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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 05.06.1998
Aktenzeichen: BVerwG 3 B 258.97
Rechtsgebiete: VwGO, UGG, GKG


Vorschriften:

VwGO § 124
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO § 133 Abs. 6
VwGO § 144 Abs. 6
VwGO § 154 Abs. 2
UGG § 6
GKG § 8 Abs. 1 Satz 1
GKG § 13 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 3 B 258.97 OVG 8 B 89.93

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 5. Juni 1998 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Driehaus und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Borgs-Maciejewki und Kimmel

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Beklagten wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 1. Juli 1997 aufgehoben.

Die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 24. Mai 1993 wird verworfen.

Die Klägerinnen tragen die Kosten des gesamten Rechtsstreits. Gerichtskosten für das Berufungs- und das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 246 143,32 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klage richtet sich gegen die Entscheidung des Sonderausschusses der Volkskammer der DDR zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Erwerbs von Umstellungsguthaben vom 27. September 1990. Darin äußert der Ausschuß seine Überzeugung, daß der Rechtsvorgänger der Klägerinnen, das Mitglied des Politbüros H. A., sich mißbräuchlich erhebliche materielle Vorteile zu Lasten des Staatshaushalts verschafft habe. Der Tatbestand des § 5 Abs. 2 des Gesetzes über den Nachweis der Rechtmäßigkeit des Erwerbs von Umstellungsguthaben vom 29. Juni 1990 - Umstellungsguthabengesetz - UGG - (GBl der DDR Teil I S. 503) sei erfüllt. Die Unterlagen seien daher der Strafverfolgungsbehörde zu übergeben, die aufgefordert wurde, das auf einem bestimmten Konto vorhandene Geldvermögen einzuziehen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Seine Entscheidungszuständigkeit hat es aus Art. 3 Nr. 12 der Vereinbarung zur Durchführung und Auslegung des Einigungsvertrages vom 18. September 1990 (BGBl II S. 1239) abgeleitet.

Auf die Berufung der Klägerinnen hat das Oberverwaltungsgericht die Entscheidung des Sonderausschusses der Volkskammer aufgehoben und die Beklagte zur Freigabe des umstrittenen Umstellungsguthabens verurteilt. Die Zulässigkeit der Berufung hat es aus § 124 VwGO in der bis zum Inkrafttreten des 6. Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung geltenden Fassung entnommen. Art. 3 Nr. 12 der Vereinbarung zum Einigungsvertrag stehe dem nicht entgegen; denn der Grundsatz der Rechtssicherheit verlange, daß in einem Gesetz, das Bestimmungen über die Zulässigkeit von Rechtsmitteln ändere, eine Abweichung von dem normalerweise zulässigen Rechtsmittel klar zum Ausdruck komme. Das sei hier nicht der Fall.

Ihre Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Berufungsurteil begründet die Beklagte in erster Linie damit, es beruhe auf einem Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), weil das Oberverwaltungsgericht zur Entscheidung in der Sache mangels Zulässigkeit der Berufung nicht befugt gewesen sei.

II.

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist begründet; denn das angegriffene Urteil leidet an dem von ihr gerügten Verfahrensmangel. Das Oberverwaltungsgericht hätte eine Sachentscheidung nicht treffen dürfen, weil die Berufung (§ 124 VwGO) gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 24. Mai 1993 nicht zulässig war. Die angegriffene Entscheidung beruht im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf diesem Verfahrensmangel. Eine Berücksichtigung des gesetzlichen Ausschlusses des Rechtsmittels hätte zur Verwerfung der Berufung führen müssen, so daß die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Rechtskraft erlangt hätte. In Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschluß vom 2. April 1996 - BVerwG 7 B 48.96 Buchholz 310 § 133 <n.F.> Verwaltungsgerichtsordnung Nr. 22; VIZ 1996, 392 ff.) nimmt der Senat diese zwingende Rechtsfolge in seine Entscheidung nach § 133 Abs. 6 VwGO auf. Zwar ermächtigt diese Norm das Bundesverwaltungsgericht nur dazu, den Rechtsstreit nach Aufhebung des angefochtenen Urteils zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Eine solche Zurückverweisung verliert jedoch dann ihren Sinn, wenn eine korrekte Handhabung der Verfahrensvorschriften, deren Nichtbeachtung zur Aufhebung des angegriffenen Urteils geführt hat, zwangsläufig die Verwerfung der Berufung und die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Sachentscheidung zur Folge haben muß. In diesem Fall wäre das Oberverwaltungsgericht ausschließlich darauf verwiesen, ohne jeglichen Entscheidungsspielraum die gesetzlich vorgeschriebene Rechtsfolge der durch das Revisionsgericht nach § 144 Abs. 6 VwGO bindend vorgegebenen Beurteilung auszusprechen.

2. Nach Auffassung des Senats kann entgegen der Meinung des Berufungsgerichts § 124 VwGO für die Zulässigkeit der Berufung nicht herangezogen werden, weil diese Bestimmung durch das von der Volkskammer der ehemaligen DDR erlassene, als Bundesgesetz fortgeltende Umstellungsguthabengesetz insoweit verdrängt wird.

Die Fortgeltung des Umstellungsguthabengesetzes ergibt sich aus Art. 3 Nr. 12 der Vereinbarung zur Durchführung und Auslegung des Einigungsvertrages (BGBl II S. 1239, 1241). Die Regelung sieht unter Buchst. b) vor, daß anstelle der in § 6 UGG vorgesehenen Beschwerdeinstanzen (Sonderausschuß bzw. Präsidium der Volkskammer) eine Kammer für Verwaltungssachen bei dem Kreisgericht, in dessen Bezirk das Gesamtguthaben zur Umstellung angemeldet worden ist, über Beschwerden nach § 6 UGG zu entscheiden hat. Der eindeutige Wortlaut dieser Regelung läßt es nicht zu, hieraus auf eine allgemeine Einführung des in der Verwaltungsgerichtsordnung vorgesehenen Instanzenzuges zu schließen.

Der Gesetzeswortlaut sah in seiner ursprünglichen Fassung einen generellen Ausschluß des Rechtswegs vor. Nach § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 UGG war gegen die Entscheidung des Sonderausschusses die Einlegung einer Beschwerde zugelassen, die, falls der Sonderausschuß ihr nicht stattgab, das Präsidium der Volkskammer "endgültig" zu entscheiden hatte. Daß diese Endgültigkeit vom Gesetzgeber wohlerwogen worden war, wird durch die Ausführungen des Berichterstatters des Rechtsausschusses der Volkskammer in der Gesetzesberatung (vgl. Protokoll der 19. Tagung der Volkskammer vom 29. Juni 1990, Mitteilungsblatt 753 <807>) bestätigt. Daraus ist zu entnehmen, daß sich der damalige Gesetzgeber der Besonderheit und Abgeschlossenheit des hier gesetzlich zu regelnden Sachverhalts in der Umbruchsituation der bevorstehenden Wiedervereinigung bewußt war und eine schnelle endgültige, fristabhängige Abwicklung wünschte. Ob der Ausschluß des Rechtsweges mit der damaligen Verfassungsrechtslage der Deutschen Demokratischen Republik vereinbar war, kann hier dahingestellt bleiben, weil jedenfalls den Klägerinnen die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes nicht verwehrt worden ist.

Die in das Bundesrecht übernommene Beschränkung des Rechtsweges auf nur eine Instanz begegnet keinen durchgreifenden rechtsstaatlichen Bedenken. Eine gerichtliche Nachprüfung der die hier erfaßten Guthaben betreffenden staatlichen Maßnahmen ist durch die Einschaltung der Kammer für Verwaltungssachen beim Kreisgericht - deren Funktion in Berlin von Anfang an durch das Verwaltungsgericht wahrgenommen worden ist - gewährleistet. Einen weiteren Instanzenzug erfordert die grundgesetzliche Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht.

Grundsätze des Vertrauensschutzes - wie sie das Oberverwaltungsgericht aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts herleitet - werden hier nicht berührt. Die von ihm herangezogene Entscheidung (BVerfG, Beschluß vom 7. Juli 1992 - 2 BvR 1631, 1728/90 - NJW 1993, 1123) bezieht sich auf den vorliegend nicht gegebenen Sachverhalt, daß der Gesetzgeber während eines laufenden Rechtsmittelverfahrens eine Einschränkung weiterer Rechtsmittel vorgenommen hat.

Demnach hätte das Oberverwaltungsgericht die bei ihm eingelegte Berufung verwerfen müssen. Dem steht nicht entgegen, daß die vom Verwaltungsgericht erteilte Rechtsmittelbelehrung von der Möglichkeit der Berufung ausgeht.

Allerdings war von der Erhebung von Gerichtskosten für das Berufungs- und das Beschwerdeverfahren gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG abzusehen, da diese Kosten bei zutreffender Behandlung der Sache nicht entstanden wären.

Die Kostenfolge ergibt sich im übrigen aus § 154 Abs. 2 VwGO, der Wert des Streitgegenstandes ist nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 GKG festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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