Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 14.08.2000
Aktenzeichen: BVerwG 11 VR 10.00
Rechtsgebiete: VwGO, VwVfG, LuftVG, BbgDSG


Vorschriften:

VwGO § 44 a
VwGO § 123
VwVfG § 24
VwVfG § 26
VwVfG § 73
LuftVG § 10
BbgDSG § 16
Leitsatz:

Es ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Anhörungsbehörde Einwendungen nach § 73 Abs. 4 VwVfG dem privaten Vorhabenträger gem. § 73 Abs. 6 VwVfG in nicht anonymisierter Form zur Stellungnahme überlässt.

Beschluss des 11. Senats vom 14. August 2000 - BVerwG 11 VR 10.00 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 11 VR 10.00

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 14. August 2000 durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost, Kipp und Prof. Dr. Rubel

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8 000 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens gegen die Weitergabe einer von ihm beim Antragsgegner erhobenen Einwendung an die Vorhabenträger.

Das Planfeststellungsverfahren betrifft den Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld, dessen Vorhabenträger die Flughafen Berlin-Schönefeld GmbH, die DB Netz AG und die DB Station und Service AG sind. Der Antragsteller ist Bürger der Gemeinde Blankenfelde, die nach den vom 15. Mai 2000 bis 15. Juni 2000 ausgelegten Planfeststellungsunterlagen im Bauschutzbereich nach § 12 LuftVG liegen soll. Er hat am 28. Juni 2000 gegen das Vorhaben beim Antragsgegner Einwendungen erhoben und zugleich der in der Bekanntgabe der Auslegung der Planunterlagen angekündigten Weitergabe seiner Einwendung durch den Antragsgegner an Dritte, insbesondere die Vorhabenträger, widersprochen, sofern diese nicht in anonymisierter Form geschieht.

Am selben Tag hat der Antragsteller um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht. In der trotz seines Widerspruchs zu erwartenden, vollendete Tatsachen schaffenden und unmittelbar bevorstehenden Weitergabe seiner Einwendung durch den Antragsgegner an die Vorhabenträger sieht er einen Verstoß gegen § 16 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) sowie § 16 Brandenburgisches Datenschutzgesetz (BbgDSG), wodurch sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt werde. Seine Einwendung enthalte in erheblichem Umfang personenbezogene Daten, insbesondere Angaben über eine Krankheit, zu deren Offenbarung er im Hinblick auf die Präklusionsvorschrift des § 10 Abs. 4 LuftVG gezwungen sei. Der Schutz dieser Daten sei nicht gewährleistet, weil die Vorhabenträger nicht denselben strengen Datenschutzanforderungen unterlägen wie die Anhörungsbehörde und die Beachtung des Datenschutzes nicht gewährleistet sei. Gesetzliche Gründe, die die Weitergabe dennoch rechtfertigen könnten, seien nicht gegeben. Insbesondere sei die Weitergabe der Einwendung an die Vorhabenträger zur Erfüllung der Aufgaben der Anhörungsbehörde nicht erforderlich. Es sei geboten, die Einwendung vor ihrer Weitergabe entsprechend § 12 Abs. 2 der 9. BImSchV zu anonymisieren.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

dem Antragsgegner bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache aufzugeben, es zu unterlassen, im Planfeststellungsverfahren zum Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld personenbezogene Daten des Antragstellers aus dessen Einwendungen an die Vorhabenträger weiter zu geben.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er hält die beabsichtigte Weitergabe der Einwendung an die Vorhabenträger, die gängige Verwaltungspraxis im Planfeststellungsverfahren nach den verschiedenen Fachplanungsgesetzen sei, gemäß § 16 Abs. 1 Buchst. a BbgDSG für rechtmäßig, weil sie zur rechtmäßigen Erfüllung der in ihrer Zuständigkeit liegenden Aufgabe als Anhörungsbehörde erforderlich sei. Ihre Aufgabenstellung ergebe sich aus § 73 Abs. 6 VwVfG i.V.m. § 10 Abs. 2 Nr. 4 LuftVG. Das dadurch bestehende Recht des Einwenders auf Erörterung sowie die entsprechende Verpflichtung der Anhörungsbehörde, auf eine substantielle und sachliche Erörterung des Streitgegenstandes hinzuwirken, setze voraus, dass der Vorhabenträger Einwendungen vollständig erhalte und hierzu Stellung nehmen könne. Ein Einwender, der dem Vorhabenträger Teile seiner Einwendung vorenthalten wolle, verhalte sich deswegen widersprüchlich. Eine Anonymisierung der Einwendungen sei gesetzlich nicht vorgesehen und auch nicht praktikabel.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 5 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 Verkehrsplanungsbeschleunigungsgesetz zu entscheiden hat, bleibt ohne Erfolg.

§ 44 a VwGO steht dem begehrten Rechtsschutz allerdings nicht entgegen. Die Vorschrift (zu ihrer Wirksamkeit vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1999 - BVerwG 11 A 21.98 - Buchholz 310 § 44 a VwGO Nr. 8) findet zwar auch Anwendung, wenn sich - wie hier - ein Einwendungsberechtigter im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens im Wege des § 123 VwGO gegen eine behördliche Verfahrenshandlung wendet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. März 1997 - BVerwG 11 VR 2.97 - Buchholz 310 § 44 a VwGO Nr. 7). Art. 19 Abs. 4 GG gebietet es jedoch, den Antrag in verfassungskonformer Auslegung von § 44 a Satz 2 VwGO als statthaft anzusehen, weil der Rechtsschutz gegen den Planfeststellungsbeschluss, auf den der Antragsteller sonst verwiesen wäre, nicht ausreichend wäre, um die geltend gemachte Verletzung gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, die sich bereits in der Weitergabe der Einwendung an die Vorhabenträger realisieren würde, effektiv abzuwehren (vgl. BVerwG a.a.O.).

Die Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 VwGO für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen jedoch nicht vor. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.

Es erscheint dem Senat bereits zweifelhaft, ob § 16 des dem Bundesdatenschutzgesetz gemäß dessen § 1 Abs. 2 Nr. 2 vorgehenden Brandenburgischen Datenschutzgesetzes, auf die der Antragsteller seinen Anordnungsanspruch stützt, auf die hier in Rede stehende Weitergabe von in einem Anhörungsverfahren erhobenen Einwendungen an den Vorhabenträger überhaupt Anwendung finden kann. § 2 Abs. 3 BbgDSG räumt diesem Gesetz gegenüber dem Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Brandenburg Vorrang nur insoweit ein, als es um die "Ermittlung des Sachverhalts" geht, und betrifft somit die weitreichenden Befugnisse der Behörde nach §§ 24 und 26 jenes Gesetzes, die durch § 12 BbgDSG im Sinne eines grundsätzlichen Vorrangs der Datenerhebung beim Betroffenen beschränkt werden sollen (vgl. zum gleich gelagerten Verhältnis von Bundesdatenschutzgesetz und Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes Gola/Schomerus, Bundesdatenschutzgesetz, § 1 Anm. 8). Darum geht es hier jedoch nicht. Bei der Einwendung, die der Antragsgegner an die Vorhabenträger weiterzugeben beabsichtigt, handelt es sich gerade um Daten, die der Antragsteller selbst in das Anhörungsverfahren mit dem Ziel eingebracht hat, dass sie bei der Entscheidung über den Planfeststellungsantrag der Vorhabenträger berücksichtigt werden. Diesem Ziel dient die Weitergabe der Einwendung an die Vorhabenträger, weil hierdurch der Informationsaustausch unter den Beteiligten des Planfeststellungsverfahrens sichergestellt wird. Zu den Beteiligten des Planfeststellungsverfahrens gehören sowohl die Vorhabenträger als Antragsteller als auch - aufgrund der speziellen Beteiligungsregelungen des § 73 Abs. 4 und 6 VwVfG (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 21. März 1997 - a.a.O.) - der Einwender. Der Informationsaustausch dient nicht nur der Vorbereitung des Erörterungstermins, in dem sich der Einwender ebenso wie in einem etwa nachfolgenden gerichtlichen Verfahren ohnehin mit seinen persönlichen Daten zu erkennen geben muss, und ist insoweit von § 73 Abs. 6 VwVfG gedeckt. Er erfüllt zugleich den verfassungsrechtlichen Anspruch der Vorhabenträger und Antragsteller des Planfeststellungsverfahrens auf rechtliches Gehör und faires Verfahren. Es ist nicht erkennbar, dass das Brandenburgische Datenschutzgesetz diesen verfahrensinternen Informationsaustausch, der mit der Weitergabe von Schriftsätzen durch das Gericht an die übrigen Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens verglichen werden kann, hat regeln oder beschränken wollen.

Diese Frage bedarf aber - insbesondere im Rahmen eines Eilverfahrens - keiner abschließenden Entscheidung. Selbst wenn die Anwendbarkeit von § 16 BbgDSG zu bejahen wäre, könnte sich hieraus ein Anordnungsanspruch des Antragstellers nicht ergeben; denn die nicht anonymisierte Übermittlung der Einwendung an die Vorhabenträger wäre gemäß § 16 Abs. 1 Buchst. a BbgDSG zulässig. Insbesondere wäre die Übermittlung zur rechtmäßigen Erfüllung der dargelegten, in der Zuständigkeit des Antragsgegners liegenden Aufgaben "erforderlich". Ohne Erfolg macht der Antragsteller insoweit geltend, es fehle an der Erforderlichkeit, weil eine Weitergabe seiner Einwendung in anomysierter Form möglich und ausreichend sei. Eine derartige Anonymisierung kann der Antragsteller nicht beanspruchen, weil sie der Funktion des Anhörungsverfahrens zuwiderliefe. Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier wegen § 10 Abs. 2 Nr. 4 LuftVG i.V.m. § 73 Abs. 4 VwVfG - nur derjenige Einwendungen erheben kann, dessen Belange durch das Vorhaben berührt werden. Daraus ergibt sich, dass die Einwendungen nicht von der konkreten Person des Einwenders und mithin von seinen personenbezogenen Daten gelöst werden können (vgl. auch Feldhaus/Vallendar, BImSchR, 9. BImSchV § 12, Anm. 4). Im Interesse einer sachgerechten Stellungnahme zu den Einwendungen gemäß § 73 Abs. 6 VwVfG, aber auch zur unbeeinträchtigten Rechtsverfolgung kann der Vorhabenträger deswegen beanspruchen, die Einwendungen nicht anonymisiert zu erhalten.

Aus der Vorschrift des § 12 Abs. 2 der 9. BImSchV, auf die der Antragsteller seine gegenteilige Auffassung stützen will, folgt nichts anderes. Danach sollen auf Verlangen des Einwenders dessen Namen und Anschrift vor der Bekanntgabe unkenntlich gemacht werden, wenn diese zur ordnungsgemäßen Durchführung des Genehmigungsverfahrens nicht erforderlich sind. Diese Vorschrift ist - wie auch der Antragsteller nicht in Frage stellt - im vorliegenden Zusammenhang nicht unmittelbar anwendbar. Mit ihr wollte der Normgeber ersichtlich für den Bereich des Immissionsschutzgesetzes eine besondere Rechtslage schaffen. Eine analoge Anwendung des § 12 Abs. 2 der 9. BImSchV kommt im vorliegenden Zusammenhang schon deswegen nicht in Betracht, weil das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren nach § 10 BImSchG, das die 9. BImSchV regelt, die Erhebung von Einwendungen nicht davon abhängig macht, dass Belange des Einwenders durch das Vorhaben berührt werden; damit unterscheidet es sich in einem entscheidenden Gesichtspunkt von dem hier maßgeblichen Anhörungsverfahren nach dem VwVfG. Wie sich aus der amtlichen Begründung ergibt, ist gerade dieser Gesichtspunkt für die Fassung von § 12 Abs. 2 der 9. BImSchV maßgeblich gewesen, denn dem Verlangen des Einwenders nach Anonymisierung soll grundsätzlich nur entsprochen werden, wenn die personenbezogenen Angaben nicht den Inhalt der Einwendung kennzeichnen (BRDrucks 494/91 S. 72).

Auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (grundlegend BVerfGE 65, 1) gebietet keine abweichende Beurteilung. Das Interesse eines Einwenders am Schutz seiner personenbezogenen Daten wird auch bei nicht anonymisierter Weitergabe seiner Einwendung an einen privaten Vorhabenträger hinreichend gewahrt. Die Preisgabe personenbezogener Daten innerhalb eines Verwaltungsverfahrens mit abgegrenztem Beteiligtenkreis zum Zwecke der Interessen- bzw. Rechtswahrung ist mit der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beanstandeten Veröffentlichung personenbezogener Daten in einem Planfeststellungsbeschluss (vgl. BVerfG NVwZ 1990, 1162) nicht zu vergleichen. Die Zweckbindung einer solchen Preisgabe wird durch Übermittlung an die Vorhabenträger - wie dargelegt - gewahrt; eine unkontrollierbare und deswegen unzulässige Datenübermittlung "auf Vorrat" (vgl. dazu BVerfGE 65, 1 <46>) findet nicht statt. Der Einwender kann sich bei der Formulierung seiner Einwendung auf die vorhersehbare und bestimmbare Verwendung seiner Daten innerhalb des Anhörungsverfahrens einstellen. Gegen missbräuchliche Verwendung seiner Daten durch die privaten Vorhabenträger stehen ihm zivilrechtliche Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche zu. Die vom Antragsgegner dargelegte, verbreitete behördliche Praxis, Vorhabenträgern die Einwendungen in Kopie und nicht anonymisiert zur Stellungnahme zu übersenden, ist deswegen jedenfalls bei auf Betroffeneneinwendungen beschränkten Anhörungsverfahren grundsätzlich nicht zu beanstanden.

Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn ein Einwender im Einzelfall darlegen kann, dass ihm durch die Weitergabe seiner nicht anonymisierten Einwendung besondere und unzumutbare und mithin von der Funktion des Anhörungsverfahrens nicht mehr gedeckte Nachteile entstehen, die es gebieten, das Verfahrens- und Rechtsverfolgungsinteresse der Vorhabenträger ausnahmsweise hinter dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung zurücktreten zu lassen. Solche Umstände macht der Antragsteller jedoch nicht geltend. Sein Vortrag lässt weder in Bezug auf die Vorhabenträger noch im Hinblick auf den Inhalt seiner Einwendung eine besondere Schutzbedürftigkeit erkennen. Anhaltspunkte dafür, dass die Vorhabenträger die in der Einwendung des Antragstellers enthaltenen personenbezogenen Daten außerhalb ihrer durch das Anhörungsverfahren bestimmten Zweckbindung verwerten werden, nennt der Antragsteller nicht. Ebenso wenig macht er geltend, dass allein schon die Kenntnisnahme der nicht anonymisierten Einwendung durch die Vorhabenträger ihn der konkreten Gefahr von Nachteilen aussetzt. Solche Gefahren sind angesichts der in der Einwendung nur allgemein und ohne jede Detailangabe umschriebenen Krankheit des Antragstellers und mangels besonderer, etwa beruflicher Beziehungen zwischen dem Antragsteller und den Vorhabenträgern, für die dieses Wissen von Bedeutung sein könnte, auch nicht erkennbar. Der bloße Hinweis auf den gegenüber der Anhörungsbehörde erhobenen Widerspruch gegen die Weitergabe der Einwendung sowie darauf, dass die Einwendung Daten enthält, die in bestimmten - hier gerade nicht einschlägigen - Zusammenhängen einem besonderen Offenbarungsschutz unterliegen (vgl. § 203 StGB) reichen für sich allein jedenfalls nicht aus, um den geltend gemachten Anordnungsanspruch zu begründen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 20 Abs. 3 GKG, wobei der Senat im Hinblick darauf, dass der beantragte Rechtsschutz der Sache nach auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist, den vollen (Hauptsache-)Streitwert zugrunde legt.



Ende der Entscheidung

Zurück