Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 21.07.2000
Aktenzeichen: BVerwG 11 BN 3.00
Rechtsgebiete: GG, AbfKlärV, NdsLwKG


Vorschriften:

GG Art. 2
GG Art. 9
GG Art. 12
GG Art. 14
GG Art. 83
GG Art. 84 Abs. 1
AbfKlärV § 3 Abs. 3 Satz 2
AbfKlärV § 7 Abs. 1
AbfKlärV § 7 Abs. 5
NdsLwKG § 2 Abs. 1
Leitsätze:

1. Der körperschaftlichen Selbstverwaltung (hier: Landwirtschaftskammer) steht keine verfassungsrechtliche Garantie zur Seite (im Anschluss an BVerwGE 51, 115 <119>). Sie genießt dementsprechend auch keinen Grundrechtsschutz.

2. Es liegt in der Organisationshoheit der Länder, ob sie ein Bundesgesetz nach Art. 83 GG im Rahmen der staatsunmittelbaren Verwaltung ausführen oder auf die Möglichkeit zurückgreifen, mit dem Gesetzesvollzug eine öffentlich-rechtliche Körperschaft zu betrauen.

Beschluss des 11. Senats vom 21. Juli 2000 - BVerwG 11 BN 3.00 -

I. OVG Lüneburg vom 10.02.2000 - Az.: OVG 3 K 432/98 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 11 BN 3.00 OVG 3 K 432/98

In der Normenkontrollsache

hat der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 21. Juli 2000 durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hien und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost und Vallendar

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 10. Februar 2000 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 48 000 DM festgesetzt.

Gründe:

Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Soweit die Beschwerde eine Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) des Normenkontrollurteils von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur körperschaftlichen Selbstverwaltung (BVerfGE 33, 125 <159>; 38, 281) geltend macht, genügt dieser Vortrag schon nicht den Anforderungen, die § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Bezeichnung eines solchen Zulassungsgrundes stellt. Die Beschwerde stützt diese Rüge nämlich darauf, dass dieser Rechtsprechung Rechtssätze zu entnehmen seien, die das Oberverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung nicht beachtet habe. In Wirklichkeit finden sich diese Rechtssätze in der zitierten Rechtsprechung jedoch nicht.

Nach Ansicht der Beschwerde ergibt sich insbesondere aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Mai 1972 - 1 BvR 518/62 u. 308/64 - (BVerfGE 33, 125), dass der "Selbstgesetzgebung" autonomer Körperschaften nicht so starke Fesseln angelegt werden dürfen, dass dann diesen Körperschaften nicht mehr genügend Spielraum zur Erfüllung ihrer Aufgaben verbleibt. Eine Aussage dieses Inhalts findet sich aber weder in diesem noch in dem anderen - von der Beschwerde zitierten - Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Dezember 1974 - 1 BvR 430/65 u. 259/66 - (BVerfGE 38, 281). In seinem Beschluss vom 9. Mai 1972 (a.a.O., S. 159) führt das Bundesverfassungsgericht zwar aus, die Prinzipien der Selbstverwaltung und der Autonomie würden nicht ernst genug genommen, wenn der Selbstgesetzgebung autonomer Körperschaften so starke Fesseln angelegt würden, dass ihr Grundgedanke, die in den gesellschaftlichen Gruppen lebendigen Kräfte in eigener Verantwortung zur Ordnung der sie besonders berührenden Angelegenheiten heranzuziehen und ihren Sachverstand für die Findung "richtigen" Rechts zu nutzen, nicht genügend Spielraum fände. Diese Aussage wird aber missverstanden, wenn man ihr mit der Beschwerde den Inhalt beilegt, dass der körperschaftlichen Selbstverwaltung - ähnlich wie nach Art. 28 Abs. 2 GG der kommunalen Selbstverwaltung - von Verfassungs wegen ein Kernbereich garantiert sei, in den der Staat nicht regelnd eindringen dürfe. Der körperschaftlichen Selbstverwaltung steht keine verfassungsrechtliche Garantie zur Seite (vgl. BVerwGE 51, 115 <119>). Sie beruht ausschließlich auf einfachrechtlichen Vorschriften und kann dementsprechend - in Abänderung dieser Vorschriften - eingeschränkt oder sogar entzogen werden (vgl. BVerfGE 58, 45 <66>).

Unklar ist, ob die Beschwerde im Rahmen ihrer Divergenzrüge geltend machen will, das Bundesverfassungsgericht habe in der von ihr zitierten Rechtsprechung (BVerfGE 33, 125; 38, 281) der körperschaftlichen Selbstverwaltung Grundrechtsschutz zuerkannt. Die Beschwerde betont in diesem Zusammenhang nämlich, "dass die Art. 2, 9, 12 und 14 GG die Selbstverwaltung im weiteren Sinne ebenfalls gewährleisten". Dies wäre ggf. ebenfalls ein Missverständnis. Soweit das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen Grundrechtsvorschriften heranzieht, geschieht dies nämlich ausschließlich zu dem Zweck, Grenzen der körperschaftlichen Selbstverwaltung aufzuzeigen.

Materielle Grundrechte stehen juristischen Personen des öffentlichen Rechts - von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen - ohnehin nicht zu (vgl. BVerfGE 21, 362 <369 f.>; stRspr).

2. Die für die Zulassung der Revision geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt der Rechtssache ebenso wenig zu.

Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Frage des revisiblen Rechts zu erwarten ist. Daran fehlt es hier, weil die von der Beschwerde beanstandeten Aussagen des Normenkontrollurteils ausschließlich dem irrevisiblen Landesrecht zuzuordnen sind und dementsprechend nicht vom Revisionsgericht nachgeprüft werden können (vgl. § 137 Abs. 1 VwGO). Daran ändert sich nichts, wenn die Beschwerde zur Begründung, warum sie die Auslegung und Anwendung des Landesrechts durch das Oberverwaltungsgericht angreift, bundesrechtliche Erwägungen anführt. Denn das Bundesrecht gibt für die Auffassung der Beschwerde offensichtlich nichts her.

Die Beschwerde macht geltend, der Antragsgegnerin sei durch die Klärschlammverordnung vom 15. April 1992 - BGBl I S. 912 - (AbfKlärV) - mithin durch revisibles Bundesrecht - die Zuständigkeit der landwirtschaftlichen Fachbehörde zugewiesen worden, die im Bereich dieser Verordnung unterstützend für die zuständige Abfallbehörde tätig werde. Es sei eine rechtsgrundsätzliche Frage, ob diese Tätigkeit dem Kreis der Selbstverwaltungsangelegenheiten mit der Folge zuzurechnen sei, dass sie insoweit durch Satzung für ihre Tätigkeit Gebühren erheben könne. Die gegenteilige Auffassung des Oberverwaltungsgerichts beruhe auf einer restriktiven Auslegung des § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Landwirtschaftskammern i.d.F. vom 10. Oktober 1986 - NdsGVBl S. 326 - (LwKG), die mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar sei, weil sie nicht berücksichtige, dass die körperschaftliche Selbstverwaltung von den Art. 2, 9, 12 und 14 GG geschützt sei. Von grundsätzlicher Bedeutung sei in diesem Zusammenhang die weitere Frage, ob sich die körperschaftliche Selbstverwaltung - entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts - in personeller Hinsicht auch auf Nichtmitglieder erstrecke. Ebenso sei klärungsbedürftig, ob es - neben der bundesrechtlichen Regelung in der Klärschlammverordnung - einer Regelung in einem Landesgesetz bedürfe, wenn Dritten gegenüber mit Kostenfolgen verbundene Amtshandlungen vorgenommen werden sollten.

Hiermit bezeichnet die Beschwerde keine Frage aus dem Bereich des Bundesrechts, die nicht bereits höchstrichterlich geklärt wäre oder die sich nicht unmittelbar aus den einschlägigen Vorschriften beantwortet. Was den von der Beschwerde postulierten Grundrechtsschutz angeht, ist bereits zuvor (oben 1.) dargelegt worden, dass die körperschaftliche Selbstverwaltung nur auf einfachrechtlichen Vorschriften beruht. Im Übrigen ist zu dem Beschwerdevorbringen Folgendes zu bemerken:

Das Abfallrecht, dem die Klärschlammverordnung zugehört, wird von den Ländern gemäß Art. 83 GG als eigene Angelegenheit vollzogen. In einem solchen Fall ist die Einrichtung der Behörden und die Regelung des Verwaltungsverfahrens nach Art. 84 Abs. 1 GG grundsätzlich Sache der Länder. Damit fällt im Übrigen die Regelung des Gebührenrechts als Bestandteil des Verwaltungsverfahrens ebenfalls in die Länderkompetenz (vgl. BVerfGE 26, 281 <298>; BVerwGE 109, 272 <278>). Die von der Beschwerde angesprochenen Regelungen der Klärschlammverordnung beinhalten keinen Eingriff in die so umschriebene Organisationshoheit der Länder. Ihnen ist dementsprechend auch nichts dafür zu entnehmen, dass das Land Niedersachsen durch Bundesrecht gehindert ist, eine Anordnung zu treffen, dass die Landwirtschaftskammern mit ihren Amtshandlungen im Rahmen der Anwendung der Klärschlammverordnung eine Aufgabe im übertragenen Wirkungskreis wahrnehmen und dafür dementsprechend selbst keine Gebühren erheben dürfen.

Es ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Oberverwaltungsgericht in Auslegung und Anwendung des Landesrechts zu dem Ergebnis gelangt, dass es an einem hinreichend bestimmten Gesetzesbefehl mangelt, der die Aufgaben, zu deren Erfüllung Amtshandlungen gegenüber Nichtmitgliedern notwendig sind, den Landwirtschaftskammern als Selbstverwaltungsaufgaben zuweist. Dieser Gesetzesbefehl ist auch in der Klärschlammverordnung nicht enthalten. Wenn diese bestimmt, dass Aufgaben von den zuständigen Abfallbehörden "in Abstimmung" oder "im Benehmen mit der landwirtschaftlichen Fachbehörde" (§ 3 Abs. 3 Satz 2, § 7 Abs. 5 AbfKlärV) wahrzunehmen sind, oder dass Anzeigen zusätzlich bei der "landwirtschaftlichen Fachbehörde" (§ 7 Abs. 1 AbfKlärV) zu erstatten sind, wird damit lediglich der dem Ressortprinzip folgenden Gliederung der Landesbehörden Rechnung getragen. Die Länder sind von Verfassungs wegen gehalten, ihre Verwaltung nach Art, Umfang und Leistungsvermögen entsprechend den Anforderungen sachgerechter Erledigung des sich aus der Bundesgesetzgebung ergebenden Aufgabenbestandes einzurichten (vgl. BVerfGE 55, 274 <318>). Wenn die effektive Durchführung eines Bundesgesetzes eine ressortübergreifende Behördenzuständigkeit erfordert, kann der Bundesgesetzgeber den Ländern aufgeben, die fachlich geeigneten Behörden heranzuziehen (vgl. BVerfGE 4, 7 <14>). Über die Frage, wie die Länder die damit angesprochenen Behörden organisieren, ist damit nichts ausgesagt. Es liegt vielmehr allein in der Organisationshoheit der Länder, ob sie das Bundesgesetz im Rahmen der staatsunmittelbaren Verwaltung ausführen oder auf die Möglichkeit zurückgreifen, mit dem Gesetzesvollzug eine öffentlich-rechtliche Körperschaft zu beauftragen (vgl. zur Heranziehung von Gemeinden BVerfGE 83, 363 <375>; BVerwG, Urteil vom 27. Juli 1995 - BVerwG 7 C 46.94 - Buchholz 112 § 28 VermG Nr. 3 S. 2). Auch wenn ein Land für einen Fachbereich die Zuständigkeit einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft begründet hat, enthält eine bundesrechtliche Zuständigkeitsregelung, wie sie hier getroffen worden ist, keine Vorgabe des Inhalts, dass die Aufgabe als Selbstverwaltungsangelegenheit zu gelten hat.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Ende der Entscheidung

Zurück