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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 12.07.2001
Aktenzeichen: BVerwG 1 C 2.01
Rechtsgebiete: AsylVfG, AuslG, GG
Vorschriften:
AsylVfG § 24 Abs. 2 | |
AsylVfG § 31 Abs. 3 | |
AsylVfG § 41 | |
AuslG § 53 Abs. 6 | |
AuslG § 54 | |
GG Art. 1 Abs. 1 | |
GG Art. 2 Abs. 2 Satz 1 | |
GG Art. 20 Abs. 3 |
Entscheidung wurde am 12.09.2001 korrigiert: Titel durch Stichworte ersetzt
2. Die Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG ist nicht nur zu beachten, wenn Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1, 2, 4 und 6 Satz 1 AuslG oder ein Abschiebestopp-Erlass nach § 54 AuslG besteht, sondern auch dann, wenn eine andere ausländerrechtliche Erlasslage oder eine aus individuellen Gründen erteilte Duldung dem betroffenen Ausländer einen vergleichbar wirksamen Schutz vor Abschiebung vermitteln.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
BVerwG 1 C 2.01 OVG 7 L 1313/98
Verkündet am 12. Juli 2001
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 10. Juli 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Hund und Richter, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck sowie den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eichberger
am 12. Juli 2001 für Recht erkannt:
Tenor:
Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. Juli 2000 wird aufgehoben, soweit die Beklagte verpflichtet wird festzustellen, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich Afghanistans vorliegen.
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in allen Instanzen.
Gründe:
I.
Die nach ihren Angaben 1980 in Kabul geborene Klägerin ist afghanische Staatsangehörige. Sie reiste im Mai 1994 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte Asyl. Die Beklagte lehnte den Asylantrag ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen; gleichzeitig drohte sie der Klägerin die Abschiebung nach Afghanistan an.
Das Verwaltungsgericht hat die Abschiebungsandrohung aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Der Klägerin drohe in Afghanistan keine staatliche Verfolgung, ihr sei jedoch nach dem UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes sowie nach dem Haager Minderjährigenschutzabkommen Schutz vor Abschiebung zu gewähren. Auf die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten hat das Oberverwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich Afghanistans vorliegen, und die Klage im Übrigen auch hinsichtlich der Abschiebungsandrohung abgewiesen. Es hat ausgeführt, da die Klägerin inzwischen volljährig sei, könne offen bleiben, ob das Verwaltungsgericht für die damals noch minderjährige Klägerin aus Völkerrecht und Verfassungsrecht zutreffend ein Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 53 Abs. 4 AuslG abgeleitet habe. Auch ein Anspruch aus § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK komme nicht in Betracht, da in Afghanistan weder staatliche noch staatsähnliche Verfolgung stattfinde. Daher seien auch die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Abschiebungsandrohung nach § 50 Abs. 3 AuslG nicht gegeben. Der Klägerin sei aber Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG zu gewähren. Ihr fehle das Rechtsschutzinteresse für diesen Hilfsantrag nicht etwa deshalb, weil ihr in Bayern, wo sie lebe, kraft landesrechtlicher ministerieller Regelung unter bestimmten Umständen unabhängig von einer Gefahrenlage eine befristete Aufenthaltsbefugnis erteilt werden könne. Dem Gericht sei nicht bekannt, ob alle insoweit erforderlichen Voraussetzungen vorlägen. Außerdem müsste die Klägerin, um von der ministeriellen Regelung erfasst zu werden, anhängige Rechtsmittel zurücknehmen und auf dem Verwaltungswege neu beginnen; das sei kein einfacherer Weg, ihr Rechtsschutzziel zu erreichen. Der Klägerin stehe der Anspruch zwar nicht in direkter Anwendung von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu, da sie in Afghanistan nach ihrem eigenen Vortrag keine politische oder gesellschaftlich bedingte Verfolgung erlitten habe und eine solche auch nicht zu erwarten sei. Sie habe jedoch einen Anspruch auf Abschiebungsschutz in verfassungskonform erweiternder Auslegung dieser Vorschrift. Ihre Eltern seien verstorben; sie habe in Afghanistan keine Verwandten mehr. Als allein stehende Frau ohne familiäre Hilfe habe sie den sicheren Hungertod zu erwarten. Anhaltspunkte dafür, dass dies anders wäre, wenn sie mit ihrer Schwester und ihrem Bruder zurückkehren würde, lägen nicht vor.
Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Revision macht die Beklagte geltend, die angefochtene Entscheidung verletze die in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG angeordnete Sperrwirkung. Deren verfassungskonforme Durchbrechung wegen der angenommenen extremen Gefahrenlage müsse daran scheitern, dass für die Klägerin als afghanische Staatsangehörige im Freistaat Bayern ein genereller Abschiebestopp bestehe, der zwar nicht förmlich als Anordnung nach § 54 AuslG bezeichnet werde, aber faktisch einer solchen Anordnung gleichkomme.
II.
Die Revision der Beklagten ist begründet. Soweit das Berufungsgericht der Klage auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG stattgegeben hat, verletzt die Entscheidung Bundesrecht; sie ist deshalb aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen (§ 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO).
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses in verfassungskonformer Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG. Nur das ist noch Gegenstand des Revisionsverfahrens.
Die Revision macht zutreffend geltend, dass der Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) ein unbedingter Anspruch auf widerrufliche Duldung mit einjähriger Geltungsdauer als Bürgerkriegsflüchtling aus Afghanistan nach Nr. 5 des Erlasses des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 17. Juli 1998 - IMS IA 2 - 2086.14-12 - in der Fassung vom 8. Februar 1999 zugestanden hat. Diese Erlasslage galt unabhängig von dem Erlöschen der asylverfahrensrechtlichen Aufenthaltsgestattung nach rechtskräftiger Abweisung der Klage im vorliegenden Asylverfahren (§ 67 Abs. 1 Nr. 6 AsylVfG). Die für die Durchführung der Abschiebung zuständige bayerische Ausländerbehörde hätte die Klägerin deshalb nicht nach Afghanistan abschieben dürfen. Unter diesen Umständen war das Oberverwaltungsgericht nicht befugt, die Beklagte zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG unter Durchbrechung der Sperrwirkung des Satzes 2 zu verpflichten.
Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass der Antrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG bei einer Fallkonstellation wie der vorliegenden nicht bereits am Rechtsschutzbedürfnis scheitert (vgl. im Einzelnen das gleichzeitig ergehende Urteil des Senats im Parallelverfahren BVerwG 1 C 5.01). Dass der Klägerin nach Nr. 4 des bayerischen Erlasses eine - das Rechtsschutzbedürfnis in Frage stellende - Aufenthaltsbefugnis zustand, war schon deshalb auszuschließen, weil sie ihre Klage im vorliegenden Verfahren aufrecht erhielt. Durchgreifende Zweifel am Rechtsschutzinteresse ergaben sich auch nicht daraus, dass der Klägerin - was das Oberverwaltungsgericht allerdings nicht mehr geprüft hat - nach Nr. 5 des Erlasses in Bayern ein Anspruch auf Duldung zugestanden hat. Durch die erstrebte Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hätte die Klägerin nämlich eine zusätzliche und jedenfalls nicht schwächere Schutzposition erlangen können. Das genügt, um ein Rechtsschutzinteresse zu bejahen.
Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Afghanistan "als allein stehende Frau ohne familiäre Hilfe den sicheren Hungertod zu erwarten" hätte. Daraus hat es geschlossen, dass die Klägerin im Falle ihrer Abschiebung einer extremen allgemeinen Gefahrenlage in ihrem Heimatland ausgesetzt wäre. Das ist nicht zu beanstanden. Auch die Revision wendet sich ausschließlich dagegen, dass das Oberverwaltungsgericht § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG außer Acht gelassen hat, obwohl die Klägerin nach der bereits zitierten Erlasslage in ihrem Wohnsitzland Bayern tatsächlich nicht mit ihrer Abschiebung in eine extreme Gefahrensituation habe rechnen müssen. Sie macht damit im Ergebnis zu Recht geltend, dass die Überwindung der gesetzlichen Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG nicht zulässig gewesen ist, weil eine die verfassungskonforme Anwendung des Satzes 1 zugunsten der Klägerin rechtfertigende verfassungswidrige Schutzlücke nicht vorhanden war.
Nach § 53 Abs. 6 AuslG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht (Satz 1); Gefahren in diesem Staat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, werden bei Entscheidungen nach § 54 AuslG berücksichtigt (Satz 2). Die oberste Landesbehörde kann nach dieser Bestimmung aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von sonstigen Ausländergruppen allgemein oder in einzelne Zielländer für längstens sechs Monate ausgesetzt wird (§ 54 Satz 1 AuslG); für längere Aussetzungen bedarf es des Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern (§ 54 Satz 2 AuslG). Beruft sich der einzelne Ausländer auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur im Rahmen eines generellen Abschiebestopps nach § 54 AuslG (Anspruch auf Duldung gemäß § 55 Abs. 2, Abs. 4 Satz 1 AuslG) erhalten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dürfen das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) und die Verwaltungsgerichte im Einzelfall Ausländern, die zwar einer gefährdeten Gruppe im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 54 AuslG nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 53 Abs. 6 AuslG zusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (stRspr.; vgl. insbesondere Urteil vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324, 328; Urteil vom 19. November 1996 - BVerwG 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249, 258; Urteil vom 27. April 1998 - BVerwG 9 C 13.97 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 12 = NVwZ 1998, 973; Urteil vom 8. Dezember 1998 - BVerwG 9 C 4.98 - BVerwGE 108, 77, 80 f.; jeweils m.w.N.). Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG - als Ausdruck eines menschenrechtlichen Mindeststandards (vgl. auch das Urteil vom 24. Mai 2000 - BVerwG 9 C 34.99 - BVerwGE 111, 223, 228 f. zu Art. 9 EMRK unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Auslieferung) -, jedem betroffenen Ausländer trotz Fehlens einer Ermessensentscheidung nach § 53 Abs. 6 Satz 2, § 54 AuslG Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu gewähren.
Der früher für das Asylrecht zuständige 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat in den zitierten Entscheidungen die Überwindung der Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG nur dann als geboten und zulässig angesehen, wenn nicht bereits zielstaatsbezogener Abschiebungsschutz nach anderen Bestimmungen (§ 53 Abs. 1, 2, 4 oder 6 Satz 1 AuslG) oder nach § 54 AuslG gewährt wird (vgl. zuletzt auch Beschluss vom 8. Dezember 2000 - BVerwG 1 B 165.00 -, zur Veröffentlichung in Buchholz 402.240 § 54 AuslG vorgesehen). Das ergibt sich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 3 GG) und der daraus folgenden Pflicht zur möglichst weitgehenden Beachtung des gesetzlichen Regelungskonzepts. Nur um verfassungswidrige Schutzlücken zu vermeiden sind das Bundesamt und die Gerichte befugt, auch bei allgemeinen Gefahren im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG im Einzelfall von sich aus Schutz vor der Durchführung der Abschiebung zu gewähren. Unabhängig davon bleiben die Innenminister des Bundes und der Länder nach objektivem Verfassungsrecht verpflichtet, durch humanitäre Abschiebestopp-Erlasse nach § 54 AuslG oder durch andere Maßnahmen auch solche Ausländer wirksam zu schützen, denen bei einer Abschiebung extreme Allgemeingefahren im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG drohen. Derartige Regelungen hat der Bundesgesetzgeber nach dem Schutzkonzept des Ausländergesetzes 1990 - auch zur Sicherung einer bundeseinheitlichen Praxis - bewusst den ausländerpolitischen Grundsatzentscheidungen der obersten Landesbehörden und des Bundesministeriums des Innern vorbehalten, den unteren Ausländerbehörden, dem Bundesamt und den Verwaltungsgerichten dagegen insoweit keine Entscheidungszuständigkeiten eingeräumt. Wie das Bundesverwaltungsgericht mehrfach betont hat, haben die Verwaltungsgerichte diese Aufgaben- und Verantwortungszuweisung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bis zur Grenze des Eintritts verfassungswidriger Verhältnisse - insbesondere durch Unterlassen an sich gebotener Abschiebestopp-Erlasse nach § 54 AuslG bei extremen Gefahrenlagen in einzelnen Abschiebezielstaaten - zu respektieren (vgl. zuletzt etwa Beschluss vom 23. Februar 2000 - BVerwG 9 B 65.00 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 30).
In einigen obergerichtlichen Entscheidungen wird die verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG im Asylverfahren bereits dann abgelehnt, wenn tatsächliche Hindernisse der Durchführung der Abschiebung entgegenstehen (vgl. OVG Münster, Urteile vom 16. November 1998 - OVG 13 A 4113/98.A - InfAuslR 1999, 124, vom 24. Februar 1999 - OVG 14 A 3840/94.A - und vom 11. März 1999 - OVG 13 A 3894/94.A - <juris> wegen Flugverbots aufgrund von EU-Sanktionen gegen Jugoslawien; ebenso OVG Saarlouis, Urteil vom 18. Januar 1999 - OVG 3 R 83/98 - <juris>). Dabei wird zum Teil schon eine extreme allgemeine Gefahr verneint, weil faktisch nicht abgeschoben werden könne. Ob eine extreme allgemeine Gefahrenlage im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG vorliegt, ist indessen ausschließlich nach den Verhältnissen im Abschiebezielstaat zu beurteilen. In ihrem Ansatz zutreffend gehen die zitierten Entscheidungen jedoch davon aus, dass das Bundesamt und die Verwaltungsgerichte bei extremer Allgemeingefahr die Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG nur durchbrechen dürfen, um eine mit Verfassungsrecht unvereinbare Abschiebung zu verhindern.
Geboten ist die verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG auf jeden Fall dann, wenn der einzelne Asylbewerber sonst gänzlich schutzlos bliebe, d.h. wenn seine Abschiebung in den gefährlichen Zielstaat ohne Eingreifen des Bundesamts oder der Verwaltungsgerichte tatsächlich vollzogen würde. Mit Rücksicht auf das gesetzliche Schutzkonzept ist sie aber auch dann zulässig, wenn der Abschiebung zwar anderweitige - nicht unter § 53 Abs. 1, 2, 4 oder 6 Satz 1 oder § 54 AuslG fallende - Hindernisse entgegenstehen, diese aber keinen gleichwertigen Schutz bieten. Gleichwertig ist der anderweitige Schutz nur, wenn er dem entspricht, den der Ausländer bei Vorliegen eines Erlasses nach § 54 AuslG hätte oder den er bei Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG erreichen könnte. Wird ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG festgestellt, ist die Abschiebung in den betreffenden Staat - ohne Aufhebung der Androhung und der Ausreisepflicht - in widerruflicher Weise für die Dauer von zunächst drei Monaten ausgesetzt (§ 41 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG); nach Ablauf der drei Monate entscheidet die Ausländerbehörde - unter Beachtung der Bindungswirkung der Entscheidung zu § 53 Abs. 6 AuslG nach § 42 AsylVfG - über die Erteilung einer Duldung (§ 41 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG). Ist der Asylbewerber anderweitig in einer Form vor Abschiebung geschützt, die diesem Schutz (oder dem durch einen Erlass nach § 54 AuslG) entspricht, so bedarf er nicht des zusätzlichen Schutzes durch verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG. Außerdem dient es der Verfahrens- und Prozessökonomie, das Bundesamt und die Gerichte von der - u.U. aufwändigen - Prüfung einer extremen Gefahrenlage zu entlasten, wenn der Aufenthalt des Ausländers wegen eines anderweitigen Bleiberechts oder Abschiebungshindernisses ohnehin nicht in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem negativen Abschluss des Asylverfahrens beendet werden kann.
Daraus folgt zunächst, dass ebenso wie bei einem Erlass nach § 54 AuslG, der nicht auf die Gewährung von verfassungsrechtlich gebotenem humanitären Abschiebungsschutz beschränkt ist, auch jede andere ausländerrechtliche Erlasslage die Durchbrechung der Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG hindert, weil und sofern sie dem einzelnen Ausländer einen vergleichbar wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt. Ebenso wie bei § 54 AuslG kommt es ausschließlich darauf an, ob der Erlass im maßgeblichen Zeitpunkt besteht und anwendbar ist. Ob dessen Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen, haben das Bundesamt und die Verwaltungsgerichte zu prüfen. Aus Gründen der Verfahrens- und Prozessökonomie dürfen sie allerdings die verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG entweder bereits am Fehlen einer extremen Gefahrenlage oder daran scheitern lassen, dass gleichwertiger Schutz nach geltender Erlasslage besteht. Dagegen setzt die Zuerkennung von Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG stets sowohl das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage als auch das Nichtbestehen von anderweitigem Abschiebungsschutz aufgrund eines Erlasses voraus.
Welche sonstigen Schutzmöglichkeiten oder Vollstreckungshindernisse ausreichen, um eine verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG auszuschließen, bedarf für das vorliegende Verfahren keiner abschließenden Entscheidung. Sie wird jedenfalls nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass ein faktisches Hindernis der Vollstreckung der Abschiebung vorübergehend entgegensteht. Wie ausgeführt ist die verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG nur nachrangig, wenn ein gleichwertiger Schutz vor Abschiebung tatsächlich besteht. Das ist auch dann der Fall, wenn der Ausländer im entscheidungserheblichen Zeitpunkt bereits im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung als eines weiterreichenden Titels zum legalen Aufenthalt oder mindestens einer Duldung ist, die aus asylverfahrensunabhängigen Gründen erteilt worden ist und deren Schutzwirkung nicht hinter der einer gesetzlichen Duldung nach § 41 AsylVfG zurückbleibt. Denn dann steht der Asylbewerber im rechtlichen Ergebnis nicht schlechter als er nach dem Normkonzept im Falle der Gewährung von Abschiebungsschutz durch Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG in unmittelbarer Anwendung stünde. Auf die zusätzlichen Vorteile aus der weitreichenden Bindungswirkung der Bundesamtsentscheidung (§ 42, 73 Abs. 3 AsylVfG) kommt es insoweit nicht an; diese Regelungen dienen nicht dem Interesse des Asylbewerbers, sondern ausschließlich der Bewältigung der Zuständigkeitsaufteilung zwischen Bundesamt und Ausländerbehörden.
Es widerspräche allerdings dem Schutzkonzept des Asylverfahrens- und des Ausländergesetzes, den Asylbewerber mit Rücksicht auf noch unentschiedene sonstige Bleiberechte und Duldungsansprüche oder wegen eines vorübergehenden faktischen Vollstreckungshindernisses ohne zielstaatsbezogene Schutzentscheidung nach § 53 Abs. 6 AuslG zu lassen. Unter solchen Umständen sind das Bundesamt und die Verwaltungsgerichte vielmehr befugt und verpflichtet, dem Ausländer Abschiebungsschutz durch eine positive Feststellung nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG unter ausnahmsweiser Durchbrechung der Sperrwirkung des Satzes 2 zu gewähren. Dafür sprechen auch Gründe der Rechtssicherheit und der Verfahrensökonomie. Das Bundesamt und die Verwaltungsgerichte sollen nicht mit einer Untersuchung aller denkbaren anderweitigen tatsächlichen Hindernisse oder Schutzansprüche im Einzelfall belastet werden, sondern sich auf die Prüfung beschränken können, ob eine bestimmte Erlasslage oder eine bereits schriftlich erteilte Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung aus individuellen Gründen weiteren Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG in verfassungskonformer Anwendung entbehrlich macht. Wollte man bereits den Anspruch auf Erteilung einer Duldung - oder auch eines höherrangigen Bleiberechts - für das Absehen von einer Schutzentscheidung nach § 53 Abs. 6 AuslG genügen lassen, würde dies, selbst wenn ein solcher Anspruch nach Lage der Dinge höchstwahrscheinlich besteht, die Entscheidung über ein Abschiebungshindernis aus § 53 Abs. 6 AuslG mit den trotz allem verbleibenden Unwägbarkeiten einer Inzidentprüfung über die voraussichtliche Entscheidung der Ausländerbehörde belasten, ohne diese im Übrigen zu binden. Den obersten Landesbehörden bleibt es unbenommen, im Rahmen ihres ausländerpolitischen Ermessens jederzeit, auch nachträglich Schutz nach § 54 AuslG oder durch andere Regelungen zu gewähren, um ein Eingreifen des Bundesamts und der Gerichte im Einzelfall entbehrlich zu machen.
Soweit der früher zuständige 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts ausgeführt hat, in § 31 AsylVfG sei nicht vorgesehen, dass auch bei Bestehen eines innerstaatlichen Vollstreckungshindernisses nach § 55 Abs. 2 AuslG von einer Entscheidung über das Vorliegen von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen abgesehen werden könne (Beschluss vom 11. Mai 1998 - BVerwG 9 B 409.98 - InfAuslR 1999, 525; ebenso Beschluss vom 22. Juli 1998 - BVerwG 9 B 452.98 - unveröffentlicht), betrifft dies nur das Verhältnis zu einer Entscheidung nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG in unmittelbarer und nicht in subsidiär verfassungskonformer Anwendung.
Nach diesen Grundsätzen muss die Revision Erfolg haben. Die Klägerin hatte nämlich nach der von der Beklagten geltend gemachten, in ihrem Wohnsitzland Bayern geltenden Erlasslage Abschiebungsschutz, der nicht hinter dem zurücksteht, den sie bei Bestehen eines auf § 54 AuslG gestützten Abschiebestopp-Erlasses erhielte. Wie bereits ausgeführt, stand der Klägerin ein unbedingter Anspruch auf widerrufliche Duldung mit einjähriger Geltungsdauer als Bürgerkriegsflüchtling aus Afghanistan nach Nr. 5 des Erlasses des Bayerischen Staatsministeriums des Innern in der Fassung vom 8. Februar 1999 zu. Diese - ausdrücklich auf § 55 AuslG gestützte - Erlasslage galt auch unabhängig von dem Erlöschen der asylverfahrensrechtlichen Aufenthaltsgestattung. Das ergibt sich aus dem Inhalt der Berufungsakten und kann im Revisionsverfahren - unabhängig davon, dass die Beklagte ihre insoweit im Beschwerdeverfahren erhobene Gehörsrüge nicht wiederholt hat - verwertet werden. Die Klägerin ist dem Vortrag der Beklagten, aus dem Erlass des Bayerischen Staatsministeriums des Innern in der Fassung vom 8. Februar 1999 hätte sich jedenfalls ein Anspruch auf Duldung ergeben, auch zu keinem Zeitpunkt entgegengetreten.
Das Berufungsgericht hätte die Beklagte mithin bei Berücksichtigung der bayerischen Erlasslage nicht dazu verpflichten dürfen, der Klägerin Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG zu gewähren. Dieses Ergebnis wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass einerseits mit der vollständigen Abweisung der Klage die negative Feststellung in Nr. 3 des Bundesamtsbescheids vom 20. Oktober 1994 (Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG liegen nicht vor) insgesamt - also auch in Bezug auf § 53 Abs. 6 AuslG - bestandskräftig wird, während andererseits das Oberverwaltungsgericht festgestellt hat, die Klägerin wäre im Falle einer Abschiebung nach Afghanistan dort einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt. Auch insoweit besteht keine Schutz- oder Rechtsschutzlücke zu Lasten der Klägerin. Sollte der ihr nach Nr. 5 des bayerischen Erlasses in der Fassung vom 8. Februar 1999 zustehende Abschiebungsschutz nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung im vorliegenden Verfahren entfallen, so kann die Klägerin unter Berufung auf eine extreme Gefahrenlage jederzeit ein Wiederaufgreifen des Verfahrens vor dem Bundesamt verlangen. Ihr könnte insbesondere nicht entgegen gehalten werden, die negative Entscheidung des Bundesamts zu § 53 Abs. 6 AuslG in verfassungskonformer Anwendung sei mit ihrem ursprünglichen Inhalt bestandskräftig geworden. Denn die gerichtlich bestätigte negative Feststellung zu § 53 Abs. 6 AuslG kann nur mit dem Inhalt bestandskräftig werden, den die letzte verwaltungsgerichtliche Entscheidung zugrunde gelegt hat.
Das bedeutet im vorliegenden Verfahren nach der jetzt getroffenen Entscheidung des erkennenden Senats: Es ist nur festgestellt, dass die Klägerin des Schutzes nach § 53 Abs. 6 AuslG in verfassungskonformer Anwendung nicht bedarf, weil und soweit sie bereits durch die Erlasslage in Bayern gleichwertigen Abschiebungsschutz auf der Rechtsgrundlage des § 55 AuslG genießt. Nur mit diesem Inhalt steht zu Lasten der Klägerin fest, dass sie keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses in verfassungskonformer Handhabung des § 53 Abs. 6 AuslG hat. Entfällt der ihr vorrangig gewährte ausländerrechtliche Schutz nach bayerischer Erlasslage und besteht kein anderweitiger gleichwertiger Abschiebungsschutz, so kann die Klägerin daher jederzeit beim Bundesamt geltend machen, dass eine neue Sachlage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG entstanden und deshalb erneut über ihren Antrag im Wege des Wiederaufgreifens zu entscheiden ist. Dabei gelten, wie das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden hat, nicht die strengeren Maßstäbe für Asylfolgeanträge nach § 71 AsylVfG (vgl. Urteil vom 21. März 2000 - BVerwG 9 C 41.99 - BVerwGE 111, 77; Urteil vom 7. September 1999 - BVerwG 1 C 6.99 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 20 = NVwZ 2000, 204; vgl. auch BVerfG, 1. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 21. Juni 2000 - 2 BvR 1989/97 - NVwZ 2000, 907 = DVBl 2000, 1279). Bis zu einer Entscheidung des Bundesamts über einen solchen Wiederaufgreifensantrag darf die Abschiebung nur vollzogen werden, wenn der Klägerin zuvor Gelegenheit zur Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen (Eil-) Rechtsschutzes gegeben worden ist (vgl. das Urteil vom 16. November 1999 - BVerwG 9 C 4.99 - BVerwGE 110, 74, 80 f).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Ende der Entscheidung
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