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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 21.01.1999
Aktenzeichen: BVerwG 3 C 5.98
Rechtsgebiete: BerRehaG, Einigungsvertrag (EV), GG
Vorschriften:
BerRehaG § 1 | |
BerRehaG § 3 | |
BerRehaG § 17 | |
Einigungsvertrag (EV) Art. 17 | |
GG Art. 3 Abs. 1 |
Die Versagung einer begabungsgerechten Schul- oder Hochschulausbildung in der DDR aus politischen Gründen begründet allein keinen Anspruch auf berufliche Rehabilitierung im Sinne von § 1 Abs. 1 BerRehaG. Die Beschränkung der "verfolgten Schüler" auf bevorzugte berufliche Fortbildung und Umschulung ist mit Art. 17 Einigungsvertrag und Art. 3 GG vereinbar.
Urteil des 3. Senats vom 21. Januar 1999 - BVerwG 3 C 5.98 -
I. VG Weimar vom 25.09.1997 - Az.: VG 1 K 533/95.WE -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
BVerwG 3 C 5.98 VG 1 K 533/95.We
Verkündet am 21. Januar 1999
Riebe Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 21. Januar 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Driehaus sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick, Dr. Borgs-Maciejewski, Kimmel und Dr. Brunn
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 25. September 1997 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe:
I.
Die Klägerin verlangt vom Beklagten, als Verfolgte im Sinne von § 1 Abs. 1 BerRehaG anerkannt zu werden.
Der Vater der am 18. Oktober 1949 geborenen Klägerin ist 1962 in der DDR wegen Spionage und damit zusammenhängender Delikte zu einer Zuchthausstrafe von zwölf Jahren verurteilt worden. Vom 29. März 1961 bis zu seinem "Freikauf" durch die Bundesrepublik Deutschland am 17. Oktober 1965 war er inhaftiert. Im Jahre 1991 wurde er unter Aufhebung der gegen ihn ergangenen Urteile postum rehabilitiert.
Die Klägerin besuchte von September 1956 bis Juli 1964 eine Allgemeinbildende Polytechnische Oberschule, die sie mit der 8. Klasse abschloß. Bis zum Juni 1966 besuchte sie sodann eine Allgemeinbildende Berufsschule. In der Folgezeit übte sie unterschiedliche Berufe - überwiegend untergeordneter Art - aus. Im Jahre 1985 begann sie an einer Fachschule für Ökonomie ein Fernstudium, das sie 1990 mit der Prüfung zum Ökonom für Rechnungswesen beendete.
Am 10. Februar 1992 beantragte sie die Erteilung einer Rehabilitierungsbescheinigung. Sie habe aufgrund der Verurteilung ihres Vaters in der DDR als Staatsfeind gegolten. Aus diesem Grund sei ihr die Zulassung zum Besuch der Erweiterten Oberschule verwehrt worden, so daß ihr ein Studium nicht möglich gewesen sei. Das Landesamt für Rehabilitierung und Wiedergutmachung (Landesamt) erteilte der Klägerin im Februar 1992 eine Rehabilitierungsbescheinigung als verfolgte Schülerin im Sinne des § 3 des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes (BerRehaG) und stellte darüber hinaus mit Bescheid vom 1. März 1995 fest, daß sie vom 18. Oktober 1969 bis zum 16. Mai 1971 und vom 25. November 1971 bis zum 24. September 1972 im Sinne von § 1 Abs. 1 BerRehaG verfolgt worden sei; im übrigen wurde ihr Antrag auf berufliche Rehabilitierung abgelehnt. Auf den Widerspruch der Klägerin erkannte sie das Landesamt auch für die Zeiten vom 20. Februar 1966 bis zum 7. März 1967 sowie vom 22. August 1967 bis zum 27. Juli 1969 als Verfolgte im Sinne von § 1 BerRehaG an.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin einen Anspruch auf berufliche Rehabilitierung auf der Grundlage einer hypothetischen Ausbildung als Kindergärtnerin für die Zeit vom 1. August 1968 bis zum 2. Oktober 1990 geltend gemacht. Zur Begründung hat sie u.a. vorgetragen: Die Regelung des § 1 Abs. 1 BerRehaG verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, da sie Personen, die bereits in der vorberuflichen Ausbildung als systemfeindlich eingestuft und infolgedessen von einer Berufsausbildung ausgeschlossen worden waren, aus dem Kreis der Begünstigten ausnehme. Damit werde das zu DDR-Zeiten erlittene Unrecht fortgesetzt, weil sich der Rentenanspruch der Betroffenen in der Regel nur nach Hilfstätigkeiten richte. Statt dessen hätte der Gesetzgeber die jeweils verweigerte Berufsausbildung als begonnen fingieren müssen. In ihrem Fall sei von einer verfolgungsbedingten Unterbrechung einer berufsbezogenen Ausbildung ab dem Jahr 1968 auszugehen. Die Zeiten ihrer jahrelangen Hilfstätigkeiten seien rentenrechtlich so zu berücksichtigen, als habe sie den Beruf einer Kindergärtnerin ausgeübt. Diesen Beruf habe sie ausüben wollen, nachdem sich die Aufnahme eines Studiums als unmöglich herausgestellt habe.
Mit Urteil vom 25. September 1997 hat das Verwaltungsgericht die Klage mit folgender Begründung abgewiesen: Die Klägerin erfülle die für die Ausstellung der begehrten Bescheinigung in dem beantragten Zeitraum nach § 1 Abs. 1 BerRehaG erforderlichen Voraussetzungen nicht. Allerdings stelle sich die Verweigerung des weiteren Schulbesuchs zumindest bis zum Abschluß der 10. Klasse, ebenso wie die verweigerte Berufsausbildung, als Bildungsdiskriminierung und damit als "andere Maßnahme" im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG dar. In der DDR habe eine allgemeine zehnjährige Oberschulpflicht bestanden, die durch den Besuch der zehnklassigen Allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule zu erfüllen gewesen sei. Nur in Ausnahmefällen sei die vorzeitige Beendigung des Besuchs der Oberschule mit dem Abschluß der 8. Klasse zulässig gewesen. Auch seien alle Jugendlichen verpflichtet gewesen, einen Beruf zu erlernen. Die Verweigerung des weiteren Schulbesuchs und der Berufsausbildung als Kindergärtnerin rechtfertige eine Anerkennung im Sinne von § 1 Abs. 1 BerRehaG aber nur dann, wenn die Klägerin den Beruf als Kindergärtnerin durch den Beginn einer hierauf bezogenen Ausbildung nachweisbar angestrebt hätte. Diese Bedingung erfülle die Klägerin nicht, denn sie habe diesen Beruf zu keiner Zeit ausgeübt und auch keine berufsbezogene Ausbildung, d.h. ein Fachschulstudium zur Kindergärtnerin an einer pädagogischen Schule, begonnen.
§ 1 Abs. 1 BerRehaG lasse im Hinblick auf den vorausgesetzten Beginn einer berufsbezogenen Ausbildung auch keine Auslegung dahin zu, daß der Besuch der Allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule dem Beginn einer berufsbezogenen Ausbildung zuzurechnen wäre. Soweit der Gesetzgeber für verfolgte Schüler lediglich Ansprüche auf Leistungen nach dem Zweiten Abschnitt des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes wie Studienförderung, bevorzugte berufliche Fortbildung und Umschulung - vorsehe, ihnen aber einen Ausgleich von Nachteilen in der Rentenversicherung versage, sei dies mit dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision der Klägerin. Sie trägt vor: Das Gericht habe verkannt, daß der Besuch der Allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule als Beginn einer berufsbezogenen Ausbildung zu werten sei. Die Schulausbildung in der DDR sei Teil einer einheitlichen berufsbezogenen Ausbildung gewesen. Falls aber die verfolgten Schüler von § 1 BerRehaG nicht erfaßt sein sollten, habe der Gesetzgeber mit dieser Regelung gegen die Verpflichtungen verstoßen, die ihm durch Art. 17 Einigungsvertrag (EV) auferlegt seien. Aufgrund dieser Bestimmung könne sie als Opfer des SED-Unrechtsregimes eine angemessene Entschädigungsregelung beanspruchen. Eine solche enthalte das Berufliche Rehabilitierungsgesetz für verfolgte Schüler nicht, weil sich die für sie vorgesehenen Ausgleichsleistungen für Personen im fortgeschrittenen Alter praktisch nicht mehr auswirken könnten. Die gesetzliche Regelung verstoße darüber hinaus gegen den Gleichheitsgrundsatz, denn sie bleibe hinter den Vergünstigungen zurück, die das Bundesentschädigungsgesetz (BEG) für vergleichbare NS-Verfolgte eingeräumt habe.
Die Klägerin beantragt,
unter Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Weimar vom 25. September 1997 den Bescheid des Beklagten vom 1. März 1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 23. März 1995 insoweit aufzuheben, als der Antrag auf berufliche Rehabilitierung abgelehnt worden ist, und weitergehend eine berufliche Rehabilitierung für die Zeit vom 1. August 1968 bis 2. Oktober 1990 auf der Grundlage einer hypothetischen Ausbildung als Kindergärtnerin durchzuführen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er tritt der Revision entgegen und verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts.
II.
Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Urteil des Verwaltungsgerichts entspricht dem Bundesrecht. Die Versagung einer begabungsgerechten Schul- oder Hochschulausbildung aus politischen Gründen begründet keinen Anspruch auf berufliche Rehabilitation, wenn zur Zeit des rechtsstaatswidrigen Eingriffs noch keine auf einen bestimmten Beruf ausgerichtete Ausbildung begonnen war (1). Die einem solchen Anspruch entgegenstehende Vorschrift des § 1 Abs. 1 BerRehaG verstößt weder gegen Art. 17 Einigungsvertrag (2), noch gegen den Gleichheitsgrundsatz (3).
1. Die Klägerin kann eine Bescheinigung nach § 17 Abs. 1 BerRehaG darüber, daß die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 vorliegen, nicht verlangen, weil sie ein unerläßliches Kriterium nicht erfüllt: Die von ihr als Schülerin erlittenen Diskriminierungen - und nur diese bilden den Gegenstand des Rechtsstreits - waren nicht berufsbezogen.
§ 1 BerRehaG verlangt, daß der von einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung oder einer anderen politischen Verfolgungsmaßnahme Betroffene zumindest zeitweilig weder seinen bisher ausgeübten, begonnenen, erlernten oder durch den Beginn einer berufsbezogenen Ausbildung nachweisbar angestrebten noch einen sozial gleichwertigen Beruf ausüben konnte. Die Vorschrift dient damit der Wiedergutmachung von Schäden und Nachteilen, die dem Antragsteller in seinem damaligen beruflichen Umfeld zugefügt worden sind. Den Grenzverlauf zwischen dem beruflichen Schutzbereich und der vor- bzw. außerberuflichen Zone hat der Gesetzgeber anhand exakter Kriterien festgelegt. Dabei läßt er zwar bereits den Beginn einer berufsbezogenen Ausbildung für die rentenrechtliche Verknüpfung mit dem angestrebten Beruf genügen. Auch hinter den Anforderungen dieser Mindestvoraussetzung bleibt die Klägerin jedoch zurück. Den zum Gegenstand ihrer beruflichen Rehabilitierung gewählten Beruf einer Kindergärtnerin hat sie weder ausgeübt oder erlernt noch durch den Beginn einer Ausbildung nachweisbar angestrebt. Dies ergibt sich aus den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts und wird auch von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen.
Entgegen der Ansicht der Revision läßt § 1 Abs. 1 BerRehaG nicht die Auslegung zu, daß unter "Beginn einer berufsbezogenen Ausbildung" auch schon der Besuch der Allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule zu verstehen sei. Dabei verkennt der Senat nicht, daß die Schulausbildung in der DDR stärker berufsorientiert war als in der Bundesrepublik. Gleichwohl läßt der Besuch einer sich als allgemeinbildend verstehenden Schule nicht auf den von den Schülern angestrebten Beruf schließen. Eine solche Konkretisierbarkeit, z.B. durch Abschluß eines Lehrvertrages oder Zuweisung eines bestimmten Studienplatzes, setzt aber § 1 Abs. 1 BerRehaG voraus; das Verwehren des Zugangs zu einer höheren Schulausbildung wird diesem Erfordernis nicht gerecht. Die Bestimmung verlangt "Anhaltspunkte für das Einschlagen einer bestimmten beruflichen Richtung" (vgl. BTDrucks 12/4994, S. 44, Nr. 19). Ohne Anknüpfbarkeit an einen bestimmten Beruf sind die rentenrechtlichen Ausgleichsleistungen, die das Gesetz in erster Linie bezweckt, nicht zu errechnen, denn sie erfordern die Einstufung des Verfolgten in eine bestimmte Qualifikationsgruppe und die Orientierung an den Durchschnittsverdiensten der betreffenden Branche (vgl. § 13 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BerRehaG und die dort aufgeführten Anlagen zum Sechsten Buch des Sozialgesetzbuchs).
Die Klägerin hat auch nichts dazu vortragen können, inwiefern sich bei ihr der Besuch der Allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule bis zur 8. Klasse gerade als Beginn einer Ausbildung zur Kindergärtnerin - und nicht etwa irgend eines anderen Berufes - dargestellt habe. Ihre Einlassung, sie habe diesen Berufswunsch erst später verfolgt, nachdem sich die Absicht zu studieren zerschlagen habe, macht im Gegenteil den fehlenden Zusammenhang zwischen der Schulausbildung und dem Beruf als Kindergärtnerin offenkundig. Insofern erweist sich ihr Antrag als konsequent, ihrer beruflichen Rehabilitierung eine hypothetische Ausbildung als Kindergärtnerin zugrunde zu legen. Damit stellt sie auf eine berufliche Position ab, die sie nach ihrer Einschätzung - mindestens - erreicht hätte, wenn sie als Schülerin nicht verfolgt worden wäre. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist im Rahmen des § 1 Abs. 1 BerRehaG jedoch kein Raum für das Nachzeichnen rein hypothetischer Ausbildungs- und Berufsverläufe (vgl. Urteil vom 12. Februar 1998 - BVerwG 3 C 25.97 - Buchholz 115 Nr. 11; Beschluß vom 11. November 1998 - BVerwG 3 B 143.98 -). Dies hätte die Behörden vor fast unlösbare Probleme gestellt und ist u.a. deshalb vom Gesetzgeber bewußt abgelehnt worden (vgl. BTDrucks 12/7048, S. 39 zu § 2 a).
Der Revision kann auch in ihrer Annahme nicht gefolgt werden, die Maßnahmen, die zur bestandskräftigen Anerkennung der Klägerin als verfolgte Schülerin im Sinne von § 3 BerRehaG geführt haben, stellten sich zugleich als berufsbezogene Verfolgung im Sinne von § 1 Abs. 1 dieses Gesetzes dar. Die §§ 1 und 3 beziehen sich auf je unterschiedliche Lebensabschnitte bzw. Tätigkeitsbereiche. Ein und dieselbe Maßnahme kann hiernach nur entweder in die schulische, also vorberufliche oder in die berufliche Phase bzw. Sphäre des Verfolgten fallen. Der Senat läßt es dahingestellt, ob somit der Anspruch der Klägerin auch daran scheitert, daß ihm die Bestandskraft der Bescheinigung über die Verfolgung als Schülerin entgegensteht. Falls eine solche Ausschlußwirkung besteht, würde sie allerdings nicht den Fall betreffen, daß verfolgte Schüler - wie im Fall der Klägerin - später durch andere Verfolgungsmaßnahmen zusätzlich Opfer einer beruflichen Verfolgung i.S. von § 1 BerRehaG geworden sind.
2. Ohne Erfolg bleibt der Versuch der Revision, einen Anspruch der Klägerin auf die These zu stützen, der Gesetzgeber habe mit dem Ausschluß der Schüler von der beruflichen Rehabilitation gegen die in Art. 17 Einigungsvertrag übernommene Verpflichtung zur Rehabilitierung und angemessenen Entschädigung aller dort aufgeführten Personengruppen - zu denen auch die Klägerin gehöre - verstoßen. Ob die Klägerin bei Vorliegen eines solchen Verstoßes daraus Rechte für sich ableiten könnte, braucht hier nicht entschieden zu werden, denn Art. 17 EV verpflichtet den Gesetzgeber in Hinblick auf verfolgte Schüler nicht zu weitergehenden Ausgleichsleistungen, als sie im Beruflichen Rehabilitierungsgesetz vorgesehen sind.
Welche Personengruppen in den Genuß der im Einigungsvertrag abgesprochenen Rehabilitierungsregelung kommen sollten und welchen Umfang die Entschädigung haben müsse, wird in Art. 17 EV nur in groben Zügen umrissen. Fest steht nur, daß jedenfalls die unmittelbaren Opfer politisch motivierter Strafverfolgungsmaßnahmen oder anderer rechtsstaats- und verfassungswidriger gerichtlicher Entscheidungen zu rehabilitieren und zu entschädigen sind. Hierzu gehören nicht die Schüler, soweit ihnen durch behördliche Eingriffe aus politischen Gründen eine ihrer Begabung entsprechende Ausbildung verwehrt worden ist. Ob die Vertragsparteien aber möglicherweise eine mittelbare Betroffenheit durch Strafverfolgungsmaßnahmen oder gerichtliche Entscheidungen, die gegen andere Personen - z.B. Familienangehörige - gerichtet waren, sowie administrative Unrechtsakte für ausreichend erachteten, ist zwar nicht von vornherein auszuschließen. Auch die Ausführungen zu Art. 17 in der Denkschrift zum Einigungsvertrag (BTDrucks 11/7760 S. 363) ergeben kein eindeutiges Bild. Erhellend aber ist, daß das in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Einigungsvertrag von der Volkskammmer erlassene Rehabilitierungsgesetz vom 6. September 1990 (GBl I S. 1459) eine berufliche Rehabilitierung u.a. davon abhängig machte, daß in ein bestehendes Arbeitsverhältnis aufgrund einer betrieblichen Entscheidung eingegriffen worden war. Danach hätte die Klägerin keine Rechte geltend machen können. Vieles spricht dafür, daß die mit Art. 17 EV verfolgte Intention in diesem DDR-Gesetz hinreichenden Niederschlag gefunden hat.
Da Art. 17 EV allenfalls hinsichtlich seines Kernbereichs ein klares Regelungsziel erkennen läßt, geht der Senat davon aus, daß die Vertragsparteien - sofern sie überhaupt eine über die enge Auslegung hinausgehende Rehabilitation für geboten erachteten - dem Gesetzgeber in den Randbereichen keine engen Bindungen auferlegen wollten. Für einen belassenen Auswahl- und Differenzierungsspielraum spricht auch die Charakterisierung der vorzusehenden Entschädigung als "angemessen" (Art. 17 Satz 2 EV). Damit sollte es offensichtlich ermöglicht werden, auf die Vielfalt der auszugleichenden Verfolgungsmaßnahmen je nach ihrer Intensität und Eigenheit unterschiedlich zu reagieren.
Die im Beruflichen Rehabilitierungsgesetz getroffenen Regelungen bewegen sich innerhalb dieses Gestaltungsfreiraumes, soweit sie verfolgten Schülern keinen Nachteilsausgleich in der Rentenversicherung, sondern eine bevorzugte berufliche Fortbildung und Umschulung gewähren. Die gesetzliche Anknüpfung der beruflichen Rehabilitation an den ausgeübten oder ausweislich der Ausbildung angestrebten Beruf und nicht an einen hypothetischen Ausbildungs- oder Berufsverlauf ist sinnvoll und von der Praktikabilität geboten (vgl. Urteil vom 12. Februar 1998 - BVerwG 3 C 25.97 - a.a.O.). Wie bereits ausgeführt, erfordert die Rentenausgleichsberechnung einen konkreten Beruf als Bezugspunkt. Vom Prinzip her ist es ebenfalls sachgerecht, daß die Ausgleichsregelung für verfolgte Schüler nach Art einer Naturalrestitution an dem von ihnen erlittenen Ausbildungsdefizit ansetzt und dieses auszugleichen sucht. Der Gesetzgeber setzt damit im wesentlichen das Förderungssystem fort, das bereits vor dem Beitritt für Aussiedler und Zuwanderer, die durch Bildungsdiskriminierung Nachteile erlitten hatten, bestanden hat (vgl. BTDrucks 12/1108, S. 11 f). Freilich wird das Schulungsangebot mit zunehmendem Alter der "Schüler" an praktischer Bedeutung verlieren, obwohl für sie die allgemeinen Altershöchstgrenzen außer Kraft gesetzt worden sind (§ 60 Nr. 1 i.V.m. § 10 Abs. 3 BAföG). Der Umstand, daß nicht alle verfolgten Schüler von den angebotenen Schulungsmöglichkeiten profitieren können, was insbesondere für die bereits aus dem Berufsleben Ausgeschiedenen zu gelten hat, nötigt aber nicht zu der Schlußfolgerung, daß der Gesetzgeber in Hinblick auf Art. 17 EV eine solche Regelung nicht hätte treffen dürfen. Hierfür hätte es eines wesentlich stringenteren Gesetzgebungsauftrags bedurft. Die in § 3 i.V.m. dem Zweiten Abschnitt BerRehaG enthaltene Regelung erweist sich somit für den in Rede stehenden Personenkreis als "angemessene Entschädigungsregelung" i.S.v. Art. 17 EV, über die hinaus die Klägerin keine Ansprüche geltend machen kann.
3. Die Klägerin kann auch nicht mit der Ansicht durchdringen, die Versagung einer beruflichen Rehabilitierung für verfolgte Schüler verletze den Gleichheitsgrundsatz.
Dabei ist davon auszugehen, daß dem Gesetzgeber bei der Entschädigung nicht im Bereich seines damaligen Staatsgebietes begangenen staatlichen Unrechts weitgehende Gestaltungsfreiheit zukommt (Beschluß vom 19. Dezember 1996 - BVerwG 3 B 60.96 - Buchholz 115 Nr.6). Bei der Bemessung von Wiedergutmachungsleistungen darf er in diesem Rahmen auch darauf Rücksicht nehmen, welche finanziellen Möglichkeiten er unter Berücksichtigung der sonstigen Staatsaufgaben hat (BVerfG, Urteil vom 23. April 1991 - 1 BvR 1170 u.a. - BVerfGE 84, 90, 130). Dies schließt u.a. eine Verpflichtung, bei der Bereinigung des SED-Unrechts nicht hinter den Regelungen zur Rehabilitierung der NS-Opfer zurückzubleiben, aus, zumal hier im Gegensatz zu der zwölf Jahre währenden NS Zeit vom Gesetzgeber ein Zeitraum in den Blick zu nehmen war, in dem Angehörigen mehrerer Generationen eine ihnen nach Begabung und Neigung zukommende Ausbildung vorenthalten worden ist und daher naturgemäß ein großer Anteil an Verfolgten beim Beitritt bereits in prinzipiell nicht mehr wiedergutmachungsfähiger Weise geschädigt war. Angesichts der Weite des gesetzgeberischen Gestaltungsrahmens reduziert sich die Bedeutung des allgemeinen Gleichheitssatzes hier auf das Willkürverbot und das Gebot sachgerechter Differenzierung. Gemessen hieran, erweist sich die im Beruflichen Rehabilitierungsgesetz getroffene Unterscheidung zwischen schulischer und berufsbezogener Verfolgung und deren Verknüpfung mit unterschiedlichen Rechtsfolgen als Rechtens. Die Regelungen beruhen - wie bereits in Zusammenhang mit Art. 17 EV ausgeführt - auf sachgerechten Überlegungen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Beschluß
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.
Ende der Entscheidung
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