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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 01.08.2001
Aktenzeichen: BVerwG 4 B 23.01
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 16
BauGB § 31
BauGB § 215 a
Wird eine Veränderungssprerre unter Verstoß gegen § 215 a Abs. 2 BauGB rückwirkend in Kraft gesetzt, so verhindert dieser Mangel nur das rückwirkende In-Kraft-Treten der Satzung, nicht jedoch ihr In-Kraft-Treten mit Wirkung "ex nunc".
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 4 B 23.01 VGH 8 S 714/00

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 1. August 2001 durch die Richter Prof. Dr. Dr. Berkemann und Dr. Lemmel und die Richterin Heeren

beschlossen:

Tenor:

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg über die Nichtzulassung der Revision gegen sein Urteil vom 27. Oktober 2000 wird geändert.

Die Revision wird hinsichtlich des Hilfsantrages zugelassen.

Hinsichtlich des Hauptantrages wird die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen.

Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Klägerin die eine Hälfte. Die Entscheidung über die Kostentragung für die andere Hälfte folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 100 000 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Mit ihrem Hauptantrag begehrt die Klägerin, die Beklagte zur Erteilung eines Bauvorbescheids für eine Reihenhausbebauung zu verpflichten, mit ihrem Hilfsantrag die Feststellung, dass die Versagung des Bauvorbescheids rechtswidrig war. Das Berufungsgericht hat die Klage mit beiden Anträgen abgewiesen und ausgeführt, der Erteilung des Bauvorbescheids stehe eine Veränderungssperre entgegen. Deren rückwirkende Inkraftsetzung sei zwar fehlerhaft; die Veränderungssperre sei jedoch mit ihrer Bekanntmachung - mit Wirkung ex nunc - in Kraft getreten. Der Fortsetzungsfeststellungsantrag sei unbegründet, weil die Klägerin schon vor dem In-Kraft-Treten der Veränderungssperre keinen Rechtsanspruch auf den begehrten Bauvorbescheid gehabt habe. Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit der auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützten Beschwerde.

II.

Die Beschwerde ist zulässig. Insbesondere ist die Zwei-Monats-Frist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO zur Begründung der Beschwerde gewahrt. Die angefochtene Entscheidung ist der Klägerin am 21. Dezember 2000 zugestellt worden; die Beschwerdebegründung ist am 21. Februar 2001 per Fax beim Berufungsgericht eingegangen.

1. Hinsichtlich ihres Hauptantrages ist die Beschwerde jedoch unbegründet. Soweit sie die Zulassung der Revision wegen des Antrages begehrt, die Beklagte zur Erteilung eines Bauvorbescheids zu verpflichten, fehlt es an einem Zulassungsgrund. Die hierzu allein erhobene Grundsatzrüge rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Zur Klärung der sinngemäß gestellten Frage, ob eine Veränderungssperre, die unter Verstoß gegen § 215 a Abs. 2 BauGB rückwirkend in Kraft gesetzt worden ist, insgesamt unwirksam ist oder mit Wirkung vom Zeitpunkt ihrer Bekanntmachung in Kraft tritt, bedarf es keines Revisionsverfahrens. Sie ist auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung ohne weiteres in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht dahingehend zu beantworten, dass der Verstoß gegen § 215 a BauGB nur das rückwirkende In-Kraft-Treten der Satzung verhindert, nicht jedoch einem In-Kraft-Treten mit Wirkung "ex nunc" entgegensteht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1978 - BVerwG 7 C 44.76 - DVBl 1978, 536; Beschluss vom 8. August 1989 - BVerwG 4 NB 2.89 - ZfBR 1989, 274) führt die Ungültigkeit eines Teiles einer kommunalen Satzungsbestimmung dann nicht zu ihrer Gesamtunwirksamkeit, wenn die übrigen Teile auch ohne den ungültigen Teil sinnvoll bleiben (Grundsatz der Teilbarkeit) und mit Sicherheit anzunehmen ist, dass sie auch ohne diesen erlassen worden wären (Grundsatz des mutmaßlichen Willens des Normgebers). Diese Rechtsprechung gilt bei städtebaulichen Satzungen nicht nur im Hinblick auf einzelne Regelungen oder Festsetzungen, sondern auch für den Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Satzung. Denn städtebauliche Satzungen sind hinsichtlich ihres zeitlichen Geltungsanspruchs objektiv teilbar; und im Regelfall ist anzunehmen, dass die Gemeinde, wenn sie die Unzulässigkeit der rückwirkenden Inkraftsetzung erkannt hätte, jedenfalls eine Inkraftsetzung für die Zukunft gewollt hätte. Auf dieser Rechtsauffassung beruht der Beschluss des Senats vom 7. November 1997 - BVerwG 4 NB 48.96 - (ZfBR 1998, 96 <100>), in dem der Senat bei einem fehlerhaft rückwirkend in Kraft gesetzten Bebauungsplan angenommen hat, dieser Fehler führe nur zur (Teil-)Nichtigkeit des Plans, soweit er die Rückwirkung angeordnet habe; mit Wirkung vom Zeitpunkt der Bekanntmachung an (ex nunc) sei er wirksam (ebenso OVG Lüneburg, Urteil vom 17. Dezember 1998 - 1 K 6556/96 - BRS 60 Nr. 42). Im selben Sinn hat der Senat in seinem Urteil vom 3. Dezember 1998 - BVerwG 4 C 14.97 - (ZfBR 1999, 164 <165>) im Hinblick auf mögliche Mängel der Rückwirkungsanordnung bei einer Sanierungssatzung entschieden. Dass die Rechtslage bei der Veränderungssperre anders sein könnte, trägt die Beschwerde selbst nicht vor.

2. Dagegen ist die Beschwerde hinsichtlich des Hilfsantrages auf Feststellung, dass die Klägerin vor dem In-Kraft-Treten der Veränderungssperre einen Anspruch auf den beantragten Bauvorbescheid gehabt habe, begründet. Hinsichtlich dieses Hilfsantrages wird die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Die Rechtssache hat im Hinblick auf die Frage, ob Planungsabsichten der Gemeinde, die sich noch nicht in einem Aufstellungsbeschluss niedergeschlagen haben, bei der Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB als Versagungsgrund herangezogen werden können, grundsätzliche Bedeutung.

Der Zulassung der Revision - begrenzt auf den Hilfsantrag - steht nicht entgegen, dass die Zulässigkeit des gestellten Feststellungsantrages in dem eröffneten Revisionsverfahren von Gerichts wegen zu prüfen sein wird und dass insoweit erhebliche Zweifel bestehen können. Ein Feststellungsantrag mit dem Ziel, eine Schadensersatz- oder eine Entschädigungsklage bei den Zivilgerichten zu erheben, ist nur zulässig, wenn die Aussichtslosigkeit dieses Vorgehens nicht offensichtlich ist. Ein auf § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG gestützter Amtshaftungsanspruch dürfte am fehlenden Verschulden der Beklagten scheitern. Das Berufungsgericht hat deren Rechtsauffassung bestätigt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes entfällt ein Verschulden des Beamten, wenn ein Kollegialgericht dessen Rechtsansicht bestätigt hat (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 1978 - III ZR 77/76 - BGHZ 73, 161 <164>; 97, 97 <107>; BGH, Urteil vom 2. April 1998 - III ZR 111/97 - NVwZ 1998, 878; ebenso BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1998 - BVerwG 2 C 4.97 - BayVBl 1998, 668 = JZ 1999, 89). Für den geltend gemachten Anspruch aus "enteignungsgleichem Eingriff" gilt dies nicht, da dieser Anspruch verschuldensunabhängig ist. Auch hier kann die Klägerin allerdings einen Ausgleich ihres Schadens nicht erreichen. Für das Feststellungsinteresse genügt es, dass jedenfalls eine Entschädigung nach Maßgabe der sog. Bodenwertgrenze in Betracht kommt, mag deren Höhe auch mutmaßlich gering sein.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 GKG.

Rechtsmittelbelehrung

Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 4 C 13.01 fortgesetzt; der Einlegung einer Revision durch die Beschwerdeführerin bedarf es nicht.

Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Hardenbergstraße 31, 10623 Berlin, einzureichen.

Für den Revisionskläger besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Der Revisionskläger muss sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen. In derselben Weise muss sich jeder Beteiligte vertreten lassen, soweit er einen Antrag stellt.

Ende der Entscheidung

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