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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 18.06.2008
Aktenzeichen: BVerwG 3 C 30.07
Rechtsgebiete: LAG


Vorschriften:

LAG § 349 Abs. 5 Satz 2
Rechtsnachfolger des Rückzahlungspflichtigen im Sinne des § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG ist nicht nur derjenige, der die Schadensausgleichsleistung infolge Abtretung des darauf gerichteten Anspruchs unmittelbar erhalten hat, sondern auch derjenige, dem der Rückzahlungspflichtige den bereits gewährten Schadensausgleich zugewendet hat.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 3 C 30.07

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 18. Juni 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Dette, Liebler, Prof. Dr. Rennert und Buchheister ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster vom 19. September 2007 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I

Der Kläger wendet sich dagegen, gesamtschuldnerisch neben seiner Großmutter auf Rückzahlung von Lastenausgleichsleistungen wegen Schadensausgleichs in Anspruch genommen zu werden.

Der Oberkreisdirektor des Kreises T. stellte mit an die Großmutter des Klägers gerichteten Bescheiden vom 3. Februar 1970 und 2. November 1973 einen Wegnahmeschaden in Höhe von 10 400 M-Ost an land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen fest. Der Oberkreisdirektor des Kreises St. erkannte ihr mit Bescheid vom 22. März 1976 Hauptentschädigung in Höhe von 11 280 DM zu, die teilweise als Kriegsschadenrente ausbezahlt wurde.

Mit Bescheid vom 25. Januar 1994 übertrug das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen des Landkreises P. der Großmutter das Eigentum an den Flächen zurück. Diese verkaufte die Grundstücke im Jahr 1998 an den Kläger zum Preis von 27 000 DM.

Mit Bescheid vom 12. Juni 2001 forderte die Beklagte von der Großmutter Hauptentschädigung in Höhe von 6 336,25 DM zurück; in dieser Höhe sei mit Blick auf die Rückübertragung der Grundstücke zuviel Hauptentschädigung gezahlt worden. Unter Berücksichtigung geleisteter Zahlungen und einer Neuberechnung der Kriegsschadenrente ermäßigte sie den Rückforderungsbetrag mit weiterem Bescheid vom 30. November 2001 auf 5 046,25 DM.

Nachdem die Großmutter Ende November 2001 die Zahlung vereinbarter Raten an die Beklagte eingestellt hatte, forderte die Beklagte den Kläger mit Leistungsbescheid vom 11. März 2002 gemäß § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG als Gesamtschuldner neben seiner Großmutter zur Zahlung von 2 580,11 € (= 5 046,25 DM) auf. Der Kläger habe die Schadensausgleichsleistung ohne angemessene Gegenleistung erlangt. Wie vom Gutachterausschuss beim Landkreis P. angegeben, habe der Bodenrichtwert für 1 qm Ackerland im März 1998 0,52 DM betragen. Hieraus ergebe sich für das Grundstück ein Verkehrswert von 46 436 DM, der weit über dem gezahlten Kaufpreis von 27 000 DM liege. Eine Gegenleistung sei jedoch dann nicht angemessen, wenn sie den Verkehrswert um mindestens ein Viertel unterschreite.

Zur Begründung seiner nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, dass § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG auf vor Inkrafttreten der Vorschrift erfolgte Erwerbsvorgänge nicht anwendbar sei; andernfalls liege eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückbewirkung von Rechtsfolgen vor. Zudem sei keines der Tatbestandsmerkmale des § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG erfüllt.

Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Leistungsbescheid mit Urteil vom 19. September 2007 aufgehoben. Dazu hat es ausgeführt, der Kläger sei nicht Rechtsnachfolger des Rückzahlungspflichtigen im Sinne des § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG, weshalb es nicht mehr darauf ankomme, ob er seiner Großmutter eine angemessene Gegenleistung erbracht habe. Rechtsnachfolger im Sinne dieser Vorschrift sei nur, wem der Rückzahlungspflichtige den Anspruch auf die Schadensausgleichsleistung vor deren Gewährung abgetreten habe und an wen demzufolge die Restitutionsbehörde den Schadensausgleich final leiste. Schon wegen des übereinstimmenden Wortlauts dürfe § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG nicht anders ausgelegt werden als § 349 Abs. 5 Satz 1 LAG. Weil aber in § 349 Abs. 5 Satz 1 LAG mit "Rechtsnachfolge" nur eine vor Gewährung der Schadensausgleichsleistung eintretende Einzelrechtsnachfolge - im Wege der Abtretung des Anspruchs auf den Schadensausgleich, d.h. des Restitutionsanspruchs - gemeint sei, könne auch § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG eine Rechtsnachfolge nach Gewährung der Schadensausgleichsleistung - im Wege der Übereignung des als Schadensausgleich erhaltenen Vermögensgegenstandes - nicht erfassen.

Mit seiner Revision macht die Beklagte geltend, die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Unterscheidung finde in Wortlaut und Systematik der Vorschrift keine Stütze und verenge ihren Anwendungsbereich in unvertretbarer Weise.

Der Kläger verteidigt das Urteil. Ergänzend bekräftigt er seine Auffassung, dass § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG nicht rückwirkend auf Verkaufsfälle vor seinem Erlass angewendet werden dürfe. Jedenfalls die Rückforderung von Kriegsschadenrente scheide nach der ursprünglichen Gesetzesfassung aus; damit habe der Gesetzgeber einen zusätzlichen Vertrauenstatbestand geschaffen, hinter den er nicht mehr habe zurückgehen dürfen.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

II

Die Revision der Beklagten ist begründet, da das angefochtene Urteil Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig darstellt (§ 144 Abs. 4 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat verkannt, dass der angefochtene Haftungsbescheid seine Grundlage in § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG finden kann. Da es nicht geklärt hat, ob der Kläger die Grundstücke ohne angemessene Gegenleistung erlangt hat, muss die Sache an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen werden.

1. Nach § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG kann ein Rechtsnachfolger des wegen Schadensausgleichs Rückzahlungspflichtigen neben diesem als Gesamtschuldner in Anspruch genommen werden, wenn er die Schadensausgleichsleistung ohne angemessene Gegenleistung erlangt hat. Das Verwaltungsgericht meint, die Vorschrift begründe die Mithaftung des Rechtsnachfolgers nur dann, wenn ihm der Anspruch auf die Schadensausgleichsleistung vor deren Gewährung abgetreten oder sonst übertragen worden sei. Dem kann nicht gefolgt werden.

Zur Begründung seines Standpunkts verweist das Verwaltungsgericht zum einen auf das Wort "Schadensausgleichsleistung" und meint, damit könne nur diejenige Verfügung gemeint sein, die den Schadensausgleich bewirke. Diese Verfügung könne aber nur seitens der Wiedergutmachungsbehörde vorgenommen werden und erfolge regelmäßig an den Berechtigten (und deshalb Rückzahlungspflichtigen), an dessen Rechtsnachfolger hingegen nur, wenn der Berechtigte ihm den Anspruch auf die Schadensausgleichsleistung vor deren Gewährung abgetreten habe. Zum anderen hebt das Verwaltungsgericht hervor, dass § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG mit "Rechtsnachfolger", "Schadensausgleichsleistung" und "erlangt" dieselben Wörter verwende wie § 349 Abs. 5 Satz 1 LAG. Es schließt daraus, dass sie in beiden Vorschriften gleich auszulegen seien. Weil aber in § 349 Abs. 5 Satz 1 LAG mit "Rechtsnachfolge" nur die vor Gewährung der Schadensausgleichsleistung eintretende Einzelrechtsnachfolge gemeint sei, könne auch § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG eine Rechtsnachfolge nach Gewährung der Schadensausgleichsleistung nicht erfassen. Diese Auslegung verengt den Anwendungsbereich des § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG in einer Weise, die vom Wortlaut der Vorschrift nicht erzwungen wird und ihrem Zweck und der Regelungsabsicht des Gesetzgebers deutlich widerspricht.

§ 349 Abs. 5 Satz 1 LAG begründet die Haftung des Empfängers der Ausgleichsleistung oder seines Erben und weiteren Erben, sofern und soweit der Schaden nach dem 31. Dezember 1989 (erneut) ausgeglichen worden ist. Die Rückzahlungspflicht entsteht nicht nur, wenn der Rückzahlungspflichtige die Schadensausgleichsleistung selbst erlangt, sondern auch, wenn er den Anspruch auf die Schadensausgleichsleistung an einen Dritten abtritt oder sonst überträgt und der Schadensausgleich daraufhin an diesen Rechtsnachfolger geleistet wird.

§ 349 Abs. 5 Satz 2 LAG begründet demgegenüber die Mithaftung des Rechtsnachfolgers des Rückzahlungspflichtigen. Rechtsgrund für die Mithaftung ist, dass der Rechtsnachfolger den Gegenstand der Schadensausgleichsleistung ohne angemessene Gegenleistung erlangt hat, was beim Vermächtnisnehmer unwiderleglich vermutet wird. Die Erlangung beruht also auf einer Verfügung des Rückzahlungspflichtigen, nicht hingegen auf einer Verfügung der Wiedergutmachungsbehörde. Mit "Schadensausgleichsleistung" meint das Gesetz hier demzufolge den Vermögenswert, der zum Zwecke des Schadensausgleichs gewährt wurde oder wird, unter Einschluss des Surrogats (vgl. Urteile vom 18. Mai 2006 - BVerwG 3 C 29.05 - Buchholz 428 § 11 VermG Nr. 4 und vom 28. Februar 2007 - BVerwG 3 C 40.06 - Buchholz 427.3 § 349 LAG Nr. 12).

Nur diese Auslegung entspricht Sinn und Zweck des Gesetzes. § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG wurde erst nachträglich in das Gesetz eingefügt. Der Gesetzgeber hat damit ausdrücklich das Ziel verfolgt, eine gesamtschuldnerische Mithaftung desjenigen zu begründen, dem der Empfänger der Schadensausgleichsleistung den zurückerhaltenen Vermögensgegenstand zuwendet, um für den Fall vorzusorgen, dass der Empfänger selbst dadurch vermögenslos wird (BTDrucks 14/866 S. 16). Die Schenkung unter Lebenden ist ebenso wie die gemischte Schenkung der typische Fall der Rechtsnachfolge im Sinne des § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG (vgl. Beschluss vom 14. Februar 2006 - BVerwG 3 B 105.05 - und Urteil vom 28. Februar 2007 - BVerwG 3 C 40.06 - a.a.O.). Der Gesetzeszweck erfordert, die Mithaftung des Einzelrechtsnachfolgers auch dann anzunehmen, wenn ihm der Berechtigte schon den Anspruch auf die Schadensausgleichsleistung abgetreten oder sonst übertragen hat, sofern dies ohne angemessene Gegenleistung oder im Wege des Vermächtnisses geschah; er verbietet aber, den Anwendungsbereich des § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG auf diesen - praktisch wohl eher seltenen - Fall zu beschränken.

2. Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).

An der Haftung der Großmutter des Klägers nach § 349 Abs. 5 Satz 1 LAG und demzufolge an seiner eigenen Mithaftung ändert es nichts, dass der Großmutter ein Teil der Hauptentschädigung in der Form der Kriegsschadenrente gewährt worden war. Zwar war nach der ursprünglichen Fassung des § 349 LAG die Rückforderung von Kriegsschadenrente ausgeschlossen (vgl. § 349 Abs. 4 Satz 5 LAG sowie Urteil vom 22. Oktober 1998 - BVerwG 3 C 19.98 - Buchholz 427.3 § 349 LAG Nr. 7), doch wurde dies mit dem 33. LAG-Änderungsgesetz vom 16. Dezember 1999 (BGBl I S. 2422) durch Anfügung eines zweiten Halbsatzes in § 349 Abs. 4 Satz 5 LAG geändert. Nunmehr unterliegen solche Beträge an Kriegsschadenrente der Rückforderung, die auf die zuerkannte Hauptentschädigung angerechnet wurden (vgl. dazu BTDrucks 14/866 S. 16).

Die Mithaftung des Rechtsnachfolgers des Rückzahlungspflichtigen begründen auch Erwerbsvorgänge vor dem Inkrafttreten des § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG am 1. Januar 2000. Dem Wortlaut lässt sich eine Beschränkung auf spätere Erwerbsvorgänge nicht entnehmen. Auch Sinn und Zweck der Regelung sprechen gegen eine Einschränkung ihres Anwendungsbereichs. Wie gezeigt, wollte der Gesetzgeber den Fällen Rechnung tragen, in denen Rückzahlungsansprüche notleidend werden, weil der Rückzahlungspflichtige das zurückgegebene Vermögen ohne angemessene Gegenleistung an Dritte weitergibt, selbst aber vermögenslos ist (vgl. BTDrucks 14/866 S. 16). Dieses Ziel wäre in einer großen Zahl von Fällen nicht zu erreichen, wenn die Bestimmung auf Übertragungsvorgänge vor dem 1. Januar 2000 nicht anwendbar wäre. Der Schadensausgleich, der die Rückzahlungspflicht begründet, ist vielfach bereits in den Jahren 1990 bis 1999 geleistet worden, und auch eine Weitergabe dürfte regelmäßig alsbald erfolgt sein.

Die Erstreckung der Rückzahlungspflicht auf Kriegsschadenrente, die auf die zuerkannte Hauptentschädigung anzurechnen ist, und die Begründung der Mithaftung des Rechtsnachfolgers auch in Ansehung zurückliegender Erwerbsvorgänge sind mit Verfassungsrecht vereinbar. Namentlich wird ein Vertrauen der Betroffenen in den Fortbestand der vorherigen Rechtslage nicht unzumutbar enttäuscht. Dies hat der Senat mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts bereits entschieden (Urteil vom 28. Februar 2007 - BVerwG 3 C 40.06 - a.a.O. sowie Beschluss vom 6. Juni 2006 - BVerwG 3 B 169.05 - juris; BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. September 2006 - 1 BvR 1798/06 - WM 2006, 2019). In der Begründung seiner Entscheidung hat sich der Senat zwar ausdrücklich nur mit § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG befasst. Das Vertrauen des Rückzahlungspflichtigen oder seines Rechtsnachfolgers ist aber nicht schutzwürdiger, wenn der Lastenausgleich in der Form der Kriegsschadenrente gewährt worden war. Dementsprechend hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung auch in derartigen Fällen verfassungsrechtliche Bedenken nicht erhoben (Urteil vom 15. Juli 2004 - BVerwG 3 C 44.03 - Buchholz 427.3 § 349 LAG Nr. 10; vgl. auch Beschluss vom 6. September 2004 - BVerwG 3 B 20.04 - juris). Hieran ist festzuhalten.

3. Das Verwaltungsgericht hat offengelassen, ob der Kläger die Grundstücke ohne angemessene Gegenleistung erlangt hat. Die Beklagte hat insoweit angenommen, eine Gegenleistung sei dann nicht angemessen, wenn sie den Verkehrswert um mindestens ein Viertel unterschreite. Dagegen ist nichts zu erinnern. Da jedoch tatrichterliche Feststellungen hinsichtlich des Verkehrswertes fehlen, muss die Sache zurückverwiesen werden.

Ende der Entscheidung

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