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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 21.12.2000
Aktenzeichen: BVerwG 2 C 42.99
Rechtsgebiete: EV Anlage I Kapitel XIX, BBG, AZV


Vorschriften:

EV Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 4
BBG § 72 Abs. 4
AZV § 1 Abs. 1 Satz 1
Leitsatz:

Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Bundesbeamten beträgt seit 1. Oktober 1992 auch im Beitrittsgebiet durchschnittlich 38,5 Stunden.

Urteil des 2. Senats vom 21. Dezember 2000 - BVerwG 2 C 42.99 -

I. VG Berlin vom 02.11.1999 - Az.: VG 28 A 176.98 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 2 C 42.99 VG 28 A 176.98

Verkündet 21. Dezember 2000

Schütz Justizsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 21. Dezember 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Silberkuhl und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dawin, Dr. Kugele, Groepper und Dr. Bayer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 2. November 1999 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I.

Der Kläger ist Beamter der Beklagten. Seit 1992 ist er in einer Dienststelle eingesetzt, die im Beitrittsgebiet liegt. Zum 1. September 1996 setzte die Beklagte die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit für die Beamten der Dienststelle auf 40 Stunden fest und bezog sich zur Begründung auf den Einigungsvertrag. Hiergegen machte der Kläger geltend, seit dem 1. Oktober 1992 sei seine durchschnittliche Arbeitszeit nicht mehr im Einigungsvertrag geregelt. Maßgeblich sei vielmehr die Arbeitszeitverordnung, die 38,5 Wochenstunden vorsehe.

Den Widerspruch gegen die Festsetzung der Arbeitszeit wies die Beklagte mit der Begründung zurück, die Bundesregierung habe von der Ermächtigung des Einigungsvertrages, die Arbeitszeit der Beamten im Beitrittsgebiet übergangsweise abweichend von der Arbeitszeitverordnung zu regeln, keinen Gebrauch gemacht. Deshalb bleibe es bei der Übergangsregelung des Einigungsvertrages, dass sich die Arbeitszeit der Beamten nach der Arbeitszeit der Arbeitnehmer in derselben Dienststelle richte. In der Außenstelle, in der der Kläger Dienst verrichte, seien dies 40 Wochenstunden.

Auf die Klage hat das Verwaltungsgericht die Arbeitszeitfestsetzung aufgehoben und festgestellt, dass die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers 38,5 Stunden beträgt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, für die Festsetzung der regelmäßigen Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden fehle die Rechtsgrundlage. Denn die Ermächtigung des Einigungsvertrages zur Festsetzung einer von der Arbeitszeitverordnung abweichenden Arbeitszeit im Beitrittsgebiet sei mit Ablauf des 30. September 1992 entfallen. Die bis zum Erlass einer Rechtsverordnung maßgebende einigungsvertragliche Regelung gelte nicht über den 30. September 1992 hinaus.

Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision macht die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts geltend. Sie beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 2. November 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger verteidigt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt die Revision der Beklagten.

II.

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Ohne Verstoß gegen revisibles Recht hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers 38,5 Stunden beträgt.

Der Kläger ist Beamter im Dienst des Bundes. Für Bundesbeamte beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 38,5 Stunden (vgl. § 72 Abs. 4 BBG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Arbeitszeit der Bundesbeamten <Arbeitszeitverordnung - AZV ->), in der Fassung, in der sie seit In-Kraft-Treten der Achten Verordnung zur Änderung der Arbeitszeitverordnung vom 9. Februar 1989 (BGBl I S. 227) gilt. Aus den Bestimmungen des Einigungsvertrages ergibt sich für den im Streit befindlichen Zeitraum nichts anderes.

Nach Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 4 des Einigungsvertrages (künftig: Abschnitt III Nr. 4 EV) tritt in dem in Artikel 3 des Vertrages genannten Gebiet des beigetretenen Teils Deutschlands die bundesrechtliche Arbeitszeitverordnung mit folgender Maßgabe in Kraft: Die Bundesregierung kann durch Rechtsverordnung bis zum 30. September 1992 die Dauer der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit entsprechend den allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnissen im Beitrittsgebiet und seiner Entwicklung abweichend von der Arbeitszeitverordnung festsetzen und regelmäßig anpassen. Bis zum In-Kraft-Treten einer Rechtsverordnung richtet sich die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Beamten nach der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer derselben Dienststelle.

Von der bis zum 30. September 1992 befristeten Ermächtigung, durch Rechtsverordnung die Arbeitszeit der Bundesbeamten im Beitrittsgebiet abweichend von der Arbeitszeitverordnung zu regeln, hat die Bundesregierung keinen Gebrauch gemacht. Die Frist ist verstrichen. Dies hat zur Folge, dass mit Ablauf des 30. September 1992 die Arbeitszeitverordnung ohne Einschränkungen oder Modifizierungen auch im Beitrittsgebiet in Kraft getreten ist. Das ergibt sich aus einer Auslegung der Übergangsregelung des Abschnitts III Nr. 4 EV nach Wortlaut, Sinnzusammenhang und erkennbarem Zweck.

Abschnitt III Nr. 4 letzter Satz EV weicht ab von § 72 Abs. 4 BBG, wonach die Bundesregierung "das Nähere" der Arbeitszeit von Beamten durch Rechtsverordnung regelt. Der Verzicht auf eine rechtssatzförmige Festlegung der Arbeitszeit der Bundesbeamten im Beitrittsgebiet nach dem Einigungsvertrag diente der Überbrückung von Anfangsschwierigkeiten nach dem 3. Oktober 1990 und der Anpassung an die besonderen Verhältnisse. Sie galt, solange die Länder das Beamtenrecht nicht eigenständig geregelt hatten, gleichermaßen für die Beamten im Bund und in den Ländern (vgl. Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 1 EV). Als "Übergangsregelung" im Sinne der Grundsatzbestimmung des Art. 20 Abs. 1 EV war sie nach dem Willen des Gesetzgebers nur kurzzeitig - längstens bis zum 30. September 1992 - hinzunehmen, weil sie im Widerspruch zu dem Grundsatz stand, dass die Rechtsverhältnisse der Beamten durch Gesetz bestimmt werden. Eine derartige normative Regelung fehlt, solange sich die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Beamten nach der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer derselben Dienststelle richtet. Deshalb steht nach Abschnitt III Nr. 4 EV die Übergangsregelung in einem Stufenverhältnis zu der Verordnungsermächtigung. Diese hat nicht vorrangig den Sinn, Rechtsgrundlage für den Erlass einer Rechtsverordnung gemäß Art. 80 Abs. 1 GG zu sein, die die Bundesregierung nach eigenen Zweckmäßigkeitsvorstellungen in Anspruch nehmen kann, sondern den Zweck, die Geltung des Abschnitt III Nr. 4 letzter Satz EV zeitlich zu beschränken.

Für die Auffassung der Beklagten gibt auch die Entstehungsgeschichte der Übergangsregelung nicht genügend her. Die Anknüpfung an die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer sollte die Aufstellung von Dienstplänen auf der Grundlage einer einheitlichen Arbeitszeit für Beamte und Arbeitnehmer in Bundesdienststellen ermöglichen (vgl. die amtl. Begr., BTDrucks 11/7817, S. 181). Dieses nachweislich angestrebte Ziel recht-fertigt nicht die Annahme einer zeitlich unbeschränkten Geltung der Übergangsregelung, zumal es in den alten Bundesländern uneinheitliche Arbeitszeiten gab und gibt.

Die an die Arbeitszeit der Arbeitnehmer anknüpfende Übergangsregelung kann auch deswegen nicht als Dauerrecht angesehen werden, weil dies das Gebot verfassungskonformer Auslegung verletzte. Die Festsetzung der regelmäßig zu leistenden Arbeitszeit obliegt dem Gesetzgeber. Das hat in § 72 BBG und der aufgrund dessen Ermächtigung erlassenen Arbeitszeitverordnung seinen Niederschlag gefunden. Die Übergangsregelung des Einigungsvertrages genügt nur ihrer Rechtsqualität, nicht ihrem Regelungsinhalt nach diesem Prinzip. Die für die Beamten geltende Arbeitszeit hängt infolge ihrer Bindung an die Arbeitszeit der in derselben Behörde beschäftigten Arbeitnehmer davon ab, ob in derselben Dienststelle überhaupt Arbeitnehmer beschäftigt sind und welche Arbeitszeit für diese Arbeitnehmer jeweils tarifvertraglich vereinbart ist. Die Vorschrift enthält somit eine dynamische Verweisung auf tarifvertragliche Regelungen. Auch als Verweisungsnorm unterliegt sie der verfassungskonformen Auslegung (vgl. etwa BVerfGE 64, 208 <214, 216>; BVerwGE 27, 239 <243 f.>).

Einer Bezugnahme auf außerstaatliches Recht sind verfassungsrechtlich enge Grenzen gezogen. Der Gesetzgeber darf seine Normsetzungsbefugnis nicht schrankenlos außerstaatlichen Stellen überlassen; er würde dadurch unzulässig auf seine Rechtssetzungsbefugnis verzichten. Nur wenn der Inhalt der Bezugsregelungen, auf die die staatlichen Rechtsnormen verweisen, hier also die einschlägigen tarifvertraglichen Bestimmungen, im Wesentlichen feststeht, ist der Verzicht des Gesetzgebers auf seine Rechtssetzungsbefugnis zulässig (vgl. BVerfGE 26, 338 <366 f.>; 44, 322 <348>; 64, 208 <215>; 78, 32 <36>). Nur dann genügt die verweisende Norm auch den Anforderungen, die sich aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaats- und Demokratiegebot ergeben (vgl. BVerfGE 64, 208 <214 f.>; 78, 32 <36>).

Die Annahme der Beklagten, die Arbeitszeitregelung des Einigungsvertrages für Beamte knüpfe dauerhaft an die tarifvertraglich vereinbarte regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer an, wird diesen Maßstäben nicht gerecht. Die Bundesregierung begäbe sich auf nicht absehbare Zeit der ihr durch § 72 Abs. 4 BBG eingeräumten Befugnis und normgeberischen Verantwortung, die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Bundesbeamten im Beitrittsgebiet durch Rechtsverordnung zu regeln. Dies hätte zur Folge, dass die Arbeitszeit eines Teils der Bundesbeamten in der Entscheidungskompetenz der Tarifvertragsparteien läge, die ihnen gegenüber weder staatlich-demokratisch noch mitgliedschaftlich legitimiert sind. Mag zwar der Umfang der tarifrechtlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit durch den Bundes-Angestelltentarifvertrag für die jeweilige Laufzeit feststehen, so bleibt ungewiss, welche Vereinbarungen die Tarifpartner jeweils treffen. Vor allem aber ist ungewiss, ob in einer Dienststelle tarifvertraglich gebundene Arbeitnehmer überhaupt beschäftigt werden und ob für diese der Bundes-Angestelltentarifvertrag Ost oder West anzuwenden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 8 000 DM festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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