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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 16.02.1998
Aktenzeichen: BVerwG 11 B 5.98
Rechtsgebiete: AtG, StrlSchV, VwGO


Vorschriften:

AtG § 7 Abs. 2 Nr. 3
AtG § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
StrlSchV 1989 § 45
VwGO § 132 Abs. 2
VwGO § 144 Abs. 6
Leitsätze:

1. Das Schutzkonzept des § 45 StrlSchV ist nicht durch neue Erkenntnisse im Bereich des strahlungsbedingten Leukämierisikos in Frage gestellt. Das gilt auch in Ansehung der Untersuchungen, die durchgeführt worden sind, um die Ursachen des in der Elbmarsch aufgetretenen Leukämie-Clusters zu klären.

2. Die atomrechtliche Genehmigung ist auf der Grundlage des e r r e i c h t e n Standes von Wissenschaft und Technik (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG) zu erteilen. Eine im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung bestehende Erwartung der zuständigen Behörden, durch weitere Untersuchungen Fortschritte des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes erzielen zu können, zeigt aus diesem Grunde ein Ermittlungsdefizit nicht auf. Das gilt auch dann, wenn die Untersuchungen das Ziel haben, einen Befund zu liefern, der die Versagung weiterer Genehmigungen rechtfertigen würde.

3. Zur Trennung von Anlagengenehmigung und Anlagenaufsicht (im Anschluß an das Urteil vom 22. Januar 1997 - BVerwG 11 C 7.97 - Buchholz 451.171 § 7 AtG Nr. 4).

Beschluß des 11. Senats vom 16. Februar 1998 - BVerwG 11 B 5.98

I. OVG Schleswig vom 29.10.1997 - Az.: OVG 4 K 5/91


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 11 B 5.98 OVG 4 K 5/91

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 16. Februar 1998 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Diefenbach und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Vallendar und Prof. Dr. Rubel

beschlossen:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. Oktober 1997 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme etwaiger außergerichtlicher Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 DM festgesetzt.

Gründe:

Die Klägerin begehrt die Aufhebung einer unter dem 17. April 1991 erteilten Änderungsgenehmigung für das Kernkraftwerk Krümmel (KKK), die es der Beigeladenen gestattet, den Reaktor mit Brennelementen eines neu entwickelten Typs mit teillangen Brennstäben zu bestücken. Die von der Klägerin im Juni 1991 erhobene Klage wurde vom Oberverwaltungsgericht durch Urteil vom 8. November 1994 als unbegründet abgewiesen. Dieses Urteil hat der beschließende Senat auf die dagegen gerichtete Revision der Klägerin durch Urteil vom 21. August 1996 - 11 C 9.95 - (BVerwGE 101, 347 ff. = Buchholz 451.171 § 7 AtG Nr. 3) aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. In dem daraufhin fortgesetzten Klageverfahren hat das Oberverwaltungsgericht die Klage durch Urteil vom 29. Oktober 1997 erneut als unbegründet abgewiesen. Die Beschwerde, mit der die Klägerin die Zulassung der Revision gegen dieses Urteil erreichen möchte, hat keinen Erfolg. Dem Beschwerdevorbringen können Zulassungsgründe i.S. von § 132 Abs. 2 VwGO nicht entnommen werden.

1. Die Rüge einer Divergenz (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) geht fehl. Die Beschwerde macht geltend, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom 29. Oktober 1997 weiche von den Vorgaben des zurückverweisenden Revisionsurteils ab. Wie die Beschwerde selbst vorträgt, rügt sie damit in der Sache einen Verstoß gegen die Bindungswirkung des § 144 Abs. 6 VwGO. Ein solcher Verstoß ist ein Verfahrensmangel und kann nicht zur Zulassung der Revision unter dem Aspekt der Divergenz führen (vgl. BVerwG, Beschluß vom 17. März 1994 - BVerwG 3 B 24.93 - Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 57; Beschluß vom 21. August 1997 - BVerwG 8 B 151.97 - NJW 1997, 3456). Das diesbezügliche Vorbringen der Beschwerde ist deswegen als Verfahrensrüge zu würdigen.

2. Mit der in diesem Sinne ausgelegten Rüge von Verfahrensmängeln (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) kann die Beschwerde nicht durchdringen. Ein Verstoß gegen § 144 Abs. 6 VwGO liegt ebensowenig vor wie die von der Beschwerde in diesem Zusammenhang zusätzlich gerügte Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (vgl. § 86 Abs. 1 und 2 VwGO).

a) Offenbar in Anknüpfung an die verfahrensleitenden Hinweise, die der Senat in seinem Revisionsurteil für die weitere Behandlung der Frage gegeben hat, ob neue Erkenntnisse im Bereich des strahlungsbedingten Leukämierisikos das Schutzkonzept des § 45 StrlSchV in Frage stellen, meint die Beschwerde, das Oberverwaltungsgericht hätte eine weitergehende "tatsächliche Aufklärung der für den Dosisgrenzwert relevanten naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und Wahrscheinlichkeitsabschätzungen" anstreben und "eine Kontrolle der vom Normgeber bei der Überwachung gezogenen - oder vernachlässigten - Folgerungen" vornehmen müssen, wobei es nicht angehe, die Stellungnahmen der Strahlenschutzkommission (SSK) mit dem Stand von Wissenschaft und Technik gleichzusetzen. Das Oberverwaltungsgericht wäre deswegen gehalten gewesen, "entsprechend dem Beweisvorbringen der Klägerin" einen veränderten wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu ermitteln.

Mit diesem Vorbringen wird eine Abweichung von bindenden Aussagen des Senatsurteils vom 21. August 1996 nicht aufgezeigt. Das Oberverwaltungsgericht hat seiner Einschätzung, daß das Schutzkonzept des § 45 StrlSchV nicht durch wissenschaftliche Erkenntnisfortschritte überholt ist, die rechtliche Beurteilung des Senats zugrunde gelegt. Die Aufforderung des Senats, dem Vorbringen der Klägerin nachzugehen, wegen der in der Elbmarsch nach Inbetriebnahme des KKK aufgetretene Häufung von Fällen der Kinderleukämie sei eine Neubewertung des von Kernkraftwerken verursachten Leukämierisikos angebracht, beinhaltet nicht notwendig die Durchführung einer Beweiserhebung, wie sie von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 29. Oktober 1997 beantragt worden ist. Das Oberverwaltungsgericht hat diese Beweisanträge der Klägerin ohne Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht abgelehnt.

Das Oberverwaltungsgericht hat mit Recht betont, daß es bei der - vom Senat in seinem Urteil vom 21. August 1996 geforderten - Überprüfung, ob der Verordnungsgeber seinem gesetzlichen Auftrag genügt hat, die Dosisgrenzwerte unter Kontrolle zu halten und notfalls nachzubessern, nicht darum gehen kann, von Gerichts wegen einen bestimmten Stand der Wissenschaft festzustellen. Im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AtG ist dies vielmehr Aufgabe des Verordnungsgebers, der dabei eine wertende Risikoabschätzung vorzunehmen hat, die nur beschränkt gerichtlich überprüft werden kann. Die Einschränkung der gerichtlichen Überprüfung folgt schon daraus, daß jede gesetzliche Ermächtigung dem Verordnungsgeber Gestaltungsspielräume eröffnet, in die eine gerichtliche Normenkontrolle nicht eindringen darf. Speziell bei einer Verordnung, die zur Konkretisierung des atomrechtlichen Gebots der Schadensvorsorge (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG) dient, darf eine gerichtliche Überprüfung nicht dazu führen, daß sich die politsche Verantwortung für die Risikoermittlung und -bewertung von der Exekutive auf die Gerichte verlagert. Dies wäre notwendig der Fall, wenn die Gerichte hier ihre eigenen Bewertungen an die Stelle der Risikoabschätzung des Verordnungsgebers setzen könnten. Die von der Rechtsprechung für die gerichtliche Überprüfung von Behördenentscheidungen auf dem Gebiet der atomrechtlichen Schadensvorsorge entwickelten Einschränkungen sind insofern auch bei der Normenkontrolle zu beachten.

Die Normierung eines Schutzkonzepts, das u.a. dem strahlungsbedingten Leukämierisiko begegnen soll, stellt den Verordnungsgeber vor die Aufgabe, einen mit Blick auf den Gesundheitschutz akzeptablen Dosisgrenzwert zu bestimmen. Dabei muß er das Problem bewältigen, daß - zumindest nach der in Expertenkreisen vorherrschenden Ansicht (vgl. zum Standpunkt der ICPR Clarke, atw 1997, 425<525>; kritisch hierzu Roth, atw 1997, 789; Roth/Feinendegen, atw 1996, 401 ff.) derzeit die wissenschaftlichen Erkenntnisse für die Bestimmung eines "Schwellenwerts" (im Sinne einer risikolosen Strahlendosis) nicht ausreichen. Der Verordnungsgeber hat sich in § 45 StrlSchV deswegen für ein Schutzkonzept entschieden, das in konservativer Weise einerseits von der Hypothese ausgeht, es gebe keine Schwelle für die Auslösung strahlungsbedingter kanzerogener Wirkungen und die Dosiswirkungskurve sei linear (vgl. BVerwGE 61, 256 <266 f.>). Andererseits macht sich der Verordnungsgeber die Erkenntnis zunutze, daß die Bevölkerung einer nicht unerheblichen natürlichen Strahlenbelastung ausgesetzt ist, die es vertretbar erscheinen läßt, einen vom Normalbetrieb der kerntechnischen Anlagen ausgehenden Beitrag zu diesem allgemeinen Lebensrisiko als unerheblich zu vernachlässigen. Dies ist - vereinfachend dargestellt - der Grundgedanke des Schutzkonzepts, das in dem geltenden 0,3 mSv-Grenzwert Ausdruck findet. Das Bundesverwaltungsgericht hat dieses Schutzkonzept in ständiger Rechtsprechung als unbedenklich eingestuft (vgl. BVerwG, Beschluß vom 23. Mai 1991 - BVerwG 7 C 34.90 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 VwGO Nr. 23; Urteil vom 22. Januar 1997 - BVerwG 11 C 7.95 - Buchholz 451.171 § 7 AtG Nr. 4).

Einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich blieb danach im vorliegenden Verfahren nur die Frage, ob die Bundesregierung als Verordnungsgeber - aufgrund des Gebots der Schadensvorsorge und im Rahmen ihrer grundrechtlichen Schutzpflicht - nach Bekanntwerden der in der Umgebung des KKK aufgetretenen Leukämiefälle einen Handlungsbedarf für eine Nachbesserung ihres Schutzkonzepts hätte annehmen müssen, weil sich dieses nachträglich als lückenhaft erwiesen hat. Der Senat geht in seinem Urteil vom 21. August 1996 davon aus, daß dies dann nicht der Fall ist, wenn die Bundesregierung Erkenntnisse, die sich bei der Untersuchung der örtlichen Leukämiehäufung ergeben haben, nicht negiert oder in unvertretbarer Weise fehlgewichtet hat. Ausgehend von dieser rechtlichen Beurteilung des Revisionsgerichts hat das Oberverwaltungsgericht eine Lücke in dem Schutzkonzept des § 45 StrlSchV bezüglich der Niedrigstrahlenbelastung verneint. Das läßt Rechtsfehler nicht erkennen.

Nach Bekanntwerden der Leukämiefälle in der Elbmarsch sind vielfältige Untersuchungen eingeleitet worden, ohne daß einwandfrei ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Betrieb des KKK belegt werden konnte. Wie das Oberverwaltungsgericht im einzelnen dargestellt hat, herrscht unter Experten im Gegenteil die Meinung vor, daß ein solcher Kausalzusammenhang höchst unwahrscheinlich und damit praktisch auszuschließen ist. Der aufgrund der Untersuchungen erreichte Erkenntnisstand ist in Abhandlungen dokumentiert, die - einschließlich der Beiträge, auf die die Klägerin ihre gegenteilige Einschätzung und ihre Beweisanträge stützten - zu den Gerichtsakten gelangt sind (UA 8. 50). Die Beschwerde legt nicht substantiiert dar (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), welche weiterführenden Erkenntnisse das Oberverwaltungsgericht durch eine Beweisaufnahme hätte erschließen können. Mit Recht hebt das Oberverwaltungsgericht hervor (UA S. 43), daß allein die Tatsache, daß einzelne Experten den Erkenntnisstand anders bewerten als die Bundesregierung, nicht ansatzweise ausreicht, um deren Schlußfolgerung, das Schutzkonzept des § 45 StrlSchV habe sich bewährt und sei beizubehalten, in Frage zu stellen. Denn damit sind die abweichenden Meinungen von der Bundesregierung weder außer acht gelassen noch in unvertretbarer Weise fehlgewichtet worden.

Die Bundesregierung stützt sich bei ihrer Bewertung des Erkenntnisstandes vorwiegend auf die Stellungnahmen der SSK. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden. Den Aussagen der SSK, gegen deren fachliche Kompetenz zur Darstellung und Bewertung der Erkenntnislage die Klägerin nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (UA S. 58) keine ernsthaften Einwände erhoben hat, durfte die Bundesregierung einen besonderen Stellenwert zumessen. Dies gilt zumal dann, wenn diese Aussagen sich - wie das Oberverwaltungsgericht festgestellt hat - im Rahmen von Empfehlungen internationaler Expertengremien bewegen. Wenn die Bundesregierung sich damit eine - sorgfältig erarbeitete und nachvollziehbar begründete - wissenschaftliche Mehrheitsmeinung zu eigen macht und gegenteilige Expertenaussagen als nicht überzeugend verwirft, schließt dies zwar nicht von vornherein aus, daß sie einer Fehleinschätzung erliegt. Denn der wissenschaftliche Fortschritt muß nicht notwendig linear verlaufen. Vielmehr können auch wissenschaftliche Außenseiter, deren Aussagen in Expertenkreisen zunächst kritisch aufgenommen werden, nachträglich breite Zustimmung finden. Aus diesem Grunde muß die Bundesregierung im Rahmen ihrer Risikoabschätzung auch eine von der "herrschenden Meinung" abweichende Aussage, die unter dem Gesichtspunkt der praktischen Vernunft noch vertretbar erscheint, zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen - (vgl. BVerwGE 92, 185 <196>). Wenn sie dies aber - wie das Oberverwaltungsgericht ohne Rechtsfehler festgestellt hat - hier getan hat, darf die Bundesregierung sich gestützt auf den Ratschlag der SSK der Mehrheitsmeinung anschließen. Darin ist kein Fehler in der Risikoabschätzung zu sehen.

b) Die Beschwerde rügt, das Oberverwaltungsgericht habe die ihm im Urteil vom 21. August 1996 vom Senat aufgegebene Prüfung, ob die Genehmigungsbehörde vor Erteilung der angefochtenen Genehmigung von Amts wegen etwaigen Anhaltspunkten für eine Lücke im Sicherheitssystem des KKK als Ursache der Leukämiefälle hätte nachgehen müssen, unzulässig "auf eine wiederholende Darstellung des bekannten Verfahrensverlaufs reduziert". Damit habe das Oberverwaltungsgericht die sich aufdrängende und nach dem Revisionsurteil notwendige Sachaufklärung unterlassen. Denn die Leukämiefälle hätten Anlaß geben müssen, nach deren Ursachen "ohne Bindung an schematisierende Vorgaben zu forschen, die den Blick auf die pauschalierenden Ansätze des herkömmlichen Strahlenschutzkonzepts verengten". So seien Meßmethoden, Ausbreitungsrechnungen und auch zellbiologische Vorgänge "von Grund auf neu zu untersuchen und diskutieren" gewesen. Daß insoweit ein Ermittlungsdefizit vorliege, sei vom Beklagten selbst eingeräumt worden, der - entgegen den Äußerungen der SSK - eine Ursachenermittlung mit Hilfe wissenschaftlicher Untersuchungen jetzt für geboten halte.

Entgegen der Ansicht der Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht das Vorliegen eines behördlichen Ermittlungsdefizits in Richtung auf etwaige Lücken im Sicherheitssystem des KKK in Übereinstimmung mit der rechtlichen Beurteilung des Revisionsurteils geprüft. Ein Verstoß gegen § 144 Abs. 6 VwGO liegt damit nicht vor.

Das Oberverwaltunsgericht hat festgestellt, die Genehmigungsbehörde habe bei Erteilung der Genehmigung im April 1991 davon ausgehen dürfen, daß die Leukämiefälle in der Elbmarsch in keiner Beziehung zum Betrieb des KKK gestanden hätten (UA S. 65); daran habe sich auch bis zum Ende der Auslegung des Genehmigungsbescheids am 13. Mai 1991 nichts geändert (UA S. 70 f.). Der damalige wissenschaftliche Erkenntnisstand, von dem der Beklagte habe ausgehen dürfen, habe keine Anhaltspunkte dafür geliefert, ein Störfall und/oder ungenehmigte Emissionen hätten ursächlich für die Leukämiefälle sein können. Es habe keinen Anhaltspunkt für einen Gefahrenverdacht in Richtung auf unerkannt gebliebene Störfälle oder gar verheimlichte Störfälle gegeben (UA S. 66). Den in der Folgezeit durchgeführten Ermittlungen und Untersuchungen, auf die sich die Beschwerde beruft, hat das Oberverwaltungsgericht überwiegend Forschungscharakter zugeschrieben, weil sie auf die Gewinnung neuer Erkenntnisse ausgerichtet gewesen seien, die den seinerzeit wie auch heute noch vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisstand weiterentwickeln sollten (UA S. 72).

Diese für das Urteil tragenden Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts decken sich mit den rechtlichen Vorgaben des Revisionsurteils. Es wäre ein Mißverständnis, falls die Beschwerde annehmen sollte, der Senat habe die Auffassung vertreten, die angefochtene Genehmigung habe nicht erteilt werden dürfen, solange die zuständigen Behörden in Schleswig-Holstein einen Kausalzusammenhang zwischen den Leukämiefällen und dem Betrieb des KKK weiterhin für möglich erachteten und deswegen in diese Richtung zielende Untersuchungen finanzierten. Es kommt insoweit nicht darauf an, welche Erfolgsaussichten derartige Untersuchungen angesichts des beschränkten Wissens über die molekularen Grundlagen der Leukämieentstehung haben mögen (dazu UA S. 49). Dem Oberverwaltungsgericht ist jedenfalls darin zuzustimmen, daß sich nicht ein bloßer Forschungsbedarf, den die zuständigen Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden als gegeben ansehen, als Genehmigungshindernis auswirken kann. Die atomrechtliche Genehmigung ist auf der Grundlage des e r r e i c h t e n Standes von Wissenschaft und Technik zu erteilen. Eine im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung bestehende Erwartung der zuständigen Behörden, durch weitere Untersuchungen Fortschritte des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes erzielen zu können, zeigt aus diesem Grunde ein behördliches Ermittlungsdefizit nicht auf. Das gilt auch dann, wenn die Untersuchungen das Ziel haben, einen Befund zu liefern, der die Versagung weiterer Genehmigungen rechtfertigen würde. In derartige Ermittlungen einzutreten; wie sie die Beschwerde fordert, kann erst recht nicht Sache des Gerichts sein, wenn eine Genehmigung von Drittbetroffenen angefochten wird. Die von der Beschwerde erhobene Aufklärungsrüge scheitert im übrigen auch schon daran, daß sie nicht die Beweismittel bezeichnet, derer sich das Oberverwaltungsgericht hätte bedienen sollen (vgl. BVerwGE 31, 212 <217>).

3. Die Sache hat auch nicht die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

a) Die Beschwerde bezeichnet als grundsätzlich bedeutsam die Frage, ob bei der Normprüfung - unter dem Gesichtspunkt einer Nachbesserungspflicht des Verordnungsgebers - eine unvertretbare Fehlgewichtung von Erkenntnissen schon deshalb verneint werden kann, weil das zuständige Bundesministerium auf eine Meinungsäußerung einer Sachverständigenkommission (hier: der SSK) hinweist, statt die darin enthaltene Bewertung anhand der Ermächtigungsgrundlage eigenständig zu hinterfragen. Diese Fragestellung rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, weil sie sich ohne weiteres auf der Grundlage der bereits vorliegenden Rechtsprechung zu dem Fragenkreis des atomrechtlichen Gebots der Schadensvorsorge beantworten läßt. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann insoweit auf die vorstehenden Ausführungen (oben 2 a) über den besonderen Stellenwert von Aussagen der SSK verwiesen werden.

b) Die Beschwerde hält die Frage im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO für klärungsbedürftig, ob das Klagevorbringen, die Strahlenbelastung durch betriebliche Immissionen von Atomanlagen führe zu einer tödlichen Gefahr für eine bestimmte oder abschätzbare Zahl von Personen, im Hinblick auf das geltende Strahlenschutzkonzept (Maßgeblichkeit einer Referenzperson nach § 45 StrlSchV) im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch deshalb unberücksichtigt bleiben könne, weil ein allgemeines Bevölkerungsrisiko geltend gemacht werde.

So, wie die Frage von der Beschwerde gestellt wird, würde sie in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig sein, weil die damit angegriffene Aussage der Entscheidungsgründe (UA S. 55) hinweggedacht werden kann, ohne daß sich etwas am Ausgang des Verfahrens ändern würde. Das Oberverwaltungsgericht hat der Klägerin den Gesichtspunkt des fehlenden Drittschutzes bei einer Erhöhung des allgemeinen Bevölkerungsrisikos (vgl. BVerwGE 61, 256 <266>) nur zusätzlich entgegengehalten ("Im übrigen ..."). Hinsichtlich der selbständig tragenden Begründung, mit der das Oberverwaltungsgericht sich zuvor (UA S. 54 f.) gegen die klägerische Argumentation gewandt hat, die rechnerische Risikoabschätzung der SSK beruhe auf unrichtigen Zahlen, liegt ein Revisionzulassungsgrund dagegen nicht vor. Die Beschwerde erhebt zwar auch gegen diese Passage der Entscheidungsgründe Einwendungen, formuliert aber keine konkrete Rechtsfrage, die grundsätzlich bedeutsam sein könnte.

Es führt auch nicht weiter, wenn man - in wohlwollender Betrachtung des Beschwerdevorbringens - versuchen wollte, eine solche Frage dem Vortrag zu entnehmen, es sei "Funktion des dem Grundrechtsschutz verpflichteten Normgebers", die Vordergründigkeit der Argumente der SSK zu durchschauen, und deswegen zumindest "grundsätzlich bedeutsam, ob diese Funktion des Normgebers angesichts einer sich aufdrängenden Argumentationsschwäche des von ihm bestellten Sachverständigengremiums anerkannt wird und im Rechtsschutzverfahren festgestellt werden kann, oder ob die verwaltungsgerichtliche Kontrolle sich hiervon unter Hinweis auf eine der SSK zugebilligte gesteigerte Kompetenzvermutung ... zurückziehen darf". Denn hierin ist lediglich ein Angriff der Beschwerde gegen die Sachverhaltswürdigung des Oberverwaltungsgerichts zu sehen, der nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung führen kann. Die Kritik der Klägerin an der Ermittlung des Risikokoeffizienten hat das Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil (UA S. 54) nämlich - durch Bezugnahme auf den Schriftsatz der Beigeladenen vom 6. November 1996 im Verfahren 4 M 91/96 - schlichtweg als in tatsächlicher Hinsicht unzutreffend zurückgewiesen, weil es nicht zulässig sei, auf unterschiedliche Parameter bezogene Zahlenwerte miteinander zu vergleichen.

c) Als aus ihrer Sicht grundsätzlich bedeutsam wirft die Beschwerde schließlich die Frage auf, ob eine atomrechtliche Genehmigung wegen eines Ermittlungs- und Abwägungsdefizits rechtswidrig ist, wenn ein für den Genehmigungsgegenstand relevanter Sachverhalt, insbesondere eine Schadenswahrscheinlichkeit, die zur Vorsorge Anlaß bietet, weder im Genehmigungstext erwähnt wird noch darauf die Begutachtung erstreckt worden noch deswegen eine öffentliche Erörterung (§ 4 Abs. 2 AtVfV) erwogen worden ist, vielmehr lediglich in einem zeitgleich geführten behördeninternen Verfahren Informationen über den Sachverhalt registriert und unter Teilaspekten ohne Bezug zur Genehmigungsfrage geprüft worden sind. Mit dieser Frage wird ein Zulassungsgrund im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht dargelegt, weil sie sich auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats ohne weiteres verneinen läßt.

Die Besonderheit des vorliegenden Falles liegt darin, daß - wie das Oberverwaltungsgericht festgestellt hat (UA S. 61) - schon im November 1990 und damit vor Beginn des Genehmigungsverfahrens, das die Beigeladene mit ihrem Antrag vom 10. Dezember 1990 einleitete, die zuständigen Behörden des Landes Schleswig-Holstein auf das in der Nähe des KKK aufgetretene Leukämie-Cluster aufmerksam geworden waren. Die daraufhin von Amts wegen eingeleiteten Überprüfungen sind nicht zum Gegenstand des Genehmigungsverfahrens gemacht worden. Ebensowenig hat das Ergebnis dieser Überprüfungen, daß nämlich die Leukämiefälle nicht auf eine Lücke im Sicherheitssystem des KKK zurückzuführen sind und auch keine radioiogischen Bedenken gegen den weiteren Betrieb der Anlage rechtfertigen, in dem Genehmigungsbescheid vom 17. April 1991 einen Niederschlag gefunden. Für den Beklagten stellten sich demnach die durchgeführten Überprüfungen und ihr Ergebnis als eine Angelegenheit der Anlagenaufsicht dar, die ohne Einfluß auf die Abwicklung des Genehmigungsverfahrens bleiben konnte.

Dieses Vorgehen des Beklagten ist rechtlich nicht zu beanstanden. Wie der Senat in seinem Urteil vom 22. Januar 1997 - BVerwG 11 C 7.95 - (a.a.O.) entschieden hat, ist im Atomrecht zwischen der Anlagengenehmigung und der Anlagenaufsicht zu unterscheiden; es handelt sich um grundsätzlich getrennte Verfahren. Fragen, denen im Rahmen der aufsichtlichen Aufgabenstellung nachgegangen wird, verändern eine parallel zur Prüfung und Entscheidung anstehende Genehmigungsfrage inhaltlich nicht, sondern wirken nur über die Verfahrensebene auf ihre Handhabung ein: Die Genehmigungsbehörde darf sich mit der Genehmigungserteilung zum Ergebnis der aufsichtlichen Prüfung nicht in Widerspruch setzen. Diese Rechtsprechung, die der Senat für die "aufsichtliche Aufgabenstellung der Genehmigungsbehörde" (BVerwGE 88, 286 <291>) im gestuften Genehmigungsverfahren entwickelt hat, ist auf den - hier vorliegenden - Fall eines Änderungsgenehmigungsverfahrens uneingeschränkt übertragbar. Gegenteiliges ist auch dem zurückverweisenden Revisionsurteil des Senats nicht zu entnehmen. Im Hinblick auf das seinerzeit noch anhängige Verfahren BVerwG 11 C 7.95 hat der Senat insbesondere in seinen verfahrensleitenden Hinweisen bewußt eine Stellungnahme zu den genannten Rechtsfragen vermieden.

Nachdem zu diesen Rechtsfragen in der Zwischenzeit eine Senatsentscheidung ergangen ist, vermag die Beschwerde neue Aspekte, die einer rechtsgrundsätzlichen Klärung zugeführt werden müßten, nicht aufzuzeigen. Nach den - nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen - Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts stand im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung fest, daß sich der Beklagte mit Erteilung der beantragten Änderungsgenehmigung zu dem Ergebnis des parallelen aufsichtlichen Verfahrens (oben 2 b) nicht in Widerspruch setzen würde. Das im Einwirkungsbereich des KKK aufgetretene Leukämie-Cluster stellte damit kein verfahrensrechtliches Genehmigungshindernis dar. Zumindest aus damaliger Sicht des Beklagten war das Leukämie-Cluster auch nicht als entscheidungserheblicher Gesichtspunkt in sein materiellrechtliches - durch das Gebot der Schadensvorsorge bestimmtes - Prüfprogramm für die Genehmigungserteilung einzubeziehen. Denn das Ergebnis des aufsichtlichen Verfahrens hatte die Frage, ob das Schutzkonzept der Dosisgrenzwerte einer Nachbesserung bedarf, nicht aufkommen lassen.

Die Klägerin konnte diese behördliche Risikoabschätzung speziell mit Blick auf die Leukämiefälle in Zweifel ziehen und, indem sie die vorliegende Klage gegen die Änderungsgenehmigung erhob, auch einer gerichtlichen Überprüfung zuführen. Die gegenteilige Rechtsansicht der Vorinstanz, die Leukämieproblematik könne wegen der Bestandskraft früherer Genehmigungen überhaupt nicht Gegenstand des gerichtlichen Entscheidungsprogramms werden, mußte der Senat in seinem Revisionsurteil korrigieren. Dies bedeutet aber nicht, daß der Senat die vom Beklagten beachtete Trennung von Anlagengenehmigung und Anlagenaufsicht rechtlich zu bemängeln hätte. Dazu besteht vielmehr auch im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen kein Anlaß.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.



Ende der Entscheidung

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