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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 15.01.1999
Aktenzeichen: BVerwG 2 C 11.98
Rechtsgebiete: GG, BayBG
Vorschriften:
GG Art. 2 Abs. 1 | |
GG Art. 3 | |
BayBG Art. 64 Abs. 1 Satz 3 | |
BayBG Art. 64 Abs. 2 Satz 2 | |
BayBG Art. 83 |
Im Freistaat Bayern hat allein die oberste Dienstbehörde generell und einheitlich zu entscheiden, ob Anordnungen über das äußere Erscheinungsbild uniformierter Beamter wegen der Funktion der Dienstkleidung erforderlich sind. Nachgeordnete Behörden dürfen Ohrschmuck und lange Haartracht zur Dienstkleidung nicht eigenständig verbieten.
Urteil des 2. Senats vom 15. Januar 1999 - BVerwG 2 C 11.98 -
I. VG München vom 01.08.1995 - Az.: VG M 5 K 94.917 - II. VGH München vom 23.01.1998 - Az.: VGH 3 B 95.3457 -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
BVerwG 2 C 11.98 VGH 3 B 95.3457
Verkündet am 15. Januar 1999
Rakotovao Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 15. Januar 1999 durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Franke und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Silberkuhl, Dawin, Dr. Kugele und Dr. Bayer
für Recht erkannt:
Der Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Januar 1998 wird aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 1. August 1995 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
Gründe:
I.
Der Kläger ist uniformierter Polizeivollzugsbeamter in der Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums München. Mit seiner nach erfolglosem Widerspruch erhobenen Klage begehrt er die Aufhebung von Anordnungen seines Dienststellenleiters, seine Haare bis auf Hemdkragenlänge zu kürzen und während der Dienstzeit keinen Ohrschmuck zu tragen.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof sie abgewiesen. Zur Begründung hat das Berufungsgericht im wesentlichen ausgeführt:
Im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der Berufungsentscheidung seien die angefochtenen Anordnungen gerechtfertigt aufgrund der "Leitlinien zum Erscheinungsbild von Polizeivollzugsbeamten" des Polizeipräsidiums München vom 1. Mai 1995. Der Kläger habe aber auch schon vor Erlaß dieser Leitlinien aufgrund seiner Gehorsamspflicht (Art. 64 Abs. 2 Satz 2 BayBG) und seiner Pflicht, Dienstkleidung zu tragen (Art. 83 BayBG), den Anordnungen Folge leisten müssen. Die Befugnis des Dienstherrn anzuordnen, daß der Beamte im Dienst Dienstkleidung zu tragen habe, schließe das Recht ein, festzulegen, welche persönlichen Accessoires er dazu aus Gründen der Wahrung der Einheitlichkeit des äußeren Erscheinungsbildes nicht tragen dürfe. Weisungen könnten sich auch auf die Haarlänge beziehen. Der Dienstherr sei auch zu generellen Regelungen berechtigt.
Die angefochtenen Weisungen hielten sich im Rahmen der gerichtlich nur beschränkt nachprüfbaren weiten Einschätzungsprärogative des Dienstherrn, wie er sich durch seine Dienstkleidung tragenden Beamten repräsentiert sehen wolle. Die Anordnungen seien nicht unverhältnismäßig und griffen nicht rechtswidrig in Grundrechte ein. Es sei auch mit Art. 3 Abs. 2 und 3 GG zu vereinbaren, daß der Beklagte männliche und weibliche Polizisten im Hinblick auf das Tragen von Ohrschmuck zur Dienstkleidung und von langen Haaren unterschiedlich behandele.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er beantragt,
den Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Januar 1998 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 1. August 1995 zurückzuweisen.
Der Beklagte tritt der Revision entgegen und beantragt, sie zurückzuweisen.
Der Oberbundesanwalt hält die angefochtene Entscheidung für richtig.
II.
Die Revision ist begründet. Die angefochtenen Anordnungen sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts werden die angefochtenen dienstlichen Weisungen weder durch die "Leitlinien zum Erscheinungsbild von Polizeivollzugsbeamten" des Polizeipräsidiums München vom 1. Mai 1995 noch durch die Gehorsamspflicht (Art. 64 Abs. 2 Satz 2 BayBG) und die Pflicht, Dienstkleidung zu tragen (Art. 83 BayBG), gerechtfertigt.
Gemäß Art. 83 BayBG ist der Beamte verpflichtet, nach näherer Bestimmung der obersten Dienstbehörde Dienstkleidung zu tragen, wenn es sein Amt erfordert. Mangels Delegationsermächtigung kann nur die allein für zuständig erklärte jeweilige oberste Dienstbehörde die in Art. 83 BayBG gesetzlich verankerte Pflicht des Beamten zum Tragen von Dienstkleidung durch die im Gesetz vorgesehenen näheren Bestimmungen aktualisieren und in ihren Einzelheiten regeln. Das kann auch durch Verwaltungsvorschriften geschehen (vgl. BVerwGE 84, 287 <289>). Die Regelungsbefugnis der obersten Dienstbehörde aufgrund des Art. 83 BayBG schließt das Recht ein, festzulegen, welche persönlichen Accessoires Beamte aus Gründen der Wahrung eines einheitlichen äußeren Erscheinungsbildes im Dienst nicht tragen dürfen (vgl. BVerwGE 84, 287 <290>).
Der obersten Dienstbehörde obliegt es, einzuschätzen und abzuwägen, ob Anordnungen über das äußere Erscheinungsbild uniformierter Beamte - u.a. Verbote von Ohrschmuck und langer Haare - wegen der Funktion der jeweiligen Dienstkleidung erforderlich und gerechtfertigt sind. Sie muß ihre Entscheidung generell, einheitlich und nachvollziehbar treffen. Fehlen generelle Regelungen der obersten Dienstbehörde über das äußere Erscheinungsbild uniformierter Beamter, dürfen nachgeordnete Behörden, namentlich die jeweiligen Dienstbehörden der Beamten, das äußere Erscheinungsbild der Träger von Dienstkleidung nicht eigenständig regeln. Die im angefochtenen Beschluß erwähnte Gehorsamspflicht (Art. 64 Abs. 2 Satz 2 BayBG) erlegt dem Beamten lediglich auf, Weisungen des Dienststellenleiters Folge zu leisten. Sie besagt nichts über den zulässigen Regelungsgehalt solcher Weisungen. Die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (Art. 64 Abs. 1 Satz 3 BayBG) setzt zwar auch der Gestaltung des äußeren Erscheinungsbildes der Beamten Grenzen. Sie bietet aber mit Blick auf die in Art. 83 BayBG getroffene Sonderregelung keine gesetzliche Grundlage, um speziell auf das äußere Erscheinungsbild der Träger von Dienstkleidung bezogene Vorschriften zu erlassen.
Die gesetzliche Konzentration der Regelungsbefugnis bei der obersten Dienstbehörde hat ihre guten Sinn. Die durch Art. 83 BayBG begründete Pflicht zum Tragen von Dienstkleidung schränkt das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) ein. Das muß durch ein sich aus dem jeweiligen Amt ergebendes Bedürfnis für eine Dienstkleidung gerechtfertigt sein. Es besteht in der Regel, wenn die Legitimation des Beamten für dienstliche Maßnahmen schon äußerlich kundgetan werden muß. Die Befugnis des Dienstherrn, das äußere Erscheinungsbild der Träger von Dienstkleidung zu regeln, insbesondere das Tragen von persönlichen Accessoires und die Gestaltung der Haartracht einzuschränken, ist noch enger begrenzt. Das gilt vor allem dann, wenn sich die Einschränkungen nicht wie bei Schmuckstücken - allein auf die Dienstzeit erstrecken, sondern wie beim Kürzen der Haare - unausweichlilch auf die Privatsphäre fortwirken. Das Tragen von Ohrschmuck zur Dienstkleidung männlicher Uniformträger kann der Dienstherr namentlich nicht allein deshalb verbieten, weil er es für unpassend, unästhetisch oder nicht schicklich hält (vgl. BVerfG, Beschluß vom 10. Januar 1991 - 2 BvR 550/90 - NJW 1991, 1477 <1478>). Für das Kürzen der Haare trifft dies erst recht zu. Ob derartige Eingriffe mit Blick auf die Funktion der Dienstkleidung erforderlich und auch verfassungsrechtlich gerechtfertigt sind, hat der Dienstherr im Rahmen der ihm zukommenden Entscheidungsprärogative unter Abwägung der dienstlichen und der privaten Belange zu beurteilen. Dazu ist die oberste Dienstbehörde am besten in der Lage. Ihr obliegt es zudem, die Wahrung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Verwaltungsträgers sicherzustellen. Dem trägt Art. 83 BayBG dadurch sachgerecht Rechnung, daß Entscheidungen von der obersten Dienstbehörde generell und einheitlich zu treffen sind und nicht in unterschiedlicher Weise von verschiedenen Dienstbehörden erlassen werden können.
Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat als oberste Dienstbehörde für die Polizeibeamten des Landes die Pflicht zum Tragen der Dienstkleidung mit den "Anzugsbestimmungen für die Beamten des Bayer. Polizei" vom 1. August 1977 konkretisiert. Diese gelten seit dem 1. September 1977 für alle bayerischen Polizeibeamten, die nach besonderen Vorschriften berechtigt oder verpflichtet sind, Dienstkleidung zu tragen. Die "Leitlinien zum Erscheinungsbild von Polizeivollzugsbeamten" des Polizeipräsidiums München vom 1.Mai 1995 verweisen auch ausdrücklich auf die Anzugsbestimmungen des Bayerischen Staatsministeriums des Innern. Diese rechtfertigen jedoch weder das angefochtene Verbot des Dienststellenleiters, zur Dienstkleidung Ohrschmuck zu tragen, noch das angefochtene Gebot, die Haare auf Hemdkragenlänge zu kürzen. Die allein maßgeblichen Anzugsbestimmungen enthalten - mit Ausnahme der in Abschnitt III Nr. 1.6 Abs. 2 zugelassenen Trauerzeichen - keine Bestimmungen über Accessoires zur Dienstkleidung. Sie regeln ebensowenig die Haarlänge uniformierter Polizeivollzugsbeamter. Nach übereinstimmender Erklärung der Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat gibt es insoweit auch keine vom Bayerischen Staatsministerium des Innern gebilligte oder geduldete landesweite allgemeine Verwaltungspraxis. Mangels einer Bestimmung der zuständigen obersten Dienstbehörde durfte der Dienststellenleiter des Münchener Polizeipräsidiums die angefochtenen Anordnungen nicht treffen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Beschluß
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 8 000 DM festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 2 GKG).
Ende der Entscheidung
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