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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 13.03.2002
Aktenzeichen: BVerwG 3 B 19.02
Rechtsgebiete: EALG, VwGO
Vorschriften:
EALG Art. 11 | |
VwGO § 124 Abs. 1 | |
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3 | |
VwGO § 133 Abs. 6 | |
VwGO § 135 | |
VwGO § 194 Abs. 1 |
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS
BVerwG 3 B 19.02
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 13. März 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Driehaus sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick und Dr. Brunn
beschlossen:
Tenor:
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin über die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil vom 2. November 2001 wird aufgehoben. In diesem Umfang wird die Sache an das Verwaltungsgericht Berlin zurückverwiesen.
Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen.
Gründe:
Auf die Beschwerde der Beklagten ist (nur) der Ausspruch des Verwaltungsgerichts über die Nichtzulassung der Revision in entsprechender Anwendung der §§ 135, 133 Abs. 6 VwGO aufzuheben, um der Beklagten (und sonstigen Beschwerten) die Möglichkeit zu verschaffen, die Zulassung des Rechtsmittels der Berufung zu erstreiten.
1. Allerdings hat die Beklagte, indem sie entsprechend der erteilten Rechtsmittelbelehrung Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht erhoben hat, bei Lichte besehen eine nicht statthafte Beschwerde erhoben.
a) Aus § 152 i.V.m. §§ 134, 135 VwGO ergibt sich, dass eine an das Bundesverwaltungsgericht gerichtete Beschwerde gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts grundsätzlich unzulässig ist, es sei denn, die Verfahrensbeteiligten seien durch Bundesgesetz gehindert, gemäß §§ 124 ff. VwGO das Berufungsgericht anzurufen (allgemeiner Ausschluss der Berufung, § 135 Satz 1 VwGO).
b) Indessen regelt, wie im Beschwerdeverfahren die Beklagte zu Recht geltend macht, keine Vorschrift des Bundesrechts, dass in Verfahren wie dem Ausgangsverfahren die Berufung ausgeschlossen ist.
In Übereinstimmung mit den Verfahrensbeteiligten hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass der vom Kläger geltend gemachte Anspruch (Herausgabe von Aktienurkunden) im Schwerpunkt auf die Bestimmung des Art. 11 Abs. 3 EALG zu gründen sei und andere Vorschriften des Entschädigungs- bzw. Ausgleichsrechts entscheidungserheblich nicht heranzuziehen seien. Im Gegensatz zum Entschädigungsgesetz (Art. 1 EALG), dessen § 12 Abs. 1 Satz 1 die Bestimmungen des Vermögensgesetzes für entsprechend anwendbar erklärt, und zum Ausgleichsleistungsgesetz (Art. 2 EALG), dessen § 6 Abs. 2 für die Durchführung einiger Vorschriften des Gesetzes ebenfalls die Bestimmungen des Vermögensgesetzes für entsprechend anwendbar erklärt, sieht Art. 11 EALG weder ausdrücklich noch der Sache nach einen der Vorschrift des § 37 Abs. 2 VermG entsprechenden Ausschluss der Berufung vor. Folglich fehlt der gerichtlichen Annahme, die Berufung sei gemäß § 37 Abs. 2 VermG ausgeschlossen, eine tragfähige Grundlage. Es versteht sich nämlich von selbst und bedarf keiner vertieften Begründung, dass vor dem Hintergrund der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG Rechtsmittelausschlüsse oder -einschränkungen zwar nicht ausgeschlossen sind, aber ein entsprechender Gesetzeswille in einer Zweifel ausschließenden Weise deutlich hervortreten muss. Mit der - soweit ersichtlich - einhelligen Auffassung im Schrifttum (vgl. lediglich Bartels in: Gallenkamp u.a., Die Entschädigung nach dem EALG, Band 1, A 2, 110, Rn. 132 zu Art. 11 EALG <Stand April 1998>) vermag daher der beschließende Senat eine ausdrückliche Regelung über einen Berufungsausschluss nicht zu erkennen; der bloße Umstand, dass - wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat - die Annahme eines Berufungsausschlusses der eigenen ständigen Rechtsprechung zugrunde liege, vermag eine ausdrückliche bundesgesetzliche Regelung nicht zu ersetzen.
2. Läge es nach dem Vorstehenden nahe, die Beschwerde der Beklagten als unstatthaft zu verwerfen und die Kostenentscheidung mit Blick auf die unrichtige erstinstanzliche Sachbehandlung zu treffen, so hält der beschließende Senat gleichwohl eine über § 135 Satz 3 VwGO vermittelte entsprechende Anwendung von § 133 Abs. 6 VwGO für die sach- und interessengerechtere verfahrensrechtliche Lösung.
a) Zwar ließe eine Verwerfung der Beschwerde die Beklagte nicht rechtsschutzlos. Nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung (vgl. Urteil vom 25. Januar 1967 - BVerwG V C 61.66 - BVerwGE 26, 58 <61> m.w.N.; stRspr) ist in Fällen der vorliegenden Art in jedem Fall das Rechtsmittel gegeben, das gegen eine in jeder Hinsicht verfahrensfehlerfreie Entscheidung gegeben ist/wäre (hier also: Beschwerde, gerichtet auf Zulassung der Berufung), und wegen der vom Verwaltungsgericht unrichtig erteilten Rechtsmittelbelehrung scheidet als Folge von § 58 Abs. 2 VwGO eine Fristversäumnis nach Lage der Dinge aus. Gleichwohl ist die vom beschließenden Senat für richtig gehaltene Vorgehensweise aus folgenden Gründen nicht nur zulässig, sondern sachangemessen:
b) Im vorerwähnten Urteil vom 25. Januar 1967 (a.a.O., S. 60) ist entschieden worden, dass die fehlerhafte Annahme einer trotz gesetzlichen Berufungsausschlusses zulässigen Berufung durch das erst- und/oder zweitinstanzliche Gericht sich als gerichtlicher Verfahrensmangel darstellt ("unzutreffende verfahrensrechtliche Betrachtungsweise"). Der beschließende Senat macht sich diese Sichtweise zu Eigen und überträgt sie modifiziert auf den hier vorliegenden Fall mit gewissermaßen umgekehrten Vorzeichen, was die entsprechende Anwendung des § 133 Abs. 6 VwGO rechtfertigt.
Freilich kann nicht übersehen werden, dass im Gegensatz zum Regelfall des § 133 Abs. 6 VwGO in den hier in Rede stehenden Fällen - erstens - der maßgebliche Verfahrensmangel nicht einem Urteil als solchem, sondern lediglich einer Nichtzulassungs-Entscheidung und einer Rechtsmittelbelehrung anhaftet und - zweitens - dementsprechend ein gefälltes Urteil durch eine Aufhebungsentscheidung unberührt bleiben muss. Diese beiden Gesichtspunkte nötigen indessen weder je einzeln noch zusammengenommen zu einem Absehen von einer entsprechenden Anwendung von § 133 Abs. 6 VwGO. Denn der maßgebliche Gesetzeszweck des § 133 Abs. 6 VwGO trifft auch hier zu. Zweck der Vorschrift ist nämlich die zeitnahe Wiederbefassung des Ausgangsgerichts mit der von ihm fehlerhaft behandelten Sache, damit die Verfahrensbeteiligten ebenso möglichst zeitnah und ohne den Umweg über die Durchführung eines Revisionsverfahrens zu einer fehlerfreien Entscheidung kommen (Grundsatz der Verfahrensökonomie, vgl. lediglich Beschlüsse vom 2. April 1996 - BVerwG 7 B 48.96 - Buchholz 310 § 133 n.F. VwGO Nr. 22 und vom 5. Juni 1998 - BVerwG 3 B 258.97 - Buchholz 310 § 133 n.F. VwGO Nr. 30). Zwar kommt hier der Umweg über ein Revisionsverfahren von vornherein nicht in Betracht. Eine Aufhebung der getroffenen Nichtzulassungsentscheidung durch das Revisionsgericht und die hierfür gegebene Begründung lassen aber weder bei Beteiligten noch bei den Tatsachengerichten Zweifel - welche bei einer bloßen Verwerfungsentscheidung als Folge der getroffenen Zulassungsentscheidung und der Rechtsmittelbelehrung bestehen können - darüber zu, welches das zutreffende Rechtsmittel ist und in welcher Form sowie binnen welcher Fristen es zulässigerweise zu erheben ist, was zu einem beschleunigten Abschluss des Streitverfahrens beitragen kann.
c) Seit dem 1. Januar 2002 kommt als Folge der durch § 124 Abs. 1 VwGO in seiner neuen Fassung ermöglichten Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht (Gesetz vom 20. Dezember 2001, BGBl I S. 3987) hinzu, dass durch eine entsprechende Aufhebung der Nichtzulassungsentscheidung das Ausgangsgericht ohne weiteres in der Lage und gehalten ist, urteilsergänzend eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung zu treffen, die wegen unterschiedlicher Zulassungsgründe in § 124 Abs. 2 VwGO einerseits und § 132 Abs. 2 VwGO andererseits durchaus anders ausfallen kann als die zuvor verfahrensfehlerhaft getroffene Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision.
Zwar dürfte sich dies im Streitfall nicht auswirken, weil sich nach der ebenfalls durch Gesetz vom 20. Dezember 2001 (BGBl I S. 3987) geänderten Übergangsvorschrift des § 194 Abs. 1 Nr. 1 VwGO die Zulässigkeit von Berufungen nach dem bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Recht richtet, wenn vor dem 1. Januar 2002 - hier interessierend - die mündliche Verhandlung, auf die das anzufechtende Urteil ergangen ist, geschlossen worden ist.
Immerhin aber verbleibt dem Verwaltungsgericht auch im Streitverfahren, sollte es sich durch die vorgenannte Vorschrift an einer positiven Zulassungs- bzw. Abhilfeentscheidung gehindert sehen, die Möglichkeit, dem Urteil eine zutreffende Rechtsmittelbelehrung (Beschwerde auf Zulassung der Berufung nach altem Recht) unter Streichung der unzutreffenden beizufügen, was dem Gedanken der Rechtsschutz-Effektivität zumindest dienlich ist.
3. Die Kostenentscheidung trägt dem Umstand Rechnung, dass das Beschwerdeverfahren durch eine verfahrensfehlerhafte verwaltungsgerichtliche Annahme ausgelöst worden ist.
Ende der Entscheidung
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