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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 22.10.1998
Aktenzeichen: BVerwG 3 C 13.98
Rechtsgebiete: LAG


Vorschriften:

LAG § 349
LAG § 342
LAG § 278 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 3 C 13.98 VG 6 K 3535/96

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 22. Oktober 1998 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Driehaus und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick, Dr. Borgs-Maciejewski, Kimmel und Dr. Brunn

ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 7. Oktober 1997 geändert. Der Rückforderungs- und Leistungsbescheid des Beklagten vom 2. Januar 1995 in der Fassung des Beschwerdebeschlusses des Beschwerdeausschusses I für den Lastenausgleich bei der Bezirksregierung Münster vom 11. Juli 1996 wird aufgehoben, soweit darin ein Rückforderungsbetrag von mehr als 5 197,50 DM festgesetzt worden ist.

Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens zu drei Viertel, der Kläger zu einem Viertel.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte berechtigt ist, früher gewährte Lastenausgleichsleistungen wegen nachträglichen Schadensausgleichs zurückzuverlangen.

Der Kläger ist Erbe seines 1960 verstorbenen Vaters. Die Erbteile seiner Miterben (seiner Mutter und seiner Schwester) hat er sich durch notarielle Verträge 1991 übertragen lassen.

Der Vater war Eigentümer eines ca. 24 ha großen landwirtschaftlichen Betriebes in N. Mecklenburg. Nach seiner Flucht 1952 wurde dieser Betrieb in Volkseigentum überführt. Das landwirtschaftliche Vermögen wurde dem Kläger durch Bescheid des zuständigen Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen 1992/1993 zurückübertragen. Er hat es inzwischen verkauft.

Dem Kläger und seinen Miterben hat die damals zuständige Lastenausgleichsbehörde durch Gesamtbescheid vom 12. August 1975 eine Hauptentschädigung in Höhe von 16 940 DM zuerkannt. Dieser Anspruch auf Hauptentschädigung wurde durch Anrechnung einer der Mutter des Klägers gezahlten Kriegsschadenrente erfüllt (Bescheid des Beklagten vom 20. September 1982). Lediglich Mindesterfüllungsbeträge sowie anrechnungsfreie Zinsen in Höhe von 3 465 DM bzw. 1 732,50 DM (insgesamt 5 197,50 DM) wurden bar ausgezahlt. Mit Bescheid vom 2. Januar 1995 verlangte der Beklagte gemäß § 349 LAG zuviel gezahlte Hauptentschädigung in Höhe von 22 137,50 DM (16 940 + 5 197,50 DM) zurück.

Nach erfolglosem Beschwerdeverfahren hat der Kläger Anfechtungsklage erhoben.

Das Verwaltungsgericht Minden hat die Klage mit Urteil vom 7. Oktober 1997 abgewiesen. In der Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Soweit der Kläger die fehlende Berücksichtigung von Zupachtflächen und Wertminderungen am zurückgegebenen Grundstück geltend mache, sei das nach der zwingenden gesetzlichen Regelung des § 349 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz LAG nicht zu berücksichtigen.

Er könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, daß der zuerkannte Endgrundbetrag der Hauptentschädigung nicht in bar ausgezahlt, sondern voll durch Anrechnung von Kriegsschadenrente erfüllt worden sei. Zwar sehe § 349 Abs. 4 Satz 5 LAG vor, daß es bei den geleisteten Zahlungen (u.a.) an Kriegsschadenrente sein Bewenden habe. Die Frage, ob auch eine durch Anrechnung auf die Kriegsschadenrente erbrachte Hauptentschädigung nach § 349 Abs. 4 LAG zurückforderungsfähig sei, müsse unter Berücksichtigung des Absatzes 4 Satz 6 und der Entstehungsgeschichte dieser Norm beantwortet werden. Danach sei die Rückforderungsvoraussetzung "erfüllter" Hauptentschädigung gegeben. Auf die Dürftigkeit des Nachlasses seiner Mutter könne sich der Kläger nicht berufen. Zwar habe allein die Mutter des Klägers die Kriegsschadenrente erhalten. Der Schadensausgleich sei aber in vollem Umfang gegenüber dem Kläger als Gesamtrechtsnachfolger des Vaters erfolgt.

Schließlich könne sich der Kläger der Rückforderung auch nicht mit dem Hinweis auf den zwischenzeitlichen Verbrauch des zurückübertragenen Vermögens entziehen, weil § 349 LAG keine fortbestehende Bereicherung des Rückzahlungspflichtigen voraussetze.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger die vom Senat zugelassene Revision eingelegt mit dem Ziel, den angefochtenen Bescheid aufzuheben. Zur Begründung führt er im wesentlichen aus: Die Leistung der Kriegsschadenrente stelle eine Sozialleistung des Staates dar, der einen Rückforderungsschutz rechtfertige. Zwar sei dem Verwaltungsgericht zuzugeben, daß es im Gesetzgebungsverfahren unterschiedliche Auffassungen zu dieser Frage gegeben habe. Sie hätten aber nicht zur Schaffung einer Anspruchsgrundlage im Gesetz geführt. Darüber hinaus habe das Verwaltungsgericht zu Unrecht den verbliebenen Restschaden nicht berücksichtigt. Bei den landwirtschaftlichen Betrieben greife die gesetzliche Fiktion des § 349 Abs. 3 Satz 2 und 3 LAG nicht, da er im Widerspruch zu § 10 Abs. 2 VermG stehe.

Der Vertreter der Interessen des Ausgleichsfonds beantragt die Zurückweisung der Revision. Er verteidigt das angefochtene Urteil; die durch Anrechnung von Kriegsschadenrente erfüllte Hauptforderung werde zu Recht zurückgefordert.

II.

Die Entscheidung ergeht im Einvernehmen der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die Revision des Klägers ist zulässig und überwiegend begründet.

Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, der angefochtene Bescheid des Beklagten sei in vollem Umfang rechtmäßig, verletzt Bundesrecht. Soweit es angenommen hat, die Rückzahlungspflicht des Klägers nach § 349 LAG erfasse auch die Beträge, die der Mutter des Klägers als Kriegsschadenrente in Anrechnung auf die zuerkannte Hauptentschädigung (§ 278 a LAG) gezahlt worden sind, ist seine Gesetzesauslegung fehlerhaft.

Das Verwaltungsgericht geht allerdings zutreffend davon aus, daß Rechtsgrundlage für den angefochtenen Rückforderungsbescheid § 349 LAG (in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 BGBl I S. 845) unter Berücksichtigung des hier einschlägigen 32. Änderungsgesetzes zum Lastenausgleichsgesetz vom 27. August 1995 (BGBl I S. 1090) ist. Die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bestandes oder Fortbestandes eines angefochtenen Verwaltungsakts richtet sich nicht nach Prozeßrecht, sondern nach dem jeweiligen materiellen Recht (vgl. Urteil vom 27. Januar 1993 BVerwG 11 C 35.92 - DVBl 1993, 612 <613> für Verwaltungsakte mit Dauerwirkung unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung). Ob danach die Rechtsänderungen des Lastenausgleichsgesetzes bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung des Tatsachengerichts einbezogen werden müssen, bedarf hier keiner Entscheidung, weil jedenfalls die durch das 32. Änderungsgesetz veranlaßte Veränderung der Rechtslage bereits vor Abschluß des Verwaltungsverfahrens durch den Beschwerdebeschluß vom 11. Juli 1996 eingetreten war.

Das Verwaltungsgericht hat auch zu Recht festgestellt, daß der Kläger grundsätzlich nach § 349 Abs. 1 Satz 1 LAG zuviel geleisteten Lastenausgleich zurückzuzahlen hat. Mit Rückübertragung des väterlichen Hofes in N. hat er das Objekt zurückerhalten, für dessen Wegnahme die früheren Lastenausgleichsleistungen gewährt wurden. Damit ist ein Schadensausgleich im Sinne des § 342 Abs. 3 LAG erfolgt, wie es § 349 Abs. 1 LAG voraussetzt.

Der Kläger ist nach § 349 Abs. 5 LAG der rückzahlungspflichtige "Empfänger der Ausgleichsleistungen", auch wenn die Empfängerin der Kriegsschadenrente seine inzwischen verstorbene - Mutter war. Das ergibt sich einmal daraus, daß die Kriegsschadenrente auf den Gesamtanspruch aller drei ursprünglichen Erben angerechnet wurde; es folgt hier aber auch daraus, daß der Kläger nach Übertragung der Erbanteile auf ihn jedenfalls vermögensrechtlich im Hinblick auf diesen Vermögensgegenstand alleiniger Erbe nach seinem Vater geworden ist (vgl. § 2033 BGB). Auf den Umstand, daß er auch als Erbe seiner Mutter in Anspruch genommen werden könnte, kommt es wie das Verwaltungsgericht nicht verkannt hat - nicht an.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts schließt aber die Anrechnung der nach §§ 263 ff. LAG der Mutter des Klägers gewährten Kriegsschadenrente auf den Hauptentschädigungsanspruch (§ 278 a LAG) die Rückforderung insoweit aus. Zwar fingiert der Gesetzgeber in § 278 a Abs. 3 LAG hinsichtlich der Anrechnung die Erfüllung dieses Anspruchs ("gilt als erfüllt"), während der Anspruch in Höhe des Mindesterfüllungsbetrages durch Barauszahlung erfüllt wird (§ 278 a Abs. 4 LAG). Zu Unrecht meint aber das Verwaltungsgericht, mit der Erfüllungsfiktion sei auch die Rechtsgrundlage für die Rückforderung der durch Anrechnung von Kriegsschadenrente verbrauchten Hauptentschädigungsbeträge gegeben. Dieser Auffassung steht nämlich § 349 Abs. 4 Satz 5 LAG entgegen. Dort ist ausdrücklich festgelegt: "Bei der geleisteteten Zahlung der Kriegsschadenrente ... hat es sein Bewenden". Das ist eine eindeutige, in ihrem Sinngehalt nicht mißzuverstehende Regelung dahin, daß die in Form von Kriegsschadenrente erbrachte Lastenausgleichsleistung nicht zurückzufordern ist. Damit ist die Nichtrückzahlbarkeit dieser Ausgleichsleistung festgelegt. Die Ansicht, daß durch § 349 Abs. 4 Satz 4 LAG nur die Rückforderung der Kriegsschadenrente als solcher, nicht aber die Rückforderung der durch die Rentenzahlung als erfüllt geltenden Hauptentschädigung ausgeschlossen sei, ist mit der generellen Formulierung des Gesetzes nicht zu vereinbaren.

Dies wird bestätigt durch die ausdrückliche Bestimmung, daß Kriegsschadenrenten auch nach Ausgleich des Schadens weitergewährt werden (§ 349 Satz 6 1. Halbsatz LAG). Es wäre vollkommen widersprüchlich, nach Ausgleich des festgestellten Schadens einerseits die Rente weiterzuzahlen, gleichzeitig aber für die Rentenzahlungen der Vergangenheit Rückforderungsansprüche geltend zu machen. Der mit Satz 6 Halbsatz 2 in § 349 Abs. 4 LAG eingefügte Zusatz, eine Rückforderung von Hauptentschädigung nach Satz 1 mindere die laufenden Zahlungen an Kriegsschadenrente nicht, ist demgegenüber keine Rechtfertigung, den eindeutigen gesetzlichen Rückforderungsausschluß in Frage zu stellen. Die Formulierung des Gesetzgebers im 2. Halbsatz, die auf ein mögliches Nebeneinander von Rückforderung und weiterlaufender Kriegsschadenrente hindeutet, ist mit der bei der Anrechnung von Kriegsschadenrente verbleibenden Auszahlung des Mindesterfüllungsbetrages erklärbar.

Für die vom Verwaltungsgericht vorwiegend aus dem Gesetzgebungsverfahren zum 32. Änderungsgesetz hergeleiteten Anhaltspunkte für eine andere Auslegung der Rückforderungsbestimmung ist kein Raum, weil diese Anhaltspunkte keinen Niederschlag im Gesetz gefunden haben. Im übrigen wäre ein Schluß von den im Gesetzgebungsverfahren vertretenen Meinungen auf den Willen des Gesetzgebers, die Rückforderung der mit Kriegsschadenrenten verrechneten Beträge zuzulassen, noch nicht einmal gerechtfertigt. Richtig ist freilich, daß im Gesetzgebungsverfahren in diesem Punkt Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundesregierung und Bundesrat bestanden. Die Bundesregierung wollte in den von ihr eingebrachten Entwurf zum Kriegsfolgenbereinigungsgesetz ausdrücklich durch einen Einschub in § 349 Abs. 1 Satz 1 LAG klarstellen, daß für die angerechnete Kriegsschadenrente die Rückforderung ausgeschlossen war. Der Bundesrat hat dem widersprochen. Gesetz geworden ist die vom angerufenen Vermittlungsausschuß wie im Vermittlungsverfahren üblich - nicht begründete Fassung ohne die begehrte ausdrückliche Klarstellung in § 349 Abs. 1 LAG (vgl. BRDrucks 509/92, BTDrucks 12/3891, 12/3966). Auch die sich an die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses anschließenden Erörterungen von Bundestag (Protokolle 12. WP. 129 Sitzg., S. 11188) und Bundesrat (Protokoll der 650. Sitzg. vom 18. Dezember 1992, S. 626 f., 679) geben keinen Anhaltspunkt, daß der Gesetzgeber sich der Auffassung des Bundesrates zum Umfang der Rückzahlungspflicht angeschlossen habe. Damit ist aber, wie bereits dargelegt, inhaltlich an dem bereits bestehenden Rückforderungsausschluß gemäß § 349 Abs. 4 Satz 5 LAG nichts geändert worden.

Bedenken, daß der Gesetzgeber mit der Regelung gegen das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 GG) verstoßen haben könnte, sind nicht begründet. Die Regelungen über die Kriegsschadenrente in §§ 263 f. LAG lassen deren vorwiegend sozialen Charakter bei den Kriterien für ihre Gewährung (Unterhaltssicherung, Sozialhilfe) deutlich erkennen. Damit sind die wegen der Notwendigkeit der raschen Abwicklung massenhafter Verfahren im übrigen stark pauschalierten Rückforderungsvoraussetzungen nach § 349 LAG (vgl. dazu auch die verfassungsrechtlichen Erwägungen des Senats im Urteil vom 19. Juni 1997 BVerwG 3 C 10.97 BVerwGE 105, 110 <115>) nicht vereinbar. Die differenzierende Behandlung ist daher sachlich berechtigt.

Soweit die Mindesterfüllungsbeträge nach § 278 a Abs. 4 LAG an die Berechtigten ausgezahlt worden sind, ist ihre Rückforderung nicht ausgeschlossen, weil dieser Teil des Ausgleichsanspruchs gerade nicht durch Anrechnung von Kriegsschadenrente erfüllt worden ist. Die Revision konnte insoweit keinen Erfolg haben. Denn das Verwaltungsgericht hat die übrigen Einwendungen gegen den Rückforderungsanspruch ohne Rechtsfehler zurückgewiesen. Soweit die Revision die Nichtberücksichtigung eines Restschadens wegen der Nichtrückgabe von Inventar und Zubehör rügt, verkennt sie, daß dies der ausdrücklichen zwingenden Regelung des § 349 Abs. 3 Satz 2 LAG entspricht. Die Fiktion des Schadensausgleichs wird nicht dadurch rechtsstaatswidrig, daß nach dem Vermögensgesetz insoweit keine Rückgabe und auch keine Erlösauskehr erfolgt ist.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 155 Abs. 1 VwGO.

Beschluß

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 22 137,50 DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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