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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 22.10.1998
Aktenzeichen: BVerwG 3 C 19.98
Rechtsgebiete: LAG


Vorschriften:

LAG § 349
LAG § 342
LAG § 278 a
Leitsatz:

Die Rückforderung von Lastenausgleichsleistungen, die durch Anrechnung von Kriegsschadenrente nach §§ 263 ff., 278 a LAG gewährt worden sind, ist ausgeschlossen (wie Urteil vom 22. Oktober 1998 BVerwG 3 C 13.98 -).

Urteil des 3. Senats vom 22. Oktober 1998 - BVerwG 3 C 19.98 -

I. VG Minden vom 28.10.1997 - Az.: VG 6 K 4949/96 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 3 C 19.98 VG 6 K 4949/96

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 22. Oktober 1998 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Driehaus sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick, Dr. Borgs-Maciejewski, Kimmel und Dr. Brunn

ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 28. Oktober 1997 geändert. Die Bescheide des Beklagten vom 8. September 1995 in der Fassung des Beschlusses des Beschwerdeausschusses I für den Lastenausgleich der Bezirksregierung Münster werden aufgehoben, soweit darin ein Rückforderungsbetrag von mehr als je 7 015,20 DM festgesetzt wird.

Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens trägt der Kläger sieben Neunzehntel und der Beklagte zwölf Neunzehntel.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte berechtigt ist, früher gewährte Lastenausgleichsleistungen wegen nachträglichen Schadensausgleichs zurückzufordern.

Der Kläger ist Miterbe seines am 28. Oktober 1973 verstorbenen Vaters. Seine Mutter, Miterbin und ursprüngliche Mitklägerin, ist im Verlaufe des Verfahrens verstorben und von ihm allein beerbt worden.

Der Beklagte hatte im Jahre 1974 auf Antrag des Vaters des Klägers dessen Verlust eines ca. 86 ha großen land- und forstwirtschaftlichen Betriebes in W./Sachsen-Anhalt festgestellt. Durch Gesamtbescheid vom 15. Juli 1976 erkannte der Beklagte dem Kläger und seiner Mutter als Erben eine Hauptentschädigung von 24 040 DM sowie einen Zinszuschlag von 14 030,40 DM (insgesamt 38 070,40 DM) zu. Auf diesen Anspruch wurde eine der Mutter des Klägers gewährte Kriegsschadenrente angerechnet. Er war damit 1988 verbraucht. Ausgezahlt wurden der Mindesterfüllungsbetrag der Hauptentschädigung in Höhe von 5 462,50 DM und der anrechnungsfreie Zinszuschlag in Höhe von 8 567,90 DM (insgesamt 14 030,40) je zur Hälfte an den Kläger und seine Mutter.

Durch Bescheid des Landrates des Landkreises K. Amt zur Regelung offener Vermögensfragen vom 12. März 1992 wurde dem Kläger und seiner Mutter die Hofstelle übertragen. Daraufhin forderte der Beklagte von ihnen mit gleichlautenden Bescheiden vom 8. September 1995 jeweils 18 938,40 DM zuviel gezahlter Hauptentschädigung zurück.

Die nach erfolglosem Beschwerdeverfahren erhobene Anfechtungsklage, die der Kläger auch für seine zwischenzeitlich verstorbene Mutter weitergeführt hat, ist vom Verwaltungsgericht mit Urteil vom 28. Oktober 1997 abgewiesen worden. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Rechtsgrundlage der angefochtenen Bescheide sei § 349 LAG i.d.F. des 32. Änderungsgesetzes. Abzustellen sei auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Gemäß § 349 Abs. 3 Satz 2 LAG könnten Wertminderungen die Rückforderung nicht ermäßigen. Ein nicht berücksichtigter Restschaden sei nicht festzustellen. Der Kläger könne sich auch nicht darauf berufen, daß die Hauptentschädigung nicht in bar ausgezahlt, sondern mit der Kriegsschadenrente für die Mutter verrechnet worden sei. Die gesetzliche Voraussetzung, daß der Hauptentschädigungsanspruch erfüllt gewesen sein müsse, sei gegeben. Das folge aus § 349 Abs. 4 Satz 5 und 6 LAG. Der Kläger hafte auch als Erbe seiner Mutter.

Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Aufhebung des Urteils und der angefochtenen Bescheide. Das Verwaltungsgericht habe § 349 Abs. 4 Sätze 5 und 6 LAG falsch interpretiert. Die zu sozialen Zwecken gewährte Kriegsschadenrente sei danach gerade nicht zurückzufordern.

Der Beklagte und der Vertreter der Interessen des Ausgleichsfonds verteidigen das angefochtene Urteil und beantragen Zurückweisung der Revision.

II.

Die Entscheidung ergeht im Einvernehmen der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die Revision des Klägers ist zulässig und überwiegend begründet.

Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die angefochtenen Bescheide des Beklagten seien im vollen Umfang rechtmäßig, verletzt Bundesrecht. Soweit es angenommen hat, die Rückzahlungspflicht des Klägers nach § 349 LAG erfasse auch die Beträge, die der Mutter des Klägers als Kriegsschadenrente in Anrechnung auf die zuerkannte Hauptentschädigung (§ 278 a LAG) gezahlt worden sind, ist seine Gesetzesauslegung fehlerhaft (1.). Im übrigen ist das Urteil nicht zu beanstanden (2.).

1. Das Verwaltungsgericht geht zutreffend davon aus, daß Rechtsgrundlage für den angefochtenen Rückforderungsbescheid § 349 LAG (i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 BGBl I S. 845) unter Berücksichtigung des 32. Änderungsgesetzes zum Lastenausgleichsgesetz vom 27. August 1995 (BGBl I S. 1090) ist. Die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bestandes oder Fortbestandes eines angefochtenen Verwaltungsakts richtet sich nicht nach Prozeßrecht, sondern nach dem jeweiligen materiellen Recht (vgl. Urteil vom 27. Januar 1993 BVerwG 11 C 35.92 DVBl 1993, 612 <613> für Verwaltungsakte mit Dauerwirkung unter Hinweis auf die bestehende Rechtsprechung). Ob danach die Rechtsänderungen des Lastenausgleichsgesetzes bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung des Tatsachengerichts einbezogen werden müssen, bedarf hier keiner Entscheidung, weil die durch das 32. Änderungsgesetz veranlaßte Änderung der Rechtslage bereits bei Abschluß des Verwaltungsverfahrens durch den Beschwerdebeschluß vom 8. Oktober 1996 eingetreten war.

a) Das Verwaltungsgericht hat vor diesem Hintergrund zu Recht festgestellt, daß der Kläger grundsätzlich nach § 349 Abs. 1 Satz 1 LAG zuviel geleisteten Lastenausgleich zurückzuzahlen hat. Mit der Rückübertragung der väterlichen Hofstelle in W. hat er das Objekt zurückerhalten, für dessen Wegnahme die früheren Lastenausgleichsleistungen gewährt wurden. Damit ist ein Schadensausgleich im Sinne des § 342 Abs. 3 LAG erfolgt, wie es § 349 Abs. 1 LAG voraussetzt.

Der Kläger ist nach § 349 Abs. 5 LAG der rückzahlungspflichtige "Empfänger der Ausgleichsleistungen", auch wenn die Empfängerin der Kriegsschadenrente seine inzwischen verstorbene Mutter war. Das ergibt sich schon daraus, daß die Kriegsschadenrente auf den Gesamtanspruch der ursprünglichen Erben angerechnet wurde.

b) Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts schließt aber die Anrechnung der nach §§ 263 ff. LAG der Mutter des Klägers gewährten Kriegsschadenrente auf den Hauptentschädigungsanspruch (§ 278 a LAG) die Rückforderung insoweit aus.

Zwar fingiert der Gesetzgeber in § 278 a Abs. 3 LAG hinsichtlich der Anrechnung die Erfüllung dieses Anspruchs ("gilt als erfüllt"), während der Anspruch in Höhe des Mindesterfüllungsbetrages durch Barauszahlung erfüllt wird (§ 278 a Abs. 4 LAG). Zu Unrecht meint aber das Verwaltungsgericht, mit der Erfüllungsfiktion sei auch die Rechtsgrundlage für die Rückforderung der durch Anrechnung von Kriegsschadenrente verbrauchten Hauptentschädigungsbeträge gegeben. Dieser Auffassung steht nämlich § 349 Abs. 4 Satz 5 LAG entgegen. Dort ist ausdrücklich festgelegt: "Bei der geleisteten Zahlung der Kriegsschadenrente ... hat es sein Bewenden." Das ist eine eindeutige, in ihrem Sinngehalt nicht mißzuverstehende Regelung dahin, daß die in Form von Kriegsschadenrente erbrachte Lastenausgleichsleistung nicht zurückzufordern ist. Damit ist die Nichtrückzahlbarkeit dieser Ausgleichsleistung festgelegt und die Ansicht, daß durch § 349 Abs. 4 Satz 4 LAG nur die Rückforderung der Kriegsschadenrente als solcher, nicht aber die Rückforderung der durch die Rentenzahlung als erfüllt geltenden Hauptentschädigung ausgeschlossen sei, erweist sich als hiermit nicht vereinbar.

Dieser Befund wird bestätigt durch die Bestimmung, daß Kriegsschadenrenten auch nach Ausgleich des Schadens weitergewährt werden (§ 349 Abs. 4 Satz 6 1. Halbsatz LAG). Es wäre widersprüchlich, nach Ausgleich des festgestellten Schadens einerseits Rente weiterzuzahlen, gleichzeitig aber für die Rentenzahlungen der Vergangenheit Rückforderungsansprüche geltend zu machen. Der mit Satz 6 Halbsatz 2 in § 349 Abs. 4 LAG eingefügte Zusatz, eine Rückforderung von Hauptentschädigung mindere die laufenden Zahlungen an Kriegsschadenrente nicht, ist demgegenüber keine Rechtfertigung, den eindeutigen gesetzlichen Rückforderungsausschluß in Frage zu stellen. Diese Formulierung, die auf ein mögliches Nebeneinander von Rückforderung und weiterlaufender Kriegsschadenrente hindeuten könnte, ist ohne weiteres mit der bei Anrechnung von Kriegsschadenrente verbleibenden Auszahlung des Mindesterfüllungsbetrages erklärbar.

Für die vom Verwaltungsgericht vorwiegend aus dem Gesetzgebungsverfahren zum 32. Änderungsgesetz hergeleiteten Ansatzpunkte für eine andere Auslegung der Rückforderungsbestimmung ist schon deswegen kein Raum, weil diese keinen Niederschlag im Gesetz gefunden haben. Im übrigen wäre ein Schluß von den im Gesetzgebungsverfahren vertretenen Meinungen auf einen Willen des Gesetzgebers, die Rückforderung der mit Kriegsschadenrenten verrechneten Beträge zuzulassen, noch nicht einmal gerechtfertigt. Richtig ist freilich, daß im Gesetzgebungsverfahren in diesem Punkt Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundesregierung und Bundesrat bestanden. Die Bundesregierung wollte in den von ihr eingebrachten Entwurf zum Kriegsfolgenbereinigungsgesetz ausdrücklich durch einen Einschub in § 349 Abs. 1 Satz 1 LAG klarstellen, daß für die angerechnete Kriegsschadenrente die Rückforderung ausgeschlossen war. Der Bundesrat hat dem widersprochen. Gesetz geworden ist die vom angerufenen Vermittlungsausschuß wie im Vermittlungsverfahren üblich nicht begründete Fassung ohne die begehrte ausdrückliche Klarstellung in § 349 Abs. 1 LAG (vgl. BRDrucks 509/92, BTDrucks 12/3891, 12/3966). Auch die sich an die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses anschließenden Erörterungen von Bundestag (Protokoll 12. WP 129. Sitzung S. 11 188) und Bundesrat (Protokoll der 650. Sitzung vom 18. September 1992 S. 626 f., 679) geben nichts für die Annahme her, daß der Gesetzgeber sich der Auffassung des Bundesrates zum Umfang der Rückzahlungspflicht angeschlossen habe.

Bedenken, daß der Gesetzgeber mit der Regelung gegen das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 GG) verstoßen haben könnte, sind nicht begründet. Die Regelungen über die Kriegsschadenrente in §§ 263 ff. LAG lassen deren vorwiegend sozialen Charakter bei den Kriterien für ihre Gewährung (Unterhaltssicherung, Sozialhilfe) deutlich erkennen. Damit sind die wegen der Notwendigkeit der raschen Abwicklung massenhafter Verfahren im übrigen stark pauschalierten Rückforderungsvoraussetzungen nach § 349 LAG (vgl. dazu auch die verfassungsrechtlichen Erwägungen des Senats im Urteil vom 19. Juni 1997 BVerwG 3 C 10.97 BVerwGE 105, 110 <115>) nicht vereinbar. Die differenzierende Behandlung ist daher sachlich berechtigt.

2. Soweit die Mindesterfüllungsbeträge nach § 278 a Abs. 4 LAG an die Berechtigten ausgezahlt worden sind, ist ihre Rückforderung nicht ausgeschlossen, weil dieser Teil des Ausgleichsanspruchs gerade nicht durch Anrechnung von Kriegsschadenrente erfüllt worden ist. Die Revision des Klägers konnte insoweit nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO.

Beschluß

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 37 876,80 DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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