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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 24.08.1999
Aktenzeichen: BVerwG 4 B 58.99
Rechtsgebiete: VwVfG, FStrG 1974, BImSchG, 16. BImSchV


Vorschriften:

VwVfG § 75 Abs. 2 Satz 2
FStrG 1974 § 17 Abs. 6 Satz 2
BImSchG § 41
16. BImSchV
Leitsätze:

Überschreiten die Verkehrslärmimmissionen einer Bundesfernstraße, die vor Inkrafttreten des Zweiten Fernstraßenänderungsgesetzes am 7. Juli 1974 unanfechtbar planfestgestellt worden ist, die Grenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV), so besteht auch dann kein Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Lärmschutzmaßnahmen durch Planergänzung gemäß § 75 Abs. 2 Satz 2 (L)VwVfG (vormals § 17 Abs. 6 Satz 2 FStrG 1974), wenn eine zur Überschreitung der Grenzwerte führende Verkehrsentwicklung seinerzeit nicht vorhersehbar war (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung im Urteil vom 12. September 1980 - BVerwG 4 C 74.77 - BVerwGE 61, 1).

Beschluß des 4. Senats vom 24. August 1999 - BVerwG 4 B 58.99 -

I. VG Sigmaringen vom 19.06.1996 - Az.: VG 3 K 2239/94 - II. VGH Mannheim vom 23.03.1999 - Az.: VGH 5 S 3318/96 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

BVerwG 4 B 58.99 VGH 5 S 3318/96

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 24. August 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gaentzsch sowie die Richter Halama und Dr. Rojahn

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 23. März 1999 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 50 000 DM festgesetzt.

Gründe:

I. Die klagende Gemeinde begehrt nachträgliche aktive Schallschutzmaßnahmen an einer Bundesautobahn in ihrem Gemeindegebiet, die 1969 planfestgestellt und anschließend errichtet worden ist. Die Klage war in beiden Vorinstanzen erfolglos. Ein Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Schallschutzmaßnahmen an einer Bundesfernstraße, die aufgrund eines vor Inkrafttreten des Zweiten Fernstraßenänderungsgesetzes am 7. Juli 1974 ergangenen unanfechtbaren Planfeststellungsbeschlusses gebaut worden sei, bestehe, wie bereits vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 61, 1) entschieden sei, nicht. Mit der Beschwerde erstrebt die Klägerin die Zulassung der Revision.

II. Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.

Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Klägerin beimißt.

Einer Zulassung der Revision würde wohl nicht entgegenstehen, daß § 17 Abs. 6 Satz 2 FStrG in der Fassung des Zweiten Fernstraßenänderungsgesetzes vom 4. Juli 1974 (BGBl I S. 1401), an den die Beschwerde mit ihrer Fragestellung anknüpft, durch Art. 26 Nr. 2 des Dritten Rechtsbereinigungsgesetzes vom 28. Juni 1990 (BGBl I S. 1221) aufgehoben worden ist. Zwar verleihen Fragen, die außer Kraft getretenes Recht betreffen, einer Rechtssache in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung, da sie eine für die Zukunft richtungweisende Klärung nicht mehr erwarten lassen. Jedoch ist für eine abweichende Beurteilung Raum, wenn die außer Kraft getretene Vorschrift noch auf unabsehbare Zeit für einen unüberschaubaren Adressatenkreis von Bedeutung bleibt. Wäre davon auszugehen, daß § 17 Abs. 6 Satz 2 FStrG 1974 die nachträgliche Anordnung von Schutzeinrichtungen zur Abwehr nicht vorhersehbar eingetretener Wirkungen nicht von dem Zeitpunkt abhängig gemacht hat, zu dem der Planfeststellungsbeschluß unanfechtbar geworden ist, so könnte sich daraus die Folgerung ableiten lassen, daß die Möglichkeit einer Plan-ergänzung auch unter der Geltung der Nachfolgerregelung des § 75 Abs. 2 Satz 2 (L)VwVfG nicht entfallen ist.

Die Beschwerde zeigt indes keinen Klärungsbedarf auf. Sie räumt ein, daß der Senat die von ihr aufgeworfene Frage nach dem zeitlichen Anwendungsbereich des § 17 Abs. 6 Satz 2 FStrG 1974 bereits erörtert und abweichend von ihrer Auffassung entschieden hat. Im Urteil vom 12. September 1980 - BVerwG 4 C 74.77 - (BVerwGE 61, 1) hat er im einzelnen dargelegt, daß die in dieser Vorschrift enthaltenen Regelungen über die nachträgliche Anordnung von Schutzeinrichtungen zur Abwehr nicht vorhersehbar eingetretener Wirkungen auf die vor ihrem Inkrafttreten unanfechtbar gewordenen Planfeststellungsbeschlüsse keine Anwendung finden. Die Beschwerdebegründung bietet keine Anhaltspunkte dafür, daß diese Rechtsprechung der Korrektur oder der Fortentwicklung bedarf. Die von der Klägerin geübte Kritik läßt die Erwägungen unberührt, von denen das Urteil vom 12. September 1980 getragen wird.

Der Beschwerde ist einzuräumen, daß die Planergänzung auf der Grundlage des § 17 Abs. 6 Satz 2 FStrG 1974 nicht ohne weiteres mit einer allgemeinen Lärmsanierung gleichgesetzt werden kann. Die nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen kommt nur unter besonderen Voraussetzungen in Betracht. Eine mit vermehrten Immissionen verbundene Verkehrszunahme reicht, für sich genommen, nicht aus. § 17 Abs. 6 Satz 2 FStrG 1974 dient ebenso wie die Nachfolgervorschrift des § 75 Abs. 2 Satz 2 (L)VwVfG der Bewältigung atypischer Planungsfolgen. Er ist nur dann einschlägig, wenn Wirkungen eintreten, die im Zeitpunkt der Planungsentscheidung nicht vorhersehbar waren. Davon kann lediglich bei nachträglichen tatsächlichen Entwicklungen die Rede sein, mit denen die Beteiligten verständigerweise nicht zu rechnen brauchten (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juli 1988 - BVerwG 4 C 49.86 - BVerwGE 80, 7). Tragender Grund hierfür ist die Überlegung, daß die Betroffenen nicht schlechter dastehen sollen, als sie stünden, wenn im Zeitpunkt der Planfeststellung die eingetretene nachteilige Wirkung bereits vorhergesehen worden wäre.

Soweit der Senat im Urteil vom 12. September 1980 die Planergänzung im Rahmen des § 17 Abs. 6 Satz 2 FStrG 1974 als eine besondere Form der Lärmsanierung gekennzeichnet hat, der nach den Wertungen des Gesetzgebers enge Grenzen gezogen sind, handelt es sich um bloße Hilfserwägungen, die für die Entscheidung nicht von ausschlaggebender Bedeutung sind. Dies kommt in der Urteilsbegründung dadurch zum Ausdruck, daß die Regelungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes lediglich als Bestätigung für die schon aus anderen Gründen "gebotene Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 17 Abs. 6 Sätze 2 ff. FStrG 1974 auf 'neue' Planungen" gewertet werden. Entscheidungstragend sind die Erwägungen, die den Ausführungen zu den Wechselbeziehungen zwischen § 17 Abs. 6 FStrG 1974 und den §§ 41 ff. BImSchG vorausgehen. Der Senat macht in diesem Begründungsteil darauf aufmerksam, daß § 17 Abs. 6 Satz 2 FStrG in den früheren Fassungen des Bundesfernstraßengesetzes keine ihm entsprechende Vorgängerregelung hatte. Er stellt fest, daß sich diese Vorschrift auch bei einer Zusammenschau mit den übrigen Bestimmungen der Neufassung keine Rückwirkung beilegt. Schließlich hebt er unter Hinweis darauf, daß ein innerer Zusammenhang zwischen § 17 Abs. 6 Satz 2 FStrG 1974 und dem durch das Zweite Fernstraßenänderungsgesetz ebenfalls geänderten § 17 Abs. 4 FStrG 1974 besteht, mit Nachdruck hervor, daß der Gesetzgeber erst mit der Neufassung des Bundesfernstraßengesetzes einen einheitlichen rechtlichen Maßstab zur Beurteilung einerseits der vorhersehbaren und in der Planung zu berücksichtigenden Nachteile sowie andererseits der nicht vorhersehbaren und daher eine nachträgliche Ergänzung grundsätzlich rechtfertigenden Nachteile geschaffen hat.

Von dieser Auffassung abzuweichen, besteht kein Anlaß. Die Beschwerde macht zwar zutreffend geltend, daß § 17 Abs. 6 Satz 2 FStrG 1974 eine andere Auslegung zuläßt, sie zeigt jedoch keine Gesichtspunkte auf, die losgelöst von der nach ihrer Einschätzung im Urteil vom 12. September 1980 überbewerteten Lärmsanierungsproblematik ein gegenteiliges Verständnis nahelegen oder gar geboten erscheinen lassen.

Hinzu kommt, daß für eine Änderung der Rechtsprechung kein dringendes Bedürfnis ersichtlich ist. Der Ausschluß nachträglicher Lärmschutzanordnungen in Planungsfällen, die bereits vor dem Inkrafttreten des Zweiten Fernstraßenänderungsgesetzes abgewickelt worden sind, führt nicht zu unhaltbaren Zuständen. Nachteilig Betroffene sind nicht gänzlich schutzlos. Die Klägerin legt selbst dar, daß die für die Bundesstraßenverwaltung geltenden "Hinweise zum Lärmschutz und zur Erstattung von Aufwendungen für Lärmschutzmaßnahmen an bestehenden Bundesstraßen in der Baulast des Bundes" einen Anspruch auf Lärmsanierung begründen, wenn bestimmte Lärmpegel überschritten werden. Die "Hinweise" haben zwar lediglich den Charakter von Verwaltungsvorschriften, denen keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt. Bei ihrer Anwendung unterliegt die Verwaltung jedoch den Bindungen, die sich aus dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichbehandlung ergeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Februar 1995 - BVerwG 4 C 26.93 - BVerwGE 97, 367). Liegen die in den "Hinweisen" genannten Voraussetzungen vor, so darf eine Lärmsanierung nur aus Gründen abgelehnt werden, die einer Prüfung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG standhalten.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 14 Abs. 3 und § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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