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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 10.06.1999
Aktenzeichen: BVerwG 2 C 20.98
Rechtsgebiete: BG LSA
Vorschriften:
BG LSA § 12 Abs. 1 Nr. 1 | |
BG LSA § 13 Abs. 2 |
Hat ein Beamtenbewerber die Ernennungsbehörde arglistig getäuscht, so genügt es für den Ursachenzusammenhang zwischen Täuschung und Ernennung, daß die Behörde nach ihrer tatsächlichen Praxis ohne die Täuschung den Bewerber nicht, wie geschehen, alsbald ernannt, sondern zunächst weitere Prüfungen und Erwägungen angestellt und erst sodann auf vervollständigter Grundlage über seine Bewerbung entschieden hätte. Ob im Falle des Beamtenbewerbers von der tatsächlichen Praxis abgewichen worden wäre, haben die Verwaltungsgerichte ggf. aufgrund einer Tatsachen- und Beweiswürdigung festzustellen.
Urteil des 2. Senats vom 10. Juni 1999 - BVerwG 2 C 20.98 -
I. VG Halle vom 09.04.1998 - Az.: VG 3 A 132/95 -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
BVerwG 2 C 20.98 VG 3 A 132/95
Verkündet am 10. Juni 1999
Stolp Amtsrat als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 10. Juni 1999 durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Franke und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Silberkuhl, Dawin, Dr. Kugele und Dr. Bayer
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle vom 9. April 1998 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe:
I.
Der 1958 geborene Kläger wendet sich gegen die Rücknahme seiner Ernennung zum Beamten auf Probe. Er trat 1979 - nach seinem Wehrdienst - in den Dienst der Volkspolizei der ehemaligen DDR. Bei seiner Bewerbung im November 1990 um die Übernahme in den Polizeidienst des Landes Sachsen-Anhalt versicherte er, kein Mitarbeiter oder Informant des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/Amt für nationale Sicherheit (MfS/AfnS) gewesen zu sein, sowie keinerlei Gelder von diesen Institutionen erhalten zu haben. Ferner verneinte er in einem am 5. November 1990 unterschriebenen Personalbogen eine entsprechende Frage. Im Dezember 1990 wurde er zunächst als Angestellter in den Landespolizeidienst übernommen, 1991 zum Beamten auf Probe ernannt und 1993 zum Polizeiobermeister befördert.
Durch einen Bericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR vom 17. Februar 1994 erfuhr der Beklagte, daß der Kläger dem MfS/AfnS seit 1978 regelmäßig mündlich und schriftlich über Personen seines privaten oder dienstlichen Umfeldes berichtet und auch Geldprämien erhalten hatte. Mit dem angefochtenen Bescheid nahm der Beklagte daraufhin die Ernennung des Klägers zum Beamten auf Probe mit der Begründung zurück, dessen Verbleib im Dienstverhältnis sei untragbar. Hätte der Beklagte vor Ernennung des Klägers Kenntnis von dessen MfS/AfnS-Verstrickung gehabt, wäre es nicht zu der Ernennung gekommen. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte zurück.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Die Rücknahme der Ernennung zum Beamten auf Probe sei rechtmäßig. Der Kläger habe diese durch arglistige Täuschung herbeigeführt. An seiner Mitarbeit beim MfS/AfnS, die nicht zu seinen kriminalpolizeilichen Aufgaben gehört habe, gebe es keine Zweifel. Erwiesen sei auch die Entgegennahme der Geldprämien. Der Kläger habe gewußt, daß die auf das MfS/AfnS bezogenen Angaben für seine Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe bedeutsam seien. Zwischen dem Irrtum des Beklagten und der Ernennung des Klägers bestehe Kausalzusammenhang. Bei Berücksichtigung der tatsächlichen Ernennungspraxis des Beklagten ergebe sich, daß dieser den Kläger bei Kenntnis dessen MfS/AfnS-Einbindung nicht ohne eine weitere Prüfung zum Beamten auf Probe ernannt hätte. Nach einer Weisung des Beklagten vom 17. Juli 1991 sei die Ernennungsbehörde gehalten gewesen, solche Bedienstete nicht zu Beamten auf Probe zu ernennen, bei denen aufgrund einschlägiger Anhaltspunkte die Einschaltung des Personalprüfungsausschusses erforderlich gewesen sei. Eine abweichende Verwaltungspraxis habe sich nicht herausgebildet. Die wenigen Fälle, in denen es trotz eingestandener Zusammenarbeit mit dem MfS/AfnS zu Ernennungen gekommen sei, seien mit den Anfangsschwierigkeiten nach der Wiedervereinigung zu erklären.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger die vom Verwaltungsgericht zugelassene Sprungrevision eingelegt. Er macht die Verletzung materiellen Rechts geltend und beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle vom 9. April 1998 sowie die Bescheide des Beklagten vom 24. August 1994 und vom 10. April 1995 aufzuheben.
Der Beklagte schließt sich dem angefochtenen Urteil an und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht hält Kausalität zwischen Täuschung und Ernennung zum Beamten für gegeben, wenn die Behörde die Ernennung nicht alsbald ausgesprochen, sondern zunächst weitere Prüfungen und Erwägungen angestellt hätte.
II.
Die Revision ist unbegründet.
Die Rücknahme der Ernennung des Klägers zum Beamten auf Probe ist gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 1 und § 13 Abs. 2 Beamtengesetz Sachsen-Anhalt - BG LSA - (Erstfassung) vom 14. Mai 1991 (GVBl S. 61) rechtmäßig.
Nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BG LSA ist eine Ernennung zurückzunehmen, wenn sie durch arglistige Täuschung herbeigeführt wurde. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts hat der Kläger den Beklagten im Sinne dieser Bestimmung getäuscht (vgl. u.a. BVerwGE 102, 178 <180 f.> unter Hinweis vor allem auf das Urteil vom 18. September 1985 - BVerwG 2 C 30.84 - <Buchholz 237.5 § 14 Nr. 2> m.w.N.). Danach hat er im Personalbogen vom 5. November 1990 der Wahrheit zuwider die Frage verneint, Mitarbeiter des MfS/AfnS gewesen zu sein. Auch im Bewerbungsbogen versicherte er, mit dieser Stelle nicht zusammengearbeitet zu haben. Die Frage nach einer Mitarbeit beim MfS/AfnS war zulässig und mußte wahrheitsgemäß beantwortet werden. Sie steht in einem engen sachlichen Zusammenhang mit den Regelungen des Einigungsvertrages über die Rechtsverhältnisse und die Weiterverwendung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes (BVerwGE 102, 178 <181>). Die unrichtigen Angaben des Klägers haben zu einem entsprechenden Irrtum bei der Ernennungsbehörde geführt.
Die Täuschung geschah arglistig. Nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz hat der Kläger aufgrund der wiederholten Fragen nach einer Mitarbeit beim MfS/AfnS erkannt, daß die wahrheitsgemäße Beantwortung dieser Fragen für seine Ernennung von Bedeutung war, und hat zumindest billigend in Kauf genommen, daß die Ernennungsbehörde sich über die Tatsache und den Umfang seiner Mitarbeit beim MfS/AfnS geirrt und somit der Ernennung hinderliche Umstände als nicht gegeben erachtet hat.
Hat ein Beamtenbewerber die Ernennungsbehörde arglistig getäuscht, so genügt es für den Ursachenzusammenhang zwischen Täuschung und Ernennung, daß die Behörde ohne die Täuschung den Bewerber nicht, wie geschehen, alsbald ernannt, sondern zunächst weitere Prüfungen und Erwägungen angestellt und erst sodann auf vervollständigter Grundlage über seine Bewerbung entschieden hätte. Dies entspricht dem Sinn und Zweck der Rücknahmeregelung, die insbesondere auf Wiederherstellung der Entschließungsfreiheit der Ernennungsbehörde und auch auf die Reinerhaltung des öffentlichen Dienstes von Personen gerichtet ist, die durch unlauteres Verhalten diese Entschließungsfreiheit eingeschränkt haben. Eine arglistige Täuschung ist schon dann für die Ernennung ursächlich, wenn sich feststellen läßt, daß die Behörde bei Kenntnis des wahren Sachverhalts von der Ernennung tatsächlich, insbesondere unter Berücksichtigung ihrer Verwaltungspraxis, jedenfalls zu diesem Zeitpunkt, Abstand genommen hätte (Urteil vom 18. September 1985 - BVerwG 2 C 30.84 - <a.a.O.> und Beschlüsse vom 24. und 29. Juli 1998 - BVerwG 2 B 50.98 - sowie BVerwG 2 B 63.98 - <DVBl 1999, 319>). Damit ist auch unerheblich, ob der Beamtenbewerber vielleicht später doch noch ernannt worden wäre (Beschluß vom 29. Juli 1998 - BVerwG 2 B 63.98 - <a.a.O.>).
Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts wäre der Kläger nach der bestehenden Verwaltungspraxis bei Kenntnis seiner MfS/AfnS-Tätigkeit jedenfalls zu dem damaligen Zeitpunkt nicht ernannt worden. Es hätte zumindest eine weitergehende Prüfung stattgefunden. Diese Praxis entsprach - nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz - den Verwaltungsvorschriften des Beklagten, nach denen in Fällen dieser Art eine Vorlage beim Personalprüfungsausschuß erforderlich war, und die betreffenden Bediensteten zunächst im Angestelltenverhältnis zu belassen waren. Anhaltspunkte dafür, daß die Ernennungsbehörde gerade im Falle des Klägers von der bestehenden Praxis und Weisungslage abgewichen wäre und ihn in Kenntnis seiner Einbindung in das MfS/AfnS gleichwohl ohne weitere Prüfungen tatsächlich zum Beamten auf Probe ernannt hätte, bestehen nach den Feststellungen des Tatsachengerichts nicht. Die Ernennung von zehn Polizisten, die durch eine Tätigkeit für das MfS/AfnS belastet sind, im Zuge einer insgesamt 7 000 Polizisten erfassenden Ernennungsaktion reicht hierfür nicht aus. Diese zehn Ernennungen sind nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts ohne Wissen des Beklagten von nachgeordneten Behörden in Verkennung, in Einzelfällen möglicherweise auch unter Mißachtung der Anordnungen des Beklagten ausgesprochen worden (vgl. UA S. 16 - 18, 20). Bei einer solchen Tatsachen- und Beweiswürdigung stellt sich die Frage nach der vom Verwaltungsgericht angenommenen Abweichung von in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten Grundsätzen (UA S. 18) nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Beschluß:
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 23 528 DM festgesetzt (§ 13 Abs. 4 Satz 1 Buchst. b GKG <6,5 x 86,5 v.H. der monatlichen Bezüge nach A 8>).
Ende der Entscheidung
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