Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 28.02.2002
Aktenzeichen: BVerwG 2 C 5.01
Rechtsgebiete: BeamtVG, VwGO


Vorschriften:

BeamtVG § 31
BeamtVG § 45 Abs. 1
BeamtVG § 45 Abs. 2
VwGO § 125 Abs. 1
VwGO § 101 Abs. 2
VwGO § 86 Abs. 1
Folgen eines Dienstunfalls, die erst später bemerkbar geworden sind, begründen keinen Anspruch des Beamten auf Dienstunfallfürsorge, wenn er sie nicht innerhalb von zehn Jahren seit dem Unfall und innerhalb von drei Monaten, nachdem die Unfallfolge bemerkbar geworden ist, dem Dienstherrn gemeldet hat.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 2 C 5.01

Verkündet am 28. Februar 2002

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 28. Februar 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Silberkuhl und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dawin, Dr. Kugele, Groepper und Dr. Bayer

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. Juni 2000 wird aufgehoben, soweit es die Beschwerden der Klägerin im Bereich des Kauapparates betrifft. Die Sache wird in diesem Umfang zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits, einschließlich des Revisionsverfahrens, bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Die Klägerin war bis zu ihrer Zurruhesetzung Ende November 1983 Realschullehrerin im Dienst des Beklagten. Am 11. Oktober 1977 erlitt sie auf dem Heimweg von der Schule bei einem Verkehrsunfall Körperschäden, für deren Behandlung der Beklagte Unfallfürsorge gewährte. Weitergehende Unfallfürsorge lehnte der Beklagte bestandskräftig ab.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage auf Verpflichtung des Beklagten, der Klägerin im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens zusätzliche Unfallfürsorge zu gewähren, teilweise stattgegeben. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage insgesamt abgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt:

Beschwerden im Kauapparat sowie Seh- und Hörbeschwerden habe die Klägerin nicht innerhalb der zehnjährigen Ausschlussfrist des § 45 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG gemeldet. Die Fraktur des zwölften Brustwirbelkörpers sowie die Beschwerden im Bereich des linken Fuß- und rechten Handgelenks, der Wirbelsäule einschließlich der Belastungsschmerzen sowie die Bewegungsbeschränkungen im Kopfbereich seien zwar rechtzeitig gemeldet, doch sei der Unfall keine im dienstunfallrechtlichen Sinn wesentliche Mitbedingung für die Gesundheitsbeeinträchtigungen der Klägerin gewesen. Das ergebe sich aus der Beweisaufnahme im erstinstanzlichen Verfahren unter Berücksichtigung der übrigen ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen.

Mit der vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie beantragt,

die Urteile des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. Juni 2000 und des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 24. Oktober 1996, soweit dieses die Klage abgewiesen hat, sowie die Bescheide des Beklagten vom 23. Februar 1989 und vom 24. Juli 1990 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin die beantragte zusätzliche Unfallfürsorge zu gewähren.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet, soweit Beschwerden der Klägerin im Bereich des Kauapparates betroffen sind. Das Berufungsurteil ist in diesem Umfang aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Im Übrigen ist die Revision unbegründet.

Die Annahme des Berufungsgerichts, Beschwerden im Bereich des Kauapparates habe die Klägerin nicht rechtzeitig als Dienstunfallfolge geltend gemacht, ist mit revisiblem Recht nicht vereinbar. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG wird nach Ablauf der zweijährigen Ausschlussfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG für die Meldung eines Dienstunfalls Unfallfürsorge nur gewährt, wenn seit dem Unfall noch nicht zehn Jahre vergangen sind und gleichzeitig glaubhaft gemacht wird, dass eine den Anspruch auf Unfallfürsorge begründende Folge des Unfalls erst später bemerkbar geworden ist. Die Meldung muss innerhalb von drei Monaten erfolgen (§ 45 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG). Unschädlich ist, dass sich schon früher Unfallfolgen gezeigt haben. § 45 Abs. 2 BeamtVG verlangt nur, dass "eine" anspruchsbegründende Unfallfolge erst später bemerkbar geworden ist. Ab diesem Zeitpunkt läuft die Dreimonatsfrist des § 45 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG.

Bemerkbar geworden ist eine Unfallfolge, wenn der verletzte Beamte bei sorgfältiger Prüfung nach seinem Urteilsvermögen zu der Überzeugung gekommen ist oder kommen musste, dass sein Leiden durch den Unfall verursacht ist. Dass er nur mit einer solchen Möglichkeit rechnete oder rechnen musste, genügt nicht (vgl. Urteil vom 21. September 2000 - BVerwG 2 C 22.99 - Buchholz 239.1 § 45 BeamtVG Nr. 4 S. 2 m.w.N.).

Die im angefochtenen Urteil getroffene Feststellung, Fehlbildungen im Bereich des Kauapparates seien erstmals in dem Gutachten des Rechtsmediziners Dr. J. vom 18. Dezember 1988 und damit nach Ablauf der Ausschlussfrist von zehn Jahren seit dem Unfall der Klägerin am 11. Oktober 1977 mit dem unfallbedingten HWS-Schleudertrauma in Verbindung gebracht worden, steht - wie die Revision zu Recht rügt - in offensichtlichem Widerspruch zum Akteninhalt. Sie verletzt § 108 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO und bindet den Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO nicht (stRspr; vgl. Urteil vom 2. Februar 1984 - BVerwG 6 C 134.81 - BVerwGE 68, 338 <339>; Beschluss vom 16. März 1999 - BVerwG 9 B 73.99 - Buchholz 310 § 108 VwGO Abs. 2 Nr. 7 S. 5 f. m.w.N.). Bereits in dem Attest des Zahnarztes Dr. S. vom 12. März 1986 wird der dringende Verdacht einer unfallbedingten Verschiebung von Schädelknochen geäußert, die zur Folge habe, dass der Unterkiefer nicht mehr exakt zum Schädel passe. Dieses Attest hat die Klägerin dem Beklagten mit einem dort am 21. März 1986 eingegangenen Schreiben vom 19. März 1986 mit der Bitte um Berücksichtigung vorgelegt. Im Berufungsverfahren hat sie mit Schriftsatz vom 13. Juni 2000 noch einmal ausdrücklich auf dieses Attest hingewiesen. Das Attest vom 12. März 1986 genügt den inhaltlichen Anforderungen an die Meldung einer erst nach Ablauf der zweijährigen Ausschlussfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG bemerkbar gewordenen anspruchsbegründenden Unfallfolge. Die Unfallfolgenanzeige wahrte die Dreimonatsfrist des § 45 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG, wenn für die Klägerin als medizinischer Laie erst durch diese zahnärztliche Diagnose erkennbar wurde, dass ihre andauernden Beschwerden im Bereich des Kauapparates unmittelbar auf dem Peitschentrauma ihrer Halswirbelsäule beruhen könnten. Ob eine solche Kausalität zwischen Unfall und Beschwerden im Bereich des Kauapparates besteht und ob diese erst mit der Diagnose des Zahnarztes Dr. S. für die Klägerin in dem dargelegten Sinne des § 45 Abs. 2 BeamtVG "bemerkbar" wurde, bedarf weiterer Sachaufklärung. Das zwingt zur Zurückverweisung (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

Im Übrigen ist die Revision unbegründet. Insoweit steht das angefochtene Urteil mit revisiblem Recht in Einklang.

Das Berufungsgericht hat keine Verfahrensfehler begangen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin durfte es ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Denn die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 26. Oktober 1998 gemäß § 125 Abs. 1 in Verbindung mit § 101 Abs. 2 VwGO wirksam auf mündliche Verhandlung verzichtet. Die Verzichtserklärung bezog sich auf die nächste anstehende Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, die nach der Angabe des Berichterstatters im Schreiben vom 21. Oktober 1998 ein Beweisbeschluss oder - bereits - ein Urteil sein würde. Auch die Klägerin wollte ihre Erklärung vom 26. Oktober 1998 so verstanden wissen. Denn sie hat auf die Mitteilung des Gerichts vom 15. Juni 2000, es werde kein Beweisbeschluss ergehen, nicht reagiert.

Die angefochtene Entscheidung beruht auch nicht auf einem Aufklärungsmangel (§ 86 Abs. 1 VwGO). Das Berufungsgericht war nicht gehalten, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen. Die Art der Beweismittel und den Umfang der Beweisaufnahme bestimmt das Tatsachengericht im Rahmen seiner Pflicht zur Sachaufklärung von Amts wegen nach seinem Ermessen. Das gilt auch für die Frage, ob es das Einholen eines weiteren Gutachtens oder die Ergänzung weiterer Gutachten für erforderlich hält. Das Absehen von weiteren Gutachten ist - ohne einen entsprechenden Beweisantrag - nur dann verfahrensfehlerhaft, wenn sich dem Gericht eine weitere Beweiserhebung aufdrängen musste. Das ist nur dann der Fall, wenn das bereits vorliegende Gutachten den ihm obliegenden Zweck nicht erfüllt, dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderliche Sachkunde zu vermitteln und ihm die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. Dies ist nur dann der Fall, wenn die dem Gericht vorliegenden Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweisen, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder wenn Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters bestehen (stRspr; vgl. z.B. Urteil vom 6. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 12.87 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31 S. 2; Beschluss vom 4. Dezember 1991 - BVerwG 2 B 135.91 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 238 S. 67).

Hinsichtlich der Seh- und Hörbeschwerden sowie der Bewegungseinschränkungen im Kopfbereich hat die Vorinstanz die Meldung an den Dienstherrn im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG zu Recht als verspätet beurteilt. Die Klägerin hat diese Beschwerden erst durch das Gutachten Dr. J. vom 19. Dezember 1988 mit dem unfallbedingten HWS-Schleudertrauma in Verbindung gebracht und damit erst nach Ablauf der zehnjährigen Ausschlussfrist des § 45 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG dem Dienstherrn gemeldet.

Nach dem ausdrücklichen Wortlaut beginnt sowohl die Ausschlussfrist nach § 45 Abs. 1 BeamtVG als auch die Ausschlussfrist nach Absatz 2 mit dem Eintritt des Unfalls. Auf den Fristbeginn hat es keinen Einfluss, dass der Beamte ein Ereignis nicht als Dienstunfall einstuft. Dies gilt auch dann, wenn der Beamte vor Ablauf der Ausschlussfrist den Zusammenhang eines Körperschadens mit einem Unfallereignis nicht erkannt hat und auch nicht erkennen konnte.

Gemäß § 45 Abs. 2 BeamtVG sind Leistungen der Unfallfürsorge ausgeschlossen, die mit Rücksicht auf einen Körperschaden verlangt werden, der auf einem mehr als zehn Jahre zurückliegenden Ereignis beruht. Das ist der Fall, wenn nach Ablauf der Ausschlussfrist von zehn Jahren das Dienstunfallgeschehen als solches oder auch ein - weiterer - Körperschaden aufgrund eines solchen Ereignisses gemeldet wird. § 45 Abs. 2 BeamtVG hindert nicht die Leistung von Unfallfürsorge über mehr als zehn Jahre. Vielmehr sollen nach zehn Jahren nur Auseinandersetzungen über den Geschehensablauf und über den Kausalzusammenhang eines Körperschadens vermieden werden (vgl. u.a. Urteil vom 6. März 1986 - BVerwG 2 C 37.84 - Buchholz 232.5 § 45 BeamtVG Nr. 2 S. 3; Beschluss vom 15. September 1995 - BVerwG 2 B 46.95 - Buchholz 239.1 § 45 BeamtVG Nr. 3 S. 1 f. m.w.N.). Im Hinblick auf die schadensbezogenen Leistungen der Unfallfürsorge ist es unerheblich, ob innerhalb der Ausschlussfrist ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist, gemeldet wird. Ein solcher historischer Vorgang ist erst dann ein Dienstunfall, wenn er einen Körperschaden zur Folge hatte (vgl. § 31 BeamtVG). Nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck privilegiert § 45 BeamtVG nicht den Beamten, der nach Ablauf der Ausschlussfristen einen weiteren Körperschaden anzeigt. Auch eine solche Meldung wird von den Ausschlussfristen erfasst.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 4 090 € (entspricht 8 000 DM) festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 2, § 73 Abs. 1 Satz 1 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück