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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 28.05.2009
Aktenzeichen: BVerwG 3 B 83.08
Rechtsgebiete: BerRehaG


Vorschriften:

BerRehaG § 2 Abs. 1 Satz 2
Das Beitrittsgebiet wurde auch dann im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 BerRehaG "verlassen", wenn der Verfolgte aus dem Beitrittsgebiet nicht freiwillig und auch nicht endgültig ausgereist ist.

Zur Frage einer erneuten Verfolgungszeit nach Rückkehr in die DDR.


In der Verwaltungsstreitsache

...

hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts

am 28. Mai 2009

durch

den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und

die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Dette und Prof. Dr. Rennert

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. Mai 2008 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 EUR festgesetzt.

Gründe:

Der Kläger beansprucht berufliche Rehabilitierung nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG). Nachdem seine Verfolgung für den Zeitraum vom 1. August 1984 bis zur Ausreise aus dem Beitrittsgebiet am 5. Februar 1988 anerkannt wurde, begehrt er Anerkennung seiner Verfolgung darüber hinaus, da er weder freiwillig noch endgültig ausgereist sei. Nach der Rückkehr in das Beitrittsgebiet am 29. November 1989 sei ihm aus politischen Gründen die Aufnahme einer Tätigkeit als Auslandskorrespondent für eine polnische Nachrichtenagentur verwehrt worden. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, da die Verfolgungszeit gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 BerRehaG mit dem Verlassen des Beitrittsgebiets ende; ob der Betroffene freiwillig oder unfreiwillig ausgereist sei oder die Absicht gehabt habe zurückzukehren, sei hierfür unerheblich. Ob die Verfolgungszeit nach einer freiwilligen Rückkehr überhaupt wieder aufleben könne, müsse bezweifelt werden; jedenfalls stelle die Versagung der Akkreditierung als Journalist für eine ausländische Nachrichtenagentur keinen Eingriff in eine berufliche Position im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG dar.

Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.

1.

Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.

a)

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 VerRehaG endet die Verfolgungszeit nach Satz 1 Nr. 2 mit dem Verlassen des Beitrittsgebiets, spätestens mit dem Ablauf des 2. Oktober 1990. Der Kläger wirft hierzu zum einen die Rechtsfrage auf, ob das Beitrittsgebiet auch dann in diesem Sinne "verlassen" wurde, wenn der Verfolgte aus dem Beitrittsgebiet nicht freiwillig und auch nicht endgültig ausgereist ist. Diese Frage verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Sie lässt sich zweifelsfrei bejahen, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte.

Das Gesetz differenziert schon nach seinem Wortlaut nicht danach, ob das Beitrittsgebiet freiwillig oder unfreiwillig verlassen wurde und ob der Verfolgte zurückzukehren beabsichtigte oder nicht. Es stellt allein auf das tatsächliche Verlassen des Beitrittsgebiets ab. Der Gesetzgeber ging ausweislich der Gesetzesmaterialien (BTDrucks 12/4994 S. 45) davon aus, dass die politische Verfolgung mit dem Verlassen der DDR beendet war und für danach liegende Zeiträume eine Berücksichtigung als Verfolgungszeit nicht mehr in Betracht kam. Das steht auch mit § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BerRehaG in Einklang. Diese Vorschrift knüpft die Verfolgteneigenschaft immer an eine nicht nur im Beitrittsgebiet vom Verfolger verübte, sondern auch im Beitrittsgebiet vom Verfolgten erlittene Maßnahme.

Nur diese Auslegung wird auch dem Zweck des Gesetzes gerecht. Zwar dient das Gesetz über die berufliche Rehabilitierung dem Zweck, den Verfolgten in versorgungsrechtlicher Hinsicht so zu stellen, als sei die Verfolgung nicht eingetreten, um so das vom SED-Staat begangene Unrecht nicht fortwirken zu lassen (BTDrucks 12/4994 S. 18/19). Bei diesem Bestreben ist der Gesetzgeber aber nicht so weit gegangen, prinzipiell einen Anspruch auf vollen Ersatz der Schäden zu gewähren (Beschluss vom 29. April 2004 - BVerwG 3 B 119.03 - Buchholz 428.8 § 2 BerRehaG Nr. 1) und auch etwaige Folgeschäden nach Verlassen des Beitrittsgebietes einzubeziehen. Ziel des Gesetzes ist es vielmehr, den Personenkreis der politisch Verfolgten im Hinblick auf die Einbußen von Berufschancen und deren Folge bei der Rentenversicherung so zu stellen wie den Durchschnitt der Versicherten mit vergleichbaren Qualifikationen im Beitrittsgebiet. Das Gesetz dient damit der Gleichstellung aller Personen, die unter dem Wirtschaftssystem der DDR lebten. Personen außerhalb dieses Wirtschaftssystems standen hingegen unter gänzlich anderen Bedingungen.

Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass diese gesetzliche Beschränkung unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden ist. Insbesondere hat der Gesetzgeber damit den Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit zur Regelung der Unrechtsbereinigung nicht überschritten. Zwar erwächst der staatlichen Gemeinschaft aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) die Pflicht, Lasten mitzutragen, die ihre Ursache in schicksalhaften Umständen haben, von denen einzelne Teile der Bevölkerung betroffen wurden (vgl. zum Lastenausgleichsrecht Urteil vom 19. Juni 1997 - BVerwG 3 C 10.97 - BVerwGE 105, 110). Dieser Verpflichtung ist der Gesetzgeber mit der Schaffung des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes jedoch hinreichend nachgekommen (vgl. Urteil vom 12. Februar 1998 - BVerwG 3 C 25.97 - Buchholz 115 Sonstiges Wiedervereinigungsrecht Nr. 11).

b)

Die weitere Frage, ob eine Verfolgungszeit im Sinne des § 2 Abs. 1 BerRehaG vorliegt, wenn der Verfolgte nach seiner Wiedereinreise in die DDR von einer politischen Verfolgungsmaßnahme betroffen war, rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht. Sie würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren in dieser Allgemeinheit nicht stellen. Zwar spricht einiges dafür, dass - entgegen der Auffassung des Beklagten - auch Zeiten nach einer Rückkehr in die DDR als Verfolgungszeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 BerRehaG in Betracht kommen, sofern der Betroffene erstmals oder erneut verfolgungsbedingte Nachteile in seiner Erwerbstätigkeit hinnehmen musste. Doch bedarf dies hier keiner über die Streitsache hinausweisenden Entscheidung. Der vorliegende Fall ist nämlich dadurch gekennzeichnet, dass der Kläger am 29. November 1989 und damit erst nach dem Fall der Mauer und zudem offensichtlich zu dem Zweck in die DDR zurückgekehrt ist, sich in den damaligen Zeiten des Umbruchs für die Ziele der Regimegegner politisch, schriftstellerisch und journalistisch zu betätigen. Er hat sich damit der möglichen Verfolgungssituation aus freien Stücken wieder ausgesetzt; hinzu kommt, dass er die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit in seinen erlernten Berufen als Bibliothekar oder als Philosoph offenbar von vornherein nicht beabsichtigte, zumal er nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts aus Mitteln der evangelischen Kirche auskömmlich unterhalten war. Dass das Verwaltungsgericht bei dieser Sachlage einen Anspruch auf berufliche Rehabilitation verneint hat, beruht auf Erwägungen im Einzelfall und wirft verallgemeinerungsfähige Rechtsfragen nicht auf.

2.

Die nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügten Verfahrensmängel können die Zulassung der Revision ebenfalls nicht rechtfertigen. Der Kläger beanstandet insofern, dass das Verwaltungsgericht seine in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge abgelehnt hat. Das Verwaltungsgericht hat die Beweisanträge abgelehnt, weil es auf das jeweilige Beweisthema für seine Entscheidung nicht ankomme. Das findet im Prozessrecht eine hinlängliche Stütze. Das Gericht ist nicht verpflichtet, Umstände aufzuklären, die für seine Entscheidung unerheblich sind; insofern kommt es auf die eigene Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts an. So verhält es sich hier.

Ob der Beklagte die nach einer Ausreise in die Bundesrepublik verbrachte Zeit in anderen Fällen als Verfolgungszeit anerkannt hatte, wie der Kläger behauptet und unter Beweis gestellt hat, hätte nach der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts nur erheblich sein können, wenn die vom Beklagten begehrte Verwaltungsentscheidung in dessen Ermessen gestellt gewesen wäre (vgl. Urteil vom 10. Dezember 1969 - BVerwG 8 C 104.69 - BVerwGE 34, 278). Das Beweisthema war hiernach unerheblich, weil dem Beklagten bei der Entscheidung über die berufliche Rehabilitierung und im Besonderen bei der Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 2 BerRehaG kein Ermessens- und auch kein Beurteilungsspielraum eröffnet ist.

Die weitere Behauptung des Klägers, ihm sei die Akkreditierung als Auslandskorrespondent einer polnischen Nachrichtenagentur im Dezember 1989 ohne die Angabe von Gründen abgelehnt worden, hat das Verwaltungsgericht ebenfalls als unerheblich angesehen; es hat sie sogar als wahr unterstellt. Auch hiergegen lässt sich nichts erinnern. Die zusätzliche Rüge, das Verwaltungsgericht habe nicht aufgeklärt, welche legalen Möglichkeiten der Kläger zur Ausübung seines erlernten Berufs nach seiner Wiedereinreise in die DDR besessen habe, ist nicht hinlänglich dargetan (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Hierzu hätte der Kläger darlegen müssen, welche beruflichen Möglichkeiten ihm in dem hier strittigen Zeitraum von Ende November 1989 bis Ende Februar 1990 verwehrt worden sind. Dazu hätte umso mehr Anlass bestanden, als das Verwaltungsgericht festgestellt hat, dass der Kläger in dieser Zeit vielfachen und zeitintensiven politischen Tätigkeiten etwa für den "Runden Tisch" nachgegangen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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