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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 23.04.1998
Aktenzeichen: BVerwG 3 C 56.96
Rechtsgebiete: VermG


Vorschriften:

VermG § 3 Abs. 5
VermG § 38 Abs. 1
Leitsatz:

Die durch § 38 Abs. 1 VermG begründete Kostenfreiheit erfaßt auch die Erteilung eines Negativattestes nach § 3 Abs. 5 VermG.

Urteil des 3. Senats vom 23. April 1998 - BVerwG 3 C 56.96 -

I. VG Dessau vom 12.07.1995 - Az.: VG 2 A 43/94 - II. OVG Magdeburg vom 22.05.1996 - Az.: OVG 2 L 269/95 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 3 C 56.96 OVG 2 L 269/95

Verkündet am 23. April 1998

Riebe Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 23. April 1998 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Driehaus und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick, Dr. Pagenkopf, Dr. Borgs-Maciejewski und Kimmel

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 22. Mai 1996 aufgehoben. Unter teilweiser Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Dessau vom 12. Juli 1995 wird der Gebührenbescheid des Beklagten Nr. 208402 vom 11. Januar 1994 aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte berechtigt ist, von der Klägerin für die Erteilung einer behördlichen Auskunft (Negativattest) Gebühren zu verlangen.

Die Klägerin, die für die Bundesanstalt für vermögensbedingte Sonderaufgaben ehemals volkseigene Grundstücksflächen verwaltet, richtete mit Schreiben vom 9. Dezember 1993 eine Anfrage gemäß § 3 Abs. 5 VermG an den Beklagten um Auskunft, ob Anmeldungen vermögensrechtlicher Ansprüche für 32 bestimmte Grundstücke vorlägen. Mit Antwort vom 11. Januar 1994 teilte der Beklagte mit, daß Anmeldungen im Sinne des § 3 Abs. 3 VermG nicht vorlägen.

Mit Bescheid vom 26. Januar 1994 wurde für das "Negativattest" auf der Grundlage der Gebührenordnung des Landkreises Köthen eine Verwaltungsgebühr von 239 DM erhoben.

Nachdem der Beklagte ihren Widerspruch gegen den Gebührenbescheid zurückgewiesen hatte, erhob die Klägerin Klage mit dem Ziel, Bescheid und Widerspruchsbescheid aufzuheben. Die Erteilung von Negativattesten sei keine Selbstverwaltungsangelegenheit, sondern Aufgabe des übertragenden Wirkungskreises. Darüber hinaus sei nach § 38 Abs. 1 VermG das Verfahren kostenfrei.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 12. Juli 1995 abgewiesen, soweit sie sich gegen den Gebührenbescheid richtet. Zwar sei der Widerspruchsbescheid im übertragenden Wirkungskreis von der unzuständigen Behörde erlassen worden und daher aufzuheben; die Verwaltungsgebührenerhebung sei jedoch rechtmäßig. Ihre Rechtsgrundlage sei § 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 4, 5 VwKostG des Landes Sachsen-Anhalt (LSA). Die in § 38 VermG vorgesehene Kostenfreiheit erfasse diesen Fall nicht.

Die eingelegte Berufung hat das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt durch Urteil vom 22. Mai 1996 zurückgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt:

Der angegriffene Gebührenbescheid könne auf die §§ 1 Abs. 1, 3 VwKostG LSA i.V.m. § 1 Abs. 1 Allgemeine Gebührenordnung des Landes Sachsen-Anhalt - AllGO-LSA - vom 25. März 1992 (GVBl 1992, S. 796) i.V.m. dem Kostentarif 4.1 der Anlage zur AllGO-LSA (GVBl LSA 1992, S. 180) gestützt werden. Die Gebührenfreiheit nach § 38 Abs. 1 VermG für das Verwaltungsverfahren stehe dem nicht entgegen. Der Gesetzgeber habe mit dem Begriff "Verwaltungsverfahren" in § 38 VermG nur das Verfahren gemeint, in dem Rückübertragungen von Vermögenswerten getroffen werden. Der Regelungszweck des § 38 Abs. 1 VermG umfasse nur den Schutz des Anmelders. Das ergebe sich aus dem systematischen Zusammenhang mit den §§ 30 f. VermG. Schließlich sei die Höhe der festgesetzten Verwaltungsgebühr nicht zu beanstanden. Ein Ermessensfehler sei bei der Ermittlung nicht feststellbar.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Sie vertieft ihr bisheriges Vorbringen und beantragt unter Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen die Aufhebung des angefochtenen Gebührenbescheids.

Der Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.

Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren. Er schließt sich im Ergebnis und in der Begründung der Auffassung des Berufungsgerichts an.

II.

Die Revision der Klägerin ist begründet. Das angefochtene Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Es hat die Kostenfreiheit des § 38 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 23. September 1990 (VermG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. Dezember 1994 (BGBl I, S. 3610) zu Unrecht nicht auf Auskünfte nach § 3 Abs. 5 VermG bezogen.

1. Zutreffend geht das Berufungsgericht zunächst davon aus, daß die eine Gebührenpflicht der Klägerin begründenden Vorschriften des Landesverwaltungskostenrechts nur herangezogen werden dürfen, wenn bundesrechtlich nichts anderes bestimmt ist. Dies folgt daraus, daß das Landeskostenrecht dem Bundeskostenrecht nachgeordnet ist (vgl. Urteil vom 1. Dezember 1989 - BVerwG 8 C 14.89 - BVerwGE 84, 178 <180>). Regelt das Bundesrecht die Gebührenpflicht abschließend, ist für die Anwendung landesrechtlicher Gebührenvorschriften kein Raum.

2. Im Gegensatz zur Vorinstanz ist der Senat der Ansicht, daß diese Beschränkung im vorliegenden Fall eingreift. Die von einem Teil der Rechtsliteratur und erstinstanzlichen Rechtsprechung geteilte Auffassung des Berufungsgerichts (vgl. Redeker/Hirtschulz in: Fieberg/Reichenbach, VermG, § 38 Rn. 2; Jäckle in: Rädler, Raupach, Bezzenberger, VermG, § 38 Rn. 32; VG Leipzig in VIZ 1994, 197 <198>, a.A.: Kimme, Offene Vermögensfragen, § 38 VermG Rn. 3 f., VG Magdeburg, Beschluß vom 23. Dezember 1993 - 4 B 282/93 -), die Kostenbefreiung nach § 38 VermG beziehe sich nicht auf das Verfahren zur Wahrnehmung der Vergewisserungspflicht durch den Verfügungsberechtigten gemäß § 3 Abs. 5 VermG, steht nicht im Einklang mit dem Bundesrecht.

Das Berufungsgericht zieht aus der Wortfassung und der systematischen Stellung des § 38 Abs. 1 VermG in Abschnitt VI ("Verfahrensregelungen") den Schluß, daß nur im Rahmen des durch den wirklichen oder vermeintlichen Berechtigten eingeleiteten Restitutionsverfahrens keine Kosten zu erheben seien. Eine derart restriktive Auslegung des § 38 Abs. 1 VermG ist weder vom Wortlaut der Vorschrift noch von ihrem Sinn gedeckt.

2.1 Unter "Verwaltungsverfahren" im Sinne von § 38 Abs. 1 VermG sind neben dem Restitutionsverfahren im engeren Sinne auch alle im Vermögensgesetz vorgesehenen und seiner Durchführung dienenden Annexverfahren zu verstehen. Hierzu gehört auch das "Vergewisserungsverfahren" gemäß § 3 Abs. 5 VermG. Das Vermögensgesetz dient in all seinen Bestimmungen dem Ziel, das Spannungsverhältnis zwischen Altberechtigten und jetzigen Verfügungsberechtigten zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Eine gedankliche Aufteilung dieses ganzheitlichen Komplexes in selbständige Einzelverfahren verbietet sich vor diesem Hintergrund; vielmehr sind die aus einzelnen Anspruchsgrundlagen abgeleiteten Verfahren lediglich Teilaspekte des Restitutionsverfahrens. Das so zu verstehende Verfahren wird insgesamt von § 38 Abs. 1 VermG erfaßt. Die Vergewisserungspflicht des Verfügungsberechtigten gemäß § 3 Abs. 5 VermG ist auf das engste mit dem eigentlichen Restitutionsverfahren verflochten. Die Bestimmung dient der Klarstellung der Pflichten des Verfügungsberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 VermG, die ihrerseits von einer Antragstellung des Berechtigten nach § 30 VermG abhängen. Nach Überzeugung des Senats kann es daher nicht entscheidend darauf ankommen, ob es sich bei dem Vergewisserungsverfahren um ein Verwaltungsverfahren im Sinne von § 9 VwVfG handelt.

Die Wortinterpretation rechtfertigt die Einschränkung der Kostenregelung aus § 38 Abs. 1 VermG - wie sie das Berufungsgericht vorgenommen hat - mithin nicht.

2.2 Dieses Ergebnis wird auch durch die Berücksichtigung historischer und teleologischer Auslegungskriterien nicht in Frage gestellt.

2.2.1 Das Vermögensgesetz ist noch als ein Gesetz der Volkskammer der DDR verabschiedet worden. Gleichwohl ist seine Ausrichtung auf das neue Rechtssystem offenkundig. Dies läßt eine stillschweigende Einbeziehung früherer DDR-Vorschriften (etwa der Verordnung über die staatlichen Verwaltungsgebühren vom 28. November 1962, GBl II, S. 837), deren Außerkraftsetzung voraussehbar war, fernliegend erscheinen. Hätte der Gesetzgeber in der damaligen Umbruchzeit die Kostenfrage nicht bereits in § 38 VermG als geregelt angesehen, hätte es nahegelegen, darüber zumindest mit dem Änderungsgesetz vom 27. September 1994 (BGBl I S. 2624) eine ausdrückliche klarstellende Regelung zu treffen. Denn mit dieser Änderung wurde dem hier streitbefangenen Negativattest die Funktion beigelegt, als einziger Nachweis des Verfügungsberechtigten für die Erfüllung seiner Vergewisserungspflicht zu dienen, wobei die Auswirkungen in bezug auf einen höheren Verwaltungsaufwand auf der Hand lagen.

2.2.2 Selbst aus dem Regelungszweck des § 38 Abs, 1 VermG läßt sich seine Beschränkung auf das Restitutionsverfahren im engeren Sinne nicht rechtfertigen. Das Berufungsgericht läßt außer acht, daß auch die Vergewisserungspflicht des Verfügungsberechtigten dem Schutz des Restitutionsberechtigten dient. Sie zielt auf die Sicherung und Erhaltung von Rückübertragungsansprüchen Berechtigter, ist also insofern für den jetzigen Verfügungsberechtigten fremdnützig; denn bei Vorliegen eines Restitutionsantrags hat der Verfügungsberechtigte vorgreifliche Rechtsgeschäfte bis auf streng geregelte gesetzliche Ausnahmen zu unterlassen (§ 3 Abs. 3 Satz 1 VermG). Es wäre aber kaum mit dem Gerechtigkeitsgedanken vereinbar und kann daher nicht als gesetzgeberischer Wille unterstellt werden, daß zwar der Restitutionsberechtigte von Verfahrenskosten freigestellt, der zu seinen Gunsten in die Pflicht genommene Verfügungsberechtigte aber dafür auch noch mit Verfahrenskosten belastet werden sollte.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Beschluß.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 239 DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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