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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 26.08.1999
Aktenzeichen: BVerwG 3 C 31.98
Rechtsgebiete: BGB, TreuhG 3. DVO, EV


Vorschriften:

BGB § 891
BGB § 900
TreuhG 3. DVO
EV Art. 19 Satz 1
EV Art. 19 Satz 2
EV Art. 19 Satz 3
EV Art. 21 Abs. 1 Satz 1
Leitsätze:

1. Auf einen Verwaltungsakt i.S. des Art. 19 EV, der nach Maßgabe des DDR-Rechts zum Zeitpunkt seines Erlasses nichtig war und dessen Nichtigkeit nicht geheilt worden ist, kann sich der Begünstigte bzw. dessen Rechtsnachfolger nicht berufen; die Nichtigkeit erfordert einen erkennbar schwerwiegenden Mangel.

2. Die 1958 durch den Rat des Kreises erfolgte Zuteilung des Eigentums an einem Bodenreformgrundstück an eine LPG war keine nichtige Entscheidung i.S. des Art. 19 EV. Derartiges Eigentum ist kein zuordnungsfähiges Vermögen der DDR i.S. des Art. 21 Abs. 1 Satz 1 EV.

Urteil des 3. Senats vom 26. August 1999 - BVerwG 3 C 31.98 -

I. VG Berlin vom 08.05.1998 - Az.: VG 31 A 358.95 -


BVerwG 3 C 31.98 VG 31 A 358.95

Verkündet am 26. August 1999

Riebe Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 26. August 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Driehaus sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick, Dr. Borgs-Maciejewski, Kimmel und Dr. Brunn

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. Mai 1998 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Gründe:

I.

Die Klägerin ist die unmittelbare Rechtsnachfolgerin der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft LPG "W." sowie die mittelbare Rechtsnachfolgerin der LPG "H.J.", die im Jahre 1958 im Grundbuch als Eigentümerin eines über 7 000 qm großen Grundstücks (zukünftig: Vermögensgegenstand) eingetragen worden war. Die Klägerin wendet sich gegen die im Jahre 1995 zugunsten der Beigeladenen erfolgte Zuordnung des Vermögensgegenstandes durch die beklagte Zuordnungsbehörde.

Vor der LPG H.J. waren im Grundbuch seit 1948 der Neubauer H. und seit 1955 der Neubauer J. als Eigentümer auf der Grundlage der einschlägigen Bodenreformverordnung (1945) verzeichnet; entsprechend war ein Bodenreformsperrvermerk eingetragen. Der Eintragung der LPG lag ein Antrag des Rates des Kreises an die "Abteilung Kataster im Hause" vom 13. März 1958 zugrunde, welcher gerichtet war auf "Umschreibung der Neubauernstelle ... von ... auf ..."; der Antrag war mit Dienstsiegel und Unterschrift sowie einem Verteilervermerk versehen.

Gegen den ihr nicht bekanntgegebenen Vermögenszuordnungsbescheid vom 13. Juni 1995, in dem die Eintragung der LPG als Rechtsträgerschaftsvermerk gewertet wird, hat die Klägerin im Oktober 1995 Anfechtungsklage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid aufgehoben und dies wie folgt begründet:

Zugunsten der Klägerin greife die gesetzliche Vermutung des § 891 Abs. 1 BGB ein. Als Folge der Eintragungen der LPGen "H.J." sowie "W." sei davon auszugehen, daß nach den einschlägigen Vorschriften des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der LPGen auch Eigentümerin des Vermögensgegenstandes geworden sei; Beklagter und Beigeladener sei es nicht gelungen, die Vermutung der Eigentümerschaft der Rechtsvorgängerinnen durch den Beweis des Gegenteils zu widerlegen. Die aus den Enteignungen der Nachkriegszeit in der sowjetischen Besatzungszone hervorgegangenen Bodenreformgrundstücke seien Neubauern aufgrund eines staatlichen Hoheitsaktes zugewiesen worden. Wenngleich es sich bei solchen zugeteilten Flächen um Eigentum der Neubauern gehandelt habe, so sei es allerdings beschränktes Eigentum gewesen, was u.a. zur Folge gehabt habe, daß eine aufgegebene Neubauernstelle an den Bodenfonds zurückgefallen sei und nach den einschlägigen Vorschriften der Besitzwechselverordnung vom 21. Juli 1951 GBl I S. 629 wieder habe verteilt werden müssen. Obwohl dort Bauern als Zuteilungsberechtigte aufgeführt gewesen seien, habe sich das Gericht nicht von der Richtigkeit der Behauptung der Beklagten überzeugen können, daß nach dem damals gültigen Recht der DDR ein Eigentumserwerb durch eine LPG unter allen Umständen als nichtig zu beurteilen gewesen sei; nirgends sei ausdrücklich festgelegt, daß solche Genossenschaften auf keinen Fall Eigentum an den Bodenreformflächen hätten erhalten dürfen. Auszugehen sei vielmehr davon, daß insoweit damals eine erhebliche Rechtsunsicherheit geherrscht habe, zumal die Beklagte selbst angegeben habe, daß in den 50er Jahren viele LPGen als Eigentümerinnen von Bodenreformland im Grundbuch eingetragen worden seien und das Oberste Gericht in einem Urteil des Jahres 1962 in einem vergleichbaren Fall eine LPG als Eigentümerin angesehen habe.

Selbst unter der Voraussetzung der Rechtswidrigkeit der Übertragung auf die LPG könne deren Nachfolgerin ihre Position nach dem Beitritt nicht mehr streitig gemacht werden; bei der das Eigentum begründenden Zuweisung durch den Rat des Kreises habe es sich um eine Entscheidung der öffentlichen Verwaltung gehandelt, weswegen Art. 19 EV zur Anwendung komme.

Zur Begründung der auf Klageabweisung zielenden Revision vertritt die Beklagte die Auffassung, daß es sich bei dem beanspruchten Vermögensgegenstand in Wahrheit - und entgegen dem durch die Grundbucheintragungen hervorgerufenen Anschein - um materielles Volkseigentum gehandelt habe. Zum damaligen Zeitpunkt sei es nach dem maßgeblichen Recht vollkommen ausgeschlossen gewesen, einer LPG zurückgegebenes Bodenreformland, mithin Volkseigentum, als Eigentum zuzuteilen; zulässig sei allenfalls die Übertragung zur Nutzung gewesen. Die Besitzwechselverordnung (1951) habe eine Übertragung einer zurückgegebenen Neubauernstelle an eine LPG nicht vorgesehen. Literaturstimmen aus dieser Zeit hätten betont, daß der in den Bodenfonds zurückgefallene Boden den Charakter einer Ware verloren gehabt habe und nicht mehr Gegenstand des Zivilrechtsverkehrs habe sein können. Kennzeichnend für solche Vermögensgegenstände sei ihre absolute Unantastbarkeit gewesen. Deshalb sei eine "Herabstufung" von volkseigenem Bodenfondsland zu Eigentum einer LPG nach den Prämissen des sozialistischen Rechts ausgeschlossen gewesen. Dies werde, wie im einzelnen zu belegen sei, durch die Verwaltungspraxis und die einschlägige Rechtsprechung bestätigt. Insbesondere sei auf einen eindeutigen Beschluß des Präsidiums des Obersten Gerichts aus dem Jahre 1965 hinzuweisen. Von einer Rechtsunsicherheit könne keine Rede sein. Mithin müßte selbst unter der unterstellten Voraussetzung, daß der Rat des Kreises im Jahre 1958 zugunsten des Eigentums der LPG eine dem Ersuchen zugrundeliegende Entscheidung getroffen haben sollte, ein solcher Akt als nichtig beurteilt werden. Damit liege keine taugliche Grundlage für eine Heranziehung des Art. 19 EV oder des § 891 Abs. 1 BGB vor. Auch komme eine Ersitzung der LPG nicht in Betracht, weil dies gegen das Verbot der Ersitzung von Volkseigentum verstoßen haben würde.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil steht mit seiner das Ergebnis selbständig tragenden Alternativbegründung im Einklang mit Bundesrecht im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO.

Das Recht der Klägerin auf Aufhebung des zugunsten der Beigeladenen ergangenen Bescheids folgt aus dem auf Art. 19 des Einigungsvertrages EV gegründeten Fortbestand der im Jahre 1958 getroffenen Entscheidung des Rats des Kreises, der Rechtsvorgängerin der Klägerin das Eigentum am Vermögensgegenstand zu übertragen. Der erkennende Senat kann daher offenlassen, ob die Klägerin sich auch erfolgreich auf den vom Verwaltungsgericht in erster Linie herangezogenenen § 891 BGB (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 6. Dezember 1996 V ZR 177/95 VIZ 1997, 299) oder auf die vom Verwaltungsgericht nicht herangezogene Vorschrift des § 900 BGB (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 26. Januar 1994 IV ZR 19/93 BGHR BGB § 900 Abs. 1 Satz 1 Nacherbenvermerk 1, vom 29. März 1996 V ZR 326/94 NJW 1996, 1890 und vom 11. Juli 1997 V ZR 313/95 BGHR BGB § 900 Abs. 1 Volkseigentum 2) berufen könnte.

Hiergegen macht die Revision zwar geltend, der beanspruchte Vermögensgegenstand sei infolge der Aufgabe der Neubauernwirtschaft durch den im Grundbuch als Eigentümer eingetragenen Bauern J. im Jahre 1958 materiellrechtlich in Eigentum des Volkes überführt worden und habe diese Eigenschaft bis zum Beitrittszeitpunkt nicht verloren, weswegen er zum zuordnungsfähigen Vermögen der DDR zu rechnen sei; ein Eigentumserwerb hieran durch die Rechtsvorgängerin der Klägerin, wie er sich aus dem Grundbuch zu ergeben scheine, sei wegen Nichtigkeit der zugrunde liegenden behördlichen Verfügung unwirksam gewesen. Diese Behauptung trifft im Ansatz (hierzu 1.), nicht aber in der rechtlichen Schlußfolgerung zu, weil der Erwerb auf der Grundlage der vom Verwaltungsgericht bindend festgestellten Tatsachen (§ 137 Abs. 2 VwGO) sowie des von ihm herangezogenen, grundsätzlich nicht revisiblen DDR-Rechts (vgl. Urteil vom 9. März 1999 BVerwG 3 C 21.98 ) nicht als nichtig bezeichnet werden kann und deswegen der Erwerb zu einem Ausscheiden des Vermögensgegenstandes aus dem zuordnungsfähigen Vermögen der DDR geführt hat (hierzu 2.).

1. Allerdings legen die vom Verwaltungsgericht für den Zeitraum bis zu dem Eintragungsersuchen vom 13. März 1958 festgestellten Tatsachen die Annahme nahe, der Vermögensgegenstand sei als Folge der Aufgabe der Neubauernwirtschaft durch den Bauern J. (wieder) volkseigen geworden.

a) Mangels Entscheidungserheblichkeit bedarf es im Streitfall keines Eingehens darauf, wie im einzelnen die Rechtsstellung von im Grundbuch eingetragenen Neubauern beschaffen war (vgl. hierzu neuerdings BGH, Urteil vom 17. Dezember 1998 V ZR 200/97 VIZ 1999, 157). Wie das Verwaltungsgericht beanstandungsfrei dargelegt hat, fielen Grundstücke, die im Wege der Bodenreform enteignet worden waren, gemäß Art. II Nr. 1 der Verordnung Nr. 19 über die Bodenreform im Lande Mecklenburg-Vorpommern vom 5. September 1945 (ABl 1946 S. 14) in einen sog. Bodenfonds. Solange es keinem Neubauern zugeteilt war, stellte sich solches enteignetes Land nicht als Fiskaleigentum eines Landes dar, sondern als eine Vorform von Volkseigentum (vgl. Urteil vom 30. November 1995 BVerwG 7 C 42.94 BVerwGE 100, 62 <68 f.>).

War es einem Neubauern zugeteilt, so war dieser zwar gehindert, es zu teilen, zu übertragen, zu verpachten oder zu verpfänden, er war aber im übrigen in einer Weise Eigentümer, die es ihm erlaubte, sich anderen (auch dem Staat) gegenüber darauf zu berufen.

b) Erst mit der Aufgabe von Bodenreformland oder einem zwangsweisen Entzug konnten sich die Eigentumsverhältnisse hieran wieder ändern. Insoweit hat das Verwaltungsgericht zu Recht auf die Besitzwechselverordnung vom 21. Juni 1951 (GBl I S. 629) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 23. August 1956 (GBl I S. 685) abgehoben. Zugunsten aller Verfahrensbeteiligten geht der erkennende Senat trotz Fehlens entsprechender tatsächlicher Feststellungen für den Streitfall davon aus, daß die Rückgabe der Bauernwirtschaft durch den Bauern J. zulässig war und er deswegen seine Eigentümerstellung verloren hat (diese also nicht den Beitritt der DDR überdauert haben kann). Auf dieser Grundlage ist die Annahme gerechtfertigt, daß der Vermögensgegenstand (wieder) in Volkseigentum gefallen ist und dort mangels Zuteilung an einen anderen Bauern auch verblieben wäre, hätten sich nicht das Eintragungsersuchen und die darauf erfolgte Grundbucheintragung der Rechtsvorgängerin der Klägerin ereignet, die nach den nachstehenden Darlegungen zum Erlöschen des Volkseigentums geführt haben.

2. Unabhängig davon, auf welche konkrete rechtliche Zuordnungsgrundlage sich Beklagte und Beigeladene für die getroffene Entscheidung stützen können, und davon, ob der Rechtsvorgängerin der Klägerin Eigentum nach den Regeln des BGB oder nach denen des sozialistischen genossenschaftlichen Eigentums zugeteilt worden ist (hierzu a), behält die in dem Eintragungsersuchen vom 13. März 1958 verkörperte Entscheidung des Rates des Kreises, der Rechtsvorgängerin der Klägerin Eigentum zu übertragen, nach Maßgabe von Art. 19 EV über den Beitritt der DDR hinaus mit der Folge Bestand, daß der in Rede stehende Vermögensgegenstand im Beitrittszeitpunkt nicht zuordnungsfähig war und deshalb die Zuordnung zugunsten der Beigeladenen fehlerhaft ist (hierzu b).

a) Der erkennende Senat muß weder entscheiden, ob die Auffassung der Beklagten zutrifft nicht die Vorschriften in den Art. 21 und 22 EV, sondern die Vorschriften der 3. Durchführungsverordnung zum Treuhandgesetz vom 29. August 1990 (GBl I S. 1333), betreffend vor allem volkseigene Güter (§ 1) sowie von Genossenschaften oder Einzelpersonen genutzte volkseigene Nutzflächen (§ 3), rechtfertigten die zugunsten der Beigeladenen erfolgte Zuordnung; noch bedarf es einer abschließenden Beantwortung der Frage, ob das in Art. 21 Abs. 1 Satz 1 EV vorausgesetzte Vermögen der Deutschen Demokratischen Republik nur im Falle von Volkseigentum vorliegt (so BGH, Urteil vom 11. Juli 1997 V ZR 313/95 BGHZ 136, 228 <231>), oder ob auch andere Formen staatlichen bzw. sozialistischen Eigentums zur Zuordnungsfähigkeit des betreffenden Vermögensgegenstands führen können (vgl. die Urteile vom 2. März 1995 BVerwG 7 C 61.93 Buchholz 115 Nr. 2, vom 28. September 1995 BVerwG 7 C 57.94 BVerwGE 99, 283, 286 "öffentliches Vermögen der DDR und ihrer Rechtsträger", vom 28. September 1995 BVerwG 7 C 84.94 Buchholz 111 Art. 22 Nr. 15 S. 44, vom 7. August 1997 BVerwG 3 C 20.96 BVerwGE 105, 140 für Stiftung des öffentlichen Rechts, und vom 27. August 1998 BVerwG 3 C 26.97 ; vgl. auch Beschluß vom 10. Juli 1997 BVerwG 3 B 165.96 Buchholz 111 Art. 21 Nr. 23). Entweder ist der Vermögensgegenstand nämlich entsprechend der Ansicht der Beklagten im Volkseigentum verblieben, oder er hat diese Eigenschaft zugunsten des Eigentums der Rechtsvorgängerin der Klägerin verloren und durfte deswegen der Beigeladenen bei keiner der beiden in diesem Zusammenhang in Betracht zu ziehenden Alternativen zugeordnet werden; denn auch dann, wenn wozu sich das angefochtene Urteil nicht verhält an die Stelle des Volkseigentums nicht privates Eigentum der Genossenschaft getreten wäre, sondern deren sozialistisches Eigentum, so ist der Vermögensgegenstand unter keiner Voraussetzung beim Beitritt zuordnungsfähig gewesen:

aa) Die Beklagte und die Beigeladene behaupten zu Recht nicht, auch unter der Voraussetzung der Annahme erloschenen Volkseigentums sei der Vermögensgegenstand zuordnungsfähig geblieben. Sie behaupten namentlich nicht, als Folge der Geschehnisse im Jahre 1958 sei der Vermögensgegenstand in eine andere Eigentumsform als Volkseigentum überführt worden, die nunmehr gleichwohl seine Zuordnung rechtfertigen könnte. Eine solche Ansicht fände nämlich in dem Recht der DDR keine Stütze.

bb) Freilich kannte, wovon auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausgeht (vgl. Urteil vom 2. Mai 1996 BVerwG 7 C 10.95 BVerwGE 101, 143), das DDR-Recht neben dem Volkseigentum und dem damals noch im wesentlichen den Regeln des BGB folgenden Privateigentum zur hier in Rede stehenden Zeit noch eine weitere Eigentumsform, nämlich diejenige des genossenschaftlichen sozialistischen Eigentums (vgl. hierzu Dornberger u.a., Das Zivilrecht der Deutschen Demokratischen Republik, Sachenrecht, 1956, S. 41 ff.). Es wurde als "Eigentum niederer Entwicklungsstufe" (a.a.O.) bezeichnet und unterschied sich vom Volkseigentum wesentlich dadurch, daß nicht das "gesamte werktätige Volk in Gestalt seines Staates" Eigentümer des betreffenden Vermögensgegenstandes war, "sondern nur eine bestimmte Gruppe von Werktätigen" (a.a.O. S. 41 f.). Im Gegensatz zum Volkseigentum, welches in Art. 24 Abs. 3, Art. 25 Abs. 1 und Art. 28 der am 7. Oktober 1949 verkündeten DDR-Verfassung (GBl I S. 4 ff.) ausdrücklich verankert war, war das genossenschaftliche sozialistische Eigentum damals in der Verfassung noch nicht besonders geschützt, wenngleich sich aus deren Art. 20 Satz 2 sowie Art. 27 Abs. 4 das Anliegen ableiten läßt, Genossenschaften allgemein, Landwirtschaftliche Genossenschaften im besonderen sowie genossenschaftliches Eigentum zu fördern (vgl. insoweit auch Dornberger, a.a.O., S. 42). Erst später wurden unter dem Oberbegriff des sozialistischen Eigentums die Formen des Volkseigentums, des Eigentums sozialistischer Genossenschaften und des Eigentums gesellschaftlicher Organisationen der Bürger in einen vergleichbaren Rang erhoben, wie namentlich die §§ 17 ff. ZGB (1975) belegen.

cc) Sollte durch die Geschehnisse im Jahre 1958 an die Stelle des damaligen Volkseigentums privates Eigentum der Rechtsvorgängerin der Klägerin getreten sein, hätte es dem Vermögensgegenstand im Beitrittszeitpunkt deshalb an der Zuordnungsfähigkeit gemangelt. Sollte dagegen seinerzeit genossenschaftliches sozialistisches Eigentum entstanden sein, gilt folgendes: Weder für die hier in Rede stehende noch für die spätere Zeit läßt sich auf der Grundlage der dem Senat zur Verfügung stehenden Rechtstatsachen erstens belegen, daß ein in Betracht zu ziehendes, auch Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften zugängliches genossenschaftliches sozialistisches Eigentum zu den Vermögensrechten gerechnet worden wäre, die wie das Volkseigentum (vgl. Dornberger, a.a.O., S. 41) dem Staat zustanden. Da auch zweitens weder vorgetragen noch ersichtlich ist, daß und wie damals entstandenes genossenschaftliches sozialistisches Eigentum von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften dem Volkseigentum vergleichbar damals oder später (vgl. Autorenkollektiv, LPG-Recht, 1984, S. 182 ff.) unter staatliche Lenkung (vgl. Urteil vom 2. Mai 1996, a.a.O., S. 147) gelangt sein könnte, fehlt es vorliegend an beiden Kriterien, die bei unklarer Eigentumslage einen Vermögensgegenstand als zuordnungsfähig kennzeichnen können.

b) Einer Berufung der Klägerin auf Art. 19 Satz 1 EV kann nicht entgegengehalten werden, die Entscheidung des Rates des Kreises sei nichtig. Zwar ist dieser Einwand der Revision nicht von vornherein unstatthaft (hierzu aa). Weder aus dem Gesichtspunkt der sachlichen Zuständigkeit des Rates des Kreises (hierzu bb) noch aus anderen kann aber die Berechtigung des Einwands hergeleitet werden (hierzu cc).

aa) Ein Verwaltungsakt im Sinne des Art. 19 EV verlangt eine kraft hoheitlicher Gewalt getroffene, auf Rechtsbeständigkeit abzielende behördliche Entscheidung eines Einzelfalles (vgl. grundlegend Beschluß vom 25. Januar 1994 BVerwG 11 B 53.93 Buchholz 111 Art. 19 EV Nr. 1; Urteil vom 15. Oktober 1997 BVerwG 7 C 21.96 BVerwGE 105, 255 <258>). Auf einen solchen Akt kann sich aber wegen Art. 19 Satz 3 EV niemand berufen, wenn er nichtig ist, d.h. wenn ihm ein schwerer Fehler anhaftet und dies offenkundig ist. Dabei ist grundsätzlich auf die DDR-Rechtslage (unter Einschluß der gelebten Rechtswirklichkeit) zum Zeitpunkt seines Erlasses abzustellen. Dies ergibt sich aus folgendem:

(1) Art. 19 Satz 1 EV, der als Grundsatz die fortbestehende Wirksamkeit von DDR-Verwaltungsakten anordnet (vgl. Urteil vom 20. März 1997 BVerwG 7 C 23.96 Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 108 S. 329), unterscheidet seinem Wortlaut nach nicht zwischen solchen Verwaltungsakten, deren Fortbestand die Adressaten der Akte bzw. deren Rechtsfolger belastet oder begünstigt. Auch seine Sätze 2 und 3 treffen eine solche Unterscheidung zumindest nicht ausdrücklich. Es ist daher vor dem Hintergrund der Erkenntnis, daß ein Regelungsbedürfnis für beide Fallgruppen bestand und noch besteht, davon auszugehen, daß Art. 19 EV insoweit keinen von vornherein eingeschränkten Anwendungsbereich aufweist.

(2) Freilich liegt es auf der Hand, daß die Voraussetzungen für Ausnahmen vom Grundsatz des Art. 19 Satz 1 EV, schon um auch nur sachgerecht zu sein, nicht für die beiden Fallgruppen ausnahmslos identisch sein können. Es bedarf mit anderen Worten keiner weiteren Darlegung, daß namentlich die Auslegung des hier zunächst in Betracht zu ziehenden, indessen offensichtlich nicht erfüllten Begriffs der Unvereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Grundsätzen im Sinne von Art. 19 Satz 2 EV (vgl. hierzu BFH, Urteil vom 25. Januar 1995 X R 146/93 VIZ 1995, 602) in erster Linie in den Blick nehmen muß, ob es um die Beseitigung eines DDR-typischen Unrechts geht (vgl. hierzu die Bestimmungen des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 1. Juli 1997, BGBl I S. 1620) oder darum, ob zu DDR-Zeiten behördlich eingeräumte Rechtspositionen den Beitritt der DDR rechtlich überdauern oder nicht. Vorliegend geht es ausschließlich um die letzte Alternative.

(3) Ob eine hoheitlich verfügte Begünstigung den Beitritt der DDR rechtlich überdauert (vgl. die Ausgangslagen, die den Beschlüssen des BGH vom 29. Januar 1996 AnwZ <B> 59/95 BGHR, EinigV Art. 19 Satz 2 Rechtsanwaltszulassung 1 sowie vom 17. Juni 1996 AnwZ <B> 5/96 DtZ 1997, 89 zugrunde lagen), richtet sich gemäß Art. 19 Satz 3 EV in erster Linie nach den Regeln über die Bestandskraft von Verwaltungsakten und kann daher auch und gerade davon abhängen, ob dem Verwaltungsakt der Mangel der Nichtigkeit anhaftet. Denn nach dem in § 43 Abs. 3 VwVfG enthaltenen allgemeinen Rechtsgedanken ist ein nichtiger Verwaltungsakt unwirksam und keiner Bestandskraft zugänglich. In einem solchen Fall boten weder das bei seinem Erlaß heranzuziehende noch das einigungsvertragliche Recht hinreichenden Anlaß, auf den Fortbestand des Verwaltungsakts und der damit verbundenen Begünstigung zu vertrauen; ob anderes gilt, wenn späteres Recht der DDR oder Bundesrecht die Heilung eines solchen nichtigen Verwaltungsakts anordneten, kann mangels einer solchen Heilung im Streitfall offenbleiben. Ebenso kann offenbleiben, ob und wie in Fällen der in Rede stehenden Art die Aufhebbarkeit eines DDR-Hoheitsakts mit anderen als mit Nichtigkeitsgründen begründet werden kann, weil eine Aufhebungsentscheidung nicht ergangen ist.

bb) Der mithin statthafte Einwand der Nichtigkeit läßt sich im Streitfall zunächst nicht mit einem schwerwiegenden Zuständigkeitsmangel begründen.

Zu Recht (vgl. die Anordnung über die Übertragung der Aufgaben der Kommissionen zur Durchführung der Bodenreform auf die Räte der Bezirke und Kreise vom 4. August 1954, ZBl S. 400) haben die Verfahrensbeteiligten durchgängig die Annahme zugrunde gelegt, daß der Rat des Kreises nach damaligem Recht zuständig dafür war, zurückgegebene Bodenreformflächen neu zu verteilen. In einer solchen Neuverteilung an einen Neubauern mit dem Bundesgerichtshof (vgl. Urteil vom 1. Juni 1994 XII ZR 241/92 ZOV 1994, 387 <388>) einen Verwaltungsakt im vorstehenden Verständnis zu sehen, ist gerade vor dem Hintergrund der übereinstimmenden und nach dem Vorstehenden zutreffenden Annahmen der Verfahrensbeteiligten gerechtfertigt, zurückgegebenes Bodenreformland sei zunächst wieder in Volkseigentum gefallen; nur mit der Annahme einer hoheitlichen Entscheidung ist nachvollziehbar zu begründen, wie ein Vermögensgegenstand zugunsten des Rechts eines Neubauern aus Volkseigentum (wieder) ausscheiden konnte. Vor diesem Hintergrund kann gegen die Rechtsbeständigkeit der vorliegenden Zuteilung an die LPG nicht eingewandt werden, ein ersichtlich unzuständiger Hoheitsträger habe mit der Folge der Nichtigkeit gehandelt.

cc) Auch im übrigen rechtfertigt das Vorbringen der Revision nicht die Annahme, dem Eintragungsersuchen liege eine nichtige Zuteilungsentscheidung zugrunde.

(1) Dabei ist in Ansehung der Form des Eintragungsersuchens (Dienstsiegel, Unterschrift, Verteilervermerk) sowie seines Wortlauts ("Umschreibung der Neubauernstelle ... von ... auf") zunächst nichts gegen die sinngemäß in den Urteilsgründen verlautbarte Annahme des Verwaltungsgerichts zu erinnern, alle Umstände deuteten auf eine dem Ersuchen zugrunde liegende oder diese selbst verkörpernde Entscheidung des Rates des Kreises hin, die nicht etwa nur auf die Übertragung des Nutzungsrechts auf die LPG als Rechtsträgerin, sondern auf die Übertragung der Eigentümerstellung zielte; davon ist damals offenbar auch die Abteilung Kataster ausgegangen, wie der Umstand zeigt, daß sie die LPG als Eigentümerin eingetragen hat.

(2) Allerdings weist die Revision zum Beleg für die Nichtigkeit gerade einer solchen Entscheidung auf einen Beschluß des Präsidiums des Obersten Gerichts vom 27. Juli 1965 I Pr 112 4/65 (NJ 1965, 521) hin, welcher einem Begehren die Anerkennung verweigerte, das auf Überlassung von Bodenreformland an eine LPG zu deren Eigentum durch den Rat des Kreises gerichtet war; "unter allen Umständen" entstehe in solchen Fällen Volkseigentum. Indessen ist dieser Beschluß insbesondere mit Blick auf die Vorschriften des § 9 Abs. 4 und des § 8 LPGG (1959) ergangen, während für das hier maßgebliche Jahr 1958 entsprechende Rechtsvorschriften nicht auszumachen sind, sieht man von dem in der vorerwähnten Verfassung verankerten Schutz des Volkseigentums ab.

Auf der anderen Seite konnte sich der Rat des Kreises im Jahre 1958 für die von ihm getroffene Entscheidung auf einzelne Bestimmungen des durch Beschluß des Ministerrates vom 19. Dezember 1952 bestätigten Musterstatuts der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (Typ III) GBl I S. 1375 ff., 1383 ff. stützen, welche eine rechtsnormähnliche Qualität aufwiesen (vgl. Arlt, Grundriß des LPG-Rechts, 1959, S. 55 f.). Nach Abschnitt II Ziff. 5 Satz 4 dieses Statuts wurde bei Aufgabe des von einem Genossenschaftsmitglied in die Genossenschaft eingebrachten Bodenreformlandes "dieses Land ohne Entschädigung der Produktionsgenossenschaft übertragen". Zwar läßt diese Bestimmung ungeachtet der offenen Frage, ob der Voreigentümer das Land als Genossenschaftsmitglied in die Genossenschaft eingebracht hatte für sich allein betrachtet ohne weiteres auch die Auslegung zu, daß der Produktionsgenossenschaft das Land zur Nutzung übertragen werden sollte. Weil im Musterstatut in Abschnitt II Ziff. 2 Buchst. b als zur Bodenfläche der Produktionsgenossenschaft gehörig auch der Boden gerechnet wurde, der ihr vom Staat zur Nutzung ohne Entschädigung übergeben wurde, wäre es aber zumindest begründungsbedürftig, warum das Musterstatut in zwei nahe beieinanderliegenden Vorschriften einen identischen Vorgang mit in zweierlei Hinsicht unterschiedlichen Worten bezeichnet haben sollte. Zumindest erhellt hieraus, daß der Rat des Kreises sich im Jahre 1958 weder in der einen noch in der anderen Richtung auf eine eindeutige Bestimmung des geschriebenen Rechts stützen konnte, wie das Verwaltungsgericht zu Recht geurteilt hat.

Dem entspricht es, daß im juristischen Schrifttum die in Rede stehende Frage seinerzeit als literarisch noch unbehandelt angesehen wurde (vgl. Kulaszewski, NJ 1956, 135 <136>).

Dieser Befund wird bestätigt durch die Darlegungen in einem vom Verwaltungsgericht herangezogenen - Urteil des Obersten Gerichts vom 20. November 1962 2 Zz 20/62 (NJ 1963, 287). In Auseinandersetzung mit von der Obersten Staatsanwaltschaft vorgebrachten Bedenken dagegen, daß eine LPG Bodenreformland unmittelbar von einem Bauern übernehme, hat das Oberste Gericht für einen im Jahre 1959 erfolgten Vorgang entschieden, es stehe unzweifelhaft fest, "daß eine LPG Grundstückseigentümer und auch Eigentümer von Bodenreformland in der besonderen Gestaltung dieser Eigentumsart sein kann". Diese Entscheidung schließt es auch in Ansehung der vorerwähnten anderslautenden Präsidiumsentscheidung aus dem Jahre 1965 aus, die im vorliegenden Fall vom Rat des Kreises getroffene Entscheidung als offensichtlich schwerwiegend rechtswidrig und damit nichtig zu beurteilen, zumal in der durch die LPG als dessen Eigentümerin erfolgten Nutzung des Vermögensgegenstands jedenfalls keine zweckwidrige zu erblicken ist.

Vor diesem Hintergrund bleiben die Versuche der Revision erfolglos, die Nichtigkeit der getroffenen Entscheidung aus einer Fülle von teils veröffentlichten, teils nicht veröffentlichten Richtlinien und Anweisungen abzuleiten. Diese rechtfertigen zwar die Beurteilung, daß es nach dem damaligen Rechts- und Staatsverständnis näherliegend gewesen wäre, den Vermögensgegenstand im Volkseigentum mit der Rechtsträgerschaft der LPG zu belassen, statt ihn dieser zu Eigentum zu übertragen. Sie führen jedoch auch in ihrer Gesamtheit nicht über das hinaus, was das Präsidium des Obersten Gerichts für den der getroffenen Entscheidung nachfolgenden Zeitraum im Jahre 1965 entschieden hat, und machen im übrigen nur deutlich, daß während der Zeit seit der Eintragung hinreichend Anlaß bestanden hätte, diese zu korrigieren. Daß sie gleichwohl nicht korrigiert worden ist, belegt, daß in der gelebten Rechtswirklichkeit der DDR der im Streitfall in Rede stehende sowie vergleichbare Vorfälle (vgl. neben den von der Revision geschilderten Fällen auch die bei Dornberger, a.a.O., S. 43 erwähnten Übertragungen von enteignetem Vermögen auf die VdgB-BHGen) offenbar nicht als mit DDR-Recht völlig unvereinbar angesehen worden sind. Diese Einschätzung betrifft sowohl die vom Senat im Ergebnis offengelassene Alternative, daß der Rechtsvorgängerin der Klägerin im Jahre 1958 BGB-Eigentum zugeteilt worden sein sollte, als auch noch mehr diejenige, daß sie sozialistisches genossenschaftliches Eigentum am Vermögensgegenstand erworben hat; im zweiten Falle handelte es sich um einen im DDR-Rechtsverständnis grundsätzlich unbedenklichen Übergang von Volkseigentum in genossenschaftliches Eigentum (vgl. hierzu Urteil vom 26. Mai 1994 BVerwG 7 C 33.93 Buchholz 428.2 § 1 VZOG Nr. 1 S. 3).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 sowie § 162 Abs. 3 VwGO.

Beschluß

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 10 000 DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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