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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 18.05.2000
Aktenzeichen: BVerwG 11 A 6.99
Rechtsgebiete: VerkPBG, VwGO, VwVfG


Vorschriften:

VerkPBG § 5 Abs. 1
VwGO § 45
VwGO § 48 Abs. 1
VwVfG § 75 Abs. 2
Leitsätze:

Für eine Verpflichtungsklage, mit der der Kläger nach Unanfechtbarkeit eines Planfeststellungsbeschlusses für ein Vorhaben nach § 1 VerkPBG nachträgliche Schutzauflagen verlangt, die gemäß § 75 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 VwVfG dem Träger des Vorhabens außerhalb eines Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahrens auferlegt werden können, ist weder die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts noch des Oberverwaltungsgerichts gegeben.

Beschluß des 11. Senats vom 18. Mai 2000 - BVerwG 11 A 6.99 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 11 A 6.99

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 18. Mai 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Hien und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost und Kipp

beschlossen:

Tenor:

Das Bundesverwaltungsgericht erklärt sich für unzuständig und verweist den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Hamburg.

Gründe:

I.

Durch Planfeststellungsbeschluß vom 29. Juli 1994 stellte das Eisenbahn-Bundesamt der Beklagten den Plan für den Ausbau der Eisenbahnstrecke Berlin - Hamburg-Altona der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen im Planfeststellungsabschnitt IV (Hamburg-Bergedorf) fest. Gegenstand des Plans war u.a. die Erweiterung der bisher zweigleisigen Strecke um zwei weitere Gleise sowie die Ersetzung des Bahnübergangs Chrysanderstraße durch ein Tunnelbauwerk für Fußgänger. Besondere Maßnahmen zur Minderung von betriebsbedingten Erschütterungen wurden nicht vorgesehen, da der Planfeststellungsbeschluß davon ausging, daß durch die planfestgestellten baulichen Änderungen an den Bahnanlagen in der Betriebsphase keine erheblichen Erschütterungen und keine Vermehrung der Erschütterungen verursacht würden.

Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Chrysanderstraße 64, das nördlich der Ausbaustrecke in der Nähe des Tunnelbauwerks liegt und mit einem Wohnhaus bebaut ist. Nach Unanfechtbarkeit des Plans und Fertigstellung des Vorhabens beklagte er sich darüber, daß die Erschütterungen seines Hauses durch den Betrieb der S-Bahn zugenommen hätten und unerträglich geworden seien. Mit Schreiben vom 14. April 1998 bat er das Eisenbahn-Bundesamt, als Aufsichtsbehörde hierzu Stellung zu nehmen und geeignete Maßnahmen zur Minderung der Erschütterungswirkung zu veranlassen. Das Eisenbahn-Bundesamt bat daraufhin die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen mehrfach vergeblich um Stellungnahme und Vorlage der Ergebnisse inzwischen vorgenommener Erschütterungsmessungen.

Am 10. Mai 1999 hat der Kläger beim Bundesverwaltungsgericht die vorliegende Klage erhoben, mit der er unter Berufung auf § 75 Abs. 2 Sätze 2 und 3 VwVfG beantragt,

die Beklagte zu verpflichten,

durch geeignete Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen sicherzustellen, daß von der mit Beschluß der Beklagten vom 29. Juli 1994 planfestgestellten Maßnahme keine für den Kläger unzumutbaren Erschütterungen ausgehen,

hilfsweise,

dem Kläger für die von dem o.g. Vorhaben ausgehenden, unzumutbaren Erschütterungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Klage abzuweisen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Beteiligten auf Bedenken gegen seine sachliche Zuständigkeit hingewiesen und ihnen Gelegenheit gegeben, hierzu Stellung zu nehmen.

II.

Der Rechtsstreit ist an das Verwaltungsgericht Hamburg zu verweisen, da das Bundesverwaltungsgericht für ihn nicht zuständig ist (§ 83 VwGO in Verbindung mit § 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG).

Zu Unrecht geht der Kläger aufgrund des § 5 Abs. 1 VerkPBG von der Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts für diese Verpflichtungsklage aus. Nach der genannten Vorschrift entscheidet das Bundesverwaltungsgericht im ersten und letzten Rechtszug (nur) über Streitigkeiten, die Planfeststellungs- und Plangenehmigungsverfahren für Vorhaben nach § 1 des Gesetzes betreffen. Der Zweck dieser Zuständigkeitsvorschrift besteht darin, durch eine Verkürzung des Verwaltungsgerichtsverfahrens auf eine Instanz den Ausbau der Verkehrswege zwischen alten und neuen Ländern zu beschleunigen und dabei durch die Konzentration der Streitsachen beim Bundesverwaltungsgericht divergierende Entscheidungen zu vermeiden (BTDrucks 12/1092 S. 10). Dieser Gesetzeszweck verlangt eine weite Auslegung der Vorschrift dahin, daß sie alle Verwaltungsstreitsachen erfaßt, die einen unmittelbaren Bezug zu konkreten Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren für Vorhaben nach § 1 VerkPBG haben. Das ist beispielsweise der Fall, wenn um Maßnahmen gestritten wird, die zeitlich und sachlich der späteren Planfeststellung oder Plangenehmigung vorausgehen, indem sie der Vorbereitung eines solchen Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahrens dienen (vgl. BVerwG, Beschluß vom 1. Juli 1993 - BVerwG 7 ER 308.93 - Buchholz 407.3 VerkPBG Nr. 4) oder einen Ausschnitt der in einem laufenden Planfeststellungsverfahren zu lösenden Probleme darstellen (vgl. BVerwG, Beschluß vom 13. Oktober 1994 - BVerwG 7 VR 10.94 - Buchholz 407.3 § 5 VerkPBG Nr. 3), oder wenn darum gestritten wird, ob bestimmten Baumaßnahmen an einem in § 1 VerkPBG genannten Verkehrsweg ein Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren hätte vorausgehen müssen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Januar 1994 - BVerwG 7 VR 12.93 - Buchholz 407.3 § 5 VerkPBG Nr. 1 und vom 7. Juli 1995 - BVerwG 11 VR 11.95 - Buchholz 406.401 § 29 BNatSchG Nr. 7).

Dieser unmittelbare Bezug zu einem konkreten Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren für Vorhaben nach § 1 VerkPBG fehlt jedoch im vorliegenden Fall, in dem der Kläger nach Unanfechtbarkeit eines Planfeststellungsbeschlusses nachträgliche Schutzauflagen verlangt, die gemäß § 75 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 VwVfG dem Träger des Vorhabens außerhalb eines Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahrens auferlegt werden können. Soweit aus dem zu einem anders gelagerten Sachverhalt ergangenen Urteil des Senats vom 23. April 1997 - BVerwG 11 A 17.96 (Buchholz 316 § 75 VwVfG Nr. 13) etwas anders hergeleitet werden könnte, wird hieran nicht festgehalten.

Nichts anderes gilt im Ergebnis für die gesetzlichen Voraussetzungen der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts nach § 48 Abs. 1 Nrn. 7 bis 9 VwGO, mit der § 5 Abs. 1 VerkPBG der Sache nach korrespondiert (vgl. BVerwG, Beschluß vom 17. Oktober 1994 - BVerwG 4 N 1.94 - Buchholz 407.3 § 5 VerkPBG Nr. 4 S. 13). Insoweit ist es weit überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, daß sich die Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte zur erstinstanzlichen Entscheidung über Streitigkeiten, die Planfeststellungsverfahren für den Bau oder die Änderung von Schienenwegen, Bundesfernstraßen oder Bundeswasserstraßen betreffen, nicht auf Klagen erstreckt, mit denen - wie hier - ausschließlich Ansprüche auf nachträgliche Schutzauflagen verfolgt werden (vgl. BayVGH, NVwZ-RR 1992, S. 165 ff.; VGH Baden-Württemberg, NVwZ 1995, S. 179; BayVGH, NVwZ-RR 1999, S. 699 f.; Bier, in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 48 Rn. 9; Redeker/von Oertzen, VwGO, 12. Aufl. 1997, § 48 Rn. 34; Eyermann/Jörg Schmidt, VwGO, 10. Aufl. 1998, § 48 Rn. 3; Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl. 1998, § 48 Rn. 11; Bader/von Albedyll, VwGO, § 48 Rn. 18; Sodan/ Ziekow, VwGO, § 48 Rn. 25; a.A. NdsOVG, OVGE 43, 301). Der Ansicht des Klägers, anderes müsse gelten, wenn Maßnahmen verlangt würden, die "eine multilaterale Abstimmung" erforderlich machten, ist nicht zu folgen. Gerade der vorliegende Fall einer Bescheidungsklage, die die verlangten Maßnahmen nicht konkret benennt, zeigt, daß eine derartige Differenzierung mit der für Regelungen über gerichtliche Zuständigkeiten erforderlichen Klarheit des Rechtsschutzes nicht vereinbar wäre.

Zuständig für die vorliegende Streitigkeit ist das Verwaltungsgericht Hamburg. Dies folgt aus §§ 45, 52 Nr. 1 VwGO, wonach in Streitigkeiten, die sich auf ein ortsgebundenes Rechtsverhältnis beziehen, das Verwaltungsgericht örtlich zuständig ist, in dessen Bezirk der Ort liegt. Der Anspruch auf nachträgliche Auflagen zum Schutz eines Grundstücks gegen nachteilige Wirkungen, die von dem planfestgestellten Abschnitt eines Verkehrsweges ausgehen, ist an den Ort gebunden, in dem dieser Abschnitt liegt. Das ist hier der Bezirk des genannten Verwaltungsgerichts.

Ende der Entscheidung

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