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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 17.03.1998
Aktenzeichen: BVerwG 4 B 25.98
Rechtsgebiete: VwGO, GG


Vorschriften:

VwGO § 144 Abs. 4
GG Art. 20 Abs. 3
Leitsätze:

Macht eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision geltend, daß die Berufung zu Unrecht als unzulässig zurückgewiesen worden sei, so komme eine Zulassung der Revision nicht in Betracht, wenn die Berufung jedenfalls als unbegründet zurückzuweisen gewesen wäre (§ 144 Abs. 4 VwGO analog).

Bundesverfassungsrecht ist nicht verletzt, wenn die Gemeinde als Baugenehmigungsbehörde auch über eigene Bauvorhaben zu entscheiden hat und entscheidet.

Beschluß des 4. Senats vom 17. März 1998 - BVerwG 4 B 25.98 -

I. VG Köln vom 14.08.1995 - Az.: VG 2 K 8909/93 - II. OVG Münster vom 05.12.1997 - Az.: OVG 7 A 6318/95 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 4 B 25.98 OVG 7 A 6318/95

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 17. März 1998 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gaentzsch sowie die Richter Prof. Dr. Dr. Berkemann und Halama

beschlossen:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. Dezember 1997 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 DM festgesetzt.

Gründe:

Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.

Soweit die Beschwerde sich mit Verfahrens-, Divergenz- und Grundsatzrügen dagegen zur Wehr setzt, daß das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig zurückgewiesen hat, kommt eine Revisionszulassung nicht in Betracht. Dahinstehen kann, ob das Berufungsurteil unter den vom Kläger aufgezeigten Gesichtspunkten beanstandungswürdig ist. Denn selbst wenn davon auszugehen wäre, daß das Berufungsgericht die Berufung zu Unrecht aus prozessualen Gründen zurückgewiesen hat, erweist sich das Berufungsurteil aus einer anderen Erwägung, für die in der Beschwerdebegründung kein Zulassungsgrund aufgezeigt wird, als richtig. Das Berufungsgericht hat sich zwar auf den Standpunkt gestellt, daß die Berufung unzulässig sei, weil der anwaltlich vertretene Kläger die Berufungsfrist versäumt habe. Darüber hinaus hat es jedoch zum Ausdruck gebracht, daß es auch aus sachlich-rechtlichen Gründen bei der Klageabweisung hätte bleiben müssen ("Letztlich hätte die Berufung aber auch in der Sache selbst keinen Erfolg gehabt"). Dies ist nach § 144 Abs. 4 VwGO, der im Beschwerdeverfahren analog gilt, zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 13. Juni 1977 - BVerwG 4 B 13.77 - BVerwGE 54, 99, und vom 29. Oktober 1979 - BVerwG 4 CB 73.79 - Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 34). Denn um einen Anwendungsfall dieser Vorschrift handelt es sich auch dann, wenn eine als unzulässig abgewiesene Klage jedenfalls unbegründet ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Februar 1981 - BVerwG 2 C 8.78 - Buchholz 232 § 26 BBG Nr. 21). Gleiches gilt für eine als unzulässig zurückgewiesene Berufung. Wird mit der Nichtzulassungsbeschwerde die Frage der Klagezulässigkeit oder der Zulässigkeit der Berufung gegen ein klageabweisendes erstinstanzliches Urteil problematisiert, so kommt eine Revisionszulassung nicht in Betracht, wenn Klage in der Sache (jedenfalls) keinen Erfolg haben kann. So läge es hier. Die Beschwerde wendet sich zwar auf der Grundlage des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auch gegen den Begründungsteil des Berufungsurteils, der die Anwendung des sachlichen Rechts betrifft. Diese Rüge greift jedoch nicht durch.

Die Beschwerde hält insoweit folgende Fragen für grundsätzlich klärungsbedürftig:

"Ist die Erteilung begünstigender Verwaltungsakte in eigener Sache grundsätzlich als verfassungsrechtlich unbedenklich anzusehen oder ist bei solchen Fällen von Identität zwischen Genehmigungsbehörde und Adressaten des begünstigten Verwaltungsaktes unter dem Aspekt möglicher Gefährdung der inneren Distanz und Neutralität in bezug auf das zu entscheidende Verwaltungsverfahren - gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Betroffenheit Dritter bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung - von einem Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) auszugehen, so daß Rechtsnormen, die für derartige Konstellationen keine Sonderzuständigkeiten vorsehen, als verfassungswidrig anzusehen und von den damit befaßten Gerichten im Wege der konkreten Normenkontrolle gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht oder dem zuständigen Landesverfassungsgericht vorzulegen sind?

Gilt dies insbesondere auch in bezug auf Baugenehmigungen in Fällen einer Identität zwischen (antragstellendem) Bauherrn und der zuständigen Baugenehmigungsbehörde und ist danach auch die Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen insoweit als defizitär und verfassungswidrig mit der Folge einer für das Gericht verbindlicchen Vorlageverpflichtung nach Art. 100 Abs. 1 GG anzusehen?"

Diese Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision. Sie lassen sich auf der Grundlage der bereits vorhandenen Senatsrechtsprechung ohne weiteres beantworten, ohne daß es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Der Senat hat sich zwar noch nicht ausdrücklich zu der Frage geäußert, ob es mit der Verfassung vereinbar ist, wenn, wie dies hier nach der insoweit verbindlichen Auslegung des Berufungsgerichts für das nordrhein-westfälische Landesrecht zutrifft, die Verwaltung einer Gemeinde in ihrer Funktion als Baugenehmigungsbehörde die Befugnis besitzt, für eigene Bauvorhaben Genehmigungen zu erteilen. Er hat sich aber bereits in anderem Zusammenhang dem von der Beschwerde aufgeworfenen Problem gewidmet und dazu Stellung genommen, ob es gegen das Rechtsstaatsprinzip oder sonstige Grundsätze des Verfassungsrechts verstößt, wenn die Vorhabenzulassungsbehörde und der Adressat des von ihr erlassenen begünstigenden Verwaltungsakts identisch sind. Der Senat hat wiederholt bestätigt, daß die inzwischen außer Kraft getretene Vorschrift des § 36 Abs. 4 BBahnG den Anforderungen des Grundgesetzes entsprach. Diese Bestimmung hatte im Bereich der Planung von Schienenwegen zur Folge, daß die Funktionen der Planfeststellungsbehörde und des Vorhabenträgers von der Deutschen Bundesbahn in einer Person wahrgenommen wurden. Dies hat der Senat unter dem Blickwinkel des Verfassungsrechts nicht beanstandet. Er hat zwar auf den allgemeinen Rechtsgrundsatz hingewiesen, daß eine Behörde gegenüber jedermann jenes Maß an innerer Unabhängigkeit und Neutralität wahren muß, das ihr ein abgewogenes Urteil ermöglicht, und hieraus abgeleitet, daß es rechtspolitisch befriedigender sein möge, wenn die zur Planfeststellung ermächtigte Behörde mit dem Vorhabenträger nicht identisch ist, da hiermit jedenfalls im Regelfall eine verfahrensrechtliche Distanz erreicht werde, die der Ausgewogenheit der Entscheidung zugute komme. Er hat jedoch klargestellt, daß die rechtsstaatlichen Gründe, die eine solche Vorsorge nahelegen, eine verfahrensrechtliche Trennung nicht als zwingendes Recht gebieten, da das Rechtsstaatsprinzip keine in allen Einzelheiten eindeutig bestimmten Gebote oder Verbote mit Verfassungsrang enthält (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1979 - BVerwG 4 C 10.77 - BVerwGE 59, 253; Beschluß vom 24. August 1987 - BVerwG 4 B 129.87 - Buchholz 442.08 § 36 BBahnG Nr. 12). Gründe, die für den Rechtsbereich des Bauordnungsrechts Anlaß zu einer abweichenden Wertung geben, sind weder von der Beschwerde vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Zwar beugt das Bauordnungsrecht anderer Bundesländer dem Fall, daß eine Gemeinde als Baurechtsbehörde über die Zulassung eigener Vorhaben zu entscheiden hätte, durch eine Zuständigkeitsverlagerung vor (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 1 BauOBW). Eine solche Maßregel ist geeignet, Interessenkollisionen auszuschließen und jeden Anschein der Befangenheit der in eigener Sache tätigen Gemeinde zu vermeiden. Indes ist es rechtsstaatlich hinnehmbar, daß das Land Nordrhein-Westfalen diesem Regelungsmuster nicht gefolgt ist. Denn Rechte Dritter werden hierdurch nicht verkürzt oder gar vereitelt. Verstößt eine Baugenehmigung gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften, die jedenfalls auch dem Schutz von Nachbarn zu dienen bestimmt sind, so kann sich der nachteilig Betroffene hiergegen zur Wehr setzen. Der für den Umfang des Nachbarschutzes maßgebliche rechtliche Maßstab bleibt inhaltlich unverändert. Er hängt nicht davon ab, welche Behörde die Genehmigung erteilt hat und wer als deren Adressat auftritt. Die Gemeinde hat, auch wenn sie gleichzeitig als Bauaufsichtsbehörde und als Bauherr handelt, keine Möglichkeit, sich den materiellrechtlichen Bindungen zu entziehen, denen sie unterliegt. Der Nachbar kann ihr gegenüber aus der Verfassung den Anspruch ableiten, daß seine subjektiven Rechte gewahrt bleiben. Dagegen gibt das Grundgesetz nicht verbindlich vor, unter welchen verfahrensrechtlichen Modalitäten dies gewährleistet wird (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. Januar 1982 - BVerwG 4 C 26.78 - BVerwGE 64, 325, und vom 5. Oktober 1990 - BVerwG 7 C 55 und 56.89 - BVerwGE 85, 368).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 und § 14 Abs. 3 GKG.



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