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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 18.10.2001
Aktenzeichen: BVerwG 3 C 35.01
Rechtsgebiete: BerRehaG
Vorschriften:
BerRehaG § 1 Abs. 1 | |
BerRehaG § 3 | |
BerRehaG § 17 | |
BerRehaG § 22 |
Eine Verweisung von der Fakultät vor Erlangung der Hochschulreife beschränkt den Betroffenen nicht auf Ausgleichsleistungen als "Verfolgter Schüler" nach § 3 BerRehaG.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
BVerwG 3 C 35.01
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 18. Oktober 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Driehaus sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick, Dr. Borgs-Maciejewski, Kimmel und Dr. Brunn
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 19. September 2000 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe:
I.
Der 1927 geborene Kläger begehrt berufliche Rehabilitierung wegen seiner Relegation von der Arbeiter- und Bauernfakultät (ABF) der Bergakademie Freiberg im Jahre 1953, um einen Nachteilsausgleich in der Rentenversicherung zu erreichen.
Nach abgeschlossener Volksschule und zweijährigem Besuch einer Berufs-Mittelschule geriet der Kläger in sowjetische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1949 nach M. in der DDR entlassen wurde. Dort fand er Anstellung als Schlosser im Braunkohlenbergbau und wurde ab 1. Oktober 1950 an die ABF delegiert, um die Hochschulreife zu erwerben und danach ein Studium der Geowissenschaften aufzunehmen.
Am 30. April 1953 - kurz vor Erlangung der Hochschulreife - wurde die Immatrikulation des bereits mehrfach wegen politischer Unangepasstheit aufgefallenen Studenten trotz guter fachlicher Leistungen mit der Begründung aufgehoben, er habe sich eines groben Verstoßes gegen die Schuldisziplin schuldig gemacht und im persönlichen Leben ein unmoralisches Verhalten gezeigt. Zugrunde lag ein mit Vortäuschung einer Verlobung erlangter Kurzurlaub. Anschließend arbeitete der Kläger nach kurzer Arbeitslosigkeit ab Mitte 1953 als Montageschlosser im Schwermaschinenbau in M. und schloss 1965 erfolgreich ein Ingenieurstudium ab.
Mit Bescheid des Beklagten vom 26. Februar 1997 wurde die Rechtsstaatswidrigkeit der Exmatrikulation festgestellt und der Kläger - unter Ablehnung weiterer Ansprüche - als verfolgter Schüler im Sinne des § 3 Abs. 1 BerRehaG eingestuft. Auf den Widerspruch des Klägers hob der Beklagte den Bescheid auf und lehnte den Antrag des Klägers insgesamt ab. Zur Begründung wurde angeführt, es könne nicht festgestellt werden, dass die Aufhebung der Immatrikulation eine rechtsstaatswidrige Entscheidung gewesen sei, die der politischen Verfolgung gedient oder einen Willkürakt im Einzelfall dargestellt habe.
Mit seiner Klage hat der Kläger sein Ziel der Rehabilitierung nach § 1 BerRehaG weiterverfolgt. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die allein in Frage kommende Tatbestandsalternative "Beginn einer berufsbezogenen Ausbildung" sei nicht erfüllt, weil dies die Zuweisung eines konkreten Studienplatzes vorausgesetzt hätte. Die Aufhebung der Immatrikulation des Klägers sei aber vor dem Bestehen der Abschlussprüfung an der ABF erfolgt. Er habe damit noch nicht als zu derjenigen Fakultät der Universität zugelassen gegolten, für die er an der ABF vorbereitet wurde. Als verfolgter Schüler habe er keinen Anspruch auf den begehrten Nachteilsausgleich. Wer auf dem Wege zur Erlangung der Hochschulreife oder zum Studium an einer Fach- oder Hochschule Opfer politischer Verfolgung werde, sei nicht Verfolgter im Sinne des § 1 Abs. 1 BerRehaG, sondern verfolgter Schüler im Sinne des § 3 BerRehaG, dem der Gesetzgeber lediglich Hilfe zur Selbsthilfe gewähre.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung von § 1 Abs. 1 Ziff. 4 BerRehaG und Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber habe - auch im Hinblick auf Art. 17 des Einigungsvertrages - für die Rehabilitierung alle sich von einer allgemeinbildenden Ausbildung unterscheidenden berufsbezogenen Ausbildungsgänge erfassen wollen. Hierunter falle auch die Ausbildung an der ABF. Sie weise den erforderlichen konkreten rentenrechtlichen und beruflichen Einschlag auf. Den Besonderheiten der ABF werde die Auslegung des Verwaltungsgerichts nicht gerecht.
Der Beklagte tritt dem entgegen; ein Verweis von einer ABF sei lediglich ein Eingriff in die schulische/vorberufliche Ausbildung im Sinne des § 3 BerRehaG. Eine Ausweitung des Begriffs des "durch den Beginn einer berufsbezogenen Ausbildung nachweisbar angestrebten Berufes" auf die Studierenden der ABF sei abzulehnen. Mit einer Delegierung an die ABF habe der delegierende Betrieb in der Regel zwar einen beruflichen Entwicklungsplan vorgegeben; dieser lasse sich aber noch eindeutig in zwei Abschnitte - den Besuch der ABF und das Studium - trennen.
II.
Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung (§§ 141, 125, 101 Abs. 2 VwGO).
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Ziff. 1 VwGO). Die entscheidungstragende Annahme, das Studium des Klägers an der Arbeiter- und Bauernfakultät der Bergakademie Freiberg (ABF) reiche zur Kennzeichnung eines nachweisbar angestrebten Berufes im Sinne von § 1 Abs. 1 BerRehaG nicht aus, beruht auf einer unrichtigen Auslegung dieser Bestimmung. Ob die übrigen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, hat das Verwaltungsgericht - von seinem Standpunkt aus zu Recht - offen gelassen. Da das Revisionsgericht die für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlichen weiteren Tatsachenfeststellungen nicht selbst treffen kann, ist die Sache zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO).
Der geltend gemachte Anspruch setzt - wie das Verwaltungsgericht nicht verkannt hat - voraus, dass dem Kläger ein Schaden in seinem damaligen beruflichen Umfeld zugefügt worden ist. Ein solcher Schaden liegt nur vor, wenn sich die geschädigte Position mit einem bestimmten Beruf oder Berufsziel verknüpfen lässt. Ohne Bezug zu einem bestimmten Beruf sind die rentenrechtlichen Ausgleichsleistungen, die das Gesetz - im vorliegenden Fall auch die Klage - in erster Linie bezweckt, nicht zu errechnen. Denn sie erfordern die Einstufung des Verfolgten in eine bestimmte Qualifikationsgruppe und die Orientierung an den Durchschnittsverdiensten der betreffenden Branche. Den Grenzverlauf zwischen dem beruflichen Schutzbereich und der vor- bzw. außerberuflichen Zone hat der Gesetzgeber anhand exakter Kriterien vorgegeben. Für eine Berufsbezogenheit lässt er das Vorliegen von Anhaltspunkten für das Einschlagen einer beruflichen Richtung ausreichen und sieht sie bei nachgewiesenem "Beginn einer berufsbezogenen Ausbildung" (§ 1 Abs. 1 BerRehaG) als gegeben an (vgl. zu Vorstehendem: Urteil vom 21. Januar 1999 - BVerwG 3 C 5.98 - BVerwGE 108, 241, 243). Dieses Erfordernis wird durch den Besuch einer allgemeinbildenden Schule nicht erfüllt, denn ein angestrebter Beruf lässt sich daraus nicht erschließen (Urteil vom 21. Januar 1999, a.a.O.). Im hier zu beurteilenden Fall liegen die Dinge jedoch anders. Durch die Aufnahme in die Arbeiter- und Bauernfakultät wird - jedenfalls bei einer so spezialisierten Hochschule wie der Bergakademie Freiberg - eine berufliche Richtung hinreichend belegt. Diesem Studium lag nämlich ein beruflicher Entwicklungsplan zu Grunde, der den Studenten zu einem graduierten Bergbauberuf führen sollte.
Die Arbeiter- und Bauernfakultät an der Bergakademie Freiberg bereitete wegen der fachlichen Spezialisierung der Akademie auf das Studium der Bergbauwissenschaften ihre Besucher im Wesentlichen nur auf einen Studiengang vor, zu dem sie nach Bestehen der Abschlussprüfung als zugelassen galten. Diese ABF bot - wie zwischen den Parteien nicht umstritten ist - ein der Spezialisierung der Bergakademie entsprechendes Ausbildungsprogramm mit Praktika in Bergbaubetrieben. Daraus lässt sich die Ausrichtung auf das an der Bergakademie weiter zu führende Studium eines Bergbauberufs ablesen. Auch der Beklagte stellt nicht in Abrede, dass der Absolvent an dieser ABF mit Blick auf ein Studium "von vornherein" auf das Fachgebiet festgelegt war, für das er hier vorbereitet wurde. Die Entsendung eines Arbeiters oder Bauern an die ABF der Bergakademie bezweckte, ihnen die Möglichkeit zu geben, die Hochschulreife und - daran sozusagen nahtlos anschließend - den Studienabschluss als Diplombergbauingenieur oder einen entsprechenden Abschluss in einem verwandten Fachgebiet zu erlangen. Der Student an der auf die Vorbereitung für Bergbauberufe spezialisierten ABF war somit schon vor Erlangung der Hochschulreife auf dem Weg zu dem Berufsziel, den die Absolventen ohne weitere Aufnahmeverfahren an Hochschulen verwirklichen konnten. Damit war eine Konkretisierung des angestrebten Berufsziels erreicht, die die Heranziehung von § 1 Abs. 1 BerRehaG rechtfertigt und die Anknüpfung rentenrechtlicher Ausgleichsleistungen für eventuelle Verfolgungszeiten ermöglicht.
Die Revision rügt zu Recht, das Verwaltungsgericht hätte berücksichtigen müssen, dass mit der Relegation von der fachlich spezialisierten ABF Freiberg nicht nur der allgemeine Sonderweg des Klägers zur Hochschulreife, sondern zugleich auch der für § 1 BerRehaG bereits ausreichend konkretisierte Weg zu einem Bergbauberuf abgeschnitten wurde. Das wird bestätigt durch den Umstand, dass nach dem vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Akteninhalt die Delegation des Klägers an die ABF von dem Bergbauunternehmen in M. erfolgte und es somit nahe liegt anzunehmen, dass die berufliche Qualifizierung des Klägers bezweckte, ihn später im Bergbaubereich in einer gehobenen Position weiter zu beschäftigen.
Der Senat lässt offen, ob generell das Studium an Arbeiter- und Bauernfakultäten, also auch an solchen, die zu anderen Universitäten, Hochschulen oder Akademien gehörten, schon deshalb als berufsbezogen anzusehen ist, weil die Studierenden mit Bestehen der Abschlussprüfung bei derjenigen Fakultät als zugelassen galten, für die sie in der ABF vorbereitet worden waren.
Die von dem Kläger begehrte - im Klageantrag nur ungenau umschriebene - Rehabilitierungsbescheinigung setzt die Erfüllung weiterer Tatbestandsmerkmale voraus, die das Verwaltungsgericht bisher nicht geprüft hat. Das Verwaltungsgericht wird nach der Zurückverweisung insbesondere darüber zu befinden haben, ob der Widerruf der Immatrikulation des Klägers als politische Verfolgungsmaßnahme zu werten ist.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.
Ende der Entscheidung
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