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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 26.02.2009
Aktenzeichen: BVerwG 10 C 50.07
Rechtsgebiete: Richtlinie 2004/83/EG, AsylVfG


Vorschriften:

Richtlinie 2004/83/EG
AsylVfG § 3 Abs. 1
1. Der Entzug der Staatsangehörigkeit kann eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie) darstellen.

2. Bei der Beurteilung der Schwere der durch eine Ausbürgerung bewirkten Rechtsgutverletzung sind nach Art. 4 Abs. 3 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie auch die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Betroffenen zu berücksichtigen.

3. Staatenloser im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylVfG ist eine Person, die kein Staat aufgrund seines Rechts als Staatsangehörigen ansieht, d.h. ein De-jure-Staatenloser. Bei De-facto-Staatenlosen ist eine drohende Verfolgung deshalb in Bezug auf den Staat ihrer De-jure-Staatsangehörigkeit zu prüfen.

4. Der gewöhnliche Aufenthalt eines Staatenlosen nach § 3 Abs. 1 AsylVfG muss nicht rechtmäßig sein. Es genügt, wenn der Staatenlose in dem betreffenden Land tatsächlich seinen Lebensmittelpunkt gefunden hat, in dem Land also nicht nur vorübergehend verweilt, ohne dass die zuständigen Behörden aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen ihn einleiten.


In der Verwaltungsstreitsache

...

hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts

auf die mündliche Verhandlung vom 26. Februar 2009

durch

den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann,

die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und Richter ...,

die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck und

den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revisionen des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten und der Beklagten wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 16. Mai 2007 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I

Die Kläger erstreben die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten in Bezug auf Aserbaidschan und Armenien.

Die 1969 in Baku/Aserbaidschan geborene Klägerin zu 1 und ihr 1994 im Kreis Strawopol/Russland geborener Sohn, der Kläger zu 2, sind nach eigenen Angaben armenische Volkszugehörige. Sie beantragten im Juni 2002 in Deutschland die Anerkennung als Asylberechtigte. Die Klägerin zu 1 trug zur Begründung vor, sie sei in Baku aufgewachsen. Ihr 1975 verstorbener Vater sei armenischer Volkszugehöriger, ihre 1987 verstorbene Mutter sei russische Volkszugehörige gewesen. Da sie, die Klägerin zu 1, wegen ihrer armenischen Volkszugehörigkeit ständig bedroht worden sei, habe sie 1992 Aserbaidschan verlassen und sei nach Russland gegangen. Dort habe sie sich in der Stadt B. illegal aufgehalten, habe aber eine Wohnung gehabt und Handel betrieben. Sie habe dort auch ihren Lebensgefährten, den Vater des Klägers zu 2, kennengelernt, der ebenfalls armenischer Volkszugehöriger sei. Weil auch in Russland die Lage für Kaukasier schlecht gewesen sei, sei sie 2002 mit dem Kläger zu 2 nach Deutschland gekommen. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - lehnte die Anträge mit Bescheid vom 16. Oktober 2002 ab, stellte fest, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen und drohte den Klägern die Abschiebung nach Aserbaidschan oder Armenien an.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage, die auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 53 AuslG gerichtet war, mit Urteil vom 4. Februar 2003 abgewiesen.

Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 16. Mai 2007 die erstinstanzliche Entscheidung geändert, die Beklagte zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG verpflichtet und den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes aufgehoben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht. Dabei hat es sich im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt: Den Klägern drohe wegen ihrer armenischen Volkszugehörigkeit bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan durch den Verlust bzw. Nichterwerb der Staatsangehörigkeit und die damit verbundene Schutzlosstellung politische Verfolgung. Die Kläger seien staatenlos. Bei der Prüfung einer ihnen drohenden Verfolgung sei auf Aserbaidschan als Land ihres gewöhnlichen Aufenthalts abzustellen. Die Klägerin zu 1 habe nach dem Zerfall der Sowjetunion die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit gemäß dem aserbaidschanischen Staatsangehörigkeitsgesetz von 1991 erworben, nachträglich aber verloren oder jedenfalls nicht (wieder)erworben. Nach dem Gesetz von 1991 habe es einen Grund für den Verlust der Staatsangehörigkeit dargestellt, wenn eine Person mit ständigem Aufenthaltsort im Ausland ihrer Meldepflicht gegenüber dem Konsulat ohne wichtigen Grund fünf Jahre lang nicht nachgekommen sei. Da die Klägerin zu 1 Aserbaidschan 1992 verlassen habe und keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass sie bis 1997 bei der aserbaidschanischen Vertretung in Russland erfasst worden sei, könne ihr "begründeterweise der Verlust der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit bereits zu diesem Zeitpunkt vorgehalten werden" (UA S. 8).

Eine Neuregelung habe das Staatsangehörigkeitsrecht durch das Staatsangehörigkeitsgesetz der Aserbaidschanischen Republik vom 30. September 1998 erfahren. Danach seien als Staatsbürger diejenigen Personen anzusehen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit besessen hätten. Die Grundlage hierfür habe die Registrierung am Wohnort in Aserbaidschan zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes gebildet. Das Gesetz sei jedenfalls spätestens im Jahr 2000 in Kraft getreten. Die Klägerin zu 1 könne bei Anwendung dieses Gesetzes jedenfalls de facto nicht als aserbaidschanische Staatsangehörige angesehen werden (UA S. 11). Das Oberverwaltungsgericht geht davon aus, dass bei der praktischen Anwendung des Gesetzes armenische Volkszugehörige gegenüber aserischen diskriminiert worden seien, weil letztere trotz längeren Aufenthalts im Ausland nicht aus den Melderegistern gestrichen worden seien. Jedenfalls könnten armenische Volkszugehörige die aufgrund des langjährigen Aufenthalts im Ausland verlorene Staatsbürgerschaft nicht - wie die ethnischen Aseris - wieder erlangen.

Der Kläger zu 2 habe die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt erworben, weil seine Mutter keine aserbaidschanische Staatsangehörige gewesen sei. Die Kläger hätten auch nicht die russische Staatsangehörigkeit erworben. Sie besäßen daher die Rechtsstellung von Staatenlosen nach dem Staatenlosenübereinkommen, auch wenn zu berücksichtigen sei, dass die Kläger möglicherweise nur De-facto-Staatenlose seien (UA S. 13). Da die Klägerin zu 1 im Hinblick auf die bis 2000 anzunehmende mittelbare Gruppenverfolgung armenischer Volkszugehöriger vorverfolgt aus Aserbaidschan ausgereist sei, gelte für die Frage der Rückkehrgefährdung der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab (UA S. 19). Nach diesem Maßstab drohe den Klägern wegen der mit dem Verlust bzw. Nichterwerb der Staatsangehörigkeit verbundenen Schutzlosstellung durch den aserbaidschanischen Staat im Fall der Rückkehr politische Verfolgung (UA S. 16). Auch die "aller Voraussicht" nach zu erwartende Verweigerung der Einreise nach Aserbaidschan beruhe auf ihrer armenischen Volkszugehörigkeit und stelle damit eine politische Verfolgung dar (UA S. 15).

Bei der Beurteilung der Verfolgungsgefahr sei auf Aserbaidschan als Verfolgerstaat abzustellen, da dies das Land des letzten gewöhnlichen Aufenthalts für die Kläger gewesen sei. Die Klägerin zu 1 habe sich von der Geburt bis zur Ausreise 1992 - als aserbaidschanische Staatsangehörige - in Aserbaidschan aufgehalten. Der Aufenthalt in Russland komme als "gewöhnlicher Aufenthalt" nicht in Betracht, da sie sich dort nach eigenen Angaben illegal aufgehalten habe. In Ermangelung von Papieren habe sie sich dort weder registrieren lassen noch ihren Flüchtlingsstatus nachweisen können (UA S. 15). Auch für den in Russland geborenen Kläger zu 2 komme die Russische Föderation als Land des gewöhnlichen Aufenthalts mangels der erforderlichen dauerhaften Beziehung im Sinne eines rechtmäßigen Aufenthalts nicht in Betracht (UA S. 16).

Den Klägern stehe auch keine zumutbare Fluchtalternative in Berg-Karabach zur Verfügung. Dieses Gebiet sei für die Kläger nicht zumutbar erreichbar. Sie könnten dorthin nur über Armenien gelangen. Da die Kläger nicht über gültige Reisedokumente verfügten und "weder vorgetragen noch sonst ersichtlich" sei, dass sie solche erlangen könnten, sei ihnen die Einreise nach Armenien verwehrt (UA S. 26).

Die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus sei auch nicht nach § 27 AsylVfG ausgeschlossen (UA S. 27). Eine Verweisung auf den mehrjährigen Aufenthalt in Russland scheide aus, weil sich die Kläger dort illegal aufgehalten hätten, die dortige Staatsangehörigkeit nicht besäßen und damit eine Rückführung oder legale Rückkehr "erkennbar nicht möglich" sei.

Gegen dieses Urteil haben die Beklagte und der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten (Beteiligter zu 2) Revision eingelegt. Sie begründen diese im Wesentlichen wie folgt: Das Oberverwaltungsgericht habe fehlerhaft auf Aserbaidschan und nicht auf die Russische Föderation als Land des letzten gewöhnlichen Aufenthalts abgestellt. Das Gericht enge den flüchtlingsrechtlichen Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts unzulässig ein, wenn es fordere, dieser müsse rechtmäßig gewesen sein. Vielmehr müsse genügen, dass der Aufenthalt faktisch geduldet werde, der Staatenlose also im Land verbleiben könne, ohne konkret seine Ausweisung oder Abschiebung befürchten zu müssen. Sei in Bezug auf die Russische Föderation von einer dauerhaften Verweigerung der Wiedereinreise auszugehen, ohne an asylerhebliche Merkmale anzuknüpfen, bestehe in Bezug auf Russland kein Anspruch auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft.

Soweit das Oberverwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelange, der Verlust der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit stelle eine asylerhebliche Maßnahme dar, leide das Urteil an einer nicht nachvollziehbar erarbeiteten Prognosegrundlage bzw. einer nicht ordnungsgemäßen Überzeugungsbildung gemäß § 108 Abs. 1 VwGO. Das angefochtene Urteil werte als asylerheblich nur den Nichterwerb der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit aufgrund des Gesetzes von 1998. Es gehe aber nicht auf den Umstand ein, dass die Klägerin zu 1 ihre aserbaidschanische Staatsangehörigkeit schon aufgrund des Gesetzes von 1991 verloren haben könnte. Habe sie bereits vor 1998 die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit nicht mehr besessen, könne in der Neuregelung von 1998 und der hierauf beruhenden Behördenpraxis keine asylerhebliche Ausgrenzung für die Kläger mehr liegen.

Die Kläger treten den Revisionen entgegen. Sie verteidigen das angefochtene Urteil und sind der Auffassung, die Klägerin zu 1 habe die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit nicht nach dem Gesetz von 1991 verloren. Das habe das Oberverwaltungsgericht auch nicht festgestellt, sondern nur ausgeführt, der Verlust könne der Klägerin zu 1 "vorgehalten werden". Damit sei kein Verlust der Staatsangehörigkeit de jure gemeint gewesen, sondern nur die faktische Verweigerung der daraus folgenden Rechte. Auch im Hinblick auf das Gesetz von 1998 liege das asylerhebliche Problem in der tatsächlichen Verweigerung der Rechte aus diesem Gesetz und nicht in der Herbeiführung einer De-jure-Staatenlosigkeit. Auch für den Fall der Staatenlosigkeit der Kläger sei jedoch mit dem Oberverwaltungsgericht auf Aserbaidschan als Land des letzten gewöhnlichen Aufenthalts abzustellen.

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren beteiligt. Er hält das angefochtene Urteil für rechtsfehlerhaft und beanstandet insbesondere, dass das Gericht eine De-facto-Staatenlosigkeit habe ausreichen lassen, um die nur für De-jure-Staatenlose geltenden Regeln anzuwenden. Zudem dürfe der Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" nicht zu restriktiv interpretiert, insbesondere nicht von der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts abhängig gemacht werden, da andernfalls wegen einer Verfolgung in dem betreffenden Land kein Flüchtlingsschutz gewährt werden könne.

II

Die Revisionen sind begründet. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Kläger auf Flüchtlingsanerkennung mit einer Begründung bejaht, die mit Bundesrecht nicht vereinbar ist. Da der Senat über den geltend gemachten Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend selbst entscheiden kann, ist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens sind das Asylverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798) sowie § 60 AufenthG in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162). Das Berufungsgericht müsste, wenn es jetzt entschiede, gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG auf die nunmehr geltende Rechtslage abstellen. Deshalb sind die durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - eingetretenen Rechtsänderungen, die in den genannten Bekanntmachungen berücksichtigt sind, auch der Entscheidung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen (Urteil vom 11. September 2007 - BVerwG 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251, Rn. 19, stRspr).

1.

Das Berufungsgericht ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass in einer Ausbürgerung aus asylerheblichen Gründen eine Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG liegen kann, die zur Flüchtlingsanerkennung nach § 3 Abs. 1 AsylVfG führen kann.

a)

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass auch der Entzug der Staatsangehörigkeit eine asylerhebliche Verfolgung darstellen kann (vgl. Urteil vom 24. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 3.95 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 180). Abzustellen ist dabei immer auf den Staat, dessen Staatsangehörigkeit der von einem Entzug Betroffene bis zu dem Entzugsakt besaß. Denn ein anderer Akteur - etwa ein Drittstaat oder ein privater Widersacher - kommt für diese spezifische Ausgrenzungshandlung nicht in Betracht.

Eine staatliche Verfolgungsmaßnahme kann nicht nur in Eingriffen in Leib, Leben und Freiheit bestehen. Auch Verletzungen anderer Schutz- und Freiheitsrechte können je nach den Umständen des Falles den Tatbestand einer Verfolgung erfüllen. Von der Eingriffsintensität her ist Verfolgung grundsätzlich auch darin zu sehen, dass der Staat einem Bürger die wesentlichen staatsbürgerlichen Rechte entzieht und ihn so aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzt (vgl. Urteil vom 24. Oktober 1995, a.a.O. S. 62). Dies gilt auch unter Berücksichtigung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie), dessen Anwendung § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG anordnet. Danach gelten als asylerhebliche Verfolgung solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässt. Zwar wird durch die Ausbürgerung kein notstandsfestes Recht im Sinne der EMRK verletzt. Dies ist auch nicht erforderlich, da Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie dies nur als Regelbeispiel nennt. Verletzt wird aber Art. 15 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 (Resolution 217 A<III> der UN-Generalversammlung), welcher wie folgt lautet:

Artikel 15

(1)

Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit.

(2)

Niemandem darf seine Staatsangehörigkeit willkürlich entzogen noch das Recht versagt werden, seine Staatsangehörigkeit zu wechseln.

Maßgeblich für die Schwere der mit einer Ausbürgerung bewirkten Rechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie ist aus der Sicht des Senats, dass der Staat der betroffenen Person ihren grundlegenden Status als Staatsbürger entzieht und ihr damit zwangsweise den Aufenthaltsschutz versagt, sie also staaten- und schutzlos macht - mit anderen Worten: sie aus der staatlichen Schutz- und Friedensordnung ausgrenzt. Auch in der Rechtsprechung anderer europäischer Staaten wird eine Ausbürgerung unter Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale als Verfolgungshandlung gewertet (vgl. Court of Appeal für England und Wales, Urteil vom 31. Juli 2007 in der Sache EB <Ethiopia> v Secretary of State for the Home Department <2007> EWCA Civ 809 - insbesondere Rn. 54 und 75).

Es kann offen bleiben, ob eine schwerwiegende Verletzungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie auch dann vorliegt, wenn der Ausgebürgerte noch über eine zweite Staatsangehörigkeit verfügt. Dagegen spricht jedenfalls Art. 15 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, der nur das Recht auf "eine" Staatsangehörigkeit gewährt.

Bei der Beurteilung der Schwere der durch eine Ausbürgerung bewirkten Rechtsverletzung sind nach Art. 4 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie auch die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Betroffenen zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass er auch persönlich schwer von der Ausbürgerung betroffen sein muss. Für die Beurteilung der Schwere der Rechtsverletzung im Einzelfall kann auch von Bedeutung sein, ob und in welchem Maße sich der Betroffene um die Aufhebung der Ausbürgerung und die Wiedererlangung der ihm entzogenen Staatsangehörigkeit bemüht hat, gegebenenfalls auch welche Gründe ihn hiervon abgehalten haben.

Die asylerheblichen Wirkungen einer Ausbürgerung enden nicht mit dem Akt der Ausbürgerung. Vielmehr hat schon der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 24. Oktober 1995 (a.a.O. S. 62) hervorgehoben, dass eine solche Ausgrenzungshandlung eine fortdauernde erhebliche Beeinträchtigung des Betroffenen verursacht. An dieser Rechtsprechung hält der nunmehr zuständige 10. Senat fest.

Asylerheblich können auch De-facto-Ausbürgerungen sein, bei denen der Staat dem betroffenen Bürger die formale Rechtsposition belässt, ihm aber tatsächlich die daraus abzuleitenden staatsbürgerlichen Rechte und insbesondere den staatlichen Schutz nicht gewährt. Denn für die flüchtlingsrechtliche Beurteilung von Ausgrenzungsmaßnahmen kommt es auf die damit bezweckten tatsächlichen Folgen an.

b)

Allerdings stellt eine Ausbürgerung nur dann eine Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG dar, wenn sie in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale im Sinne dieser Vorschrift erfolgt. Eine Ausbürgerung, die lediglich eine ordnungsrechtliche Sanktion für die Verletzung einer alle Staatsbürger gleichermaßen treffenden Pflicht darstellt, kann nicht als flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung angesehen werden. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. So hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts die Ausbürgerung eines türkischen Staatsangehörigen, der der Aufforderung zur Ableistung des Wehrdienstes nicht nachgekommen war, als nicht asylerheblich gewertet (Urteil vom 24. Oktober 1995, a.a.O. S. 63 f.). Er hat sich dabei auf eine Vorschrift des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes gestützt, wonach der Ministerrat denjenigen die türkische Staatsangehörigkeit aberkennen kann, die sich im Ausland aufhalten und ohne triftigen Grund drei Monate lang der amtlichen Einberufung zur Ableistung des Militärdienstes nicht nachkommen. Diese Rechtsprechung ist in einem Beschluss vom 7. Dezember 1999 - BVerwG 9 B 474.99 - (Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 224) bestätigt worden, der die De-facto-Ausbürgerung einer Kubanerin nach Überschreiten der genehmigten Aufenthaltsfrist im Ausland betraf. In der Einreiseverweigerung der kubanischen Behörden wurde keine politische Verfolgung gesehen, weil die Behandlung unerlaubt im Ausland verbliebener Kubaner als Emigranten generell nur an den Umstand der Überschreitung der Rückkehrfrist anknüpfte und darum alle Personen traf, die nicht nach Kuba zurückkehren wollten, ohne dass danach unterschieden wurde, ob dem persönliche, familiäre, wirtschaftliche oder aber politische Motive zugrunde lagen.

c)

Von diesen Grundsätzen ist auch das Berufungsgericht in seiner Entscheidung ausgegangen. Es hat allerdings zu Unrecht angenommen, dass auch im Falle einer asylerheblichen Ausbürgerung durch den aserbaidschanischen Staat der Anspruch der Kläger auf Flüchtlingsanerkennung nach den Maßstäben für Staatenlose zu beurteilen sei, und deshalb zusätzlich geprüft, ob die Kläger - als nunmehr Staatenlose - auch ihren vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylVfG in diesem Staat hatten. Dieser Prüfung bedarf es indes bei einer asylerheblichen Ausbürgerung nicht. Denn wenn die Verfolgung gerade in einer asylerheblichen Herbeiführung der Staatenlosigkeit durch den Staat der bisherigen Staatsangehörigkeit liegt, ist dies flüchtlingsrechtlich als (fortdauernde) Verfolgung durch eben diesen Staat der (bisherigen) Staatsangehörigkeit anzusehen. Entsprechendes gilt für den vom Berufungsgericht für möglich gehaltenen Fall, dass die Kläger nur De-facto-Staatenlose seien, de jure aber noch die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit besitzen sollten (UA S. 13). Auch in diesem Fall wären sie nicht als Staatenlose im Sinne von § 3 Abs. 1 AslyVfG anzusehen, da als solche nur Personen zu verstehen sind, die kein Staat aufgrund seines Rechts als Staatsangehörige ansieht, d.h. De-jure-Staatenlose (vgl. auch Urteil vom 23. Februar 1993 - BVerwG 1 C 45.90 - BVerwGE 92, 116 <119> m.w.N. zum Übereinkommen über die Rechtsstellung des Staatenlosen vom 28. September 1954). Eine drohende Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG wäre auch bei einer De-facto-Staatenlosigkeit deshalb in Bezug auf den Staat zu prüfen, der den Betroffenen aufgrund seines Rechts weiterhin als Staatsangehörigen ansieht. Da das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend - wenn auch mit teilweise unzutreffender Begründung - für den von ihm angenommenen Fall einer asylerheblichen Ausbürgerung (de facto oder de jure) auf Aserbaidschan als maßgeblichen Staat abgestellt hat, hat sich sein fehlerhafter Prüfungsansatz auf die Entscheidung nicht ausgewirkt.

d)

Gleichwohl hält das Berufungsurteil einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. Denn die Feststellung zum Verlust der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit durch die Klägerin zu 1 und zur Staatenlosigkeit des Klägers zu 2 sowie zu den dafür maßgeblichen Gründen tragen nicht den vom Berufungsgericht gezogenen Schluss, dass der aserbaidschanische Staat der Klägerin zu 1 und damit letztlich auch dem Kläger zu 2 die Staatsangehörigkeit aus asylerheblichen Gründen, d.h. in Anknüpfung an die in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale, entzogen hat. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die Nichtanerkennung der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit der Kläger aufgrund des aserbaidschanischen Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1998 auf asylerheblichen Gründen beruhe, hat aber keine ausreichenden und nachvollziehbaren Feststellungen dazu getroffen, dass die Kläger zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch aserbaidschanische Staatsangehörige waren. Für den Kläger zu 2 geht das Gericht selbst nicht von einer früher bestehenden aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit aus. Hinsichtlich der Klägerin zu 1 erscheint es nach den Feststellungen jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass sie bereits auf der Grundlage des Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1991 ihre Staatsangehörigkeit verloren hat und dies nicht auf asylerheblichen Gründen beruhte.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin zu 1 ursprünglich die sowjetische Staatsangehörigkeit mit aserbaidschanischer Republik- oder Staatszugehörigkeit besessen. Anfang 1991 hat sie auch die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit aufgrund des aserbaidschanischen Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1991 erworben (UA S. 8 Mitte). Dann führt das Gericht Gründe dafür auf, dass der Klägerin zu 1 "begründeterweise der Verlust der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit bereits zu diesem Zeitpunkt vorgehalten werden" könne (UA S. 8 unten). Mit "diesem Zeitpunkt" wird wohl das Jahr 1997 angesprochen. Das wird wie folgt erläutert: Nach Art. 18 Abs. 2 Satz 2 des Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1991 habe die Staatsangehörigkeit durch Entlassung oder Verlust entfallen können. Ein Verlustgrund habe darin bestanden, dass eine Person mit ständigem Aufenthaltsort im Ausland ihrer Meldepflicht gegenüber dem Konsulat ohne wichtigen Grund fünf Jahre nicht nachkam (Art. 20 Abs. 1 Nr. 2 aserb.StAG 1991). Da die Klägerin zu 1 Aserbaidschan 1992 verlassen habe und keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass sie bis 1997 (fünf Jahre) bei einer aserbaidschanischen Vertretung in Russland erfasst wurde, könne ihr der Verlust der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit vorgehalten werden. Diesen Ausführungen könnte entnommen werden, dass das Berufungsgericht einen Verlust der Staatsagenhörigkeit schon vor 1998 nicht ausschließt. Für eine solche Interpretation spricht auch, dass das Gericht an anderer Stelle offensichtlich davon ausgeht, dass die Klägerin zu 1 schon bei der Geburt des Klägers zu 2 keine aserbaidschanische Staatsangehörige war (UA S. 11 unten). Zumindest sind die Feststellungen des Gerichts so unklar, dass sie als Grundlage für eine bei Inkrafttreten des Gesetzes von 1998 bestehende aserbaidschanische Staatsangehörigkeit der Kläger nicht ausreichen.

Das Berufungsgericht hat auch keinerlei Feststellungen dahin getroffen, dass ein etwaiger vor 1998 eingetretener Verlust der Staatsangehörigkeit aus asylerheblichen Gründen erfolgte. Seine Ausführungen zur Behördenpraxis, die armenische Volkszugehörige mit längerer Abwesenheit im Ausland schlechter behandelt habe als aserische Volkszugehörige, beziehen sich ausschließlich auf die Praxis der Zuerkennung und Aberkennung der Staatsangehörigkeit nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz von 1998 (vgl. u.a. S. 8 bis 12). Wenn die Klägerin zu 1 ihre aserbaidschanische Staatsangehörigkeit schon auf der Grundlage des Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1991 verloren haben kann, fehlt es an Feststellungen und Gründen dafür, warum eine diskriminierende Anwendung des Gesetzes von 1998 flüchtlingsrechtliche Relevanz für die Klägerin zu 1 - und damit auch für ihren Sohn, den Kläger zu 2 - haben soll. Die bisher getroffenen Feststellungen tragen den Schluss auf die Asylerheblichkeit der Herbeiführung oder Aufrechterhaltung der Staatenlosigkeit auf der Grundlage des Gesetzes von 1998 jedenfalls nicht. Entsprechendes gilt für die vom Berufungsgericht als asylerheblich gewertete Verweigerung der Wiedereinreise (UA S. 15), für die ebenfalls offen bleibt, ob sie nicht auf einem rein ordnungsrechtlich begründeten Verlust der Staatsangehörigkeit nach dem Gesetz von 1991 beruht. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und zur Nachholung der fehlenden Feststellungen zum Verlust der Staatsangehörigkeit und den dafür maßgeblichen Gründen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Damit bedarf es keiner Entscheidung mehr über die von den Revisionsklägern zu dieser Frage erhobenen Rügen der mangelnden Überzeugungsbildung und nicht nachvollziehbar erarbeiteten Prognosegrundlage.

2.

Sollte das Berufungsgericht bei der erneuten Prüfung zu dem Ergebnis gelangen, dass die Klägerin zu 1 ihre aserbaidschanische Staatsangehörigkeit schon auf der Grundlage des Gesetzes von 1991 aus asylunerheblichen Gründen verloren hat und de jure staatenlos geworden ist, wäre der Anerkennungsanspruch der Kläger nach den Maßstäben zu prüfen, die für staatenlose Flüchtlinge gelten. Dafür wäre erforderlich, dass den Klägern im Staat ihres vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG droht (§ 3 Abs. 1 AsylVfG, Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG). Bei dieser Prüfung wird das Berufungsgericht davon auszugehen haben, dass die Kläger in der Russischen Föderation ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten.

a)

§ 3 Abs. 1 AsylVfG stellt für die Beurteilung der Verfolgungsgefahr im Fall der Staatenlosigkeit auf das Land ab, in dem der Ausländer als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt "hatte". Durch diese Formulierung ist zunächst klargestellt, dass es insoweit nicht auf den gegenwärtigen gewöhnlichen Aufenthalt ankommt (hier: Deutschland), sondern das Land des früheren gewöhnlichen Aufenthalts maßgeblich ist. Inhaltlich übereinstimmend stellt Art. 2 Buchst. c der Richtlinie im Rahmen der Flüchtlingsdefinition auf das Land "seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts" ab (engl. Text: "former habitual residence"; frz. Text: "il avait sa résidence habituelle" - ebenso Art. 2 Buchst. e der Richtlinie für den subsidiären Schutz).

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts setzt der gewöhnliche Aufenthalt im Sinne dieser Bestimmungen nicht voraus, dass der Aufenthalt des Staatenlosen rechtmäßig sein muss. Es genügt vielmehr, dass der Staatenlose in dem betreffenden Land tatsächlich seinen Lebensmittelpunkt gefunden hat, dort also nicht nur vorübergehend verweilt, ohne dass die zuständigen Behörden aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen ihn einleiten.

Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits in seinem Urteil vom 23. Februar 1993 - BVerwG 1 C 45.90 - (BVerwGE 92, 116 <125> ) zur Auslegung von Art. 2 des Gesetzes zur Ausführung des Übereinkommens zur Verminderung der Staatenlosigkeit vom 29. Juni 1977 (BGBl. I, S. 1101 - AG-StlMindÜbk) darauf hingewiesen, dass zwischen der Dauerhaftigkeit des Aufenthalts und der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts eines Staatenlosen zu unterscheiden ist. Nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. b StlMindÜbk kann ein Staat die Verleihung der Staatsangehörigkeit an einen Staatenlosen davon abhängig machen, dass der Betreffende über einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren seinen "dauernden Aufenthalt" im Hoheitsgebiet des Staates gehabt hat. Das deutsche AG-StlMindÜbk vom 29. Juni 1977 verlangt in Art. 2 Nr. 2 einen mindestens fünfjährigen "dauernden Aufenthalt" in Deutschland. Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass der Begriff des "dauernden Aufenthalts" im AG-StlMindÜbk im Wesentlichen dasselbe besagt wie der Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" nach dem Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen (StlÜbk) und nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK). In der deutschen Fassung des Übereinkommens zur Verminderung der Staatenlosigkeit wird der u.a. verbindliche englische und französische Vertragstext "has habitually resided" bzw. "ait résidé habituellement" mit "dauernden Aufenthalt gehabt" übersetzt. Für das Staatenlosen-Übereinkommen und die Genfer Konvention wird demgegenüber der auf dem gleichen Wortstamm beruhende Begriff im Originaltext "habitual residence/résidence habituelle" mit "gewöhnlicher Aufenthalt" treffend wiedergegeben (vgl. Art. 14 Satz 1, 16 Abs. 2 StlÜbk; Art. 1A Nr. 2 Halbs. 2 GFK). Es kann unter diesen Umständen davon ausgegangen werden, dass "dauernder Aufenthalt" im Sinne des Art. 2 AG-StlMindÜbk im Wesentlichen dasselbe besagt wie der im Flüchtlingsrecht verwandte Begriff "gewöhnlicher Aufenthalt" (Urteil vom 23. Februar 1993, a.a.O.123). Ein solcher dauernder Aufenthalt erfordert keine förmliche Zustimmung der Ausländerbehörde. Diese Zustimmung ist nur zur Begründung eines rechtmäßigen Aufenthalts grundsätzlich erforderlich. Die Rechtmäßigkeit ist von der Dauerhaftigkeit des Aufenthalts zu unterscheiden. Für den dauernden Aufenthalt genügt es, dass die Ausländerbehörde unbeschadet ihrer rechtlichen Möglichkeiten davon Abstand nimmt, den Aufenthalt des Staatenlosen zu beenden, z.B. weil sie eine derartige Aufenthaltsbeendigung für unzumutbar oder undurchführbar hält (Urteil vom 23. Februar 1993, a.a.O. 125).

Auch in der ausländischen Rechtsprechung wird der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention dahin ausgelegt, dass ein tatsächlicher Aufenthalt genügt, wenn er von einer gewissen Dauerhaftigkeit geprägt ist. So hat der Federal Court of Canada in seinem Urteil vom 13. Dezember 1993 (Maarouf v. Canada <1994> 1 F.C. 723) darauf abgestellt, dass mehr als ein vorübergehender Aufenthalt erforderlich ist. Vielmehr müsse der Staatenlose einen Aufenthalt mit Aussicht auf eine gewisse Dauer gefunden haben ("with a view to a continuing residence of some duration"). Er müsse zudem eine beachtliche Zeit des de facto Aufenthalts in dem betreffenden Land zurückgelegt haben ("a significant period of de facto residence"). Das Gericht nimmt Bezug auf die Rechtsauffassung von Hathaway, dass ein Jahr Aufenthalt als sinnvoller Abgrenzungsstandard angesehen werden kann. Eine Rechtmäßigkeit des Aufenthalts wird nicht verlangt.

Setzt ein gewöhnlicher Aufenthalt nach § 3 Abs. 1 AsylVfG nur voraus, dass der Staatenlose in dem betreffenden Land tatsächlich seinen Lebensmittelpunkt gefunden hat, dort also nicht nur vorübergehend verweilt, und die zuständigen Behörden keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen ihn eingeleitet haben, so haben die Kläger ausgehend von den Feststellungen des Berufungsgerichts ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Russischen Föderation gehabt. Angesichts des zehnjährigen Aufenthalts der Klägerin zu 1 in Russland, ihres dortigen mehrjährigen Handeltreibens, der dortigen Geburt und des Heranwachsens ihres Sohnes - des Klägers zu 2 - ist die Russische Föderation für sie und den Kläger zu 2 zum Lebensmittelpunkt geworden, ohne dass die russischen Behörden aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen sie eingeleitet haben.

b)

Ist danach die Russische Föderation als Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthalts der Kläger anzusehen, scheidet nach Auffassung des Senats eine Anknüpfung an Aserbaidschan als weiteres Land eines früheren gewöhnlichen Aufenthalts aus.

Hat ein Staatenloser im Lauf seines Lebens in mehr als einem Staat nicht nur vorübergehend gelebt, so ist für die Beurteilung der Verfolgungsgefahr grundsätzlich auf das Land seines letzten gewöhnlichen Aufenthalts abzustellen. Zwar vertritt der UNHCR in seinem Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) vom September 1979 unter Nr. 104/105 die Auffassung, dass es bei Staatenlosen mehr als ein Land geben könne, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, und dass ihre Furcht vor Verfolgung in Bezug auf jedes dieser Länder begründet sein könne. Ein Wechsel des Aufenthaltsortes beeinträchtige ihre Rechtsstellung nicht. Auch in der ausländischen Rechtsprechung gibt es Entscheidungen, die dieser Auffassung - wenn auch mit gewissen Einschränkungen - folgen (vgl. Urteil des Federal Court of Canada vom 11. Mai 1998 in der Sache Thabet v. Canada <Minister of Citizenship and Immigration> <1998> 4 F.C. 21). Der Senat hält diese Rechtsauffassung nicht für überzeugend. Ziel der in der Genfer Flüchtlingskonvention wie im nationalen Recht getroffenen Regelungen ist die möglichst weitgehende Gleichstellung von Staatenlosen und Staatsangehörigen bei der Erlangung von Flüchtlingsschutz. Der Staatsangehörige genießt Verfolgungsschutz im Hinblick auf das Land seiner gegenwärtigen Staatsangehörigkeit, nicht auch im Hinblick auf Länder einer früheren Staatsangehörigkeit. Für den Staatenlosen tritt an die Stelle des Staats der Staatsangehörigkeit das Land seines letzten gewöhnlichen Aufenthalts. Er würde gegenüber Staatsangehörigen besser gestellt, wenn er sich auf Verfolgungsgefahren nicht nur in Bezug auf das Land seines letzten gewöhnlichen Aufenthalts, sondern auch in Bezug auf Länder seines früheren gewöhnlichen Aufenthalts berufen könnte. Daran ändert die Tatsache nichts, dass ein Staatsangehöriger in bestimmten Fällen mehr als eine Staatsangehörigkeit besitzen kann. Denn in diesem Fall kann er nicht bereits wegen einer Verfolgungsgefahr in einem dieser Staaten als Flüchtling anerkannt werden, wie das der UNHCR für Staatenlose gewähren will. Vielmehr erhält er keinen Flüchtlingsschutz, wenn er den Schutz des oder der weiteren Staaten seiner Staatsangehörigkeit in Anspruch nehmen kann. Der Staatenlose genießt auch keinen geringeren Schutz im Hinblick auf eine ihm drohende Abschiebung in einen Staat seines früheren Aufenthalts als der Staatsangehörige in Bezug auf einen Staat seiner früheren Staatsangehörigkeit. Denn beide können insoweit Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG in Anspruch nehmen.

Jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Klägerin zu 1 zehn Jahre lang ihren Lebensmittelpunkt in der Russischen Föderation hatte und der Kläger zu 2 dort geboren und aufgewachsen ist, besteht kein Grund, zusätzlich auf Aserbaidschan als Land des vorausgegangenen Aufenthalts der Klägerin zu 1 zurückzugreifen. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts dürfte eine Flüchtlingsankerkennung der Kläger im Falle einer aus asylunerheblichen Gründen eingetretenen Staatenlosigkeit daher nicht in Betracht kommen, da eine Verfolgungsgefahr in der Russischen Föderation weder geltend gemacht noch festgestellt ist.

Im Übrigen bemerkt der Senat, dass es auch in den Fällen, in denen der ausbürgernde Staat mit dem des gewöhnlichen Aufenthalts identisch ist, besonderer Umstände bedarf, um eine spätere Verweigerung der Wiedereinbürgerung als asylerheblich zu werten. Denn grundsätzlich ist ein Staat frei in der Entscheidung, welchen Nicht-Staatsangehörigen er neu einbürgert und welchem ordnungsgemäß Ausgebürgerten er wieder - hier: aufgrund des Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1998 - seine Staatsbürgerschaft verleiht.

a)

Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass die Klägerin zu 1 nicht de jure ausgebürgert worden ist, sondern ihr nur de facto zentrale Rechte aus der Staatsbürgerschaft verweigert werden (z.B. Recht auf Einreise), kommt eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht, wenn das behördliche Verhalten auf asylerheblichen Gründen beruht. Allerdings bedarf es dann näherer Feststellungen, dass der Klägerin zu 1 die Rechte aus der Staatsbürgerschaft tatsächlich verwehrt werden, was auch voraussetzt, dass sie Bemühungen nachweist, sich ernsthaft und erfolglos um die Wiedererlangung der verweigerten Rechte bemüht zu haben. An solchen Feststellungen fehlt es bisher. Vielmehr wird im Berufungsurteil lediglich vermutet, dass der Klägerin zu 1 "aller Voraussicht" nach die Einreise nach Aserbaidschan verweigert würde (UA S. 15). Hat sie aber zumutbare Bemühungen um eine Wiedereinreise unterlassen, dürfte es an der erforderlichen Schwere der Rechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1a der Richtlinie fehlen.

Gegebenenfalls müsste das Berufungsgericht auch noch klären, ob die von ihm als vorverfolgt angesehene Klägerin unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie derzeit noch wegen einer mittelbaren Gruppenverfolgung armenischer Volkszugehöriger bedroht wäre (bisher offen gelassen, vgl. u.a. S. 19 f.). Dabei weist der Senat darauf hin, dass die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts zur Vorverfolgung der Klägerin wegen einer bis zum Jahr 2000 andauernden mittelbaren Gruppenverfolgung (UA S. 19) auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage beruhen.

b)

Stellt das Berufungsgericht eine asylerhebliche Verfolgung der Kläger fest, wird es sich erneut mit der Frage der Erlangung internen Schutzes in Berg-Karabach auseinander setzen müssen. Denn seine Feststellungen zur fehlenden Erreichbarkeit dieses Landesteils sind auf zu schmaler Tatsachengrundlage getroffen worden. Insoweit reicht es nicht aus festzustellen, dass die Kläger über keine gültigen Reisedokumente verfügten und auch nicht ersichtlich sei, dass sie diese erlangen könnten (UA S. 26). Vielmehr hat der Senat zuletzt in seinem Urteil vom 29. Mai 2008 - BVerwG 10 C 11.07 - (BVerwGE 131, 186-198, Rn. 29) darauf hingewiesen, dass derartige praktische Hindernisse typischerweise behebbar sind. Im Übrigen erscheint es im vorliegenden Fall eher unwahrscheinlich, dass die Kläger über keinerlei Papiere verfügen und solche auch nicht zu beschaffen sind. Bei der Klägerin zu 1 müssten zumindest Papiere über ihren geschilderten Schulbesuch in Baku von 1977 bis 1987 vorhanden oder wiederzuerlangen sein, der Kläger zu 2 müsste aufgrund seiner Geburt in Budjenowsk/Russland über Papiere verfügen. Danach müsste es für beide Kläger möglich und zumutbar sein, die notwendigen Einreisepapiere nach Berg-Karabach zu besorgen. Hierzu muss das Berufungsgericht - sofern es für seine Entscheidung darauf ankommt - die notwendigen Feststellungen treffen.

c)

Auf der Grundlage seiner bisher getroffenen Feststellungen, dass Flüchtlinge armenischer Volkszugehörigkeit einen Rechtsanspruch auf Erwerb der armenischen Staatsangehörigkeit besitzen (UA S. 14), wird das Berufungsgericht Art. 4 Abs. 3 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG in den Blick zu nehmen haben. Danach ist bei der individuellen Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz u.a. die Frage zu berücksichtigen, ob vom Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er den Schutz eines anderen Staates in Anspruch nimmt, dessen Staatsangehörigkeit er für sich geltend machen könnte. Diese Vorschrift setzt an anderer Stelle geregelte materielle Voraussetzungen in einen behördlichen Prüfungsauftrag um, der sich insbesondere auf das Erfordernis von Ermittlungen hinsichtlich des Besitzes mehrfacher Staatsangehörigkeiten bezieht (vgl. Art. 1A Nr. 2 GFK). Das Fehlen der Umsetzung des Art. 4 Abs. 3 Buchst. e der Richtlinie in innerstaatliches Recht wäre nach Ablauf der Umsetzungsfrist jedenfalls unschädlich, wenn die Vorschrift sich auf diesen Prüfungsumfang beschränkte. Ob ihr Gehalt - insbesondere mit Blick auf die Situation eines Staatenzerfalls und evidenter Möglichkeiten des Erwerbs der Staatsangehörigkeit eines Nachfolgestaates z.B. durch bloße Registrierung - darüber hinausreicht und hier eine solche Situation vorliegt, in der die Kläger darauf verwiesen werden könnten, die armenische Staatsangehörigkeit und den Schutz Armeniens in Anspruch zu nehmen, bedarf weiterer Aufklärung und Prüfung.

d)

Im Fall der Bejahung einer asylrelevanten Verfolgung durch Aserbaidschan wird, sofern interner Schutz nicht zu erlangen sein sollte, erneut zu prüfen sein, ob die Kläger bereits Sicherheit vor Verfolgung in der Russischen Föderation gefunden haben und dorthin zurückkehren können (vgl. dazu Urteil vom 8. Februar 2005 - BVerwG 1 C 29.03 - BVerwGE 122, 376 <386 ff.> ). Mit Recht beanstandet die Beklagte mit ihrer Revision, dass das Berufungsgericht seine Feststellungen zur Verweigerung der Wiedereinreise auf zu schmaler Tatsachengrundlage getroffen hat. Der Verweis auf die fehlende russische Staatsangehörigkeit der Kläger und die fehlende Genehmigung ihres dortigen Aufenthalts trägt nicht die daraus gezogene Schlussfolgerung, dass sowohl eine Rückführung als auch eine (legale) Rückkehr erkennbar nicht möglich seien (UA S. 27).

e)

Sollte der Klägerin zu 1 im Ergebnis die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sein, dürfte für den Kläger zu 2 auch ein Anspruch auf Familienflüchtlingsschutz nach § 26 Abs. 4 AsylVfG bestehen.

4.

Sofern den Klägern kein Flüchtlingsschutz zusteht, ist über die Gewährung subsidiären Schutzes nach der Qualifikationsrichtlinie in Bezug auf die Russische Föderation als deren Herkunftsland und (hilfsweise) nationalen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG in Bezug auf die in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staaten Aserbaidschan und Armenien zu entscheiden.

Ende der Entscheidung

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