Das Berufungsgericht hat hierzu ausgeführt, die vorgelegten Atteste beschwören lediglich die Möglichkeit eines unter Umständen letal oder mit schweren Gesundheitseinschränkungen einhergehenden Prozesses, wenn weitere Ursachen hinzuträten; dies reiche indessen nicht aus. Diesen Ausführungen lässt sich nicht eindeutig entnehmen, ob das Berufungsgericht der Auffassung war, dass das Hinzutreten weiterer Ursachen (hier Infektionen) im Zielstaat schon aus Rechtsgründen nicht ausreiche, um eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen, oder ob es lediglich die vorhandene Erkenntnislage dahingehend gewürdigt hat, dass nicht "alsbald" mit einer Infektion des Klägers und einer daraus folgenden lebensbedrohenden Lage zu rechnen sei. Dies kann letztlich auch offenbleiben, da in beiden Fällen die berufungsgerichtliche Entscheidung mit Bundesrecht nicht vereinbar ist.
Ein Rechtssatz des Inhalts, dass die Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung etwa nur auf unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat beruhen darf, nicht aber auf sonstigen zielstaatsbezogenen Umständen, lässt sich weder dem Gesetz noch der bisherigen Rechtsprechung des Senats entnehmen. Wenn es in der bereits zitierten Grundsatzentscheidung vom 25. Novem-ber 1997 (a.a.O.) heißt, die Gefahr, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind, könne ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG darstellen (Leitsatz 2), bedeutet dies nicht, dass als einziger Grund für die Zubilligung von Abschiebungsschutz in diesem Zusammenhang die fehlenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat anzuerkennen sind. Denn aus den weiteren Ausführungen in der Entscheidung, insbesondere denjenigen zum Gefahrenbegriff, ergibt sich, dass sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können, in die Beurteilung mit einzubeziehen sind. Dementsprechend hat der Senat in späteren Entscheidungen auch die tatsächliche Nichterlangbarkeit einer an sich vorhandenen medizinischen Behandlungsmöglichkeit aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen im Zielstaat in die Beurteilung mit einbezogen (vgl. etwa Urteil vom 29. Oktober 2002 - BVerwG 1 C 1.02 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 66). Auch wenn die Verschlimmerung der Erkrankung durch das Hinzutreten von Infektionen, die aufgrund zielstaatsbezogener Umstände dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen, verursacht wird, ist dies bei der Gefahrenprognose zu berücksichtigen. Dies bedeutet nicht, dass eine zum Abschiebungsschutz führende Gefahr im Falle eines geltend gemachten Infektionsrisikos stets zu bejahen wäre, sondern erfordert lediglich die Feststellung und Würdigung der Wahrscheinlichkeit einer solchen Infektion innerhalb eines überschaubaren Zeitraums nach der Rückkehr sowie die Feststellung und Bewertung der Auswirkungen einer derartigen Infektion auf den Verlauf der Erkrankung im Sinne einer wesentlichen Verschlimmerung. Um Missverständnisse zu vermeiden, weist der Senat darauf hin, dass bei gesunden Personen demgegenüber das Risiko einer erstmaligen Infektion im Zielstaat - etwa an Malaria - als allgemeine Gefahr anzusehen ist, die nur im Falle einer extremen Gefahr zum Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 AufenthG führen kann (vgl. Beschluss vom 14. Februar 2003 - BVerwG 1 B 273.02 - Buchholz 402.240 § 53 Nr. 68 und Beschluss vom 4. Februar 2004 - BVerwG 1 B 291.03 - Buchholz a.a.O. Nr. 75).
Auch wenn die Ausführungen in der Berufungsentscheidung dahin zu verstehen sein sollten, dass das Berufungsgericht das Hinzutreten von Infektionen und eine dadurch bedingte Verschlimmerung der Erkrankung nicht aus Rechtsgründen für unbeachtlich hält, sondern damit nur das Vorliegen einer konkreten, weil nicht "alsbald" eintretenden Gefahr verneinen wollte, hätte diese Argumentation revisionsrechtlich keinen Bestand. Denn für die tatrichterliche Prognose der fehlenden Wahrscheinlichkeit einer alsbaldigen Infektion des Klägers fehlt es an der erforderlichen Darlegung, woraus das Gericht seine Sachkunde für diese Beurteilung bezieht. Es beruft sich hierzu allein auf die vorgelegten Atteste des behandelnden Arztes des Klägers, der darin lediglich die Möglichkeit eines unter Umständen letal oder mit schweren Gesundheitseinschränkungen einhergehenden Prozesses im Falle zusätzlicher Infektionen beschwöre. Diese Atteste bilden indes nur einen Beleg für die gravierenden Folgen, die im Falle einer Infektion für den Verlauf der Erkrankung des Klägers zu erwarten sind, sagen aber nichts Genaueres über die Wahrscheinlichkeit derartiger Infektionen aus. Hierfür würde es den behandelnden Ärzten wohl auch an der erforderlichen fachlichen Kompetenz fehlen, da insoweit spezifische Kenntnisse über die geltend gemachten Infektionsgefahren erforderlich sein dürften, es sei denn solche ergäben sich belegbar aus bereits vorliegenden einschlägigen Erkenntnismitteln. Angesichts der Ausführungen des Berufungsgerichts über die schlechten hygienischen Verhältnisse und das erhöhte Erkrankungsrisiko in Angola an anderer Stelle (BA S. 11) erscheint es auch nicht fernliegend, das Infektionsrisiko im Falle des Klägers näher zu untersuchen einschließlich der Frage, ob er aufgrund seiner Erkrankung einer besonderen, erhöhten Infektionsgefahr in Angola ausgesetzt wäre. Die bisherigen Erwägungen des Berufungsgerichts reichen insoweit jedenfalls nicht aus, um eine negative Prognoseentscheidung bezüglich einer erheblichen konkreten Gefahr aufgrund hinzutretender weiterer Infektionen im Falle des Klägers zu tragen.
4. Dem Senat ist eine abschließende Entscheidung in der Sache mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts nicht möglich. Die Sache ist deshalb unter Aufhebung der Berufungsentscheidung an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht seine Entscheidung "selbständig tragend" auch noch darauf gestützt hat, dass der Kläger sich - wie bereits in der Vergangenheit geschehen - einen Vorrat an Cortisonpräparaten nach Angola mitnehmen könne sowie dass er nach dem von ihm eingereichten Attest von Dr. W. auch in der Bundesrepublik seine Medikamente nur inkonstant eingenommen habe und sein Gesundheitszustand ihm gleichwohl eine regelmäßige Arbeitsverrichtung ermöglicht habe. Diese Begründungen können die Berufungsentscheidung schon deshalb nicht selbständig tragen, weil sie sich nur auf die Gefahren beziehen, die durch eine fehlende Versorgung mit Cortisonpräparaten in Angola entstehen können, und die darüber hinaus geltend gemachte Gefährdung wegen hinzutretender Infektionen in Angola nicht betreffen.
5. In dem erneuten Berufungsverfahren wird das Berufungsgericht die Gefahr einer zielstaatsbezogenen Verschlimmerung der Erkrankung anhand des richtigen Gefahrenmaßstabs prüfen und auch die Wahrscheinlichkeit etwaiger hinzutretender gefahrerhöhender Infektionen - gegebenenfalls unter Zuhilfenahme sachkundiger Stellen - in seine Betrachtung einbeziehen müssen. Auch die Frage einer fehlenden Cortisontherapie in Angola wird das Oberverwaltungsgericht erneut zu prüfen und gegebenenfalls zu klären haben, ob die bloße Mitnahme eines Tablettenvorrats ausreicht oder hierfür nicht auch eine ärztliche Überwachung notwendig ist. Soweit das Berufungsgericht unter Berufung auf den Arztbrief des Dr. W. vom 16. August 2004, bei dem u.a. eine "inkonstante Einnahme" der Cortisonpräparate "aus Angst vor Nebenwirkungen" erwähnt wird, die Notwendigkeit einer solchen Behandlung überhaupt in Frage gestellt hat (BA S. 18), bemerkt der Senat im Übrigen, dass diese der ausdrücklichen ärztlichen Stellungnahme des Dr. S. widersprechende Schlussfolgerung nicht aufgrund eigener - hier zudem nicht dargelegter - Sachkunde des Gerichts gezogen werden kann, sondern es auch insoweit einer medizinischen Beurteilung bedürfte.
Schließlich wird das Berufungsgericht in dem erneuten Berufungsverfahren auch den - bisher noch nicht beachteten - Umstand berücksichtigen müssen, dass es sich bei dem Antrag des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG (früher § 53 Abs. 6 AuslG) der Sache nach um einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG handelt, weil das Bundesamt bereits in dem ersten Asylverfahren mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 11. November 1994 (unter Nr. 3) festgestellt hatte, dass bei ihm Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. In derartigen Fällen besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur unter den Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein Anspruch auf erneute Feststellung des Bundesamts zu § 60 Abs. 7 AufenthG. Fehlt es an diesen Voraussetzungen, so kommt - abgesehen von dem Fall einer Ermessensreduzierung wegen einer extremen Gefahrenlage - lediglich ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung des Bundesamts nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG in Betracht (vgl. im Einzelnen Urteil vom 20. Oktober 2004 - BVerwG 1 C 15.03 - BVerwGE 122, 103). Das Berufungsgericht wird daher gegebenenfalls prüfen müssen, ob hinsichtlich des erstmals im August 2001 im Klageverfahren geltend gemachten Wiederaufgreifensgrundes der Verschlimmerung der Erkrankung die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt sind, obwohl viel dafür spricht, dass dem Kläger die Erkrankung und deren Behandlungsbedürftigkeit ebenso wie die Verhältnisse in Angola jedenfalls bereits bei Stellung seines Asylfolgeantrags im Februar 2001 bekannt waren. Sollte es die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG verneinen, könnte es auch bei Bejahung einer Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG das Bundesamt nur zu einer (erstmaligen) Ermessensentscheidung über den Antrag des Klägers zu § 60 Abs. 7 AufenthG verpflichten.
Ende der Entscheidung
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