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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 13.07.2000
Aktenzeichen: BVerwG 2 C 26.99
Rechtsgebiete: EV


Vorschriften:

EV Anlage I
EV Kap. XIX
EV Sachgebiet A
EV Abschnitt III Nr. 3 Buchst. d
EV Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2
Leitsätze:

Im Sinne des EV Anlage I, Kapitel XIX, Sachgebiet A, Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 war jemand für das Ministerium für Staatssicherheit - MfS - tätig, wenn er bewusst und final diese Organisation aktiv unterstützt hat.

Ob das Festhalten am Beamtenverhältnis wegen früherer Stasi-Tätigkeit unzumutbar ist, unterliegt in vollem Umfange verwaltungsgerichtlicher Kontrolle und ist auf der Grundlage einer einzelfallbezogenen, auf die Eignung abstellenden Würdigung zu beurteilen (wie Urteile vom 3. Dezember 1998 - BVerwG 2 C 26.97 - <BVerwGE 108, 64>, vom 27. April 1999 - BVerwG 2 C 26.98 - <BVerwGE 109, 59> und vom 6. April 2000 - BVerwG 2 C 2.99 -).

Auch länger zurückliegende Tätigkeiten für das MfS können für die Beurteilung der Eignung bedeutsam sein.

Urteil des 2. Senats vom 13. Juli 2000 - BVerwG 2 C 26.99 -

I. VG Berlin vom 20.01.1999 - Az.: VG 7 A 281.95 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 2 C 26.99 VG 7 A 281.95

Verkündet am 13. Juli 2000

Grubert Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juli 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Silberkuhl und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dawin, Dr. Kugele, Groepper und Dr. Bayer

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. Januar 1999 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht Berlin zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Der im Jahre 1941 geborene Kläger gehörte der Zollverwaltung der ehemaligen DDR an. Im Oktober 1990 wurde er als Angestellter in die Bundeszollverwaltung übernommen. Nachdem er in einem Personalfragebogen verneint hatte, jemals Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) oder des Amts für Nationale Sicherheit gewesen zu sein, wurde er zum 1. Dezember 1991 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Zollhauptsekretär und unter dem 15. August 1994 zum Zollbetriebsinspektor ernannt.

Im November 1994 teilte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) der Oberfinanzdirektion Berlin mit, der Kläger sei im Juni 1964 für das MfS angeworben worden und bei diesem als Geheimer Informator (GI), seit 1969 als Inoffizieller Mitarbeiter für Staatssicherheit (IMS) mit einem Decknamen bis September 1971 erfasst gewesen. Die Beklagte entließ ihn daraufhin zum 30. September 1995 aus dem Beamtenverhältnis auf Probe.

Der nach erfolglosem Widerspruch erhobenen Anfechtungsklage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Der Kläger sei von Juli 1964 bis Dezember 1970 unter einem Decknamen in konspirativer Weise für das MfS tätig gewesen. Das ergebe sich aus seiner handschriftlichen Verpflichtungserklärung und den nach Angaben des BStU vorhandenen 70 handschriftlichen, mit Decknamen unterzeichneten Berichten, von denen mehrere dem Gericht abschriftlich vorlägen. Dem Kläger sei bewusst gewesen, Berichte für das MfS zu liefern. Gegen die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in der Zollverwaltung spreche, dass er über einen längeren Zeitraum von immerhin sechs Jahren dem MfS umfangreiche Mitteilungen gemacht habe, die in eine Vielzahl von Treffberichten und weiteren Berichten eingegangen seien. Seine Zuarbeit für das MfS sei nicht mit jugendlicher Unreife zu entschuldigen. Die vom BStU aus der über den Kläger beim MfS angelegten Akte entnommenen Berichte enthielten keinesfalls nur vollkommen belanglose Hinweise oder rein vorteilhafte Stellungnahmen, nach denen eine Gefährdung der ausgeforschten Personen ausgeschlossen gewesen wäre.

Der Kläger sei keinem Anwerbungsdruck ausgesetzt gewesen. Ihn entlaste allein, dass seine Zuträgerschaft für das MfS im Jahre 1970 geendet habe und damit lange Zeit zurückliege. Dem komme entscheidende Bedeutung zu. Das ergebe sich aus dem zum 1. August 1998 in Kraft getretenen neugefassten § 19 Abs. 1 Satz 2 und 4 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Danach unterblieben Mitteilung, Einsichtgewährung und Herausgabe von Akten des MfS grundsätzlich, wenn keine Hinweise vorhanden seien, dass nach dem 31. Dezember 1975 eine inoffizielle Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst oder einen ausländischen Nachrichtendienst vorgelegen habe. Anderes gelte nur dann, wenn sich aus den Unterlagen Anhaltspunkte dafür ergäben, dass ein Mitarbeiter im Zusammenhang mit seiner inoffiziellen Tätigkeit ein Verbrechen begangen oder gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen habe. Seien Mitteilungen des BStU vor dem 1. August 1998 erfolgt, habe die MfS-Zuträgerschaft aber vor dem 31. Dezember 1975 geendet, sei das Festhalten am Dienstverhältnis ebenfalls nur dann unzumutbar, wenn die Berichtstätigkeit für das MfS durch ähnlich schwerwiegende Umstände qualifiziert gewesen sei. Denn für eine unterschiedliche Behandlung lasse sich kein einleuchtender Grund finden. Auch das Bundesverfassungsgericht messe Tätigkeiten für das MfS, die vor dem Jahre 1970 abgeschlossen worden seien, keine oder jedenfalls nur äußerst geringe Bedeutung für den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu (BVerfGE 96, 171 <187 f.>). Zwar sei die MfS-Zuträgerschaft des Klägers nicht vor dem Jahre 1970 abgeschlossen gewesen. Das sei jedoch unerheblich, da es sich nicht um eine strikte Zeitgrenze handele. Ein besonders schwerer, sich von der üblichen Zusammenarbeit inoffizieller Mitarbeiter mit dem MfS abhebender Fall liege nicht vor.

Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen und mit Zustimmung des Klägers eingelegten Sprungrevision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Bundesrechts. Sie beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. Januar 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht meint in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium des Innern: Der erst mit Wirkung vom 1. August 1998 in Kraft getretene § 19 Abs. 1 Satz 2 StUG könne nicht zu einer rückwirkenden Änderung der Kriterien für die gebotene Einzelfallprüfung der Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung führen. Die vom Verwaltungsgericht herangezogene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei auf die Fälle der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis nicht zu übertragen.

II.

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht. Zur abschließenden Entscheidung bedarf es weiterer tatsächlicher Feststellungen. Das zwingt zur Zurückverweisung.

Rechtsgrundlage der angefochtenen Entlassung des Klägers ist Anlage I, Kapitel XIX, Sachgebiet A, Abschnitt III - im folgenden EV Anlage - Nr. 3 Buchstabe d in Verbindung mit Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 zum Einigungsvertrag (Einigungsvertragsgesetz vom 23. September 1990 <BGBl II S. 885>). Danach kann ein Beamter auf Probe auch entlassen werden, wenn die Voraussetzungen vorliegen, die bei einem Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst die Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Eine solche Kündigung ist u.a. gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer für das frühere Ministerium für Staatssicherheit tätig gewesen ist und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Diese besondere Entlassungsregelung ist mit Art. 12 Abs. 1 und Art. 33 Abs. 2 GG vereinbar und widerspricht nicht hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums (vgl. BVerwGE 108, 64 <66 f.>; Urteil vom 6. April 2000 - BVerwG 2 C 2.99 - zur Veröffentlichung vorgesehen>).

Der Kläger war im Sinne des Sonderentlassungstatbestandes für das Ministerium für Staatssicherheit tätig. Er hat dieses wissentlich und willentlich final aktiv unterstützt (vgl. dazu BVerwGE 108, 64 <67 f.>; 109, 59 <66>). Das ergeben die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen, an die der Senat gebunden ist (§ 134 Abs. 4, § 137 Abs. 2 VwGO).

Die Tätigkeit für das MfS führt freilich nur dann zur Entlassung des Beamten auf Probe, wenn deshalb ein Festhalten am Beamtenverhältnis "unzumutbar erscheint". Diese gesetzlichen Tatbestandsmerkmale sind kausal miteinander verknüpft und müssen kumulativ gegeben sein (vgl. BVerwGE 108, 64 <68>; 109, 59 <64>). Die Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unzumutbarkeit unterliegt uneingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Kontrolle (vgl. BVerwGE 108, 64 <68>; 109, 59 <65>). Maßgebend ist, ob die frühere Tätigkeit des Beamten für das MfS - unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebots (vgl. BVerfGE 96, 189 <199>) - das Dienstverhältnis derart belastet, dass dessen Fortsetzung ausgeschlossen ist. Dies ist nach einem objektiven Maßstab zu beurteilen (vgl. BVerwGE 108, 64 <68>; 109, 59 <65>). Der Begriff der "Unzumutbarkeit" verlangt eine einzelfallbezogene, auf die Eignung des Beamten abstellende Würdigung, die neben der konkreten Belastung für den Dienstherrn auch das Maß der Verstrickung des Betroffenen zu berücksichtigen hat. Der Grad der persönlichen Verstrickung ergibt sich vor allem aus Art, Dauer und Intensität der Tätigkeit für den früheren Staatssicherheitsdienst sowie aus dem Grund der Aufnahme und der Beendigung der Tätigkeit. Des weiteren ist von Bedeutung, zu welcher Zeit und in welchem Alter der Beamte auf Probe für das MfS tätig war, für welche Laufbahn er vorgesehen ist und wie er sich nach seiner Übernahme in den öffentlichen Dienst nach dem 3. Oktober 1990 verhalten hat (vgl. BVerwGE 108, 64 <68 f.>; 109, 59 <64 f.>; Urteile vom 27. April 1999 - BVerwG 2 C 33.98 - <Buchholz 111 Art. 20 EV Nr. 6 S. 10 f. und vom 6. April 2000 - BVerwG 2 C 2.99 -). Davon ist das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen.

Nach den im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen war der Kläger vom 17. Juli 1964 bis zum 1. Dezember 1970, also über einen Zeitraum von fast sechseinhalb Jahren, in konspirativer Weise für das Ministerium für Staatssicherheit tätig. Seine während dieser Zeit ausgeübte Spitzeltätigkeit hatte nach Quantität, Qualität und Intensität durchaus Gewicht. Sie ist auch beachtlich mit Blick auf die Verwendung im Zolldienst. Nach Feststellung des Verwaltungsgerichts befinden sich beim BStU 70 handschriftliche, mit dem Decknamen des Klägers unterzeichnete Berichte. Er hat darin über dienstliches Verhalten und über Geschehnisse aus der Privatsphäre seiner Kollegen detailliert informiert. Seine Berichte hätten staatliche Maßnahmen gegen die Ausgespähten auslösen können. Nach den protokollierten eigenen Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht (Beiakten I Bl. 102) soll einer seiner Berichte an das MfS über das private Zeigen pornographischer Hefte durch einen Kollegen in der Freizeit auch tatsächlich zur Entlassung dieses Kollegen geführt haben, weil der durch die Denunziation bekannt gewordene Vorgang "das Fass zum Überlaufen" gebracht habe.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die mehrjährige freiwillige und gravierende Spitzeltätigkeit des Klägers für das MfS im dienstlichen und im privaten Bereich von Kollegen nicht bagatellisiert. Hinweise auf eine innere Distanzierung oder gar Abkehr vom Ministerium für Staatssicherheit hat es nicht festgestellt.

Zugunsten des Klägers hat das Verwaltungsgericht mit Blick auf § 19 Abs. 1 Satz 2 und 4 StUG in der Fassung des 3. Änderungsgesetzes vom 20. Dezember 1996 (BGBl I S. 2026) allein dem Umstand entscheidende Bedeutung beigemessen, dass seine bisher festgestellte Tätigkeit für das MfS rund 20 Jahre vor seiner Ernennung zum Beamten auf Probe beendet war. Das ist nicht zu billigen. Maßgebend für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe ist die Sach- und Rechtslage zur Zeit des Erlasses der letzten Behördenentscheidung (vgl. BVerwGE 61, 200 <209> m.w.N.), hier des Widerspruchsbescheides vom 17. August 1995. Die vom Verwaltungsgericht herangezogene geänderte Fassung des § 19 Abs. 1 Satz 2 StUG ist erst zum 1. August 1998 in Kraft getreten. Der schon deswegen nicht anzuwendenden Vorschrift ist auch kein allgemeiner Rechtsgedanke des Inhalts zu entnehmen, lange zurückliegende Tätigkeiten als inoffizieller Mitarbeiter des MfS hätten bereits in dem hier maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt keine Bedeutung mehr für den Fortbestand des Beamtenverhältnisses gehabt. Die Sonderentlassungsregelung des Einigungsvertrages war bis zum 31. Dezember 1996 befristet. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Dienstherr von Rechts wegen verpflichtet, einen Beamten auf Probe wegen früherer Stasi-Tätigkeit unter der Voraussetzung der Unzumutbarkeit des Festhaltens am Beamtenverhältnis zu entlassen (vgl. BVerwGE 108, 64 <70> m.w.N.). Ein Verwertungsverbot für länger zurückliegende Tätigkeiten als Mitarbeiter des MfS enthält die Sonderentlassungsregelung des Einigungsvertrages nicht. Ihre kausal miteinander verknüpften, kumulativ geforderten Entlassungsvoraussetzungen verlangen grundsätzlich eine Ermittlung der gesamten Stasi-Tätigkeit des Beamten auf Probe und deren umfassende einzelfallbezogene, auf die Eignung des Beamten abstellende Würdigung (vgl. BVerfGE 96, 171 <187>; 96, 189 <199>; BVerwGE 108, 64 <68 f.>).

Dazu gehört freilich auch eine Berücksichtigung des Zeitfaktors. Eine langjährige Zusammenarbeit mit dem MfS stellt zwar die Vertrauenswürdigkeit des Bediensteten sowie seine innere Bereitschaft, Bürgerrechte zu respektieren und rechtsstaatliche Regeln als verbindlich einzuhalten, nachhaltig in Frage. Darüber hinaus vermag die Beschäftigung eines früher in die Machenschaften des MfS verstrickten Beamten in einem öffentlichen Dienst, der sich an den Strukturprinzipien des Grundgesetzes ausrichtet, berechtigte Zweifel an dessen rechtsstaatlicher und demokratischer Integrität zu begründen. Derartige durch die frühere MfS-Tätigkeit begründete Zweifel können sich aber je nach den Umständen des Einzelfalles als unberechtigt erweisen. Namentlich kann ein langer Zeitablauf nach Beendigung der inoffiziellen Tätigkeit für das MfS Zweifel an der Eignung nach den allgemeinen beamtenrechtlichen Anforderungen zurücktreten lassen (vgl. BVerwGE 109, 59 <67>). Andererseits können aber auch weit zurückliegende Tätigkeiten für das MfS für die Beurteilung der Eignung noch bedeutsam sein. So verhält es sich insbesondere dann, wenn sie besonders schwer wiegen oder wenn spätere Verstrickungen hinzutreten (vgl. BVerfGE 96, 171 <188>).

Wer - wie der Kläger - als inoffizieller Mitarbeiter des MfS aufgrund freiwillig eingegangener Verpflichtung langjährig Berufskollegen sowohl im dienstlichen als auch im privaten Bereich bespitzelte und Abträgliches über sie an den Staatssicherheitsdienst berichtete, beteiligte sich in besonders schwer wiegender Weise an der rechtsstaatswidrigen systematischen Ausforschung der eigenen Bürger der ehemaligen DDR mit nachrichtendienstlichen Mitteln (vgl. BVerfGE 96, 189 <198 f.>). Zwar wird knapp 20 Jahre nach Beendigung der MfS-Mitarbeit nicht mehr ohne weiteres angenommen werden können, dass sich der Kläger nach wie vor mit den Zielen und Methoden des MfS identifiziert und künftig nicht bereit sein wird, seinen Pflichten als Beamter im Zolldienst nachzukommen, insbesondere Grundrechte und rechtsstaatliche Regeln zu beachten (vgl. BVerwGE 109, 59 <67>). Die Frage der Unzumutbarkeit des Festhaltens am Beamtenverhältnis wegen früherer Tätigkeit für das MfS lässt sich jedoch nur aufgrund einer umfassenden Feststellung des Sachverhalts abschließend entscheiden (vgl. BVerwGE 109, 59 <65>). An dieser materiellrechtlich gebotenen erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts fehlt es bisher.

Das Verwaltungsgericht hat ausschließlich Feststellungen zu der Tätigkeit des Klägers als IMS in der Zeit von Juni 1964 bis Dezember 1970 getroffen. Art, Dauer und Intensität der Zuarbeit hat es nicht in der von der Sonderentlassungsregelung geforderten Weise umfassend aufgeklärt.

Insbesondere hat es nicht den für die Eignungsbeurteilung bedeutsamen Zeitpunkt - wie auch den Grund - der Beendigung der Tätigkeit des Klägers für das MfS ermittelt. Das Verwaltungsgericht hat ausschließlich den Zeitpunkt festgestellt, zu dem die Tätigkeit des Klägers als IMS abgeschlossen war. Das reicht jedoch nicht aus, um den Zeitablauf seit der Beendigung der Tätigkeit für das MfS bestimmen zu können.

Nach dem vorliegenden Abschlussbericht der Abteilung VI der Verwaltung für Staatssicherheit vom 10. September 1971 (Beiakten IV Bl. 157) wurde die Tätigkeit des Klägers als IMS durch seine Versetzung zur Abteilung Zollermittlung beendet. In dem Abschlussbericht heißt es dazu, da diese "Abteilung der Zollverwaltung in erster Linie die Interessen des MfS durchsetzt und von Mitarbeitern des MfS angeleitet wird, ist eine weitere inoffizielle Arbeit mit dem IMS nicht mehr möglich". In dem Beschluss zum "Einstellen" des IMS vom 10. September 1971 (Beiakten IV Bl. 159) sind die Gründe für das Einstellen wie folgt angegeben: "Der IMS ist jetzt Mitarbeiter der Zollermittlung. Diese Spezialabteilung wird durch Mitarbeiter des MfS geführt, die jedoch mit den Angehörigen nicht inoffiziell zusammenarbeiten dürfen."

Das wirft die bisher ungeklärte Frage auf, ob der Kläger auch noch als Mitarbeiter der Abteilung Zollermittlung für das MfS gearbeitet hat. Dies muss aus materiellrechtlichen Gründen aufgeklärt werden. Denn in den gesetzlichen Tatbestand der EV-Anlage Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 ist jegliche Tätigkeit einbezogen, die einen finalen Bezug zur Arbeit des MfS hatte. In welcher Stellung die Tätigkeit ausgeübt wurde, ist unerheblich. Auch eine Zuarbeit aufgrund dienstlicher Verpflichtung erfüllt das Tatbestandsmerkmal "Tätigkeit für das MfS" ohne Rücksicht darauf, ob sie im Einzelfall oder allgemein angeordnet war, ob sie routinemäßig vorgenommen wurde und ob sie für das MfS wichtig oder förderlich war (vgl. BVerwGE 108, 64 <68>; 109, 59 <66>). Bei beruflich veranlasster Kooperation mit dem MfS sind in gleicher Weise insbesondere Art, Dauer und Intensität unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit zu würdigen. In subjektiver Hinsicht ist zwar erforderlich, dass der spätere Beamte wissentlich und willentlich für das MfS tätig geworden ist (vgl. BVerwGE 108, 64 <68>; 109, 59 <66>). Er muss jedoch nicht die Absicht einer Mitarbeit gehabt haben. Es genügt, wenn er die Zuarbeit billigend in Kauf genommen, also eine Tätigkeit ausgeübt hat, von der er wusste, dass sie möglicherweise vom Staatssicherheitsdienst veranlasst war (vgl. BVerwGE 108, 64 <68>). In dieser Richtung hat das Verwaltungsgericht nichts aufgeklärt. Auch im Übrigen hat das Verwaltungsgericht den Sachverhalt nicht umfassend aufgeklärt. Von den nach Angaben des BStU dort vorhandenen 70 handschriftlichen Berichten des Klägers haben ausweislich des angefochtenen Urteils (UA S. 3) lediglich "mehrere" dem Verwaltungsgericht abschriftlich vorgelegen. Der Bericht des BStU mit Auszügen aus den Stasi-Unterlagen als Anlagen reicht als Beurteilungsgrundlage nicht aus. Um die verfügbaren Erkenntnisquellen in der materiellrechtlich gebotenen Weise auszuschöpfen, sind grundsätzlich sämtliche Berichte und die beim BStU über den Mitarbeiter des MfS vorhandenen Akten möglichst vollständig beizuziehen (vgl. BVerwGE 106, 153 <167>). Die Rechtsgrundlage hierfür bieten die §§ 19, 21 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. d StUG in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 20. Dezember 1996 (a.a.O.). Die Akten können danach auch zum Zweck der Feststellung des Grades der Verstrickung eines Mitarbeiters des MfS beigezogen werden (vgl. BVerwGE 106, 153 <167>). Auch das wird nachzuholen sein, um auf der Grundlage weiterer Erkenntnisse eine umfassende Abwägung vornehmen zu können.

Das Verhalten des Klägers nach dem Ende seiner Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit, insbesondere im Rahmen seiner Beschäftigung nach dem 3. Oktober 1990 und während seiner Probezeit, das bei dem Urteil über die Zumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung zu berücksichtigen ist, führt zu keiner anderen Entscheidung. Ein beanstandungsfreies dienstliches Wohlverhalten ist für sich allein nicht geeignet, die Fortsetzung des Dienstverhältnisses mit einem früheren langjährigen inoffiziellen Mitarbeiter als zumutbar erscheinen zu lassen (vgl. BVerwGE 108, 64 <70>). Hiervon abgesehen hat der Kläger sich während des Beschäftigungsverhältnisses mit der Beklagten nicht pflichtgemäß verhalten. Er hat in seiner schriftlichen Erklärung vom 11. Oktober 1990 die Frage, ob er sich zur Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit als inoffizieller Mitarbeiter verpflichtet und ob er Informationen an das MfS gegeben hat, der Wahrheit zuwider verneint (vgl. Urteil vom 6. April 2000 - BVerwG 2 C 2.99 -; vgl. auch Urteil vom 3. September 1997 - BVerwG 2 WD 54.96 - BVerwGE 113, 131 <133 ff.>).

Beschluß

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 26 209 DM festgesetzt (§ 13 Abs. 4 Satz 1 Buchst. b GKG - Hälfte der Jahresbezüge nach BesGr. A 9).



Ende der Entscheidung

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