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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 29.05.2001
Aktenzeichen: BVerwG 4 B 33.01
Rechtsgebiete: BauNVO, GKG
Vorschriften:
BauNVO § 5 | |
GKG § 13 |
2. Der Streitwert einer Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung für ein Einfamilienhaus ist im Regelfall auf 30 000 DM festzusetzen, gegebenenfalls auch höher in Anlehnung an die mutmaßliche Bodenwertsteigerung, wenn über die prinzipielle Frage der Bebaubarkeit des Grundstücks gestritten wird.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 29. Mai 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gaentzsch, den Richter Dr. Lemmel und die Richterin Heeren
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 30. Januar 2001 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Unter Änderung der Streitwertfestsetzung in dem Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 18. November 1999 und des Streitwertbeschlusses des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 30. Januar 2001 wird der Wert des Streitgegenstandes für den ersten und den zweiten Rechtszug sowie für das Beschwerdeverfahren auf jeweils 20 000 DM festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt einen Bauvorbescheid über die Bebaubarkeit ihres Grundstücks mit einem Wohnhaus. Das Grundstück ist durch die dritte Änderung des Bebauungsplans "In den Talwiesen" als private Grünfläche festgesetzt. Die Klägerin hält diese Festsetzung für nichtig und die frühere Festsetzung für maßgeblich, durch die das Grundstück als Dorfgebiet mit einer überbaubaren Fläche ausgewiesen war. Die Klage war im ersten und im zweiten Rechtszug erfolglos. Mit der Beschwerde wendet sich die Klägerin dagegen, dass das Berufungsgericht die Revision nicht zugelassen hat.
II.
Die sinngemäß auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt die begehrte Zulassung der Revision nicht, weil die aufgeworfenen Rechtsfragen, soweit es auf sie für die Entscheidung ankommt, nicht mehr klärungsbedürftig sind.
Das Berufungsgericht hat - alternativ - zugunsten der Klägerin unterstellt, dass der Änderungsbebauungsplan mit seiner Festsetzung einer privaten Grünfläche unwirksam ist und dass der Plan deshalb in seiner früheren Fassung, die das Grundstück der Klägerin als Dorfgebiet mit einer überbaubaren Fläche festsetzt, als Beurteilungsmaßstab für die planungsrechtliche Zulässigkeit des Wohnhauses der Klägerin in Betracht kommt. Es hat gleichwohl einen Rechtsanspruch der Klägerin auf Erteilung des beantragten Bauvorbescheids verneint, weil diese frühere Fassung des Bebauungsplans mittlerweile wegen Funktionslosigkeit außer Kraft getreten sei. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Beschwerde mit mehreren Grundsatzrügen:
1. Für klärungsbedürftig hält die Beschwerde die Frage, ob die Festsetzung der Gebietsart "Dorfgebiet" im Sinne von § 5 BauNVO 1968 außer Kraft tritt, wenn in dem Gebiet nur Wohnhäuser errichtet worden sind. In dieser Formulierung wäre die Frage nicht entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat seine Beurteilung, dass die Festsetzung "Dorfgebiet" funktionslos geworden sei, nicht allein damit begründet, dass in dem Bereich südlich der Straße Talwiese nur noch Wohnhäuser - und kein landwirtschaftlich genutzter Baubestand mehr - vorhanden seien, sondern hat die örtlichen Verhältnisse dahingehend gewürdigt, dass es in diesem Gebiet auch keine Fläche mehr gebe, auf der sich die Wirtschaftsstelle eines landwirtschaftlichen Betriebes sinnvoll realisieren lasse. Wird die Beschwerdefrage aber insoweit ergänzt, so ist sie auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts ohne weiteres zu bejahen.
Allgemein gilt nämlich, dass eine bauplanerische Festsetzung wegen Funktionslosigkeit außer Kraft tritt, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und die Erkennbarkeit dieser Tatsache einen Grad erreicht hat, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt (BVerwG, Urteil vom 29. April 1977 - BVerwG 4 C 39.75 - BVerwGE 54, 5). Für die Festsetzung eines Dorfgebietes bedeutet dies, dass sie unwirksam wird, wenn in dem festgesetzten Bereich Wirtschaftsstellen land- oder forstwirtschaftlicher Betriebe nicht (mehr) vorhanden sind und mit ihrer Errichtung unter Zugrundelegung des genannten Erkennbarkeitsmaßstabs auch nicht mehr gerechnet werden kann. Denn ohne Gebäude landwirtschaftlicher Betriebsstellen ist ein Baugebiet kein Dorfgebiet. Zwar dienen Dorfgebiete nach sämtlichen Fassungen des § 5 Abs. 1 der Baunutzungsverordnung auch dem Wohnen; auch das Wohnen ist im Dorfgebiet eine Hauptnutzungsart. Im Gegensatz zu den Baugebieten nach den §§ 3 und 4 BauNVO, die allein durch die Wohnnutzung geprägt sind, dient das Dorfgebiet aber auch und vor allem der Unterbringung land- und forstwirtschaftlicher Betriebsstellen. Auf die landwirtschaftliche Nutzung ist Rücksicht zu nehmen (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 2 BauNVO 1990). Verschwindet die landwirtschaftliche Nutzung aus einem Dorfgebiet völlig und erscheint eine Wiederaufnahme dieser Nutzung als ausgeschlossen, so wandelt sich der Gebietscharakter; je nach der vorhandenen Nutzung kann ein faktisches Wohn- oder auch ein Mischgebiet entstehen. In diesem Sinne hat der Senat für das Mischgebiet (§ 6 BauNVO) angenommen, dass seine Festsetzung wegen Funktionslosigkeit außer Kraft treten kann, wenn eine der beiden Hauptnutzungsarten des Mischgebiets - die Wohnnutzung oder die gewerbliche Nutzung - verdrängt wird und das Gebiet deshalb in einen anderen Gebiets-typ "umkippt" (BVerwG, Urteil vom 4. Mai 1988 - BVerwG 4 C 34.86 - BVerwGE 79, 309 <312>). Dasselbe kann bei einem Dorfgebiet geschehen.
2. Die Frage, welche der neun in § 5 Abs. 2 BauNVO 1968 genannten Vorhaben - und in welchem Verhältnis - zur dauerhaften Geltung der Festsetzung eines Dorfgebietes vorhanden sein müssen, ist nicht entscheidungserheblich. Die Beschwerde legt nicht dar, dass es in dem hier maßgeblichen Gebiet außer Wohngebäuden noch andere Vorhaben gemäß § 5 Abs. 2 BauNVO gibt. Im Übrigen kommt es für die Wirksamkeit bzw. die Funktionslosigkeit der Festsetzung der Gebietsart allein auf die Zweckbestimmung der jeweiligen Baugebiete an, wie sie sich jeweils aus dem ersten Absatz der §§ 2 ff. BauNVO ergibt. Die in den weiteren Absätzen der Vorschriften aufgeführten Zulässigkeitskataloge dienen nur der Konkretisierung und Klarstellung dessen, was nach dem Willen des Verordnungsgebers in den jeweiligen Baugebieten als gebietsverträglich zu gelten hat.
3. Auch die sinngemäß gestellte Frage, ob die Funktionslosigkeit der Festsetzung "Dorfgebiet" zur Unwirksamkeit auch der Festsetzung der überbaubaren Grundstücksfläche führe, rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Bei ihr geht es um das Verhältnis der Teilunwirksamkeit zur Gesamtunwirksamkeit von Normen, und zwar hier um die Frage, ob und in welcher Weise sich die Unwirksamkeit einer einzelnen Planfestsetzung auf die Wirksamkeit anderer Festsetzungen eines Bebauungsplans auswirken kann. Insoweit ist durch die Rechtsprechung geklärt, dass darauf abzustellen ist, ob der gültige Teil des Bebauungsplans für sich betrachtet noch eine den Anforderungen des § 1 BauGB gerecht werdende, sinnvolle städtebauliche Ordnung bewirken kann und ob die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch einen Plan dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte (BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 1989 - BVerwG 4 N 3.87 - BVerwGE 82, 225 <230>). Weitergehende allgemeingültige Aussagen sind nicht möglich. Hinsichtlich der Festsetzung des Baugebiets hat der Senat allerdings ausgesprochen, dass ihre Unwirksamkeit im Regelfall alle übrigen Festsetzungen des Bebauungsplans erfasst; denn sie ist die wichtigste Festsetzung, von der alle übrigen Festsetzungen regelmäßig abhängen (BVerwG, Beschluss vom 8. August 1989 - BVerwG 4 NB 2.89 - DVBl 1989, 1103). Wenn das Berufungsgericht im vorliegenden Fall angenommen hat, dass die Wirksamkeit der Festsetzung von überbaubaren Grundstücksflächen im rückwärtigen Bereich mit der Wirksamkeit der Festsetzung eines Dorfgebiets untrennbar verbunden sei und insbesondere nicht für ein faktisches Wohngebiet in straßennaher Anordnung fortgelte, so folgt es dieser Rechtsprechung; weiterführende rechtsgrundsätzliche Fragen stellen sich nicht.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
5. Den Wert des Streitgegenstandes setzt der Senat für das Beschwerdeverfahren gemäß § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG auf 20 000 DM fest. Zugleich macht er von der ihm durch § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG eingeräumten Befugnis Gebrauch, die Streitwertfestsetzungen der Vorinstanzen zu ändern und auch für den ersten und den zweiten Rechtszug den Streitwert jeweils auf 20 000 DM festzusetzen.
Die Vorinstanzen haben den Streitwert im Anschluss an den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 22. August 1995 - 2 Y 9/95 - auf 6 000 DM festgesetzt. Dabei sind sie davon ausgegangen, dass das gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG maßgebliche Klägerinteresse bei einer Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung für ein Einfamilienwohnhaus mit einem an einem grob geschätzten Einjahresmietwert orientierten Pauschalbetrag von 12 000 DM anzusetzen sei und dass dieser Betrag zu halbieren sei, wenn es - wie im vorliegenden Verfahren - nur um die Erteilung eines Bauvorbescheids gehe. Dieser Rechtsprechung vermag der Senat nicht zu folgen. Sie wird der wirtschaftlichen Bedeutung der Klagen auf Erteilung von Baugenehmigungen und -vorbescheiden nicht gerecht und weicht erheblich von den Streitwertfestsetzungen anderer Verwaltungsgerichte ab. Der Senat orientiert sich in ständiger Rechtsprechung an dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit - Fassung 1996 - (NVwZ 1996, 563), der für eine Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung für ein Einfamilienhaus im Regelfall einen Streitwert von 30 000 DM vorschlägt und bei einem Bauvorbescheid mindestens die Hälfte des Ansatzes für das Verfahren der Baugenehmigung empfiehlt (Nr. 7.1.1 und 7.2). Wird in einem Vorbescheidsverfahren über die prinzipielle Frage der Bebaubarkeit eines Grundstücks gestritten, so kann der Streitwert sogar noch höher anzusetzen sein; auszugehen ist dann von der mutmaßlichen Bodenwertsteigerung (BVerwG, Beschluss vom 24. April 1995 - BVerwG 4 B 76.95 - Buchholz 360 § 13 GKG Nr. 86). Im vorliegenden Verfahren geht es zwar nur um einen Bauvorbescheid für ein Wohnhaus. Gestritten wird jedoch zugleich über die Frage, ob das Grundstück der Klägerin überhaupt bebaubar ist. Das maßgebliche Interesse muss deshalb zumindest mit 20 000 DM angesetzt werden.
Ende der Entscheidung
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