Judicialis Rechtsprechung
Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:
Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 23.02.2006
Aktenzeichen: BVerwG 3 C 22.05
Rechtsgebiete: AusglLeistG, VermG
Vorschriften:
AusglLeistG § 1 Abs. 1 | |
AusglLeistG § 1 Abs. 4 | |
VermG § 1 Abs. 8 Buchst. a |
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
BVerwG 3 C 22.05
Verkündet am 23. Februar 2006
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 23. Februar 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick, Dr. Dette, Liebler und Prof. Dr. Rennert
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 27. April 2005 geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
Gründe:
I.
Die Kläger begehren als Rechtsnachfolger des 1977 verstorbenen H.-Ch. J. Ausgleichsleistungen für dessen enteigneten landwirtschaftlichen Betrieb.
Eigentümer dieses Betriebs war bis zu seinem Tod im Januar 1942 Paul J., der Vater von H.-Ch. J.. Paul J. hatte in Thüringen zur NS-Zeit führende Positionen bekleidet. Er war im Oktober 1931 in die NSDAP eingetreten und seit 1930 Gauredner der NSDAP. Von 31. Juli 1932 bis zu dessen Auflösung am 14. Oktober 1933 war er für die NSDAP Abgeordneter im Thüringer Landtag. Von August 1932 bis zu seinem Tod im Januar 1942 gehörte Paul J. zunächst als gewählter und dann ab Mai 1933 als vom Reichsstatthalter in Thüringen ernannter Staatsrat den nationalsozialistischen Landesregierungen an. Daneben war er unter anderem von 1933 bis 1942 Kreisbauernführer von A. sowie von 1933 bis Juli 1938 Präsident des Verbandes thüringischer landwirtschaftlicher Genossenschaften, danach nahm er eine leitende Tätigkeit in der Raiffeisen-Organisation wahr. H.-Ch. J. erbte nach dem Tod seines Vaters dessen landwirtschaftlichen Betrieb. 1945 wurde der Betrieb im Zuge der Bodenreform enteignet.
Den Antrag der Kläger zu 1 und 3 auf Rückübertragung des Betriebs nach den Vorschriften des Vermögensgesetzes lehnte der Beklagte gestützt auf § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG mit bestandskräftigem Bescheid vom 6. Juni 1996 ab.
Mit Bescheid vom 1. Juni 2004 lehnte der Beklagte den Antrag der Kläger auf Gewährung einer Ausgleichsleistung ebenfalls ab. Die Enteignung nach dem Bodenreformgesetz habe sich gegen Paul J. gerichtet, der nach Auffassung der Besatzungsmacht als besonders aktiver Nazi gegolten habe. Für die Frage der Unwürdigkeit sei daher nicht auf H.-Ch. J., sondern auf dessen Vater Paul J. abzustellen. Da er dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet habe, sei nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG ein Anspruch auf Ausgleichsleistung ausgeschlossen.
Mit Urteil vom 27. April 2005 hat das Verwaltungsgericht Gera den Bescheid aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, eine Ausgleichsleistung für den enteigneten landwirtschaftlichen Betrieb zu gewähren. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt: Die Voraussetzungen eines Anspruchsausschlusses nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG lägen nicht vor. Berechtigter im Sinne dieser Vorschrift könne entweder der von der Enteignung Betroffene sein, der selbst einen Anspruch auf Ausgleichsleistung geltend mache, oder - sofern der Enteignungsbetroffene verstorben sei - dessen Erben und weitere Erben. Der Einwand der Unwürdigkeit könne dem Enteignungsbetroffenen entgegengehalten werden, wenn er den Anspruch selbst geltend mache. Der Einwand greife ebenso gegenüber den Erben und Erbeserben, die den Anspruch geltend machten, wenn sie ihre Rechte von einem im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG belasteten Enteignungsbetroffenen herleiteten oder sie der Vorwurf der Unwürdigkeit selbst treffe. Berechtigter im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG sei also nur, wer die Voraussetzungen von § 1 Abs. 1 AusglLeistG erfülle und den Anspruch auf Ausgleichsleistung geltend mache. Dagegen sei eine Ausgleichsleistung nicht auch dann zu versagen, wenn ein unbelasteter Enteignungsbetroffener den Vermögenswert eines Unwürdigen erworben oder sonst auf rechtmäßige Weise erlangt habe. Ausgehend hiervon könne den Klägern eine etwaige Unwürdigkeit von Paul J. nicht entgegengehalten werden. Zum Enteignungszeitpunkt sei H.-Ch. J. Eigentümer des Betriebs gewesen. Allein er habe daher durch die entschädigungslose Enteignung sein Eigentum verloren. In seiner Person lägen die Voraussetzungen für einen Anspruchsausschluss nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG aber nicht vor.
Zur Begründung seiner vom Verwaltungsgericht wegen Divergenz zugelassenen Revision macht der Beklagte geltend: Den Klägern könne nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG die Unwürdigkeit von Paul J. entgegengehalten werden, obwohl Enteignungsbetroffener erst sein Sohn gewesen sei. Wie das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 24. Februar 2005 - BVerwG 3 C 16.04 - (Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 4) entschieden habe, erforderten Sinn und Zweck der Ausschlussregelung, auch im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Enteignung bereits verstorbene Personen in die Prüfung einzubeziehen, sofern die Enteignung auf sie abgezielt habe. Hier habe die Enteignung, wie sich aus den Enteignungslisten ergebe, auf Paul J. abgezielt. Außerdem habe im Februar 1946 die Landeskommission zur Durchführung der Bodenreform die von H.-Ch. J. gegen die Enteignung eingereichte Beschwerde mit der Begründung zurückgewiesen, dass "der Staatsrat J. besonders aktiver Nazist gewesen ist". Sei somit die Prüfung auf Paul J. zu erstrecken, hätten die Kläger keinen Anspruch auf eine Ausgleichsleistung. Paul J. habe dem nationalsozialistischen System, unter anderem als Mitglied der damaligen nationalsozialistischen Landesregierungen, erheblichen Vorschub geleistet.
Die Kläger treten der Revision entgegen und führen aus: Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts habe sich die Enteignung nicht gegen den bereits 1942 verstorbenen Paul J. gerichtet, sondern auf seinen Sohn abgezielt. Mit den Enteignungen im Zuge der Bodenreform hätten führende Persönlichkeiten des Hitler-Staates persönlich getroffen werden sollen. Da H.-Ch. J. nicht zu diesem Personenkreis gehört habe, habe ihm die Thüringer Landeskommission zur Durchführung der Bodenreform 1947 mitgeteilt, dass die Enteignung rechtswidrig gewesen sei und er dafür eine Entschädigung zu erhalten habe. Dies sei in weiteren Schreiben bestätigt worden. Damit sei bereits 1947 die rechtsverbindliche Feststellung getroffen worden, dass sich die Enteignung gegen H.-Ch. J. gerichtet habe und rechtswidrig gewesen sei. Versagungsgründe im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG lägen gegen H.-Ch. J. nicht vor. Ob ein Ausschlussgrund hinsichtlich seines Vaters bestehe, sei unerheblich.
II.
Die Revision des Beklagten ist begründet. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass für die Anwendung des Ausschlussgrundes in § 1 Abs. 4 AusglLeistG nicht hinter den unmittelbar durch die Enteignung Geschädigten zurückgegriffen werden kann, steht nicht im Einklang mit Bundesrecht. Das ergibt sich aus dem Urteil des Senats vom 24. Februar 2005 - BVerwG 3 C 16.04 - (Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 4).
1. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 1 Abs. 1 Satz 1 AusglLeistG. Danach erhalten natürliche Personen, die Vermögenswerte im Sinne des § 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz) durch entschädigungslose Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) verloren haben, oder ihre Erben oder weiteren Erben (Erbeserben) eine Ausgleichsleistung nach Maßgabe dieses Gesetzes.
Im vorliegenden Fall war das streitgegenständliche Grundstück Gegenstand einer solchen entschädigungslosen Enteignung. Unmittelbar Geschädigter dieser Enteignung war nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die mit der Revision nicht angegriffen werden, H.-Ch. J. Die Kläger zu 1 bis 3 sind dessen Erben. Sie können daher nach § 1 Abs. 1 AusglLeistG grundsätzlich einen Anspruch auf Ausgleichsleistung haben.
2. Jedoch werden gemäß § 1 Abs. 4 AusglLeistG Leistungen nach diesem Gesetz unter anderem dann nicht gewährt, wenn der nach den Absätzen 1 und 2 Berechtigte oder derjenige, von dem er seine Rechte ableitet, dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet hat.
Hier haben weder H.-Ch. J. noch die Kläger dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet. Ob in der Person von Paul J. die Voraussetzungen für einen Anspruchsausschluss nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG vorliegen, hat das Verwaltungsgericht offen gelassen ("etwaige Unwürdigkeit"). Es hat angenommen, dass bei der Anwendung von § 1 Abs. 4 AusglLeistG nicht über die Person des unmittelbar Geschädigten hinaus zurückgegangen werden dürfe. Das ist jedoch unzutreffend. Vielmehr erfordern, wie der Senat in seinem Urteil vom 24. Februar 2005 entschieden hat, die Systematik sowie Sinn und Zweck dieser Ausschlussregelung, auch Personen in die Prüfung einzubeziehen, die im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Enteignung bereits verstorben waren, sofern die Enteignung auf sie abzielte. Der Senat hat dies auf die folgenden Erwägungen gestützt:
"Nach der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 4 AusglLeistG (vgl. BTDrucks 12/4887 S. 38) soll die Vorschrift verhindern, dass diejenigen, die die Hauptverantwortung für die jetzt zu revidierenden Unrechtsmaßnahmen tragen, das Ausgleichsleistungsgesetz zu ihren Gunsten in Anspruch nehmen. Entsprechende Ausschlussregelungen fänden sich in allen vergleichbaren gesetzlichen Regelungen wie z.B. im Bundesentschädigungsgesetz oder im Lastenausgleichsgesetz. Dieser Ausschlusstatbestand, der in der Fassung des Regierungsentwurfes (vgl. BTDrucks 12/4887 S. 12) noch auf den 'nach Absatz 1 und 2 Berechtigten oder das enteignete Unternehmen' beschränkt war, wurde hinsichtlich des ausgeschlossenen Personenkreises noch in den Ausschussberatungen um den Zusatz 'oder derjenige, von dem er seine Rechte ableitet' erweitert und erhielt damit seine geltende Fassung (Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BTDrucks 12/7588 S. 12). Diese Ergänzung wird damit begründet, es solle klargestellt werden, dass auch die Unwürdigkeit des Rechtsvorgängers des Berechtigten zum Ausschluss des Anspruchs auf Ausgleichsleistung führe (BTDrucks 12/7588 S. 41).
Nur mit der Erstreckung der Prüfung von Ausschlussgründen nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG auch auf denjenigen, auf den die Enteignung auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage abzielte, wird diesem Regelungszweck hinreichend Rechnung getragen. Für eine solche Auslegung spricht insbesondere der systematische Zusammenhang zwischen der entschädigungslosen Enteignung und dem Ausschluss vermögensrechtlicher Ansprüche nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG auf der einen und der wesentlich auf dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes beruhenden (vgl. dazu BVerfGE 102, 254) ersatzweisen Begründung eines Ausgleichsleistungsanspruchs nach § 1 AusglLeistG auf der anderen Seite. Der Anspruch auf Ausgleichsleistung nach § 1 Abs. 1 AusglLeistG beinhaltet ein Surrogat für den nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG ausgeschlossenen Restitutionsanspruch. Dieses Surrogat knüpft an die entsprechende Enteignung an, die auch dann als wirksam anzusehen ist, wenn sie gegen einen bereits Verstorbenen gerichtet war (Urteil vom 28. Juli 1994 - BVerwG 7 C 14.94 - a.a.O. 256 ff.). Diese Verknüpfung von Enteignung und Ausgleichsleistungsanspruch rechtfertigt es, auch für den Surrogatanspruch auf die entschädigungslose Enteignung Bezug zu nehmen und denjenigen in die Prüfung von Ausschlussgründen einzubeziehen, auf den diese Enteignung abgezielt und den sie nur wegen seines zuvor eingetretenen Todes verfehlt hat. Die im angegriffenen Urteil vorgenommene Beschränkung führt demgegenüber zu der am Regelungszweck und dem dargestellten systematischen Zusammenhang vorbei gehenden Konsequenz, dass es vom Zeitpunkt des Todes des nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG Ausgeschlossenen abhängt, ob - bei Tod vor der entschädigungslosen Enteignung - eine Ausgleichsleistung zu zahlen ist oder - im Falle des Todes erst nach der entschädigungslosen Enteignung - nicht. Dieser Auslegung steht - anders, als das Verwaltungsgericht meint - auch nicht der zeitliche Abstand zwischen der Anspruchsbegründung und dem Vorschubleisten entgegen. Der hier in Rede stehende Anspruchsausschluss knüpft ausdrücklich an ein Vorschubleisten zugunsten des nationalsozialistischen Systems an. Der sich daraus zwangsläufig ergebende zeitliche Abstand besteht in gleicher Weise dann, wenn es der durch die Enteignung unmittelbar Geschädigte selbst war, der Vorschub geleistet hat. Hier geht es dagegen um die Frage, inwieweit bei der genannten Konstellation dem Todeszeitpunkt Bedeutung zukommen kann.
Nach der in § 1 Abs. 4 AusglLeistG zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers führt schließlich nicht bereits der Umstand zu einer Aufhebung des Anspruchsausschlusses, dass jedenfalls dem oder den Erben kein erhebliches Vorschubleisten im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG zur Last fällt. Es ist gerade nicht so, dass unbelasteten Erben auf jeden Fall ein Anspruch auf Ausgleichsleistung gewährt werden sollte. Der Anspruch ist und bleibt verwirkt. Vor dem Hintergrund von Sinn und Zweck der Regelung ist kein Grund ersichtlich, weshalb diese Wertung anders ausfallen sollte, nur weil der frühere durch ein Vorschubleisten belastete Eigentümer vor der Enteignung verstorben ist, wenn - wie hier - gerade seine Belastung der Grund für den Zugriff auf den Vermögenswert und die entschädigungslose Enteignung war."
Davon ist auch für den vorliegenden Fall auszugehen.
3. Die entschädigungslose Enteignung hat auf Paul J. und nicht auf seinen im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG unbelasteten Sohn H.-Ch. J. abgezielt. Damit ist auch Paul J. in die Prüfung von Ausschlussgründen nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG einzubeziehen. Diese Überprüfung ergibt, dass er dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet hat.
a) Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass im Zeitpunkt der Enteignung H.-Ch. J. Eigentümer des landwirtschaftlichen Betriebs war. Gegen ihn war demzufolge die entschädigungslose Enteignung gerichtet. Er war der durch die Enteignung unmittelbar Geschädigte. Von der Frage, gegen wen die Enteignung gerichtet war, ist jedoch die Frage zu unterscheiden, auf wen die Enteignung abzielte. Dies ist derjenige, in dessen Person oder in dessen Verhalten der Enteignende den Grund für die entschädigungslose Enteignung auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage gesehen hat (Urteil vom 24. Februar 2005, a.a.O., S. 12).
Dass die Enteignung hier auf Paul J. abzielte, drängt sich schon deshalb auf, weil sein 1923 geborener Sohn H.-Ch. J. nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts keinerlei NS-Belastung aufweist. Nachdem die Größe des enteigneten Betriebs hier unterhalb der 100 ha-Grenze von Art. II Nr. 3 des Gesetzes über die Bodenreform im Lande Thüringen vom 10. September 1945 (RegBl I S. 13) für die Enteignung von "feudaljunkerlichem Boden und Großgrundbesitz" lag, kam als Rechtsgrundlage nur Art. II Nr. 2 des Gesetzes in Betracht. Nach dessen Buchst. b wird der Grundbesitz mit allem darauf befindlichen landwirtschaftlichen Vermögen enteignet, der den Naziführern und den aktiven Verfechtern der Nazipartei und ihren Gliederungen sowie den führenden Personen des Hitlerstaates gehörte, darunter allen Personen, die in der Periode der Naziherrschaft Mitglieder der Reichsregierung, des Reichstages, einer deutschen Länderregierung oder eines Landtages waren. Davon wäre, hätte er zum Enteignungszeitpunkt noch gelebt, die Enteignung von Paul J. als Mitglied der Thüringer Landesregierung gedeckt gewesen. Dass die Enteignung auf Paul J. abzielte, ergibt sich ebenso aus dem Schreiben des damaligen Anwalts von H.-Ch. J. vom 10. Oktober 1945, in dem er selbst geltend macht, die Enteignung sei darauf gestützt gewesen, dass der frühere Hofeigentümer Paul J. unter dem nationalsozialistischen System Thüringer Staatsrat gewesen sei und seit 1932 der NSDAP angehört habe. Im Schreiben der Landeskommission zur Durchführung der Bodenreform vom 8. Februar 1946 wurde eine weitere Beschwerde gegen die Enteignung mit der Begründung zurückgewiesen, dass "der Staatsrat J. besonders aktiver Nazist gewesen ist". Schließlich wird in den vorliegenden Enteignungslisten und Aufstellungen als Eigentümer des enteigneten Betriebs "Paul J.", teilweise mit dem Zusatz "tot", aufgeführt, oder "J.", mit dem Zusatz "verstorben" genannt, nicht aber H.-Ch. J.
Dies lassen die Kläger unberücksichtigt, wenn sie vortragen, die Enteignung sei gegen H.-Ch. J. gerichtet gewesen und habe auch auf ihn abgezielt. Ebenso wenig können sie den geltend gemachten Anspruch auf Ausgleichsleistung darauf stützen, es sei in Thüringen bereits 1947 anerkannt worden, dass die gegen H.-Ch. J. gerichtete Enteignung wegen dessen fehlender NS-Belastung rechtswidrig gewesen sei und dass ihm deshalb eine Entschädigung zustehe. Soweit die Kläger dazu erstmals im Revisionsverfahren Schreiben aus den Jahren 1947 und 1952 vorlegen, die dies bestätigen sollen, handelt es sich um im Revisionsverfahren nicht berücksichtigungsfähiges neues tatsächliches Vorbringen. Abgesehen davon gingen auch diese Schreiben nur von einem in Frage kommenden Entschädigungsanspruch aus, über den aber noch zu entscheiden sei. Schließlich wäre selbst die Anerkennung eines sich aus dem damals geltenden Recht möglicherweise ergebenden Entschädigungsanspruchs für den vom Bundesgesetzgeber neu geschaffenen Anspruch auf Ausgleichsleistung ohne Belang, da dessen Voraussetzungen abschließend im Ausgleichsleistungsgesetz geregelt werden.
b) Paul J. hat - was auch die Kläger nicht bestreiten - dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG geleistet.
Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass Paul J. in verschiedenen nationalsozialistischen Organisationen in führender Position tätig gewesen ist. Wie sich aus allgemein zugänglichen Quellen wie dem vom Thüringischen Hauptstaatsarchiv erarbeiteten und 1999 erschienenen "Thüringen-Handbuch" ergibt, war Paul J. seit 1931 NSDAP-Mitglied und seit 1930 Gauredner. Dem Thüringer Landtag gehörte er von Juli 1932 bis zu dessen Auflösung im Oktober 1933 als Abgeordneter der NSDAP an. Von August 1932 bis zu seinem Tod im Januar 1942 war er Staatsrat und damit Mitglied der damaligen nationalsozialistischen Landesregierungen in Thüringen. Den bisherigen Einzelstaaten war bei der Gründung des Landes Thüringen im Jahr 1920 zugestanden worden, durch einen ihrer Angehörigen in der Landesregierung vertreten zu sein. Geschah dies nicht durch einen Minister, übernahm diese Funktion ein vom Landtag gewählter Staatsrat als voll stimmberechtigter Minister ohne Geschäftsbereich. Im Mai 1933 wurde Paul J. bei der Neubildung der Regierung, die erstmals nicht vom Thüringer Landtag gewählt, sondern vom Reichsstatthalter ernannt wurde, erneut zum Staatsrat berufen. Daneben bekleidete Paul J. bis zu seinem Tod im Januar 1942 führende Positionen u.a. in verschiedenen landwirtschaftlichen Verbänden und Organisationen.
Paul J. hat demnach nicht nur gelegentlich oder beiläufig das nationalsozialistische System unterstützt; vielmehr hat er diesem System langjährig an herausgehobener Stelle gedient und ihm damit erheblichen Vorschub geleistet. Da diese Aktivitäten - insbesondere sein Amt als Thüringer Staatsrat - erst mit seinem Tode im Jahre 1942 ihr Ende fanden, ist davon auszugehen, dass er seine Funktion wissentlich und willentlich im Sinne der NSDAP und zu deren Nutzen ausgeübt hat und damit sowohl die objektiven als auch die subjektiven Voraussetzungen des Ausschlussgrundes des § 1 Abs. 4 AusglLeistG erfüllt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 2 sowie § 159 VwGO.
Ende der Entscheidung
Bestellung eines bestimmten Dokumentenformates:
Sofern Sie eine Entscheidung in einem bestimmten Format benötigen, können Sie sich auch per E-Mail an info@protecting.net unter Nennung des Gerichtes, des Aktenzeichens, des Entscheidungsdatums und Ihrer Rechnungsanschrift wenden. Wir erstellen Ihnen eine Rechnung über den Bruttobetrag von € 4,- mit ausgewiesener Mehrwertsteuer und übersenden diese zusammen mit der gewünschten Entscheidung im PDF- oder einem anderen Format an Ihre E-Mail Adresse. Die Bearbeitungsdauer beträgt während der üblichen Geschäftszeiten in der Regel nur wenige Stunden.