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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 18.04.2002
Aktenzeichen: BVerwG 2 C 19.01
Rechtsgebiete: GG, BGB


Vorschriften:

GG Art. 33 Abs. 2
BGB § 839 Abs. 3
Der Umstand, dass der Streit um eine dienstliche Beurteilung noch nicht abgeschlossen ist, hindert den Beamten nicht, sich um ein Beförderungsamt zu bewerben. Unterlässt er eine Bewerbung, kann dies nach dem Rechtsgedanken des § 839 Abs. 3 BGB einem später geltend gemachten Schadensersatzanspruch wegen unterlassener Beförderung entgegenstehen.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 2 C 19.01

Verkündet am 18. April 2002

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 18. April 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Silberkuhl und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dawin, Dr. Kugele, Groepper und Dr. Bayer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. März 2001 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I.

Der Kläger ist Beamter des Landes Schleswig-Holstein. Seine dienstlichen Beurteilungen für die Zeiträume März 1984 bis Februar 1988 sowie März 1992 bis Oktober 1995 schlossen jeweils mit der Gesamtnote "gut" ab. Für den Zeitraum März 1988 bis Februar 1992 wurde der Kläger zunächst mit "vollbefriedigend" beurteilt. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Das Berufungsverfahren wurde im Februar 1996 durch einen Vergleich beendet, mit dem sich die Beklagte verpflichtete, den Kläger für den Zeitraum März 1988 bis Februar 1992 erneut zu beurteilen. Die Neubeurteilung von Mai 1996 enthielt das Gesamturteil "gut".

Zum 1. August 1996 bewarb sich der Kläger ohne Erfolg um eine Beförderung zum Polizeihauptmeister. Darauf beantragte er, unverzüglich befördert und dienst- und besoldungsrechtlich so gestellt zu werden, als wäre er längst befördert worden. Zum 1. Januar 1997 wurde er zum Polizeihauptmeister ernannt. Den weitergehenden Antrag lehnte die Beklagte ab.

Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Berufung hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

Für die Zeit bis April 1992 habe der bis dahin mit "gut" beurteilte Kläger keinen Schadensersatzanspruch, weil ein Verschulden der Beklagten hinsichtlich eines Verstoßes gegen die Pflicht zur Bestenauslese ausscheide. Erst im November 1994 habe sich aus einem rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig mit hinreichender Klarheit ergeben, dass die Beförderungspraxis der Beklagten nicht mit dem Grundsatz der Bestenauslese zu vereinbaren gewesen sei. Ein Schadensersatzanspruch wegen unterbliebener Beförderung im anschließenden Zeitraum bis August 1996 komme nicht in Betracht, weil die Beklagte zu Recht die seinerzeit aktuelle, auf "vollbefriedigend" lautende Beurteilung des Klägers in ihre Auswahlentscheidungen einbezogen habe und danach eine Beförderung des Klägers sowohl nach der rechtswidrigen Beförderungspraxis bis August 1995 als auch nach einer - unterstellten - vorrangig auf aktuellen Beurteilungen beruhenden Auswahl wegen einer Vielzahl von deutlich über 100 mit "gut" beurteilten Kollegen nicht in Frage gekommen sei. Für die Beförderungsrunde bis zum 1. Januar 1997 scheide ein Verstoß gegen das Prinzip der Bestenauslese aus, weil bis dahin nur mit "sehr gut" oder "gut, oberer Bereich" beurteilte Beamte befördert worden seien, während der diesmal von Beginn an mit "gut" beurteilte Kläger - wenn auch nur geringfügig - leistungsschwächer gewesen sei. Zwar könne der Dienstherr auch dann auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden, wenn er rechtswidrig und schuldhaft den Anspruch des Beamten auf eine fehlerfreie Beurteilung verletzt habe. Die auf Auskünften über außerhalb des damaligen Beurteilungzeitraumes liegende Zeiträume beruhende Beurteilung vom 2. März/7. April 1992 sei zwar fehlerhaft gewesen, habe jedoch in keinem Fall zu einem adäquat kausal verursachten Schaden des Klägers geführt.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts und beantragt,

die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. März 2001 und des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 22. März 1999 sowie die Bescheide der Beklagten vom 8. Januar 1997 und vom 14. März 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Kläger dienst- und beförderungsrechtlich so zu stellen, als wäre er bereits am 1. Januar 1992 zum Polizeihauptmeister befördert worden,

hilfsweise,

als wäre er zu einem späteren Zeitpunkt, jedoch vor 1997 zum Polizeihauptmeister befördert worden.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung gegen das die Klage abweisende Urteil erster Instanz im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.

Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch steht dem Kläger schon deshalb nicht zu, weil er es in zurechenbarer Weise unterlassen hat, rechtzeitig durch den Gebrauch von Rechtsmitteln seinen vermeintlichen Beförderungsanspruch durchzusetzen. Auch im Beamtenrecht tritt nach dem in § 839 Abs. 3 BGB enthaltenen Rechtsgedanken eine Ersatzpflicht für rechtswidriges staatliches Handeln dann nicht ein, wenn es der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels gegen das nunmehr als rechtswidrig beanstandete staatliche Verhalten abzuwenden, wenn also für den Nichtgebrauch eines Rechtsmittels kein hinreichender Grund bestand. Dies entspricht hinsichtlich des von einem Beamten wegen unterbliebener Beförderung geltend gemachten Schadensersatzanspruchs ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteile vom 28. Mai 1998 - BVerwG 2 C 29.97 - BVerwGE 107, 29 <31 f.>, vom 3. Dezember 1998 - BVerwG 2 C 22.97 - Buchholz 237.2 § 12 BlnLBG Nr. 2 S. 2 f. und vom 9. Dezember 1999 - BVerwG 2 C 38.98 - DVBl 2000, 1128 = DÖV 2000, 602).

"Rechtsmittel", die der Durchsetzung des Anspruches auf Beförderung dienen, sind nicht nur die Rechtsbehelfe des verwaltungsgerichtlichen Primärrechtsschutzes. Hierzu gehört vielmehr auch der Antrag an den Dienstherrn, befördert zu werden. Mit seiner Bewerbung bringt der Beamte seinen Anspruch zum Ausdruck, bei der Auswahl insbesondere nach den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG berücksichtigt zu werden. Auf Grund der Bewerbung ist der Dienstherr zu umfassender Prüfung verpflichtet. Der Beamte darf all das geltend machen, was ihm seiner Auffassung nach den Vorzug gegenüber anderen Bewerbern verschafft. Unter Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes kann der Beamte das angestrebte Ziel der Beförderung weiter verfolgen, wenn der Dienstherr zuvor mit dem Begehren befasst war und - vermeintlich oder tatsächlich - einen anderen Bewerber rechtsfehlerhaft bevorzugt hat.

Nach den in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen, an die das Bundesverwaltungsgericht mangels beachtlicher Verfahrensrügen gebunden ist (§ 137 Abs. 2 VwGO), hat sich der Kläger vor dem 1. August 1996 nicht um eine frühere Beförderung beworben, geschweige denn einen solchen Anspruch mit den zulässigen Rechtsbehelfen durchzusetzen versucht. Für das Absehen von einer Bewerbung bestand kein hinreichender Grund. Der Kläger muss sich deshalb entgegenhalten lassen, dass er die angeblich rechtswidrige Unterlassung seiner Beförderung ab dem Jahr 1992 hingenommen und damit in Kauf genommen hat, dass die Beklagte mit der Besetzung der Beförderungsämter vollendete Tatsachen schaffen konnte.

Die Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz war nicht aussichtslos und deshalb unzumutbar, weil der Kläger sich gegen seine dienstliche Beurteilung für den Zeitraum März 1988 bis Februar 1992 gewehrt hat und diese Beurteilung erst nach Durchführung eines Rechtsstreits im Februar 1996 durch eine bessere ersetzt worden ist. Im Rahmen des Auswahlverfahrens für ein Beförderungsamt ist weder der Dienstherr noch das Gericht an eine bestimmte dienstliche Beurteilung gebunden. Einwendungen gegen eine dienstliche Beurteilung, die als solche kein Verwaltungsakt und deshalb auch nicht der Bestandskraft fähig ist (vgl. Urteile vom 9. November 1967 - BVerwG 2 C 107.64 - BVerwGE 28, 191 <192 f.> und vom 13. November 1975 - BVerwG 2 C 16.72 - BVerwGE 49, 351 <353 ff.>), können auch unmittelbar in einem Bewerbungsverfahren wie auch in einem ggf. anschließenden verwaltungsgerichtlichen "Konkurrentenstreit" geltend gemacht werden. Der Beamte braucht nicht den Ausgang eines isolierten Streites um die Fehlerhaftigkeit einer dienstlichen Beurteilung abzuwarten. Andererseits ist auch der Dienstherr nicht verpflichtet, Beförderungsverfahren "auszusetzen", nur weil einer der Bewerber eine für die Auswahlentscheidung bedeutsame dienstliche Beurteilung angreift.

Erweist sich eine dienstliche Beurteilung, die Grundlage eines Vergleichs zwischen den Bewerbern um ein Beförderungsamt ist, als fehlerhaft, so kann dies Konsequenzen im Hinblick auf die Auswahlentscheidung haben und das Gericht veranlassen, den Dienstherrn zur Ernennung des übergangenen Beamten oder zumindest zur Neubescheidung zu verpflichten. Auch insoweit erweist sich der Primärrechtsschutz als für den Beamten vorteilhafter. In dem Streit um die Übertragung eines Beförderungsamtes kann der Dienstherr zur Neubescheidung verpflichtet sein, wenn der Vergleich zwischen den Bewerbern auf einer fehlerhaften Grundlage beruht. Demgegenüber kommt der Erfolg einer Klage auf Schadensersatz wegen unterbliebener Beförderung nur dann in Betracht, wenn festgestellt wird, dass ohne den zur Rechtswidrigkeit der Ernennung des Mitbewerbers führenden Mangel voraussichtlich zugunsten des Klägers entschieden worden wäre (vgl. Beschluss vom 16. Oktober 1991 - BVerwG 2 B 115.91 - Buchholz 237.4 § 7 HmbLBG § 7 Nr. 1 S. 2). Im Übrigen ist die Fehlerhaftigkeit einer dienstlichen Beurteilung bereits im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu beachten, wenn sie Einfluss auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens haben kann.

Dass der Kläger seinerzeit die Rechtswidrigkeit des Auswahlsystems der Beklagten nicht erkannt hat und nach seiner Einschätzung die Erfolgsaussichten einer auf Beförderung gerichteten Klage allenfalls gering, jedenfalls ungewiss waren, rechtfertigt ebenso wenig das Unterlassen von Rechtsmitteln. Für die Auswahl von Bewerbern um ein Beförderungsamt galten damals wie heute grundsätzlich dieselben Auswahlmaßstäbe (vgl. Art. 33 Abs. 2 GG). Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger erst nach Abschluss der früheren Beförderungsverfahren in der Lage war, weitere tatsächliche Erkenntnisse zu gewinnen, die für den Erfolg in einem Konkurrentenstreit ausschlaggebend sein konnten. Die mit der Klage auf Schadensersatz vorgetragenen Tatsachen, aus denen sich die Rechtswidrigkeit der früheren Beförderungspraxis der Beklagten ergeben soll, hätte der Kläger bereits in einem früheren Verfahren mit dem Ziel seiner Beförderung einbringen können.

Soweit der Kläger sich zum 1. August 1996 erfolglos um eine Beförderung beworben hat, ist kein Grund ersichtlich, der ein Absehen von gerichtlichem Rechtsschutz zu rechtfertigen vermag.

Als Grundlage für das mit der Klage verfolgte Begehren kommt ein verschuldensunabhängiger Folgenbeseitigungsanspruch (vgl. Urteil vom 14. April 1989 - BVerwG 4 C 34.88 - BVerwGE 82, 24 <27> = Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 199 S. 28) nicht in Betracht (vgl. Beschluss vom 14. August 1998 - BVerwG 2 B 34.98 - Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 23 S. 3). Ein solcher Anspruch ist auf die Wiederherstellung des durch einen rechtswidrigen hoheitlichen Eingriff veränderten rechtmäßigen Zustandes gerichtet, der im Zeitpunkt des Eingriffs bestanden hat. Zu einem darüber hinausgehenden Erfolg kann er nicht führen (vgl. Urteil vom 21. Dezember 2000 - BVerwG 2 C 39.99 - Buchholz 237.95 § 95 SHLBG Nr. 3 S. 3 m.w.N., insoweit in BVerwGE 112, 308 ff. nicht abgedruckt). Der Folgenbeseitigungsanspruch ist nicht auf einen Ausgleich materieller und immaterieller Schäden, die durch eine rechtswidrig unterbliebene Beförderung eingetreten sind. Das Unterlassen der Beförderung ist kein staatlicher Eingriff, und mit dem geltend gemachten Anspruch soll nicht der frühere Status quo wiederhergestellt, sondern eine Veränderung herbeigeführt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 11 900 Euro (entspricht 23 300 DM) festgesetzt (§ 13 Abs. 4 Satz 2 GKG entsprechend, § 73 Abs. 1 GKG).

Ende der Entscheidung

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