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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 10.07.2001
Aktenzeichen: BVerwG 1 C 35.00
Rechtsgebiete: GG, VwGO, AuslG, SDÜ


Vorschriften:

GG Art. 4 Abs. 1
GG Art. 4 Abs. 2
VwGO § 42 Abs. 2
VwGO § 43
AuslG § 7 Abs. 1
AuslG § 7 Abs. 2
AuslG § 60 Abs. 3
SDÜ Art. 96 Abs. 2
Ein inländischer religiöser Verein, der sich mit einer Feststellungsklage gegen die Ausschreibung seines ausländischen geistlichen Oberhaupts zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystems wendet, kann aus seinem Grundrecht auf Freiheit der Religionsausübung (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) klagebefugt sein.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 1 C 35.00 OVG 11 A 10349/99

Verkündet am 10. Juli 2001

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 10. Juli 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Hund und Richter, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eichberger

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Zwischenurteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 13. September 2000 wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem Endurteil vorbehalten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Zulässigkeit der vom Kläger erhobenen Feststellungsklage.

Der Kläger ist ein eingetragener Verein, in dem sich die deutschen Mitglieder der weltweit tätigen Vereinigungskirche zusammengeschlossen haben. Deren Gründer und Oberhaupt ist Sun Myung Mun. Er und seine Ehefrau Hak Ya Han Mun sind Staatsangehörige der Republik Korea (Südkorea) mit Wohnsitz in den USA. Im Rahmen einer Vortragsreise durch Europa sollte Herr Mun am 12. November 1995 bei einer Veranstaltung in Frankfurt/Main vor Mitgliedern der Vereinigungskirche und geladenen Gästen eine Ansprache zum Thema "Die wahre Familie und Ich" halten.

Auf Veranlassung des Bundesministeriums des Innern schrieb die Grenzschutzdirektion Koblenz Anfang November 1995 das Ehepaar Mun gemäß § 96 Abs. 2 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) für die Dauer von zunächst drei Jahren zur Einreiseverweigerung aus. Dem lag die Auffassung zugrunde, dass die Einreise der Eheleute Mun in schwerwiegendem Maße die Interessen Deutschlands beeinträchtige und deshalb die Voraussetzungen für eine Zurückweisung an der Grenze nach § 60 AuslG vorlägen. Die Mun-Bewegung gehöre zu den so genannten Jugendsekten und Psychogruppen, von deren Aktivitäten Gefährdungen für die sozialen Bezüge und die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen ausgehen könnten. Das Ziel dieser Bewegung sei eine von Korea regierte Welt unter der Herrschaft der Mun-Familie. Es müsse davon ausgegangen werden, dass das Ehepaar Mun für seine Bewegung missionieren werde und sein öffentliches Auftreten in der Bundesrepublik Deutschland zu heftigen Reaktionen in der Öffentlichkeit führen würde. Als die Eheleute Mun am 11. November 1995, von Budapest kommend, auf dem Flughafen in Paris eintrafen, wurde ihnen von den französischen Behörden die Einreise und beabsichtigte Weiterreise nach Madrid und von dort aus nach Deutschland unter Hinweis auf die Ausschreibung versagt. Die Eheleute Mun flogen daraufhin nach Budapest zurück.

Die bis zum 3. November 1998 geltende Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem (SIS) ist durch die Grenzschutzdirektion Koblenz inzwischen um weitere drei Jahre bis zum 2. November 2001 verlängert worden. Die Eheleute Mun haben dagegen keine Rechtsmittel eingelegt.

Im Dezember 1995 hat der Kläger Klage mit dem Antrag erhoben, die Rechtswidrigkeit der Ausschreibung der Eheleute Mun zur Einreiseverweigerung festzustellen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen geltend gemacht: Er habe als Religionsgemeinschaft nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG bzw. Art. 9 EMRK ein eigenes subjektives öffentliches Recht darauf, dass seine Interessen an der geistlichen Betreuung seiner Mitglieder durch die Eheleute Mun bei der Entscheidung über deren Einreise ermessensfehlerfrei berücksichtigt würden. Dieses Recht sei durch die Ausschreibung zur Einreiseverweigerung verletzt. Die Beklagte habe ermessensfehlerhaft gehandelt, weil die Vorwürfe gegen das Ehepaar Mun und die Vereinigungskirche auf fehlerhaften Tatsachengrundlagen beruhten und unzutreffend seien. Zudem habe sie die Bedeutung der grundrechtlich geschützten Religionsfreiheit der Vereinigungskirche und ihrer Mitglieder verkannt.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil der Kläger nicht klagebefugt sei. Eine Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte des Klägers scheide offenkundig aus. Aus Art. 96 Abs. 2 SDÜ könnten außenstehende Dritte keine eigenen Rechte in Bezug auf die Ausschreibung herleiten. Insoweit räume Art. 111 SDÜ lediglich dem betroffenen Ausländer unmittelbare Ansprüche ein. Eine mögliche Rechtsverletzung durch die Ausschreibung könne der Kläger auch nicht unmittelbar aus Art. 4 Abs. 2 GG herleiten. Es gehöre nicht zu der vom Grundgesetz geschützten Freiheit der Religionsausübung, dass dem geistlichen Oberhaupt einer Religionsgemeinschaft die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland gestattet werde.

Mit seiner Berufung hat der Kläger geltend gemacht, durch die fragliche Ausschreibung bzw. deren Verlängerung um weitere drei Jahre sei sehr wohl in seine subjektiven Rechte eingegriffen worden. Die persönliche Betreuung durch das religiöse Oberhaupt sei für die Mitglieder einer Religionsgemeinschaft ein herausragendes spirituelles und emotionales Erlebnis und von viel größerer Bedeutung als eine bloße Einspielung über das Fernsehen oder sonstige Medien. Im Übrigen komme dem Staat eine inhaltliche Festlegung, in welcher Form eine Religionsgemeinschaft den Glauben ihrer Mitglieder pflege, nicht zu.

Das Oberverwaltungsgericht hat durch Zwischenurteil entschieden, dass die Berufung und die Klage zulässig sind. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Feststellungsklage nach § 43 VwGO seien erfüllt. Insbesondere sei der Kläger klagebefugt. Er sei Träger des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, das gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auch Vereinen zustehen könne, die sich der gemeinsamen Pflege einer Religion oder Weltanschauung widmeten. Die vom Kläger vertretene Lehre Muns sei eine Religion in diesem Sinne, da sie eine Aussage zum Weltganzen sowie zu Herkunft und Ziel des Menschen unter Zugrundelegung einer transzendenten Wirklichkeit darstelle. Die daneben betriebene politische und wirtschaftliche Betätigung ändere daran nichts. Allerdings räume Art. 4 Abs. 1 und 2 GG einer in Deutschland ansässigen Religionsgemeinschaft nicht ein sonst nicht bestehendes Recht auf Einreise und Aufenthalt ihres ausländischen religiösen Oberhaupts zur geistlichen Betreuung ihrer Angehörigen ein. Indessen sei bei der nach Art. 96 Abs. 2 SDÜ zu treffenden Ermessensentscheidung im Falle eines geistlichen Oberhaupts auch das Interesse der im Bundesgebiet lebenden Angehörigen der Religionsgemeinschaft im Lichte der grundrechtlichen Freiheiten aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu berücksichtigen.

Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

II.

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht hat die Feststellungsklage zu Recht als zulässig angesehen.

Nach § 43 VwGO kann durch Klage u.a. die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Absatz 1) und er seine Rechte nicht durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können (Absatz 2). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses im Sinne dieser Vorschrift. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, erstrebt der Kläger trotz des insoweit missverständlich formulierten Klageantrags nicht eine Feststellung zu dem Rechtsverhältnis zwischen der beklagten Bundesrepublik und den Eheleuten Mun, das aufgrund der fortdauernden Ausschreibung zur Einreiseverweigerung besteht, sondern die Feststellung des Bestehens eines eigenen Rechtsverhältnisses zu der Beklagten, das nach seiner Auffassung durch die Ausschreibung der Eheleute Mun entstanden ist. Es handelt sich daher nicht um eine so genannte Drittfeststellungsklage. Vielmehr geht es dem Kläger ersichtlich um die Feststellung, dass die Beklagte bei der Entscheidung über die Ausschreibung der Eheleute Mun zur Einreiseverweigerung eigene Rechte des Klägers insbesondere aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu berücksichtigen hat.

Dieses Begehren betrifft konkrete, zwischen den Beteiligten streitige und damit feststellungsfähige Rechtsbeziehungen. Der Einwand der Beklagten, die Ausschreibung sei eine rein innerbehördliche Maßnahme und erlange erst durch die tatsächliche Zurückweisung an der Grenze Außenwirkung, steht dem nicht entgegen. Dabei kann dahinstehen, ob die auch vom Berufungsgericht vertretene Auffassung zutrifft, dass die Ausschreibung kein Verwaltungsakt, sondern eine verwaltungsinterne Maßnahme ist, die lediglich ein Hilfsmittel für die Grenzbehörde bei der möglicherweise in Zukunft notwendigen Entscheidung über die Zurückweisung des Ausländers an der Grenze nach § 60 AuslG darstellt (vgl. auch Oberverwaltungsgericht Koblenz, Urteil vom 20. November 1995 - OVG 11 A 12260/95 - unveröffentlicht). Denn unabhängig von ihrem rechtlichen Charakter wirkt sich jedenfalls die Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem (SIS) nach Art. 96 Abs. 2 des Schengener Durchführungsübereinkommens vom 19. Juni 1990 (BGBl 1993 II S. 1013) - SDÜ - wegen ihrer über die nationalen Grenzen hinausgehenden Bedeutung bereits hinreichend konkret auf die von der beabsichtigten Einreiseverweigerung Betroffenen aus. Die Ausschreibung führt nämlich gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 SDÜ regelmäßig zur Zurückweisung an den Außengrenzen des so genannten Schengenraumes durch die Grenzbehörden des jeweils zuständigen Vertragsstaates des Schengener Übereinkommens. Sie wird also - anders als eine nur nationale Ausschreibung - nicht notwendig von deutschen Behörden durch Zurückweisung an der Grenze mit entsprechenden Rechtsschutzmöglichkeiten in Deutschland umgesetzt, sondern auch durch die übrigen Vertragsstaaten, die ihrerseits die Berechtigung der Ausschreibung durch den anderen Vertragsstaat allenfalls in beschränktem Umfang überprüfen können und dürfen (vgl. hierzu Westphal, InfAuslR 1999, 361, 363 f.). Mit der Ausschreibung zur Einreiseverweigerung ist danach die maßgebliche Entscheidung auch gegenüber dem Kläger gefallen, die das Rechtsverhältnis mit der Beklagten konkretisiert, innerhalb dessen er die Berücksichtigung seiner Rechte einfordert. An der Klärung dieser Rechtsbeziehung hat der Kläger ein berechtigtes Interesse, da die Beklagte solche eigenen subjektiven Rechte des Klägers grundsätzlich in Abrede gestellt hat.

Die Feststellungsklage ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität (§ 43 Abs. 2 VwGO) unzulässig, da die für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen geltenden Bestimmungen über Fristen und Vorverfahren nicht umgangen werden (vgl. dazu Urteil vom 29. April 1997 - BVerwG 1 C 2.95 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 127 m.w.N.).

Schließlich hat das Oberverwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht eine Klagebefugnis im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO bejaht. Nach dieser Vorschrift, die auf die Feststellungsklage nach § 43 VwGO entsprechend Anwendung findet (stRspr, vgl. zuletzt Urteil vom 28. Juni 2000 - BVerwG 11 C 13.99 - BVerwGE 111, 276), ist die Klage nur dann zulässig, wenn der Kläger geltend macht, in seinen Rechten verletzt zu sein. Dafür genügt es, dass die behauptete Rechtsverletzung möglich erscheint. Dies ist bereits dann anzunehmen, wenn eine Verletzung eigener subjektiver Rechte des Klägers nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen ist (stRspr, vgl. etwa Urteile vom 29. Juni 1995 - BVerwG 2 C 32.94 - BVerwGE 99, 64, 66 m.w.N. und vom 27. Februar 1996 - BVerwG 1 C 41.93 - BVerwGE 100, 287, 299). So liegt der Fall hier.

Nach den im Revisionsverfahren nicht substantiiert angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts handelt es sich bei dem Kläger um einen Verein, der sich - ungeachtet sonstiger wirtschaftlicher oder politischer Aktivitäten - auch der gemeinsamen Pflege einer Religion widmet. Jedenfalls im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Klage ist deshalb davon auszugehen, dass der Kläger gemäß Art. 19 Abs. 3 GG Träger des Grundrechts der Religionsausübungsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ist (allgemein zu den Anforderungen an religiöse Gemeinschaften vgl. Urteil vom 27. März 1992 - BVerwG 7 C 21.90 - BVerwGE 90, 112, 115 ff.).

Ein subjektives Recht des Klägers kann allerdings entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht damit begründet werden, dass Art. 96 Abs. 2 SDÜ - zumindest auch - eine Norm mit Schutzwirkung zugunsten Dritter darstelle, die in Verbindung mit der grundrechtlich geschützten Religionsfreiheit dem Kläger eine subjektive Rechtsposition vermittele. Art. 96 Abs. 2 SDÜ regelt, auf welche Gründe die grundsätzlich nach nationalem Recht zu treffenden Entscheidungen über die Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im SIS gestützt werden können. Angesichts der Konzeption des SDÜ spricht schon viel dafür, dass diese Bestimmung ebenso wie die Regelungen über die Einreiseverweigerung in Art. 5 Abs. 1 und 2 SDÜ nur die Vertragsstaaten des Schengener Übereinkommens berechtigt und verpflichtet, aber keine unmittelbare Wirkung gegenüber den Betroffenen entfaltet (vgl. allgemein zur unmittelbaren Anwendbarkeit des SDÜ: Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: März 2001, § 60 AuslG Rn. 33 m.w.N). Eine allgemeine drittschützende Wirkung von Art. 96 Abs. 2 SDÜ - auch zugunsten sonstiger Dritter wie dem Kläger - ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass Art. 109 bis 111 SDÜ den ausgeschriebenen Personen (Drittausländern) eigene Auskunfts- und Klagerechte einräumen. Außerdem begehrt der Kläger - wie in der Revisionsverhandlung erörtert - in erster Linie Rechtsschutz gegen die der Ausschreibung im SIS zugrunde liegende Entscheidung der Beklagten, dass die Voraussetzungen für eine Verweigerung der Einreise der Eheleute Mun nach Deutschland vorliegen. Die für diese Entscheidung maßgebende Rechtsgrundlage hat die Beklagte zutreffend in den Vorschriften des § 60 Abs. 3 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 und 2 AuslG gesehen. Danach kann ein Ausländer, der - wie die Eheleute Mun als südkoreanische Staatsangehörige - für einen vorübergehenden Aufenthalt im Bundesgebiet vom Erfordernis der Aufenthaltsgenehmigung befreit ist, u.a. dann an der Grenze zurückgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AuslG). Der Kläger beanstandet also der Sache nach, dass die Beklagte bei der Ausübung des durch diese Vorschriften eingeräumten Ermessens seine aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG folgenden Rechte nicht hinreichend berücksichtigt habe.

Dass eine solche Berücksichtigungspflicht zugunsten eines religiösen Vereins besteht, wenn es um die Einreise seines geistlichen Oberhaupts geht, ist nicht von vornherein und nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen. Zwar kommt den ausländerrechtlichen Bestimmungen, die die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern regeln, einfachgesetzlich in der Regel keine Schutzwirkung zugunsten Dritter zu, sodass grundsätzlich nur der betroffene Ausländer selbst gegen eine Verweigerung der Einreise oder die Versagung einer Aufenthaltsgenehmigung vorgehen kann (vgl. Urteil vom 27. Februar 1996 - BVerwG 1 C 41.93 - BVerwGE 100, 287, 299 f.). Eröffnet das Gesetz aber - wie hier in § 60 Abs. 3 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 und 2 AuslG - der Behörde einen Ermessensspielraum, so sind bei Ausübung dieses Ermessens auch verfassungsrechtliche Wertentscheidungen und Grundrechte Dritter zu berücksichtigen, wenn und soweit sie durch die ausländerrechtliche Entscheidung berührt sind. Dieser Pflicht korrespondiert grundsätzlich auch ein subjektives Recht des betroffenen Grundrechtsträgers mit der Folge, dass die das Ermessen eröffnende Norm im Lichte der Grundrechte auch Schutzwirkung zu seinen Gunsten entfaltet. Dies hat der Senat zum Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG auf familiäres Zusammenleben bereits entschieden (vgl. Urteil vom 27. August 1996 - BVerwG 1 C 8.94 - BVerwGE 102, 12, 18 f.). Für die Berücksichtigung von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gilt im Grundsatz nichts anderes.

Es erscheint auch möglich, dass durch die in Rede stehende Entscheidung der Beklagten der Schutzbereich dieses dem Kläger als Religionsgemeinschaft zustehenden Grundrechts berührt ist. Das Recht religiöser Vereinigungen auf ungestörte Religionsausübung in der Gemeinschaft umfasst nicht nur kultische Handlungen und Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang von Sakramenten etc., sondern auch religiöse Erziehung, freireligiöse und atheistische Feiern sowie andere Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens (BVerfG, Beschluss vom 16. Oktober 1968 - 1 BvR 241/66 - BVerfGE 24, 236, 246). Es beschränkt sich nicht auf die klassische Funktion eines Abwehrrechts, sondern erlegt dem Staat auch die Pflicht auf, dem Einzelnen und religiösen Gemeinschaften einen Betätigungsraum zur Entfaltung auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern (BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 - BVerfGE 93, 1, 16). Danach ist nicht von vornherein auszuschließen, dass auch das Interesse an der persönlichen Anwesenheit des ausländischen Oberhaupts eines religiösen Vereins bei religiösen Veranstaltungen je nach dessen Stellung in der Vereinigung durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützt sein kann. Ein solches Verständnis liegt auch den beiden von den Vorinstanzen angeführten Entscheidungen des erkennenden Senats zugrunde (Beschlüsse vom 6. Mai 1983 - BVerwG 1 B 58.83 - Buchholz 402.24 § 5 AuslG Nr. 2 und vom 8. November 1983 - BVerwG 1 A 77.83 - InfAuslR 1984, 71 f.). Darin hat der Senat betont, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG räume den im Bundesgebiet lebenden Angehörigen einer religiösen Gemeinde kein Recht darauf ein, dass Ausländern zum Zwecke der Religionsausübung Einreise und Aufenthalt außerhalb des gesetzlich vorgesehenen Verfahrens gestattet wird. Zugleich hat er hervorgehoben, dass das Interesse der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft an geistlicher Betreuung im Lichte der Bedeutung der grundrechtlichen Freiheiten aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG bei der Ermessensentscheidung über die Erteilung eines Sichtvermerks berücksichtigt werden kann.

Angesichts der Weite des grundrechtlichen Schutzbereichs der Religionsausübungsfreiheit und im Hinblick darauf, dass dieses Grundrecht der Religionsgemeinschaft in dem durch das Ausländerrecht bestimmten Rechtsverhältnis zwischen dem Staat und ihrem ausländischen Oberhaupt grundsätzlich keine selbständig durchsetzbare Rechtsposition verschafft, besteht die Pflicht des Staates zur Berücksichtigung der schützenswerten Interessen dieser Religionsgemeinschaft indessen nur, sofern die Verweigerung der Einreise religiöse Belange der Gemeinschaft nach ihrem eigenen Glaubensverständnis nicht unerheblich beeinträchtigt. Nur dann kann der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in rechtlich bedeutsamer Weise berührt werden mit der Folge, dass das Grundrecht den maßgeblichen Bestimmungen des Ausländerrechts zugunsten der Religionsgemeinschaft subjektiv-rechtlichen Charakter verleiht. Das kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Besuch des Oberhaupts in Deutschland nach der jeweiligen Glaubenslehre eine wesentliche Bedeutung für die gemeinschaftliche Ausübung der Religion hat, die über den üblichen Charakter einer gemeinsamen Begegnung hinausgeht.

Dass ein Besuch der Eheleute Mun für den Kläger und seine Mitglieder eine derartige wesentliche Bedeutung haben kann, ist nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts angesichts der stark auf die Person des geistlichen Oberhaupts bezogenen Glaubenslehre der Vereinigungskirche zumindest denkbar. Dies reicht für die Annahme einer Klagebefugnis im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO aus. Ob bei Anwendung dieser Maßstäbe im Ergebnis ein subjektives Recht des Klägers auf angemessene Berücksichtigung seiner Interessen an der Begegnung mit dem geistlichen Oberhaupt im Rahmen der ausländerrechtlichen Ermessensentscheidung zu bejahen ist und welche Folgen sich daraus für die von der Beklagten getroffene und aufrechterhaltene Ermessensentscheidung ergeben, wird vom Oberverwaltungsgericht im Rahmen der Begründetheit der Klage zu prüfen sein.

Ende der Entscheidung

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