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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 14.04.2005
Aktenzeichen: BVerwG 3 C 9.04
Rechtsgebiete: ApBetrO, ApoG, AMG
Vorschriften:
ApBetrO § 17 | |
ApoG § 11 a | |
AMG § 43 |
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
BVerwG 3 C 9.04
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 14. April 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Driehaus sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick, Dr. Dette, Vormeier und Liebler ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Tenor:
Die Urteile des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 1. April 2003 und des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 17. April 2002 werden geändert und der Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 21. Mai 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. März 2001 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtstreits.
Gründe:
I.
Der Kläger, ein Apotheker, wendet sich gegen das Verbot, außerhalb des Notdienstes apothekenpflichtige Arzneimittel über einen Außenschalter an seine Kunden abzugeben.
Der Kläger betreibt eine Apotheke in einer Einkaufspassage. Die Apotheke verfügt - außer einem Nachtdienstschalter - über einen an der rückwärtigen Außenwand des Einkaufscenters gelegenen Außenschalter, der als "Autoschalter" gekennzeichnet und mit dem üblichen Apothekensymbol versehen ist. Davor verläuft eine Straße mit Gehweg. Auf der Straße sind zwei Kfz-Stellplätze markiert, die Apothekenkunden vorbehalten sind. Der Außenschalter, der aus einem etwa 60 cm breiten und raumhohen Fenster besteht, wird während der regulären Öffnungszeiten der Apotheke in der Weise betrieben, dass herantretende Kunden das Apothekenpersonal mittels einer Klingel herbeirufen können.
Mit Bescheid vom 21. Mai 1999 untersagte das Regierungspräsidium T. dem Kläger, über den Außenschalter Arzneimittel außerhalb des Notdienstes abzugeben. Mit Widerspruchsbescheid vom 16. November 2000 beschränkte das Regierungspräsidium das Verbot auf die Abgabe apothekenpflichtiger Arzneimittel und wies insoweit den Widerspruch zurück. Dazu führte es aus, gemäß § 17 der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) dürften Arzneimittel nur in den Apothekenbetriebsräumen in den Verkehr gebracht werden. Das bedeute, dass sich sowohl der Apotheker als auch der Kunde bei der Übergabe in diesen Räumen aufhalten müssten. Diese Regelung sei zur Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit und der Information und Beratung des Kunden gerechtfertigt. Dazu berief sich das Regierungspräsidium auf das Urteil des Senats vom 22. Januar 1998 (- BVerwG 3 C 6.97 - BVerwGE 106, 141) zur Unzulässigkeit der Abgabe von Arzneimitteln über den an einer Apotheke eingerichteten Autoschalter.
Die dagegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 17. April 2002 abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg durch Urteil vom 1. April 2003 zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt: Mit dem Verkauf von apothekenpflichtigen Arzneimitteln über den Außenschalter verstoße der Kläger gegen § 17 Abs. 1 Satz 1 der Apothekenbetriebsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. September 1995 (BGBl I S. 1195). Die Bestimmung, dass Arzneimittel nur in den Apothekenbetriebsräumen in den Verkehr gebracht werden dürfen, setze voraus, dass sich bei der Abgabe des Arzneimittels sowohl der Apotheker als auch der Empfänger der Ware innerhalb der Apothekenbetriebsräume aufhalte. Dies entspreche auch dem Sinn und Zweck der Norm. Die Apothekenbetriebsordnung sei durchgehend von dem Gedanken geprägt, dass Arzneimittel Waren besonderer Art seien, deren Erwerb häufig mit Risiken behaftet sei und bei denen daher ein gegenüber anderen Waren wesentlich erhöhter Beratungsbedarf bestehe. Bei der Abgabe von Arzneimitteln über einen Außenschalter sei die Besonderheit der Ware "Arzneimittel" für den Kunden nicht mehr erkennbar, so dass seine Bereitschaft und seine Möglichkeiten, eine etwa notwendige Beratung in Anspruch zu nehmen, nachhaltig beeinträchtigt würden. Insoweit gelte für den vom Kläger betriebenen Außenschalter, an den der Kunde zu Fuß herantrete, nichts anderes als für einen Autoschalter. Der Kunde solle die Apotheke nicht nur aufsuchen, sondern auch betreten und dem Apotheker gegenübertreten; schon allein dadurch werde er auf die besonderen Risiken der Ware Arzneimittel hingewiesen und erhalte das Angebot individueller Information und Beratung durch fachkundiges Personal.
Hiergegen richtet sich die vom erkennenden Senat zugelassene Revision des Klägers. Er trägt vor, dem Erfordernis des § 17 Abs. 1 ApBetrO, dass die Arzneimittel in den Apothekenräumen in Verkehr zu bringen seien, sei auch dann genügt, wenn sich nur das abgebende Apothekenpersonal innerhalb der Apotheke aufhalte, der die Waren in Empfang nehmende Kunde sich aber außerhalb befinde. Die Argumentation des Senats im Urteil vom 22. Januar 1998, dass bei einem Autoschalter eine sachgerechte Beratung kaum in Betracht kommen könne, treffe auf den hier zu beurteilenden Fußgängerschalter nicht zu. Im Übrigen habe sich die Rechtslage durch die zwischenzeitliche Zulassung des Arzneimittelversandhandels und die Erleichterung der Botenzustellung durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz - GMG) vom 14. November 2003 (BGBl I S. 2190) grundlegend gewandelt. Die Vorstellungen des Berufungsgerichts, dass der Kunde gezwungen werden solle, die Apotheke zu betreten und dem Apotheker persönlich gegenüberzutreten, lasse sich vor dem Hintergrund dieser Regelungen nicht mehr halten. Sie stehe auch in keinerlei Beziehung zum tatsächlichen Umfang des Beratungsbedarfs, wie er sich heute im normalen Apothekenbetrieb darstelle. Soweit ein solcher Bedarf tatsächlich bestehe, könne er in aller Regel am Außenschalter befriedigt werden; soweit dies im Einzelfall nicht zutreffe, bestehe die Möglichkeit, den Kunden zur weiteren Beratung in die Apotheke zu bitten. Ergänzend weist der Kläger darauf hin, dass er am 21. Dezember 2004 die Erlaubnis zum Versand von apothekenpflichtigen Arzneimitteln erhalten hat.
Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die zwischenzeitliche Zulassung des Versandhandels mit Arzneimitteln und die erweiterte Möglichkeit der Zustellung von Arzneimitteln durch Boten hätten den Grundsatz unberührt gelassen, dass Arzneimittel nur in den Apothekenbetriebsräumen abgegeben werden dürfen.
Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren. In Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung hält er die Revision für begründet. Die Abgabe von Arzneimitteln durch einen Außenschalter sei eine Abgabe bzw. ein Inverkehrbringen in den Apothekenbetriebsräumen, da das pharmazeutische Personal sich dabei in den Apothekenbetriebsräumen befinde. Dieses Verfahren sei gleichzusetzen mit dem Inverkehrbringen von Arzneimitteln im Rahmen des Nachtdienstes. Dabei sei gewährleistet, dass das pharmazeutische Personal Informationen an die Person weitergebe, die das Arzneimittel in Empfang nehme bzw. diesem für Fragen zur Verfügung stehe. Eine Gefährdung der Arzneimittelsicherheit bestehe bei diesem Verfahren nicht. Ein Verstoß gegen § 17 Abs. 1 ApBetrO liege nicht vor; die Zielsetzung dieser Vorschrift decke sich mit der des Versandhandels, wie er durch das GKV-Modernisierungsgesetz zugelassen worden sei.
II.
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist mit dem nach der Entscheidung des Berufungsgerichts erlassenen und nunmehr maßgeblichen Bundesrecht nicht vereinbar (§ 137 Abs. 1 VwGO). Nach dem jetzt geltenden Recht ist die Untersagungsverfügung des Beklagten rechtswidrig und muss aufgehoben werden (§ 113 Abs. 1 VwGO).
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Rechtsgrundlage der Verfügung § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG ist. Danach treffen die zuständigen Behörden die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Zu den Normen, deren Einhaltung auf dieser Grundlage durch ordnungsrechtliche Maßnahmen durchgesetzt werden kann, gehören auch die apothekenrechtlichen Bestimmungen (vgl. Urteil vom 22. Januar 1998 - BVerwG 3 C 6.97 - BVerwGE 106, 141, 143).
2. Das Berufungsgericht hat die Abgabe apothekenpflichtiger Arzneimittel über den Außenschalter der klägerischen Apotheke außerhalb des Notdienstes als Verstoß gegen § 17 Abs. 1 ApBetrO angesehen. Ebenso wie der Beklagte hat es diese Vorschrift in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. September 1995 (BGBl I S. 1195), zuletzt geändert durch Verordnung vom 18. Oktober 1999 (BGBl I S. 2059), angewandt. In dieser Fassung lautete die Bestimmung, dass Arzneimittel und die in § 25 genannten Waren mit Ausnahme von Einwegspritzen nebst Zubehör sowie von Kondomen nur in den Apothekenbetriebsräumen in den Verkehr gebracht werden durften. Inzwischen ist die Vorschrift durch Art. 21 des GKV-Modernisierungsgesetzes geändert worden. Nunmehr geht sie dahin, dass Arzneimittel außer im Falle des § 11 a des Apothekengesetzes und des Abs. 2 a nur in den Apothekenbetriebsräumen in den Verkehr gebracht und nur durch pharmazeutisches Personal ausgehändigt werden dürfen. Da es sich bei der angefochtenen Untersagungsverfügung um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt, ist diese am 1. Januar 2004 in Kraft getretene Fassung hier anzuwenden (vgl. Urteil vom 22. Januar 1998 - BVerwG 3 C 6.97 - a.a.O., S. 143 f.).
3. In der hiernach nunmehr maßgebenden Fassung verbietet § 17 Abs. 1 ApBetrO die Abgabe apothekenpflichtiger Arzneimittel über einen Außenschalter, wie ihn der Kläger betreibt, nicht.
3.1 Allerdings unterscheiden sich die vom Berufungsgericht angewandte und die jetzt geltende Fassung des § 17 Abs. 1 ApBetrO nicht in der hier entscheidenden Formulierung, dass Arzneimittel nur in den Apothekenbetriebsräumen in den Verkehr gebracht werden dürfen. Dazu hat der Senat in seinem bereits erwähnten Urteil vom 22. Januar 1998 ausgesprochen, auch der Empfänger der Ware müsse sich bei der Übergabe innerhalb der Apothekenbetriebsräume aufhalten. Er hat dies aus der Definition des Inverkehrbringens in § 4 Abs. 17 AMG als "Abgabe an Andere" hergeleitet. Damit werde auch der Empfänger der Ware in den Abgabevorgang einbezogen, der sich in den Apothekenbetriebsräumen abspielen müsse. Der Senat hat den Wortlaut insoweit als eindeutig angesehen, dabei aber zugleich eine abweichende Auslegung für möglich gehalten, wenn sich aus Sinn und Zweck der Apothekenbetriebsordnung oder aus anderen Auslegungskriterien ergebe, dass ein Verbot einer solchen Verkaufseinrichtung wie eines Autoschalters von der Norm nicht beabsichtigt sei. Dies hat er seinerzeit verneint.
Für das nunmehr geltende Recht kann an der Aussage, § 17 Abs. 1 ApBetrO verlange bei der Übergabe des Arzneimittels die Anwesenheit des Kunden in der Apotheke, nicht festgehalten werden. Der systematische Zusammenhang der Vorschrift, aus der sich auch ihr Sinn und Zweck erschließt, zwingt insoweit zu einer Änderung der Rechtsprechung.
3.2 Das GKV-Modernisierungsgesetz hat den systematischen Zusammenhang, in den § 17 Abs. 1 ApBetrO gestellt ist, grundlegend geändert. Die Vorschrift nimmt ausdrücklich Bezug auf § 11 a des Apothekengesetzes und Abs. 2 a der Verordnung, in denen die Erteilung einer Erlaubnis zum Versandhandel mit Arzneimitteln geregelt ist. Gemeinsame Grundlage ist die generelle Zulassung eines solchen Versandhandels unter Erlaubnisvorbehalt durch § 43 Abs. 1 AMG in der Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes. Voraussetzung für die Erteilung einer Erlaubnis zum Versand von apothekenpflichtigen Arzneimitteln ist nach § 11 a Nr. 1 ApoG, dass der Versand aus einer öffentlichen Apotheke zusätzlich zu dem üblichen Apothekenbetrieb erfolgt. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber eine Form der Medikamentenabgabe zugelassen, bei der das Arzneimittel zwar aus einer Apotheke heraus abgegeben werden muss, der Kunde aber nicht gehalten ist, die Apotheke zu betreten. Er kann seine Bestellung schriftlich oder, soweit die Verschreibungspflichtigkeit des Arzneimittels nicht die Vorlage eines Attestes notwendig macht, telefonisch oder über das Internet aufgeben und sich die bestellte Ware an einen beliebigen Ort zustellen lassen. Über die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts hinaus (vgl. EuGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - C-322.01 - DVBl 2004 S. 424) erstreckt das GKV-Modernisierungsgesetz die Möglichkeit des Versandhandels auch auf verschreibungspflichtige Arzneimittel (vgl. Wiesener, GesR 2004 S. 43, 45).
Ergänzt wird diese Regelung durch eine Neufassung des § 17 Abs. 2 ApBetrO. Während es dort früher hieß, die Versendung aus der Apotheke oder die Zustellung durch Boten sei im begründeten Einzelfall zulässig, ist nun die Zustellung durch Boten der Apotheke im Einzelfall ohne Erlaubnis nach § 11 a des Apothekengesetzes zulässig. Damit ist der Anwendungsbereich der Vorschrift wesentlich erweitert worden, da nunmehr kein besonderer Grund mehr vorliegen muss, der die Zustellung des Arzneimittels durch Boten rechtfertigt.
Schließlich ist § 43 Abs. 3 AMG dahin geändert worden, dass verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht mehr nur in Apotheken, sondern nur von Apotheken abgegeben werden dürfen.
Begründet worden ist die Zulassung des Versandhandels mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln mit der geänderten Situation im Gesundheitswesen sowie dem Anliegen der Verbraucher, Erschwernisse der Arzneimittelbeschaffung abzubauen (BTDrucks 15/1525 S. 165). Die Gesetzesbegründung hebt außerdem hervor, dass aus den verschiedensten Gründen in vielen Fällen keine Beratung unter persönlicher Anwesenheit des Verbrauchers/ Patienten notwendig oder erwünscht sei (vgl. BTDrucks 15/1525 S. 163).
Angesichts dieser Neuregelungen lässt sich die Aussage, die Apothekenbetriebsordnung gehe wegen des besonderen Beratungsbedarfs bei Arzneimitteln davon aus, dass das gesamte Geschäft der Arzneimittelversorgung innerhalb der Apothekenräume abgewickelt werde, nicht aufrechterhalten. Der Gesetzgeber hat Vertriebswege eröffnet, die es dem Kunden freistellen, ob er sich auf den Weg zur Apotheke macht oder ob er Bestellung und Entgegennahme der Arzneimittel an irgendeinem anderen Ort stattfinden lässt. Er braucht die Apotheke nicht zu betreten, wenn er es nicht will. In welchem Umfang er das Beratungsangebot des Apothekers in Anspruch nimmt, bleibt weitgehend ihm selbst überlassen.
In diesem Kontext ist für eine Auslegung des § 17 Abs. 1 ApBetrO, die den die Apotheke selbst aufsuchenden Kunden zum Betreten der Apotheke zwingen will, kein Raum mehr. Angesichts der Möglichkeit, Arzneimittel - auch verschreibungspflichtige - bequem nach Hause zu bestellen, kann der Apothekenbetriebsordnung nicht mehr die Absicht entnommen werden, sie wolle den Kunden zum Betreten der Apotheke zwingen, um ihm die Besonderheit der Ware Arzneimittel eindringlich deutlich zu machen und ihn persönlich mit dem Beratungsangebot des Apothekers oder seines geschulten Personals zu konfrontieren.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 4 000 € festgesetzt.
Ende der Entscheidung
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