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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 27.09.2007
Aktenzeichen: BVerwG 2 C 14.06
Rechtsgebiete: BhV, VwVfG Bayern, SGB X


Vorschriften:

BhV § 2 Abs. 1 Nr. 3
BhV § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
BhV § 4
BhV § 15 Abs. 1
BhV § 17 Abs. 9
VwVfG Bayern Art. 48
SGB X § 105
Leistet ein unzuständiger Beihilfeträger, so kann dieser vom zuständigen Beihilfeträger nur im Wege des Ausgleichs- oder Abwälzungsanspruchs nach bereicherungsrechtlichen Regeln Erstattung erlangen.

Der Ausgleichs- oder Abwälzungsanspruch dient dazu, die noch durchgehend mögliche Rückabwicklung zu vereinfachen.


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 2 C 14.06

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts ohne mündliche Verhandlung am 27. September 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kugele, Groepper und Dr. Heitz sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 12. Mai 2006 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I

Das klagende Land gewährte dem in seinem Dienst stehenden Amtsinspektor B. für krankheitsbedingte Aufwendungen seiner 1981 geborenen Tochter Beihilfeleistungen. Nachdem der Kläger erfahren hatte, dass die Tochter wegen des Todes ihrer Mutter eine Halbwaisenrente erhielt, forderte er die Beklagte auf, die geleisteten Beihilfezahlungen zu erstatten. Da die Tochter selbst Beihilfeansprüche gegen die Beklagte gehabt habe, sei sie zu Unrecht als beihilferechtlich berücksichtigungsfähige Angehörige ihres Vaters angesehen worden. Die Beklagte lehnte die Erstattung für die Jahre 1992 bis 1997 ab.

Die Erstattungsklage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben.

Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, dass eine gesetzliche Grundlage für das geltend gemachte Erstattungsbegehren nicht gegeben sei. Ein Anspruch nach den Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag bestehe nicht, weil die Klägerin keine Leistungspflichten der Beklagten habe erfüllen wollen. Auch die Voraussetzungen eines Abwälzungsanspruchs zwischen öffentlichen Leistungsträgern oder eines allgemeinen Erstattungsanspruchs lägen nicht vor:

Es fehle bereits die für den Abwälzungsanspruch erforderliche alternative Zuständigkeit der beiden Leistungsträger, weil der Kläger nicht in einem Beihilferechtsverhältnis zu der Tochter des B. gestanden habe. Die "Ersatzfunktion" der Abwälzung setze u.a. voraus, dass Rechte des Empfängers oder der sonst beteiligten Personen nicht beeinträchtigt würden. Daran fehle es ebenfalls, da eine Rücknahme der Beihilfebescheide gegenüber dem Vater durch den Kläger wegen Verstreichens der Jahresfrist des Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG nicht mehr möglich sei und die gegenüber der Beklagten beihilfeberechtigt gewesene Tochter auf Grund der Vorschrift des § 17 Abs. 9 BhV keine Beihilfeansprüche mehr geltend machen könnte. Dementsprechend würde die vom Kläger verlangte Erstattung zu einem völlig anderen Ergebnis führen als die denkbare - hier aber gerade nicht mehr durchführbare - Rückabwicklung der Rechtsbeziehungen in den einzelnen Leistungsschienen.

Auch außerhalb des sogenannten Abwälzungsanspruchs lägen die - allgemeinen - Voraussetzungen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs nicht vor, denn die Beklagte habe nichts erlangt. Der Kläger habe auf den vermeintlichen Anspruch des Vaters geleistet. Es habe auch keine Vermögensverschiebung zwischen dem Kläger und der Beklagten "in sonstiger Weise" stattgefunden. Durch die Leistung des Klägers an den Vater sei der Beihilfeanspruch der Tochter gegenüber der Beklagten nicht erloschen. Eine Ersparnis von Aufwendungen habe die Beklagte allenfalls dadurch erlangt, dass die Tochter ihren gegen die Beklagte bestehenden Beihilfeanspruch nicht binnen der in § 17 Abs. 9 BhV bestimmten Ausschlussfrist geltend gemacht habe. Insoweit fehle es aber an dem erstattungsrechtlich notwendigen Zusammenhang mit der "Entreicherung" des Klägers.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts und beantragt,

Die Beklagte unter Aufhebung der Urteile des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 12. Mai 2006 und des Verwaltungsgerichts Münster vom 25. Mai 2004 zu verurteilen, an ihn - den Kläger - 19 618,39 € zzgl. 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 141, 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2 VwGO).

Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung der von ihm an seinen Beamten B. für die krankheitsbedingten Aufwendungen der Tochter geleisteten Beihilfezahlungen.

Der Kläger hat die beihilferechtlichen Leistungen an seinen Beamten B., deren Erstattung er von der Beklagten verlangt, rechtsgrundlos erbracht. B. hatte keine Beihilfeansprüche gegen den Kläger. Die Tochter hatte als Halbwaise eine eigene Beihilfeberechtigung nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 BhV (gegenüber der Beklagten). Die ihrem Vater B. (vom Kläger) für sie als berücksichtigungsfähige Angehörige nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BhV (Art. 11 Abs. 1 BayBesG a.F. nimmt im Wesentlichen die Beihilfevorschriften des Bundes in Bezug) gewährten Beihilfeleistungen waren wegen des in § 4 Abs. 3 Satz 1 BhV geregelten Vorrangs des eigenen Anspruchs der Tochter gegenüber der Beklagten zu Unrecht geleistet worden.

1. Eine gesetzliche Grundlage für einen Erstattungsanspruch des unzuständigen Leistungsträgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger bei rechtsgrundlosen Beihilfeleistungen an einen Beamten durch einen unzuständigen Leistungsträger besteht nicht.

Die allein auf Sozialleistungen beschränkte Regelung des § 105 SGB X ist im Beihilferecht wegen der grundlegenden Strukturunterschiede der verschiedenen Sicherungssysteme der beamtenrechtlichen Krankenfürsorge einerseits und der gesetzlichen Krankenversicherung andererseits nicht anwendbar (vgl. Urteile vom 24. November 1988 - BVerwG 2 C 18.88 - BVerwGE 81, 27 <29 f.> = Buchholz 270 § 15 BhV Nr. 3 und vom 15. Dezember 2005 - BVerwG 2 C 35.04 - BVerwGE 125, 21 <31 f.> = Buchholz 270 § 5 BhV Nr. 17).

Für einen Erstattungsanspruch nach den Regeln der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag fehlt es am erforderlichen Fremdgeschäftsführungswillen (vgl. § 677 BGB: "für einen anderen"). Denn der Kläger hat an B. gezahlt, weil er seine eigene Leistungspflicht erfüllen wollte.

2. Der Kläger kann seinen Anspruch auch nicht auf einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch stützen.

Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch ist - auch als sogenannter Ausgleichs- oder Abwälzungsanspruch im Verhältnis zwischen öffentlich-rechtlichen Leistungsträgern - darauf gerichtet, eine ohne Rechtsgrund eingetretene Vermögensverschiebung auszugleichen. Er bildet die Parallele zum zivilrechtlichen Bereicherungsanspruch. Leistungen ohne Rechtsgrund und sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen müssen rückgängig gemacht werden. Auch dort, wo es an einer ausdrücklichen Regelung fehlt, gilt dieser unmittelbar aus dem Postulat wiederherstellender Gerechtigkeit fließende Rechtsgedanke. Hierzu dient der seit langem anerkannte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch (vgl. Urteile vom 12. März 1985 - BVerwG 7 C 48.82 - BVerwGE 71, 85 <87 f.> = Buchholz 442.041 PostG Nr. 6, vom 30. November 1990 - BVerwG 7 A 1.90 - BVerwGE 87, 169 <172> = Buchholz 445.5 § 1 WaStrG Nr. 4, vom 17. August 1995 - BVerwG 1 C 15.94 - BVerwGE 99, 101 <103> = Buchholz 437.1 BetrAVG Nr. 14, vom 30. November 1995 - BVerwG 7 C 56.93 - BVerwGE 100, 56 <59 f.> = Buchholz 11 Art. 104a GG Nr. 15, vom 27. Oktober 1998 - BVerwG 1 C 38.97 - BVerwGE 107, 304 <307> = Buchholz 437.1 BetrAVG Nr. 15). Er setzt ebenso wie der zivilrechtliche Bereicherungsanspruch voraus, dass entweder "Leistungen ohne Rechtsgrund" erbracht worden sind oder dass eine "sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebung" stattgefunden hat (Urteile vom 12. März 1985 a.a.O. S. 87, vom 30. November 1995 a.a.O. S. 59, vom 15. Juni 2006 - BVerwG 2 C 10.05 - Buchholz 232 § 78 BBG Nr. 45).

Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch dient auch im Verhältnis zwischen Körperschaften des öffentlichen Rechts der Rückabwicklung ohne Rechtsgrund erbrachter Leistungen oder sonstiger rechtsgrundloser Vermögensverschiebungen. Der hier so bezeichnete Ausgleichs- oder Abwälzungsanspruch folgt den bereicherungsrechtlichen Regeln über die sogenannte Durchgriffskondiktion, da zwischen den Leistungsträgern keine Leistungsbeziehungen bestehen. Der Ausgleichs- oder Abwälzungsanspruch entsteht, wenn ein nicht verpflichteter Rechtsträger des öffentlichen Rechts anstelle eines verpflichteten einem berechtigten Dritten Hilfe geleistet hat. Er erfordert eine alternative Zuständigkeit der beiden öffentlich-rechtlichen Leistungsträger, einen einheitlichen, die Leistungspflicht auslösenden Vorgang und er muss sich als Ersatz der ansonsten über die Berechtigten laufenden Erstattungs- und Leistungsansprüche durch die rechnerische Umschichtung der Leistungen unter zwei Leistungsträgern darstellen (Urteil vom 2. Juli 1969 - BVerwG 5 C 88.68 - BVerwGE 32, 279 <281 f.> = Buchholz 436.0 § 90 BSHG Nr. 4). Er setzt daneben - wie jeder öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch - zwingend voraus, dass der verpflichtete Leistungsträger durch die Leistungen des nicht verpflichteten Leistungsträgers an die Berechtigten einen Vermögensvorteil erlangt hat, nämlich von seiner Leistungspflicht gegenüber dem Berechtigten frei geworden ist.

a) Ein Vermögensvorteil der Beklagten ist nicht bereits allein durch die Beihilfezahlungen des Klägers an seinen Beamten B. eingetreten, weil diese nicht zu einem Erlöschen der Beihilfeansprüche der Tochter gegen die Beklagte geführt haben. Die Ausschlussfrist des § 17 Abs. 9 BhV hinweggedacht, bestünde nämlich der Anspruch der Tochter gegen die Beklagte fort. Die Leistungen des Klägers an den Vater B. führten nicht zu einer Erfüllung des Anspruchs der Tochter gegenüber der Beklagten. Hierzu hätte es einer diese Rechtsfolge anordnenden speziellen Regelung bedurft. Demgegenüber erschöpft sich die Bedeutung des § 15 Abs. 1 BhV, der hier wegen Art. 11 Abs. 1 BayBesG a.F. auch im Verhältnis des Klägers zu B. gilt, darin, dem Grunde nach bestehende Beihilfeansprüche der Höhe nach zu begrenzen. Es handelt sich um eine Regelung zur Deckelung oder Kappung von Beihilfeansprüchen und nicht um eine materielle Ausschlussregelung (vgl. auch die Hinweise des BMI zu den BhV i.d.F. der Bekanntmachung vom 15. Dezember 2004 zu § 15).

Ein Vermögensvorteil der Beklagten durch die Leistungen des Klägers an den Vater könnte allenfalls darin gesehen werden, dass diese Zahlungen - obwohl sie nicht unmittelbar das Erlöschen der Beihilfeansprüche der Tochter gegenüber der Beklagten herbeigeführt haben - gleichwohl für deren Erlöschen kausal geworden sind. Die Beihilfeansprüche der Tochter sind erloschen, weil sie von ihr nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 17 Abs. 9 BhV gegenüber der Beklagten geltend gemacht wurden. Dieses Versäumnis ist nach den gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts darauf zurückzuführen, dass die Familie nach Eingang der Zahlungen des Klägers keine Veranlassung sah, sich mit Beihilfeansprüchen an die Beklagte zu wenden. Selbst wenn man die dadurch bewirkte Freistellung der Beklagten von ihren beihilferechtlichen Zahlungspflichten als ausgleichspflichtige Vermögensverschiebung zu Lasten des Klägers ansehen würde, darf dies nicht dazu führen, dass etwaige Sonderregelungen im Verhältnis zwischen den Beteiligten in den einzelnen Leistungsverhältnissen - einerseits zwischen der Beklagten und der Tochter durch § 17 Abs. 9 BhV und andererseits zwischen dem Kläger und dem Vater durch den in Art. 48 BayVwVfG gesetzlich geregelten öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch - umgangen werden.

b) Der Erstattungsanspruch scheitert auch daran, dass die für den Ausgleichs- oder Abwälzungsanspruch erforderliche Ersatzfunktion der ansonsten über die Berechtigten laufenden Erstattungs- und Leistungsansprüche durch die rechnerische Umschichtung der Leistungen unter den Leistungsträgern fehlt.

Der Ausgleichs- oder Abwälzungsanspruch dient - wie die Durchgriffskondiktion - dazu, die Abwicklung in den jeweiligen Leistungsverhältnissen "im Dreieck" oder - wie hier - "im Viereck" zu vermeiden, wenn dies die Rückführung des Vermögensvorteils zum Berechtigten nur unnötig komplizieren würde. Dies setzt aber zwingend voraus, dass in den einzelnen Leistungsverhältnissen noch eine Rückabwicklung möglich ist und keine rechtlichen Leistungshindernisse entstanden sind. Ist - wie vorliegend - aus Rechtsgründen eine solche Erstattungs- und Leistungspflicht in den einzelnen Leistungsschienen nicht mehr gegeben, kann dies nicht durch einen Durchgriff überspielt werden (vgl. zu dieser Voraussetzung Urteil vom 2. Juli 1969 - BVerwG 5 C 88.68 - a.a.O.).

Die Beklagte, die eigentlich nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 BhV i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 BhV Beihilfeschuldnerin für die krankheitsbedingten Aufwendungen der Tochter war, ist dieser gegenüber wegen der Ausschlussfrist in § 17 Abs. 9 BhV nicht mehr zur Leistung verpflichtet. Vor allem aber kann der Kläger in seinem beihilferechtlichen Leistungsverhältnis mit seinem Beamten B. die rechtsgrundlos erbrachten Leistungen von diesem jedenfalls deshalb nicht mehr zurückverlangen, weil die Jahresfrist des Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG verstrichen ist. Ob eine Rückforderung schon vor Ablauf der Jahresfrist nicht möglich war, weil die Beihilfebescheide nach Art. 48 Abs. 2 BayVwVfG nicht mehr zurückgenommen werden konnten, kann dahinstehen. In dieser Situation stellt sich der geltend gemachte Erstattungsanspruch gerade nicht als Ersatz der ansonsten über die Berechtigten laufenden Erstattungs- und Leistungsansprüche dar, sondern würde zu einem Ergebnis führen, das dem Beihilferecht (§ 17 Abs. 9 BhV) und insbesondere dem in Art. 48 BayVwVfG spezialgesetzlich geregelten öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zuwiderläuft. Der Kläger kann sich nicht an der Beklagten schadlos halten, obwohl er die rechtsgrundlos erbrachten Beihilfezahlungen vom Leistungsempfänger nicht mehr zurückverlangen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluss

vom 29. November 2007

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 19 618,39 € festgesetzt (§ 52 Abs. 1 und 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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