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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 31.10.2000
Aktenzeichen: BVerwG 11 VR 12.00
Rechtsgebiete: AEG, BauGB


Vorschriften:

AEG § 18 Abs. 1 Satz 2
AEG § 18 Abs. 2
AEG § 20 Abs. 7 Satz 1
BauGB § 36 Abs. 1 Satz 2
BauGB § 38 Satz 1
Leitsätze:

Der aus dem Selbstverwaltungsrecht einer Gemeinde folgende Anspruch darauf, dass ein Träger überörtlicher Fachplanung bei der Betätigung seines Planungsermessens das Interesse der Gemeinde an der Gestaltung ihres Ortsbildes nicht unberücksichtigt lässt, wird von dem sich aus § 18 Abs. 1 Satz 2 AEG auch für die Plangenehmigung ergebenden Anspruch der Gemeinde auf gerechte Abwägung ihrer Belange mit entgegenstehenden anderen Belangen uneingeschränkt umfasst.

Der Bau von Betriebsanlagen der Eisenbahn hat in der Regel überörtliche Bedeutung im Sinne des § 38 Satz 1 BauGB i.d.F. des Bau- und Raumordnungsgesetzes vom 18. August 1997 (BGBl I S. 2081).


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 11 VR 12.00

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 31. Oktober 2000 durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost, Kipp und Prof. Dr. Rubel

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Plangenehmigung der Antragsgegnerin vom 25. Juli 2000 wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 50 000 DM festgesetzt.

Gründe:

A.

Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage gegen die Plangenehmigung des Eisenbahn-Bundesamtes vom 25. Juli 2000 für den Bau einer Funksystem-Basisstation in ihrem Gemeindegebiet. Mit ihrer Klage macht sie geltend, sie sei im Verwaltungsverfahren nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Jedenfalls sei die Plangenehmigung abwägungsfehlerhaft, da ihre Einwendungen verkannt, ihre Bedenken unzutreffend gewürdigt und die Sachverhaltsermittlungen unzureichend durchgeführt worden seien.

B.

Der Antrag ist zulässig, jedoch unbegründet. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Plangenehmigung, das Grundlage des im § 5 Abs. 2 Satz 1 VerkPBG geregelten Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage ist, überwiegt das Interesse der Antragstellerin an der Beibehaltung des bisherigen Zustandes bis zur endgültigen Entscheidung über ihre Klage.

1. Bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt sich, dass die Erfolgsaussichten der Klage nur gering sein dürften.

a) Dass die angefochtene Plangenehmigung an einem Verfahrensfehler leidet, der ihre Aufhebung auf die Klage der Antragstellerin hin rechtfertigen könnte, ist nach dem derzeitigen Erkenntnisstand unwahrscheinlich. Dadurch, dass die Genehmigung statt der Deutschen Bahn AG, in deren Namen die Beigeladene den Genehmigungsantrag gestellt hatte, der Beigeladenen selbst erteilt wurde, ist die Antragstellerin nicht beschwert. Ein Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren gemäß § 73 Abs. 3 und 6 VwVfG i.V.m. § 20 Abs. 1 AEG war im Plangenehmigungsverfahren nicht durchzuführen.

Der Wahl des Plangenehmigungsverfahrens stand § 18 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AEG nicht entgegen. Denn Rechte der Antragstellerin im Sinne dieser Vorschrift werden durch das Vorhaben nicht beeinträchtigt. Mit einer Rechtsbeeinträchtigung, die nur im Einverständnis des Betroffenen das Absehen von einem Planfeststellungsverfahren zulässt, ist nämlich der direkte Zugriff auf fremde Rechte gemeint, nicht aber die bei jeder raumbeanspruchenden Planung gebotene wertende Einbeziehung der Belange Dritter in die Abwägungsentscheidung (BVerwG, Beschluss vom 29. Dezember 1994 - BVerwG 7 VR 12.94 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 3). Der aus dem Selbstverwaltungsrecht der Antragstellerin folgende Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin bei der Betätigung ihres Planungsermessens das Interesse der Antragstellerin an der Gestaltung ihres Ortsbildes nicht unberücksichtigt lässt (vgl. BVerwGE 77, 134 <138>; 97, 203 <212>), setzt der Fachplanung keine mit einer Abwägung nicht überwindbare Grenze, deren Einhaltung bei der Plangenehmigung durch die Erteilungsvoraussetzung des § 18 Abs. 2 Satz 1 AEG sichergestellt werden müsste (vgl. BVerwGE 102, 74 <76>), sondern wird von dem sich aus § 18 Abs. 1 Satz 2 AEG auch für die Plangenehmigung ergebenden Anspruch der Antragstellerin auf gerechte Abwägung ihrer Belange mit entgegenstehenden anderen Belangen uneingeschränkt umfasst.

Das in § 18 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AEG vorgeschriebene Benehmen mit der Antragstellerin, das im Gegensatz zum Einvernehmen keine Willensübereinstimmung erfordert (vgl. BVerwGE 92, 258 <262> zu § 9 BNatSchG), wurde hergestellt. Das Einvernehmen der Antragstellerin wäre gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 BauGB nur erforderlich gewesen, wenn die Anwendung dieser Vorschrift nicht durch § 38 Satz 1 BauGB ausgeschlossen war. Dies ist der Fall, wenn das Plangenehmigungsverfahren, das gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 AEG bei Erteilung der Plangenehmigung die Rechtswirkungen der Planfeststellung auslöst, ein Vorhaben von überörtlicher Bedeutung betraf. Überwiegendes spricht dafür, dass das hier in Rede stehende Vorhaben nicht des Einvernehmens der Gemeinde bedarf, weil es überörtliche Bedeutung hat. Hierzu hat der Senat in seinem eine vergleichbare Plangenehmigung betreffenden Beschluss vom 31. Juli 2000 - BVerwG 11 VR 5.00 - folgendes ausgeführt:

"Nach der bis Ende 1997 geltenden Fassung des § 38 BauGB wäre das nach bundesrechtlichem Fachplanungsrecht genehmigte Vorhaben gemäß Satz 1 der Bestimmung generell aus dem Anwendungsbereich der §§ 29 bis 37 BauGB ausgenommen gewesen. Zu dem - hier nicht einschlägigen - damaligen Satz 2 des § 38 BauGB, wonach u.a. bei Planfeststellungsverfahren 'für überörtliche Planungen' auf den Gebieten des Verkehrs-, Wege- und Wasserrechts nach landesrechtlichen Vorschriften die §§ 29 ff. BauGB keine Anwendung fanden, hatte das Bundesverwaltungsgericht zunächst darauf abgestellt, ob der überörtliche Träger der Planungshoheit nach den für ihn maßgeblichen Planungsgesetzen die Aufgabe und die Befugnis habe, Planungen von überörtlicher Bedeutung mit Verbindlichkeit auch für die Ortsplanung zu erlassen; sei dies zu bejahen, dann handele es sich bei seinen Planfeststellungsbeschlüssen um eine überörtliche Planung auch dann, wenn sie im konkreten Fall über das Gebiet einer Gemeinde nicht hinausreiche (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. April 1981 - BVerwG 4 C 11.79 - Buchholz 406.11 § 38 BauGB Nr. 1 S. 4 f.). Hiervon abweichend stellte das Gericht später darauf ab, ob die in Rede stehende Planung die städtebauliche Steuerungsfunktion der Gemeinde angesichts 'überörtlicher' und damit raumbedeutsamer Bezüge voraussichtlich überfordere; das sei jedenfalls regelmäßig dann anzunehmen, wenn das Vorhaben das Gebiet von zumindest zwei Gemeinden tatsächlich berühre (vgl. BVerwGE 79, 318 <320 f.>).

Zu der Neufassung des § 38 BauGB durch das Bau- und Raumordnungsgesetz vom 18. August 1997 (BGBl I S. 2081), wonach nicht mehr zwischen bundesrechtlich und landesrechtlich geregelten Planungsverfahren unterschieden wird und wonach es nicht mehr auf die Überörtlichkeit der Planung, sondern auf die überörtliche Bedeutung des Vorhabens ankommt, liegt Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht vor. Der veränderte Wortlaut spricht allerdings dafür, nicht mehr auf die voraussichtliche planerische Kraft der im Einzelfall betroffenen Gemeinde abzustellen, sondern überörtliche Bezüge eines Vorhabens für die Zuerkennung des in § 38 BauGB zum Ausdruck gebrachten grundsätzlichen Vorrangs der Fachplanung gegenüber der Planungshoheit der Gemeinde generell ausreichen zu lassen. Solche überörtlichen Bezüge sind bei dem Bau von Betriebsanlagen der Eisenbahn in der Regel gegeben. Diese Auslegung entspräche auch der Entstehungsgeschichte des Bau- und Raumordnungsgesetzes, die nicht erkennen lässt, dass der Gesetzgeber den bis dahin geltenden Ausschluss der Notwendigkeit des Einvernehmens der Gemeinde bei nach § 18 AEG planfeststellungs- bzw. plangenehmigungsbedürftigen Vorhaben bewusst ändern wollte (vgl. BT-Drucks 13/6392, S. 60 f.). Auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wird für die Abgrenzung zwischen örtlicher und überörtlicher Fachplanung nach der Neufassung des § 38 BauGB eine typisierende Betrachtungsweise bevorzugt, wonach die durch ein Fachplanungsgesetz begründete nicht-gemeindliche, überörtliche Planungszuständigkeit die überörtliche Bedeutung des Vorhabens indiziert (vgl. Gaentzsch NVwZ 1998, S. 889 <896>; Schmaltz in: Schrödter, BauGB, 6. Auflage 1998, § 38 Rn. 7; Dippel NVwZ 1999, S. 921 <926>; Runkel in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Februar 2000, § 38 Rn. 33).

Das hier genehmigte Vorhaben weist durch seine Einbettung in ein überregionales Eisenbahn-Funknetz, das die Errichtung von Basisstationen nach technisch in bestimmter Weise vorgegebenen, auch die räumliche Zuordnung zueinander und zu den Gleisen betreffenden Kriterien erfordert, überörtliche Bezüge auf, die es zumindest nahe legen, ihm überörtliche Bedeutung beizumessen. Darauf, dass die Ausführung des konkret genehmigten Vorhabens sich auf das Gebiet der Antragstellerin beschränkt, kann es dagegen sinnvollerweise nicht ankommen."

All dies gilt uneingeschränkt auch für das vorliegende Verfahren.

b) Eine Verletzung des materiellen Rechts, die einen Anspruch der Antragstellerin auf Aufhebung der angefochtenen Plangenehmigung begründen könnte, lässt sich dem Antragsvorbringen nicht entnehmen. Dieses weist insbesondere nicht auf Mängel bei der durch § 18 Abs. 1 Satz 2 AEG gebotenen Abwägung hin, die gemäß § 20 Abs. 7 Satz 1 AEG erheblich - also offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen - sind und nicht durch schlichte Planergänzung behoben werden können.

Im Rahmen ihrer Beteiligung am Verwaltungsverfahren hatte die Antragstellerin insoweit nur vorgetragen, ihre Gemeindevertretung habe dem Vorhaben nicht zugestimmt, weil sie Bedenken habe, dass sich der geplante Funkmast am vorgesehenen Standort in der Dorfmitte auf das Gesamtbild des Dorfes negativ auswirke; sie hatte deshalb darum gebeten, die Möglichkeit seiner Verlegung an die Ortsgrenze zu prüfen. In der Plangenehmigung wurde hierzu im Wesentlichen folgendes ausgeführt:

Für die Ermittlung der Standorte sei relevant, dass sich die einzelnen Abschnitte des Funknetzes entlang der Eisenbahnstrecke in kleinen Bereichen überlappen müssten. Die Antennen müssten in Richtung des Streckenverlaufes ausgerichtet sein, um die entsprechenden Feldstärken zu erreichen und die Strecke lückenlos mit dem Funknetz abzudecken. Die Anlagen müssten bei Betriebsstörungen jederzeit erreichbar sein. Die Basisstation müsse an Festnetz und Streckenkabel der Bahn angebunden werden. Nach Möglichkeit solle bahneigener Grund und Boden genutzt werden, um Betroffenheiten anderer Eigentümer auszuschließen und Eingriffe in Natur und Landschaft weitgehend zu vermeiden. Der vorgesehene Maststandort entspreche diesen Anforderungen. Er befinde sich auf einer dem Eisenbahnbetrieb gewidmeten Fläche an der Randlage der Dorfmitte der Antragstellerin. Eine Beeinträchtigung des Landschafts- oder Dorfbildes werde zwar anerkannt, der geplante Standort in Abwägung der Vor- und Nachteile aber dennoch bestätigt. Der von der Antragstellerin vorgelegte Gemeinderatsbeschluss enthalte im Gegensatz zum Vortrag der Antragstellerin eine Zustimmung zu dem Vorhaben.

Hierzu hat die Antragstellerin im gerichtlichen Verfahren zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass ihre Gemeindevertretung tatsächlich die Zustimmung zu dem Vorhaben abgelehnt hatte und die Antragsgegnerin insoweit von einem unzutreffenden Sachverhalt ausging. In der Sache selbst hat sie jedoch nur pauschal behauptet, die Antragsgegnerin habe deshalb die nähere Prüfung der Erarbeitung von Alternativstandorten unterlassen und die verbal anerkannte Beeinträchtigung des Dorfbildes tatsächlich nicht in die Abwägung eingestellt. Außerdem habe die Antragsgegnerin irrtümlich angenommen, dass der geplante Standort nicht im Dorfmittelpunkt liege, und nicht berücksichtigt, dass außer dem Dorfbild auch das Erscheinungsbild des unter Denkmalschutz stehenden Bahnhofsgebäudes beeinträchtigt werde.

Insoweit weist die Antragsgegnerin zu Recht darauf hin, dass sie die Beigeladene im Hinblick auf die nachvollziehbaren Einwände der Antragstellerin vergeblich nach Alternativstandorten suchen ließ, dass sie davon ausgegangen sei, dass der geplante Standort zur Ortsmitte gehöre, und dass die zuständige Denkmalschutzbehörde trotz ausdrücklicher Erwähnung des denkmalgeschützten Bahnhofs keine Bedenken gegen das Vorhaben geäußert hatte. Ein offensichtlicher Abwägungsmangel, der auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen ist, lässt sich unter diesen Umständen nicht feststellen, zumal auch die Antragstellerin selbst keine Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer geeigneten Alternativlösung vorträgt. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass die von der Antragstellerin geltend gemachten städtebaulichen Belange nicht angemessen berücksichtigt wurden oder dass ohne den Irrtum über den Tenor des Gemeindevertretungsbeschlusses die konkrete Möglichkeit eines anderen Abwägungsergebnisses bestanden hätte. Dass die Antragsgegnerin sich in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen Belanges entschieden hat, stellt als solches keinen Abwägungsmangel dar (vgl. BVerwGE 48, 56 <64>; stRspr).

2. Unter diesen Umständen besteht kein hinreichender Anlass dafür, von der gesetzlich vorgesehenen Regel der sofortigen Vollziehbarkeit der Plangenehmigung hier abzuweichen. Die Befürchtung der Antragstellerin, dass der Baubeginn vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens Einfluss auf dessen Ausgang haben könnte, entbehrt jeder Grundlage.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 20 Abs. 3 GKG (vgl. Nrn. I.7, II.33.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit <NVwZ 1996, S. 563 ff.>).

Ende der Entscheidung

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