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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 23.11.1998
Aktenzeichen: BVerwG 4 B 29.98
Rechtsgebiete: BauGB, VwVfG
Vorschriften:
BauGB § 34 Abs. 1 | |
VwVfG § 43 Abs. 2 |
Eine widerruflich oder befristet genehmigte Bebauung, bei der die zuständige Behörde stets zu erkennen gegeben hat, daß sie sie nicht auf Dauer genehmigen oder auch nur dulden werde, ist bei Anwendung des § 34 Abs. 1 BauGB nicht als vorhandene Bebauung zu berücksichtigen, die die Eigenart der näheren Umgebung prägt, wenn es (hier: nach Fristablauf) um die Beurteilung der Zulässigkeit eben dieser Bebauung geht.
Ergibt sich aus der vorhandenen Bebauung eine faktische vordere Baulinie, so kann das dazu führen, daß eine dahinter zurückspringende Bebauung sich im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB nach der "überbaubaren Grundstücksfläche" nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt.
Beschluß des 4. Senats vom 23. November 1998 - BVerwG 4 B 29.98 -
I. VG Ansbach vom 22.05.1996 - Az.: VG AN 3 K 95.1122 - II. VGH München vom 15.12.1997 - Az.: VGH 14 B 96.2753 -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS
BVerwG 4 B 29.98 VGH 14 B 96.2753
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 23. November 1998 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gaentzsch, den Richter Dr. Lemmel und die Richterin Heeren
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Dezember 1997 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 DM festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt die Verlängerung einer befristeten Baugenehmigung für eine Kraftfahrzeugwerkstätte und wendet sich zugleich gegen eine Anordnung, mit der ihr der weitere Betrieb der Werkstätte untersagt wird. Auf dem Grundstück im Kreuzungsbereich zweier Straßen war 1951 eine widerrufliche Baugenehmigung für eine Tankstelle erteilt worden. Grund für den Widerrufsvorbehalt war u.a. die Nichteinhaltung der für das Eckgrundstück festgesetzten vorderen Baulinien. 1988 wurde der Klägerin die von ihr beantragte Auflassung der Tankstelle und der Umbau zu einer Kfz-Werkstätte befristet und wiederum unter Widerrufsvorbehalt genehmigt. Diese Genehmigung wurde nach Fristablauf nochmals widerruflich und für die Dauer von zwei Jahren verlängert. Eine weitere Verlängerung lehnte die Beklagte 1994 ab und untersagte zugleich die weitere Nutzung des Grundstücks als Kfz-Werkstätte. Die Klage war im ersten und im zweiten Rechtszug erfolglos.
II.
Die auf § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist nicht begründet.
1. Der Beschluß des Berufungsgerichts weicht nicht von den in der Beschwerdeschrift bezeichneten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ab.
Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob die beiden Baulinienpläne fortgelten. Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, das Vorhaben widerspreche jedenfalls § 34 Abs. 1 BauGB, weil es sich nach der bebaubaren Grundstücksfläche und dem Maß der vorhandenen Bebauung nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge. Die zu beiden Seiten des Eckgrundstücks anschließende drei- bis fünfgeschossige Blockrandbebauung weise eine faktische vordere Baulinie auf, hinter die die eingeschossige Bebauung des Eckgrundstücks um 5 m bzw. 8 bis 9 m zurückspringe. Da das Werkstattgebäude (mit der zugeordneten Nutzung) selbst Prüfungsgegenstand sei, scheide es bei der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung aus. Jedenfalls bilde das an einer exponierten Stelle gelegene Werkstattgebäude einen Fremdkörper, der infolge des auffälligen Kontrastes zu der anschließenden, im wesentlichen homogenen Blockrandbebauung nicht den städtebaulich beachtlichen Rahmen mitzugestalten vermöge, vielmehr "fehl am Platze" wirke.
Die Beschwerde sieht darin zu Unrecht eine Abweichung sowohl von der Entscheidung vom 22. September 1967 - BVerwG 4 C 109.65 - (BVerwGE 27, 341 <345>) als auch von der Entscheidung vom 15. Februar 1990 - BVerwG 4 C 23.86 - (BVerwGE 84, 322).
1.1 Richtig ist zwar, daß in der erstgenannten Entscheidung der Rechtssatz aufgestellt worden ist, daß zur Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung auch die auf dem Baugrundstück, auf dem das Vorhaben verwirklicht werden soll, bereits vorhandene Bebauung zu berücksichtigen ist. Das Bundesverwaltungsgericht geht jedoch seit der Entscheidung vom 6. November 1968 - BVerwG 4 C 31.66 - (BVerwGE 31, 22 <26>) in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß eine vorhandene, nicht genehmigte Bebauung nur dann zum Bebauungszusammenhang gehört, wenn sie in einer Weise geduldet wird, die keinen Zweifel daran läßt, daß sich die zuständigen Behörden mit dem Vorhandensein der Bauten abgefunden haben. Gleiches gilt für die Frage, ob eine vorhandene, nicht genehmigte Bebauung bei der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung zu berücksichtigen ist (Dürr, in: Kohlhammer-Kommentar zum Baugesetzbuch, § 34 Rn. 19, m.w.N.). Daraus ergibt sich ohne weiteres, daß eine befristet oder widerruflich genehmigte Bebauung, bei der die zuständige Behörde stets zu erkennen gegeben hat, daß sie sie nicht auf Dauer genehmigen oder auch nur dulden werde, nicht als vorhandene Bebauung zu berücksichtigen ist, die die Eigenart der näheren Umgebung prägt, wenn es - nach Fristablauf oder Widerruf - um die Beurteilung der Zulässigkeit eben dieser Bebauung geht. In diesem Sinne ist die für den konkreten Fall getroffene Aussage in dem Beschluß des Berufungsgerichts zu verstehen, das Werkstattgebäude scheide bei der Bestimmung des Rahmens der berücksichtigungsfähigen Umgebung aus, weil es selbst Prüfungsgegenstand sei. Eine Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist darin nicht zu sehen.
1.2 Auf die Frage, ob das Berufungsgericht von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Februar 1990 (a.a.O.) abweicht, wenn es die Werkstattbebauung des Eckgrundstücks als "Fremdkörper" bei der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung ausscheidet, kommt es somit nicht an; denn diese Annahme ist nicht allein tragend. Abgesehen davon läge, selbst wenn die Werkstattbebauung als vorhandene Bebauung grundsätzlich zu berücksichtigen wäre, eine Divergenz nicht vor. Das Berufungsgericht hat, anders als die Beschwerde meint, nicht den Rechtssatz aufgestellt, jede singuläre und in Kontrast zur baulichen Umgebung stehende Anlage dürfe nicht zur Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung herangezogen werden. Vielmehr hat es die in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Februar 1990 (a.a.O.) genannten Kriterien, die zur berechtigten Annahme eines "Fremdkörpers" führen, auf den konkreten Fall angewandt. In der genannten Entscheidung (a.a.O. S. 326) ist hervorgehoben, daß ein solches Ergebnis "auf einer überwiegend wertenden Betrachtung" beruhe. Sie obliegt dem Tatsachengericht. Das Revisionsgericht kann die Bewertung, die die rechtlichen Maßstäbe nicht verkennt, nicht ersetzen.
2. Der Rechtssache kommt nicht die in der Beschwerdeschrift geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu.
2.1 Das Berufungsgericht hat angenommen, die ursprünglich für die Tankstelle mit Werkstatt widerruflich erteilte Genehmigung sei nicht mehr wirksam, weil sie durch die nachfolgende (widerruflich und befristet erteilte) Genehmigung des Umbaus und der Nutzung als Kfz-Werkstätte ersetzt worden sei. Mit der daran anknüpfenden und auf die Anwendung des Art. 43 Abs. 2 VwVfG zielenden Frage, "ob eine widerruflich erteilte Baugenehmigung, mit der eine bestimmte bauliche Substanz genehmigt wurde, durch eine später erlassene Baugenehmigung, mit der eine Nutzungsänderung und geringe bauliche Umgestaltungen widerruflich und befristet genehmigt werden, aufgehoben oder unwirksam wird, ohne daß hierzu in der späteren Baugenehmigung Ausführungen enthalten sind", wird eine Frage, die rechtsgrunsätzlicher Klärung in einem Revisionsverfahren bedürfte, nicht bezeichnet. Die Beschwerde problematisiert lediglich die Anwendung des Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG im zu entscheidenden Einzelfall, indem sie ihre Kritik in eine abstrakte Formulierung kleidet. Daß die vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen die Annahme rechtfertigen, die ursprünglich erteilte (widerrufliche) Baugenehmigung für die Tankstelle sei nicht mehr wirksam, liegt auf der Hand; zumindest hat sie sich aufgrund der nachfolgenden Genehmigungen in sonstiger Weise erledigt.
2.2 Auch die Frage, "ob ein Vorhaben sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung im Sinn von § 34 Abs. 1 BauGB einfügen kann, wenn es das in der näheren Umgebung vorhandene Maß der baulichen Nutzung und der überbaubaren Grundstücksfläche unterschreitet", rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt die zu beiden Seiten des Eckgrundstücks anschließende, jeweils bis zur Gehwegkante reichende Blockrandbebauung eine faktische vordere Baulinie. Eine Baulinie zeichnet sich, anders als eine Baugrenze, gerade dadurch aus, daß sie durchgehend eingehalten wird. Ist sie rahmenbestimmend und umgebungsprägend, dann ist ein Unterschreiten ebenso wie ein Überschreiten eine Abweichung vom Rahmen, die dazu führen kann, daß das Vorhaben sich nicht im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB einfügt. Ob im Hinblick auf das Maß der Nutzung auch eine sich aus der Umgebungsbebauung abzuleitende Mindestgeschoßzahl (vgl. § 16 Abs. 4 Satz 1 BauNVO) den Rahmen für die Beurteilung der Eigenart der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB abgeben kann mit der Folge, daß sich ein Gebäude mit geringerer Geschoßzahl möglicherweise nicht einfügt, kann offenbleiben. Für die Unzulässigkeit eines Vorhabens nach § 34 Abs. 1 BauGB reicht es aus, daß dieses sich schon hinsichtlich eines der Maßstäbe (hier: nach der Beurteilung durch das Berufungsgericht hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksflächen) nicht einfügt.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Ende der Entscheidung
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