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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 29.07.2009
Aktenzeichen: BVerwG 2 B 15.09
Rechtsgebiete: BDG
Vorschriften:
BDG § 77 Abs. 1 Satz 1 |
Dem Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens ist regelmäßig materiellrechtlich dadurch Rechnung zu tragen, dass im letzten von mehreren aufeinanderfolgenden Disziplinarverfahren bei der Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme eine einheitliche Würdigung des gesamten Dienstvergehens erfolgt.
In der Verwaltungsstreitsache
...
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Juli 2009
durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister
beschlossen:
Tenor:
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Oktober 2008 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe:
Mit dem angegriffenen Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist der Beklagte aufgrund einer Disziplinarklage vom Oktober 2006 in das Amt eines Zollobersekretärs zurückgestuft worden, weil er seinen Dienst von Februar 2004 bis März 2005 oftmals verspätet oder gar nicht angetreten hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
Zuvor war mit Disziplinarverfügung vom März 2003 gegen den Beklagten für die Dauer von drei Jahren eine Gehaltskürzung festgesetzt worden, weil er von Februar bis Juli 2002 den Dienst oftmals verspätet angetreten hatte. Die von ihm dagegen erhobene Anfechtungsklage hatte das Verwaltungsgericht im Januar 2005 abgewiesen, der Antrag auf Zulassung der Berufung war im September 2005 abgelehnt worden.
Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde hat mit der Maßgabe Erfolg, dass der Rechtsstreit gemäß § 69 BDG in Verbindung mit § 133 Abs. 6 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen ist.
1.
a)
Ohne Erfolg macht der Beklagte allerdings geltend, die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, § 69 BDG in Verbindung mit § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Er begründet die Rechtsgrundsätzlichkeit der Sache damit, dass das Revisionsverfahren Gelegenheit gebe "über das Verhältnis von § 61 Abs. 2 BDG und einer neuen Disziplinarklage zu entscheiden". Bereits mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts aus dem Jahre 2005 sei über die Vorwürfe entschieden worden, die Gegenstand der Disziplinarklage gewesen seien. In beiden Fällen sei es um Kernzeitverletzungen - wenn auch während unterschiedlicher Zeiträume - gegangen. Der Vorwurf verspäteten Dienstantritts im Zeitraum Februar bis Dezember 2004 hätte in das gegen die Disziplinarverfügung gerichtete Klageverfahren einbezogen werden müssen. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Dezember 1991 - BVerwG 1 D 26.91 - (ZBR 1992 <281>) sei die isolierte Bewertung einzelner dienstrechtlicher Verfehlungen nur dann zulässig, wenn sie in keinem inneren oder äußeren Zusammenhang miteinander stünden und eine gewisse Selbstständigkeit aufwiesen. Gegen den Beklagten seien somit wegen des gleichen Dienstvergehens zwei Disziplinarmaßnahmen verhängt worden, obwohl die Klägerin nach § 61 Abs. 2 BDG hätte vorgehen müssen. Die nach § 61 Abs. 2 Satz 2 BDG bestehenden Fristen seien auch nicht gewahrt worden.
Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Sie zielt sinngemäß darauf, ob die Vorwürfe, die dem angegriffenen Urteil zugrunde liegen, mit Blick auf den Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens in das vorangegangene Disziplinarverfahren hätten einbezogen werden müssen; demgegenüber ist § 61 Abs. 2 BDG hier offensichtlich nicht einschlägig. Die Frage lässt sich anhand des Gesetzes und der dazu ergangenen Rechtsprechung beantworten, ohne dass es hierzu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Im Einzelnen (s. dazu Urteil vom 14. Februar 2007 - BVerwG 1 D 12.05 - BVerwGE 128, 125 <130 ff.> = Buchholz 232 § 77 BBG Nr. 26):
Der Einheitsgrundsatz, der unmittelbar aus § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG abgeleitet wird (vgl. Urteil vom 19. Juni 1969 - BVerwG 2 D 8.69 - BVerwGE 33, 314 <315>), ist zunächst materiellrechtlicher Natur. Hieraus ist in der Rechtsprechung des Disziplinarsenats des Bundesverwaltungsgerichts die verfahrensrechtliche Konsequenz gezogen worden, dass über alle entscheidungsreifen Pflichtverletzungen gleichzeitig, d.h. durch eine einheitliche Disziplinarmaßnahme, zu entscheiden ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unter Geltung der Bundesdisziplinarordnung (vgl. etwa Beschluss vom 11. Februar 2000 - BVerwG 1 DB 20.99 - BVerwGE 111, 54 <56 f.> = Buchholz 232 § 77 BBG Nr. 9) gebot es der Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens daher nicht nur, das durch mehrere Verfehlungen zutage getretene Fehlverhalten eines Beamten einheitlich zu würdigen. Vielmehr schloss die Notwendigkeit der einheitlichen Betrachtung aller einem Beamten zur Last gelegten Pflichtverletzungen es grundsätzlich aus, für jede einzelne Verfehlung gesondert eine Disziplinarmaßnahme zu bestimmen. Danach war es in der Regel nicht zulässig, mehrere Verfehlungen in verschiedenen Verfahren zu ahnden (vgl. zusammenfassend: Urteil vom 14. Februar 2007 a.a.O. S. 129 f.)
In der Rechtsprechung des Disziplinarsenats ist geklärt, dass nach Inkrafttreten des Bundesdisziplinargesetzes an diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht mehr unverändert festzuhalten ist (Urteil vom 14. Februar 2007 a.a.O. S. 130 f.). Der Bundesgesetzgeber hat nunmehr die verfahrensrechtlichen Notwendigkeiten und Voraussetzungen der grundsätzlich einheitlichen Würdigung einer Mehrzahl von Pflichtverletzungen durch die Aufnahme von Ausnahmetatbeständen in § 19 Abs. 2, §§ 53, 56 BDG kodifiziert und damit die in der Rechtsprechung entwickelten Verfahrensgrundsätze ausdrücklich im Sinne einer weiteren Einschränkung des Einheitsgrundsatzes modifiziert (vgl. zu § 53 BDG: BTDrucks 14/4659, S. 48). Der Einheitsgrundsatz ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht insbesondere den verschiedenen, in § 53 BDG vorgesehenen Verfahrensweisen anzupassen. Danach hat der Dienstherr dem Gericht zwar die konkreten Anhaltspunkte mitzuteilen, die den Verdacht eines (weiteren) Dienstvergehens rechtfertigen (§ 53 Abs. 2 Satz 1 BDG), jedoch nur, wenn er dies "für angezeigt" hält. Das bedeutet ein erweitertes Ermessen des Dienstherrn. Das Gericht hat sodann - freilich nicht ausnahmslos - das Verfahren auszusetzen und eine Frist zu bestimmen, bis zu der die Nachtragsdisziplinarklage erhoben werden "kann" (§ 53 Abs. 2 Satz 2 BDG). Von einer Aussetzung (und Fristbestimmung) kann das Gericht durch Beschluss absehen, "wenn die neuen Handlungen für die Art und Höhe der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme voraussichtlich nicht ins Gewicht fallen oder ihre Einbeziehung das Disziplinarverfahren erheblich verzögern würde" (§ 53 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 BDG). Bis zur Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung etc. kann zwar weiterhin auch im anhängigen fortgesetzten Verfahren immer noch eine Nachtragsdisziplinarklage erhoben werden (§ 53 Abs. 3 Satz 2 BDG). Ausdrücklich bestimmt jedoch § 53 Abs. 3 Satz 3 BDG, dass die neuen Handlungen auch - falls es nicht zu einer Nachtragsdisziplinarklage kommt - Gegenstand eines neuen Disziplinarverfahrens sein können.
Aus dieser Gesetzeslage folgt, dass dem Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens nicht mehr vorwiegend oder gar ausschließlich durch bestimmte Verfahrensweisen Rechnung zu tragen ist. Ihm ist vielmehr materiellrechtlich in der Form Geltung zu verschaffen, dass bei der Entscheidung im letzten von mehreren aufeinanderfolgenden Verfahren bei der Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme eine einheitliche Würdigung des gesamten Dienstvergehens vorauszugehen hat (Urteil vom 14. Februar 2007 a.a.O. S. 132). Diesem Grundsatz hat der Verwaltungsgerichtshof Rechnung getragen.
b)
Der Beklagte misst der Sache außerdem eine rechtsgrundsätzliche Bedeutung zu, weil in einem Revisionsverfahren die Frage geklärt werden könne, inwieweit Mobbing als Milderungsgrund, insbesondere als nicht behebbares Verfahrenshindernis, anzuerkennen sei, das zur Einstellung eines Disziplinarverfahrens führen müsse. Auch diese Frage bedarf keiner rechtsgrundsätzlichen Klärung. Dass Beeinträchtigungen der Persönlichkeit durch Mobbing zu den subjektiven Beweggründen zählen können, die im Rahmen des § 13 BDG zugunsten des Beamten zu berücksichtigen sind, liegt auf der Hand (zu § 13 BDG allgemein: Urteil vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <258 ff.> = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1).
2.
Der Beklagte meint schließlich, die Zulassung wegen Divergenz sei geboten, weil das angegriffene Urteil von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Februar 2005 - BVerwG 1 D 13.04 - (BVerwGE 123, 75 ff. = Buchholz 235.1 § 85 BDG Nr. 8) abweiche und auf der Abweichung beruhe. Das Bundesverwaltungsgericht fordere eine individuelle Prüfung auch anderer als anerkannter Milderungsgründe. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe insbesondere nicht berücksichtigt, dass der Beklagte - wie im Beschwerdeverfahren ausführlich dargelegt wird - von seinem Dienstherrn und dessen Mitarbeitern nachhaltig gemobbt worden sei. Den entsprechenden Vortrag habe das Gericht übergangen und nicht zur Kenntnis genommen. Hätte es ihn berücksichtigt, wäre es zu einer angemessenen Disziplinarmaßnahme gekommen.
Mit diesen Ausführungen wird keine Divergenz dargelegt, sondern gerügt, das Berufungsgericht sei den Mobbingvorwürfen nicht nachgegangen und habe sie nicht als "sonstige Milderungsgründe" mit in den Blick genommen. In Disziplinarverfahren kann eine Divergenz jedoch grundsätzlich nicht damit begründet werden, das Tatsachengericht habe die be- und entlastenden Umstände im Rahmen der Gesamtwürdigung gemäß § 13 BDG fehlerhaft gewürdigt und gewichtet (vgl. Beschluss vom 3. Juli 2007 - BVerwG 2 B 18.07 - Buchholz 235.1 § 69 BDG Nr. 1).
3.
Das angegriffene Urteil beruht auf dem von der Beschwerde sinngemäß gerügten Verfahrensfehler einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO) oder eines Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat bei seiner disziplinarrechtlichen Würdigung das zentrale und substantiierte Vorbringen des Beklagten zum Mobbing durch seine Dienstvorgesetzten nicht einmal ansatzweise zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Er hätte den Mobbingvorwürfen nachgehen und gegebenenfalls aufklären müssen, ob das dem Beklagten vorgeworfene Dienstvergehen mit schikanösen Verhaltensweisen seiner Mitarbeiter und Vorgesetzten in Zusammenhang stand. Auf diesem Verfahrensfehler beruht das Urteil, weil die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme voraussetzt, dass das Gericht die sich aus § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG ergebenen Bemessungskriterien mit dem ihnen im Einzelfall zukommenden Gewicht ermittelt und aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte entscheidet (s. dazu näher Urteil vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3).
4.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Da Gerichtskosten gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 BDG nicht erhoben werden, bedarf es keiner Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes.
Ende der Entscheidung
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