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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 18.12.2007
Aktenzeichen: BVerwG 4 B 55.07
Rechtsgebiete: BauNVO


Vorschriften:

BauNVO § 1 Abs. 4
BauNVO § 15 Abs. 1 Satz 2
Ein Nachbar, dessen Grundstück nicht im Plangebiet liegt, hat grundsätzlich keinen von konkreten Beeinträchtigungen unabhängigen Anspruch auf Schutz vor gebietsfremden Nutzungen im angrenzenden Plangebiet.

Der Nachbarschutz eines außerhalb der Grenzen des Plangebiets belegenen Grundstückseigentümers bestimmt sich bundesrechtlich (nur) nach dem in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO enthaltenen Gebot der Rücksichtnahme.


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT

BESCHLUSS

BVerwG 4 B 55.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 18. Dezember 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und Dr. Bumke beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 11. Juli 2007 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe:

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die rechtsgrundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.

Das Berufungsgericht hat im Gegensatz zum Verwaltungsgericht einen Anspruch des Klägers auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Nutzung des Gebäudes auf dem benachbarten Grundstück der Beigeladenen zu 1 und 2 mangels Verletzung subjektiver Rechte verneint und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger, dessen Grundstück nicht im Geltungsbereich des Bebauungsplans liege, könne keinen Gebietserhaltungsanspruch geltend machen. Die Nutzung des im Plangebiet belegenen benachbarten Grundstücks der Beigeladenen zu 1 und 2 sei von den Festsetzungen des Bebauungsplans gedeckt. Das Grundstück werde von den Beigeladenen zu 1 und 2 zum Zwecke des Wohnens genutzt (UA S. 11). Dazu gehöre auch das Wohnen am Zweitwohnsitz. Ob die Überlassung des gesamten Hauses an Dritte zu Ferienzwecken von den Festsetzungen gedeckt sei, könne dahinstehen. Denn die Festsetzung der Art der Nutzung sei nur gegenüber Eigentümern von Grundstücken, die im Geltungsbereich des Bebauungsplans belegen seien, nachbarschützend (UA S. 11). Die nach § 1 Abs. 4 BauNVO als Feinsteuerung zulässige Festsetzung, wonach alle gemäß § 4 Abs. 3 BauNVO ausnahmsweise zulässigen Arten der Nutzungen bis auf die Nutzung als Ferienappartements ausgeschlossen seien, sei "weder gegenüber Eigentümern innerhalb noch erst recht solchen außerhalb des Plangebiets drittschützend" (UA S. 12). Nach Darstellung des Vertreters der Gemeinde diene diese Festsetzung allein Interessen der Allgemeinheit (UA S. 12). Ob eine solche Feinsteuerung nachbarschützend sei, sei dem Bebauungsplan "selbst" zu entnehmen (UA S. 13). Aus der Begründung des Bebauungsplans ergebe sich, dass die Zulassung von Ferienappartements allein aus objektiven städtebaulichen Gesichtspunkten erfolgt sei (UA S. 13). Der Gebietserhaltungsanspruch eines im Plangebiet belegenen Nachbarn werde auch dann nicht verletzt, wenn ein ganzes Haus und nicht lediglich einzelne Ferienappartements innerhalb eines Hauses genutzt würden. Die Festsetzung der Begrenzung der Zahl der Wohnungen sei eine Festsetzung des Maßes der baulichen Nutzung, die grundsätzlich keine nachbarschützende Wirkung entfalte. Die tatsächliche Nutzung verstoße auch nicht gegen das in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO enthaltene Gebot der Rücksichtnahme (UA S. 14). Auch im Fall einer - unterstellten - Unwirksamkeit des Bebauungsplans sei eine Verletzung des subjektiven Rücksichtnahmegebots i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB mangels unzumutbarer Beeinträchtigung nicht zu erkennen (UA S. 14).

Die Beschwerde hält die "Voraussetzungen und Grenzen des plangebietsüberschreitenden Nachbarschutzes hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung" für klärungsbedürftig und wirft die Frage auf, ob der Nachbarschutz "ausschließlich vom Willen des Plangebers" abhänge bzw. "allein der Begründung des Bebauungsplans zu entnehmen" sei. Zu klären sei, ob der Nachbarschutz "stattdessen ausschließlich von einer konkreten Rücksichtslosigkeit eines Vorhabens" abhänge, welche Rolle "die konkreten örtlichen Verhältnisse allgemein sowie im vorliegenden Verfahren" spielten und welche Bedeutung "in diesem Zusammenhang der Baugebietsgrenze selbst" zukomme. Klärungsbedürftig sei des Weiteren, "ob, unter welchen Voraussetzungen und in welchen Grenzen bei den sog. Feinsteuerungen der baulichen Nutzung nach § 1 Abs. 4 ff. BauNVO ein plangebietsüberschreitender Nachbarschutz anzuerkennen" sei. Vor dem "Hintergrund dieser generellen Klärungsbedürftigkeit ..." (sei) konkret im vorliegenden Fall klärungsbedürftig, "ob plangebietsüberschreitender Nachbarschutz aus der textlichen Festsetzung unter Ziffer 3.1. des Bebauungsplans ... herzuleiten" sei und "ob ein plangebietsüberschreitender Nachbarschutz von einem entsprechenden Willen des Plangebers abhängig sein kann".

Diese Fragen rechtfertigen - soweit sie nicht ungeachtet ihrer allgemein gehaltenen Umschreibung auf den konkreten Streitfall zielen - nicht die Zulassung der Revision.

In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass die Festsetzung von Baugebieten durch einen Bebauungsplan nachbarschützende Funktion zugunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet hat (Urteile vom 16. September 1993 - BVerwG 4 C 28.91 - BVerwGE 94, 151 und vom 23. August 1996 - BVerwG 4 C 13.94 - BVerwGE 101, 364; Beschluss vom 2. Februar 2000 - BVerwG 4 B 87.99 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 163). Ein Nachbar im Baugebiet soll sich auch dann gegen die Zulassung einer gebietswidrigen Nutzung wenden können, wenn er durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird. Dieser bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen (Urteil vom 11. Mai 1989 - BVerwG 4 C 1.88 - BVerwGE 82, 61, 75). Der Hauptanwendungsfall im Bauplanungsrecht für diesen Grundsatz sind die Festsetzungen eines Bebauungsplans über die Art der baulichen Nutzung. Durch sie werden die Planbetroffenen im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbunden. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten des eigenen Grundstücks wird dadurch ausgeglichen, dass auch die anderen Grundeigentümer diesen Beschränkungen unterworfen sind (Urteil vom 16. September 1993 - BVerwG 4 C 28.91 - BVerwGE 94, 151, 155). Im Rahmen dieses nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses soll daher jeder Planbetroffene im Baugebiet das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung verhindern können.

Daraus folgt - ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte -, dass ein gebietsübergeifender Schutz des Nachbarn vor (behaupteten) gebietsfremden Nutzungen im lediglich angrenzenden Plangebiet unabhängig von konkreten Beeinträchtigungen grundsätzlich nicht besteht. Denn wenn - wie im vorliegenden Fall - zwischen dem Grundstück der Beigeladenen zu 1 und 2 und dem Grundstück des Klägers nicht das für ein Plangebiet typische wechselseitige Verhältnis besteht, das die in einem Plangebiet zusammengefassten Grundstücke zu einer bau- und bodenrechtlichen Schicksalsgemeinschaft zusammenschließt, fehlt es an dem spezifischen bauplanungsrechtlichen Grund, auf dem der nachbarschützende - von konkreten Beeinträchtigungen unabhängige - Gebietserhaltungsanspruch als Abwehrrecht beruht. Der Nachbarschutz eines außerhalb der Grenzen des Plangebiets belegenen Grundstückseigentümers bestimmt sich bundesrechtlich (nur) nach dem in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO enthaltenen Gebot der Rücksichtnahme. In diesem Rahmen kommt es - wie auch das Berufungsgericht ausgeführt hat - auf die vom Kläger angesprochenen konkreten örtlichen Verhältnisse an. Der in diesem Zusammenhang erhobene Einwand, es sei nicht nachvollziehbar, "weshalb das Grundstück des Klägers ... nicht in das später festgesetzte Plangebiet einbezogen wurde", betrifft die Frage nach der Wirksamkeit des Bebauungsplans, die sich nicht als entscheidungserheblich erweist, weil das Berufungsgericht ergänzend die Unwirksamkeit des Bebauungsplans unterstellt und auch insoweit eine Verletzung subjektiver Rechte verneint hat. Diese Feststellungen hat der Kläger mit der Beschwerde nicht angegriffen.

Die Fragen des Klägers nach dem planübergreifenden Nachbarschutz von Festsetzungen zur Feinsteuerung stellen sich nicht. Zum einen ist das Berufungsgericht sowohl unter Berücksichtigung des Willens des Plangebers als auch mit Blick auf die Begründung des Bebauungsplans und damit hinsichtlich des Bebauungsplans "selbst" zu der Einschätzung gelangt, die Festsetzung zur Zulässigkeit von Ferienappartements vermittle keinen Drittschutz der Planbetroffenen. Angesichts dieser doppelten Begründung, die ihrerseits auf der Auslegung des Bebauungsplans beruht und damit irrevisibles Recht betrifft, erweisen sich die vom Kläger aufgeworfenen Fragen zur Ableitung des Drittschutzes bei Festsetzungen zur Feinsteuerung als nicht entscheidungserheblich. Zum anderen geht es bei der Abwehr einer Gliederung gemäß § 1 Abs. 4 BauNVO ebenfalls um die Frage der Gebietserhaltung, nämlich ob das Baugebiet bei einer Gesamtbetrachtung noch seinen planerischen Gebietscharakter bewahrt (Beschluss vom 22. Dezember 1989 - BVerwG 4 NB 32.89 - Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 8), so dass auch hier durchschlägt, dass das klägerische Grundstück nicht an den Wechselwirkungen der planbedingten Schicksalsgemeinschaft teilnimmt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.



Ende der Entscheidung

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