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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 26.05.1998
Aktenzeichen: BVerwG 1 C 3.98
Rechtsgebiete: GG, Versailler Vertrag, Wiener Abkommen, RuStAG, 1. StARegG, BVFG, VwGO


Vorschriften:

GG Art. 16 Abs. 1 Satz 1
Versailler Vertrag Art. 91
Minderheitenschutzvertrag vom 28. Juni 1919 Art. 3
Wiener Abkommen vom 30. August 1924 Art. 6 Abs. 1
RuStAG § 4 Abs. 1
1. StARegG § 1 Abs. 1 Buchst. d
BVFG § 6
VwGO § 108 Abs. 1 und 2
Verordnung über die Deutsche Volksliste und die deutsche Staatsangehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten vom 4. März 1941 i.d.F. vom 31. Januar 1942 § 5
Leitsatz:

In der Regelung des § 1 Abs. 1 Buchst. d 1. StARegG, nach der ein Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit aufgrund der Verordnung über die Deutsche Volksliste durch polnische Volkszugehörige unwirksam ist, liegt keine nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG unzulässige Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit (wie Urteil vom 12. Dezember 1995 - BVerwG 9 C 113.95 - BVerwGE 100, 139).

Urteil des 1. Senats vom 26. Mai 1998 - BVerwG 1 C 3.98 -

I. VG Hamburg vom 25.08.1993 - Az.: 22 VG 1355/92 - II. OVG Hamburg vom 22.08.1994 - Az.: OVG Bf III 170/93 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 1 C 3.98 OVG Bf III 170/93

Verkündet am 26. Mai 1998

Wichmann Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 26. Mai 1998 durch den Vorsitzenden Richter Meyer und die Richter Gielen, Dr. Mallmann, Richter und Dr. Gerhardt

für Recht erkannt:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 22. August 1994 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I.

Die 1953 in Elblag (Elbing) geborene Klägerin begehrt die Feststellung, deutsche Staatsangehörige zu sein. Ihre 1925 in Radom geborene Mutter und ihr 1927 in Jezewo (Jeschewo) bei Swiecie (Schwetz) geborener Vater haben 1948 in Swidnica (Schweidnitz) geheiratet. 1989 hat die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann und ihren Söhnen die Heimat verlassen. Am 3. August 1989 hat sich die Familie im Grenzdurchgangslager Friedland gemeldet. Dort war dem Vater der Klägerin am 19. Dezember 1988 ein Registrierschein erteilt worden. Er hatte damals angegeben, seinerzeit mit seinen Eltern in die Abteilung 3 der Deutschen Volksliste eingetragen gewesen zu sein. Am 10. Mai 1989 hatte ihm das Ausgleichsamt Hamburg einen Vertriebenenausweis A erteilt.

Im November 1989 beantragte die Klägerin in Hamburg, ihr einen Vertriebenenausweis zu erteilen. Sie gab an, Deutsch sei die Muttersprache ihres Vaters, Polnisch die ihrer Mutter. Den Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Oktober 1990 ab. Zwar sei der Vater als deutscher Volkszugehöriger anerkannt worden. Der Vater habe jedoch seinen eigenen Angaben zufolge mit der Klägerin nur bis zu deren 11. Lebensjahr zusammengelebt und die deutsche Sprache nicht an sie weitergeben können. Die Klägerin sei unter diesen Umständen nicht als deutsche Volkszugehörige anzusehen. Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin Widerspruch eingelegt.

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 27. November 1990 bei der Beklagten beantragt festzustellen, daß sie deutsche Staatsangehörige sei. Unter Berufung auf die Vertriebenenakte machte sie geltend, ihr Vater sei deutscher Staatsangehöriger, ihre Mutter sei polnische Staatsangehörige. Der Vater habe die deutsche Staatsangehörigkeit durch die Eintragung in die Volksliste 2 erworben.

Am 21. April 1992 hat die Klägerin Klage erhoben. Mit Urteil vom 25. August 1993 hat das Verwaltungsgericht Hamburg festgestellt, daß die Klägerin deutsche Staatsangehörige ist. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht die Klage unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:

Nach § 4 Abs. 1 RuStAG in der zur Zeit der Geburt der Klägerin geltenden Fassung habe diese die deutsche Staatsangehörigkeit nicht erworben. Während ihre Mutter bis dahin zu keiner Zeit die deutsche Staatsangehörigkeit besessen habe, dürften die 1892 und 1890 in Jezewo geborenen Großeltern väterlicherseits bis nach dem Ende des Ersten Weltkrieges die preußische Staatsangehörige und damit deutsche Reichsangehörige gewesen sein, denn der Kreis Schwetz, in dem Jezewo liege, habe damals zu Westpreußen gehört. Dieser Teil Westpreußens sei durch den Versailler Vertrag 1919 an Polen gefallen. Die Großeltern der Klägerin hätten die deutsche Staatsangehörigkeit (Reichsangehörigkeit) verloren, als sie sich nach dem Ersten Weltkrieg dafür entschieden hätten, in ihrer Heimat und damit in dem Gebiet des neu gegründeten polnischen Staates zu bleiben. Die möglicherweise 1941 oder später durch Eintragung in Abteilung 3 der Deutschen Volksliste erworbene Staatsangehörigkeit auf Widerruf hätten die Großeltern und der Vater der Klägerin jedenfalls nicht über das Kriegsende hinaus behalten. Eine in dieser Weise erworbene deutsche Staatsangehörigkeit habe gemäß § 1 Abs. 1 Buchst. d des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit vom 22. Februar 1955 nur für deutsche Volkszugehörige Bestand. Diese Voraussetzung lasse sieh jedoch nicht feststellen. Es sei nicht ersichtlich, daß die Großeltern oder der Vater der Klägerin sich in der Zeit des Zweiten Weltkrieges bis zum Beginn der gegen die Deutschen gerichteten Vertreibungsmaßnahmen als deutsche Volkszugehörige gefühlt und sich nach außen als solche zu erkennen gegeben hätten. In einem Antrag der Großeltern auf Aufnahme in die Deutsche Volksliste könne ohne weitere Anhaltspunkte kein Bekenntnis zum deutschen Volkstum gesehen werden. Auch in dem aufgrund eines Gestellungsbefehls geleisteten Dienst des Vaters der Klägerin in der deutschen Wehrmacht liege kein Bekenntnis zum deutschen Volkstum. Seine Entlassung aus der britischen Kriegsgefangenschaft von Lübeck in seine Heimat, in der bereits Polen die Verwaltung ausgeübt haben, spreche dafür, daß er sich der Besatzungsmacht gegenüber als deutscher Soldat polnischen Volkstums zu erkennen gegeben habe. Seine Zeugenaussage sei nicht geeignet, dem Berufungsgericht die Überzeugung zu verschaffen, er habe sich kurz vor Beginn der Vertreibung der Deutschen aus seiner Heimat oder auch in der Zeit danach zum deutschen Volkstum bekannt. Seine Angaben stünden zu einem guten Teil im Widerspruch zu Tatsachen, die sich durch Urkunden belegen ließen. Die Darstellung des Zeugen weise auch in wesentlichen Teilen Übertreibungen auf, die im Gegensatz zu allgemein bekannten Tatsachen stünden. Das nehme seiner Aussage insgesamt die Überzeugungskraft. Hinzu kämen Widersprüche zwischen seinen Aussagen in beiden Instanzen. So stimme z.B. die Behauptung des Zeugen, seinen Eltern und auch seiner Großmutter seien Volkstumsausweise in blauer Farbe, ihm selbst als Minderjährigem aber ein Ausweis in grüner Farbe erteilt worden, nicht mit den Bestimmungen zum Volkslistenverfahren überein. Auch sei seine Behauptung in hohem Maße unwahrscheinlich, er habe nach seiner Rückkehr in die Heimat den polnischen Behörden auf die Frage, ob er Deutscher oder Pole sei, geantwortet, er sei ebenso wie seine Eltern Deutscher, was ja alle wüßten. Ebenso unwahrscheinlich sei die Aussage, weder sein Vater noch er hätten eine Treueerklärung abzugeben brauchen, wie es nach dem Gesetz vom 6. Mai 1945 "über den Ausschluß feindlicher Elemente aus der polnischen Volksgemeinschaft" von denen verlangt worden sei, die in Abteilung 3 der Deutschen Volksliste eingetragen gewesen seien. Die Bekundungen des Zeugen seien auch unrichtig, soweit er das Gericht erster Instanz habe glauben machen wollen, in Jezewo seien nach 1945 viele Deutsche wohnhaft geblieben.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die vom erkennenden Senat zugelassene Revision eingelegt und wie folgt begründet: Sie habe die deutsche Staatsangehörigkeit entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 RuStAG von ihrem Vater erworben, der sie wiederum durch Eintragung in die Deutsche Volksliste erworben habe. Wie alle in die Volksliste Eingetragenen sei er deutscher Volkszugehöriger im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchst. d 1. StARegG gewesen und habe somit die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Eine andere Auslegung dieser Vorschrift verstieße gegen Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG. Indem das Berufungsgericht darauf abstelle, ob ihrem Vater die deutsche Volkszugehörigkeit zukomme, vertrete es eine vordemokratische, ethnisch-rassistische Konzeption der Volkszugehörigkeit. Für die deutsche Volkszugehörigkeit ihres Vaters sprächen die Ableistung des Wehrdienstes in der deutschen Wehrmacht sowie seine sehr guten deutschen Sprachkenntnisse. Darüber hinaus werde als Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz gerügt, daß das Berufungsgericht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sei, da es den Unterschied zwischen "Verifikation" und "Rehabilitation" verkannt habe. Weiter habe das Berufungsgericht bei seiner Beweiswürdigung nicht berücksichtigt, daß ihr inzwischen verstorbener Vater Schwierigkeiten mit seinem Gedächtnis gehabt habe. Schließlich habe es das rechtliche Gehör verletzt. Sie, die Klägerin, habe darauf vertrauen dürfen, daß etwaige Unstimmigkeiten in den Aussagen ihres Vaters in der ersten und zweiten Instanz nicht überbewertet würden. Andernfalls hätte ein entsprechender Hinweis gegeben werden müssen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 22. August 1994 die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 25. August 1993 zurückzuweisen.

Die Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Beklagten verhandeln und entscheiden, da die Beteiligten in der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen worden sind (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil verletzt nicht Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Entscheidung des Berufungsgerichts, es könne nicht festgestellt werden, daß die Klägerin die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

1. Nach dem allein in Betracht kommenden § 4 Abs. 1 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1913 (RGBl S. 583) - RuStAG - in der hier maßgebenden zum Zeitpunkt der Geburt der Klägerin geltenden Fassung erwarb das eheliche Kind eines Deutschen durch die Geburt die Staatsangehörigkeit des Vaters. Danach hätte die Klägerin die deutsche Staatsangehörigkeit nur erwerben können, wenn ihr 1927 geborener Vater im Zeitpunkt ihrer Geburt deutscher Staatsangehöriger gewesen wäre. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsverstoß entschieden, daß sich diese Voraussetzung nicht feststellen läßt.

a) Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß die 1892 und 1890 in Jezewo geborenen Großeltern der Klägerin (väterlicherseits) bis nach dem Ende des Ersten Weltkrieges die preußische Staatsangehörigkeit und damit die deutsche Reichsangehörigkeit besessen haben dürften, denn der Kreis Schwetz, in dem Jezewo liege, habe damals zu Westpreußen als einer Provinz Preußens gehört und sei erst durch den Versailler Vertrag 1919 an Polen gefallen. Die Großeltern der Klägerin haben die deutsche Staatsangehörigkeit jedoch aufgrund des Art. 91 des Versailler Vertrags sowie der Bestimmungen des Minderheitenschutzvertrags zwischen den alliierten und assoziierten Hauptmächten und Polen vom 28. Juni 1919 und des deutsch-polnischen Abkommens über Staatsangehörigkeits- und Optionsfragen vom 30. August 1924 (RGBl 1925 II S. 33) - Wiener Abkommen - wieder verloren. Nach Art. 91 Abs. 1 des Versailler Vertrags, Art. 3 Abs. 1 des Minderheitenschutzvertrags sowie Art. 6 Abs. 1 des Wiener Abkommens erwarben deutsche Reichsangehörige von Rechts wegen unter Ausschluß der deutschen Reichsangehörigkeit die polnische Staatsangehörigkeit, wenn sie ihren Wohnsitz im Gebiet des neu gegründeten polnischen Staates (Art. 3 des Wiener Abkommens) mindestens seit dem 1. Januar 1908 bis zum 10. Januar 1920 hatten (vgl. auch Urteil vom 12. Dezember 1995 - BVerwG 9 C 113.95 - BVerwGE 100, 139 <141>). Von der nach Art. 91 Abs. 3 des Versailler Vertrags, Art. 3 Abs. 2 Satz 1 des Minderheitenschutzvertrags eingeräumten Befugnis, für die Reichsangehörigkeit zu optieren, haben die Großeltern der Klägerin nach den Feststellungen des Berufungsgerichts keinen Gebrauch gemacht.

b) Mit dem Berufungsgericht ist allerdings davon auszugehen, daß der Vater und die Großelterrn der Klägerin in Jezewo 1941 oder später in Abteilung 3 der Deutschen Volksliste eingetragen worden sein dürften, was nach § 5 der Verordnung über die Deutsche Volksliste und die deutsche Staatsangehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten vom 4. März 1941 (RGBl I S. 118, geändert durch Verordnung vom 31. Januar 1942, RGBl I S. 51) den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit zur Folge haben sollte. Wie das Berufungsgericht rechtlich fehlerfrei angenommen hat, spricht für die Eintragung in die Deutsche Volksliste namentlich, daß der Vater der Klägerin im November 1944 als Soldat zur deutschen Wehrmacht eingezogen wurde, was seine deutsche Staatsangehörigkeit voraussetzte (vgl. auch Urteil vom 12. Dezember 1995 - BVerwG 9 C 113.95 - a.a.O. S. 143).

c) Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch den Vater der Klägerin ist jedoch unwirksam. Die insoweit allein maßgebende Vorschrift des § 1 Abs. 1 Buchst. d des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit vom 22. Februar 1955 (BGBl I S. 65) - 1. StARegG - erkennt den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Eintragung in die Deutsche Volksliste nur dann als rechtswirksam und damit über den 8. Mai 1945 hinaus fortbestehend an, wenn der Eingebürgerte deutscher Volkszugehöriger war (vgl. dazu im einzelnen Urteil vom 15. März 1994 - BVerwG 9 C 340.93 - BVerwGE 95, 228).

aa) § 1 Abs. 1 Buchst. d 1. StARegG steht entgegen der Ansicht der Revision mit dem Grundgesetz in Einklang. Insbesondere bewirkt diese Vorschrift für diejenigen, die seinerzeit durch Eintragung in die Deutsche Volksliste eingebürgert worden sind, ohne deutsche Volkszugehörige zu sein, keine nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG unzulässige Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit. Eine derartige unzulässige Entziehung liegt bei einer von dem Betroffenen nicht beeinflußbaren Beseitigung der deutschen Staatsangehörigkeit vor, die die Folge eines allein auf dem Willen des Staates zur Wegnahme der deutschen Staatsangehörigkeit beruhenden Aktes ist (BVerfG, NJW 1990, 2193). Ein solcher kann allerdings auch im Erlaß eines Gesetzes bestehen. Das trifft auf die in § 1 Abs. 1 Buchst. d 1. StARegG getroffene Regelung jedoch nicht zu, wie der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in dem bereits erwähnten Urteil vom 12. Dezember 1995 - BVerwG 9 C 113.95 - (a.a.O. S. 145 ff.) im einzelnen ausgeführt hat. Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde des Klägers des damaligen Verfahrens gegen dieses Urteil nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluß vom 19. September 1996 - 2 BvR 368/96 -). Der erkennende Senat hat sich der Auffassung des 9. Senats des Bundesverwaltungsgerichts in den Beschlüssen vom 22. Dezember 1997 - BVerwG 1 B 226.97 - und vom 25. Februar 1998 - BVerwG 1 B 11.98 - angeschlossen. Hieran wird festgehalten.

bb) Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler dargelegt, eine deutsche Volkszugehörigkeit des Vaters der Klägerin lasse sich nicht feststellen.

Dabei ist das Berufungsgericht nicht von einem unrichtigen Verständnis des Begriffs der deutschen Volkszugehörigen im Sinne des § 1 Abs. 1 1. StARegG ausgegangen. Soweit allerdings im Berufungsurteil ausgeführt wird, "dem Vater und den Großeltern der Klägerin kam und kommt diese Volkszugehörigkeit nicht zu", mag diese Formulierung mißverständlich sein. Der insoweit - wie noch auszuführen ist - maßgebliche Begriff des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum wird vom Gesetzgeber in einem wertfreien Sinne verstanden. Sein Zweck beschränkt sich auf die Ermöglichung einer tatbestandsmäßigen Abgrenzung des Personenkreises, der im Vertreibungsgebiet in der maßgeblichen Zeit kurz vor Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen aufgrund seines damaligen Verhaltens der jeweiligen deutschen Volksgruppe zugerechnet wurde (vgl. Urteil vom 12. Dezember 1995 - BVerwG 9 C 113.95 - a.a.O. S. 145).

Dennoch hat das Berufungsgericht seiner Sachverhaltswürdigung ein zutreffendes Verständnis der deutschen Volkszugehörigkeit zugrunde gelegt, indem es ausgeführt hat, es sei nicht ersichtlich, daß sich der Vater und die Großeltern der Klägerin bis zum Beginn der gegen die Deutschen gerichteten allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen als deutsche Volkszugehörige gefühlt und nach außen als solche zu erkennen gegeben hätten. Insbesondere hat das Berufungsgericht zutreffend auf die Voraussetzungen des § 6 BVFG abgestellt. Der Begriff der deutschen Volkszugehörigen im Sinne des § 1 Abs. 1 1. StARegG ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit dem des deutschen Volkszugehörigen in § 6 BVFG a.F. bzw. § 6 Abs. 1 BVFG n.F. identisch (Urteil vom 12. Juli 1960 - BVerwG 1 C 217.58 - Buchholz 132.0 § 1 1. StARegG Nr. 2; Urteil vom 6. Oktober 1966 - BVerwG 1 C 28.64 - DÖV 1967, 93; Urteil vom 15. März 1994 - BVerwG 9 C 340.93 - a.a.O. S. 235; Urteil vom 12. Dezember 1995 - BVerwG 9 C 113.95 - a.a.O. S. 143). Danach ist deutscher Volkszugehöriger, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird. Hiervon ist das Berufungsgericht ausgegangen.

cc) Der Umstand, daß dem Vater der Klägerin ein Vertriebenenausweis A ausgestellt worden ist, führt nicht dazu, daß seine deutsche Volkszugehörigkeit für die hier erstrebte Feststellung der Staatsangehörigkeit der Klägerin bindend feststünde. Die Volkszugehörigkeit des Vaters der Klägerin ist vielmehr im vorliegenden Rechtsstreit selbständig zu prüfen. Eine Feststellungswirkung kann durch die Ausweiserteilung hinsichtlich des Vertriebenenstatus bzw. der dafür vorausgesetzten deutschen Volkszugehörigkeit des Ausweisinhabers grundsätzlich nur im Verhältnis zwischen Ausstellungsbehörde und Ausweisinhaber bestehen. Zu einer Bindung im Verhältnis zu Dritten führt sie nur dann, wenn dies gesetzlich bestimmt ist (vgl. Beschluß vom 16. Februar 1990 - BVerwG 9 B 325.89 - Buchholz 412.3 § 18 BVFG Nr. 13 S. 15 = NVwZ 1990, 1069 <1070>; Urteil vom 20. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 255.86 - BVerwGE 78, 139 <144 f.>). Insoweit kann hier allenfalls § 15 Abs. 5 BVFG a.F. in Betracht kommen. Nach dieser Vorschrift ist die Entscheidung über die Ausstellung des Ausweises für alle Behörden und Stellen verbindlich, die für die Gewährung von Vergünstigungen und Rechten als Vertriebener oder Sowjetzonenflüchtling nach dem Bundesvertriebenengesetz oder einem anderen Gesetz zuständig sind. Zu diesen Behörden gehören die Staatsangehörigkeitsbehörden nur, soweit sie solche Vergünstigungen und Rechte gewähren wie bei der Einbürgerung aufgrund von Vorschriften zugunsten von Vertriebenen und Flüchtlingen (vgl. Urteile vom 16. Oktober 1969 - BVerwG 1 C 20.66 - BVerwGE 34, 90 <92> und vom 22. August 1979 - BVerwG 8 C 17.79 - Buchholz 412.3 § 1 BVFG Nr. 22 S. 50; vgl. ferner Urteil vom 30. November 1982 - BVerwG 1 C 72.78 - Buchholz 11 Art. 116 GG Nr. 13 S. 3). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

dd) Gegen die Erwägungen, auf die das Berufungsgericht seine Überzeugung gestützt hat, die deutsche Volkszugehörigkeit des Vaters der Klägerin sei nicht festzustellen, ist rechtlich nichts zu erinnern. Das Berufungsgericht hat u.a. dargelegt, in dem Antrag der Großeltern der Klägerin auf Aufnahme in die Deutsche Volksliste könne ohne weitere Anhaltspunkte noch kein Bekenntnis zum deutschen Volkstum gesehen werden (vgl. Urteil vom 16. Februar 1993 - BVerwG 9 C 25.92 - BVerwGE 92, 70 <75 f.>). In dem nicht freiwillig, sondern aufgrund eines Gestellungsbefehls abgeleisteten Dienst des Vaters der Klägerin in der deutschen Wehrmacht liege ebenfalls kein Bekenntnis zum deutschen Volkstum. Die Zeugenaussage des Vaters der Klägerin sei nicht geeignet, dem Berufungsgericht die Überzeugung für ein solches Bekenntnis zu verschaffen. Seine Angaben stünden zu einem guten Teil im Widerspruch zu Tatsachen, die sich durch Urkunden belegen ließen, und die Darstellung des Zeugen weise auch in wesentlichen Teilen Übertreibungen auf, die im Gegensatz zu allgemein bekannten Tatsachen stünden; das nehme seiner Aussage insgesamt die Überzeugungskraft; hinzu kämen Widersprüche zwischen seinen Aussagen in beiden Instanzen. Das alles läßt Rechtsfehler nicht erkennen.

ee) Insbesondere greifen die hiergegen gerichteten Rügen der Klägerin nicht durch.

aaa) Die Klägerin rügt zunächst als Verstoß gegen § 108 Abs. 1 VwGO, daß das Berufungsgericht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgehe. Sie wendet sich gegen die Darlegung des Berufungsgerichts, in hohem Maße unwahrscheinlich sei auch die Aussage ihres Vaters in erster Instanz, weder sein Vater noch er hätten eine Treueerklärung abzugeben brauchen, wie es nach dem Gesetz vom 6. Mai 1945 "über den Ausschluß feindlicher Elemente aus der polnischen Volksgemeinschaft" von denen verlangt worden sei, die in Abteilung 3 der Deutschen Volksliste eingetragen gewesen seien; bis zum 1. April 1948 seien nach amtlichen Angaben 1 017 086 Personen verifiziert worden. Mit dieser Darlegung, so führt die Klägerin aus, verkenne das Berufungsgericht den Unterschied zwischen der "Verifikation" und der "Rehabilitation"; die Verifikation sei nur bei den Bewohnern der nach 1945 von Polen okkupierten deutschen Ostgebiete (Oder-Neiße-Gebiete) durchgeführt worden, während sich die Rehabilitation auf die Bewohner der nach 1939 in das Deutsche Reich eingegliederten polnischen Gebiete bezogen habe.

Mit diesem Vorbringen wird kein Verstoß gegen § 108 VwGO aufgezeigt. Auch wenn das Berufungsgericht den vorliegenden Fall mit dem Verifizierungsverfahren - es ging dabei um die Gruppe der sogenannten "Autochthonen" in den Oder-Neiße-Gebieten, die die polnische Staatsangehörigkeit in der Regel nur nach dem erfolgreichen Abschluß eines besonderen Verifizierungsverfahrens erwerben sollten (vgl. z.B. BVerfGE 40, 141 <162>; Stoll, Die Rechtsstellung der deutschen Staatsangehörigen in den polnisch verwalteten Gebieten, 1968, bes. S. 1 ff.) - zu Unrecht in Zusammenhang gebracht haben sollte, ist die Rüge nicht erheblich. Das Berufungsgericht hat nämlich dargelegt, es sei dem Zeugen nicht zu glauben, daß er "ohne Verifizierungs- oder Rehabilitierungsverfahren" im Vertreibungsgebiet habe verbleiben dürfen. Das Berufungsgericht stellt also in dem hier maßgeblichen Zusammenhang nicht auf einen Unterschied zwischen Verifikation und Rehabilitation ab. Es ist daher auch auszuschließen, daß sich das Berufungsgericht, wie die Klägerin meint, bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen von der im Berufungsurteil erwähnten hohen Zahl verifizierter Personen hat leiten lassen. Für das Berufungsgericht war erkennbar allein entscheidend, daß nach den Gesamtumständen nichts für den Vortrag des Zeugen spricht, er habe ohne eines der generell vorgesehenen amtlichen Verfahren polnischer Stellen und die dafür erforderlichen Erklärungen seinerseits im Vertreibungsgebiet bleiben dürfen. Diese Schlußfolgerung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, insbesondere ist sie nicht mit einer schlüssigen Rüge gegen die Beweis- und Sachverhaltswürdigung des Berufungsgerichts angegriffen worden.

bbb) Die Klägerin rügt weiterhin einen Verstoß gegen die Grundsätze der Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO). Sie macht geltend, ihr Vater habe bei seiner Vernehmung als Zeuge durch das Berufungsgericht ausdrücklich darauf hingewiesen, daß er Schwierigkeiten mit seinem Gedächtnis habe und ihm deshalb ein Schwerbehindertenausweis ausgestellt worden sei. Dies habe das Berufungsgericht bei der Würdigung seiner Zeugenaussage nicht berücksichtigt. Daraus und aus dem weiteren Revisionsvorbringen ergibt sich indessen kein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift entscheidet das Gericht nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; in dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Die Vorschrift verpflichtet das Gericht, den Prozeßstoff vollständig zur Kenntnis zu nehmen und im Urteil zu den wesentlichen Fragen des Rechtsstreits Stellung zu nehmen. Das Urteil braucht sich aber nicht zu jedem einzelnen Punkt zu äußern, der im Verfahren eine Rolle gespielt hat oder nachträglich aufgegriffen werden könnte. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß das Gericht den Streitstoff vollständig zur Kenntnis genommen und gewürdigt hat. So liegt es auch hier. Es besteht kein Anhalt für die Richtigkeit des Vorwurfs, das Berufungsgericht habe die von dem Zeugen behaupteten Gedächtnisschwierigkeiten nicht berücksichtigt, zumal es bei der Würdigung der Widersprüche zwischen den Zeugenaussagen in erster und zweiter Instanz ausdrücklich die Äußerung des Vaters der Klägerin erwähnt hat, an den Namen des in Rede stehenden Sportvereins könne er sich nicht erinnern (UA S. 19). Im übrigen hat der Vater der Klägerin ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Berufungsgericht vom 22. August 1994 nicht bekundet, er habe wegen seiner Gedächtnisschwierigkeiten einen Schwerbehindertenausweis erhalten. Unabhängig hiervon kann der Hinweis auf die Gedächtnisschwierigkeiten des Zeugen die Annahme des Berufungsgerichts nicht erschüttern, seine Aussage sei inhaltlich von so geringem Beweiswert, daß sie nicht geeignet sei, seine deutsche Volkszugehörigkeit als wahrscheinlich erscheinen zu lassen.

ccc) Schließlich rügt die Klägerin die Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) in Gestalt einer Überraschungsentscheidung. Nach der erwähnten Aussage ihres Vaters über seine Gedächtnisschwierigkeiten habe sie darauf vertrauen dürfen, daß etwaige Unstimmigkeiten in den Aussagen ihres Vaters in der ersten und zweiten Instanz nicht überbewertet würden. Hätte es Hinweise des Berufungsgerichts gegeben, daß es davon ausgehe, ihr Vater sei ein Lügner, so hätte sie Beweisanträge gestellt, um zu klären, "inwieweit sich die Gedächtnisfähigkeit" ihres Vaters "gegenüber der ersten Vernehmung vor dem Gericht der ersten Instanz verändert" habe. Mit diesem Vorbringen wird eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht aufgezeigt. Das Tatsachengericht ist weder nach dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs noch aufgrund der Erörterungspflicht gemäß § 104 Abs. 1 VwGO verpflichtet, seine aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gezogenen tatsächlichen Schlußfolgerungen und Werturteile mit den Beteiligten zu erörtern, zumal sich deren Einzelheiten erst in der Schlußberatung ergeben können (vgl. Beschluß vom 31. August 1979 - BVerwG 2 B 18.77 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 109). Im übrigen ist dem Berufungsurteil nicht zu entnehmen, daß der Vater der Klägerin bei seinen Zeugenaussagen nach der Auffassung des Berufungsgerichts bewußt die Unwahrheit gesagt haben soll.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluß

Der Wert des Streitgegenstandes wird unter entsprechen der Abänderung der Streitwertbeschlüsse des Oberverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichts für alle Rechtszüge auf je 10 000 DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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