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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 02.10.1998
Aktenzeichen: BVerwG 4 B 72.98
Rechtsgebiete: VwGO, BauGB, BGB


Vorschriften:

VwGO § 113 Abs. 1 Satz 4
BauGB § 14
BauGB § 15
BauGB § 34 Abs. 1
BGB § 839 Abs. 3
Leitsatz:

Erledigt sich der Verpflichtungsantrag auf Erteilung einer Bebauungsgenehmigung für ein nach § 34 BauGB zulässiges Vorhaben dadurch, daß die Gemeinde die Aufstellung eines Bebauungsplans beschließt und eine Veränderungssperre in Kraft setzt, so kann dem daraufhin gestellten Antrag, festzustellen, daß im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses ein Anspruch auf Erteilung der Bebauungsgenehmigung bestand (Fortsetzungsfeststellungsklage, § 113 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 Satz 4 VwGO), nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, der Antrag auf Erteilung der Bebauungsgenehmigung hätte abgelehnt oder zurückgestellt werden müssen, wenn die Gemeinde die dafür nach § 14 oder 15 BauGB erforderlichen Voraussetzungen rechtzeitig geschaffen hätte (Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens).

Beschluß des 4. Senats vom 2. Oktober 1998 - BVerwG 4 B 72.98 -

I. VG Münster vom 02.03.1995 - Az.: VG 2 K 1806/91 - II. OVG Münster vom 17.04.1998 - Az.: OVG 11 A 2553/95 -


BVerwG 4 B 72.98 OVG 11 A 2553/95

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 2. Oktober 1998 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gaentzsch und die Richter Halama und Dr. Rojahn

beschlossen:

Die Beschwerde der Beklagten und der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 17. April 1998 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte; die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 156 000 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob den Klägern auf ihren 1989 gestellten Antrag vor Inkrafttreten der Veränderungssperre der Beigeladenen im Jahr 1994 für den Bereich des Bebauungsplans Nr. 44 eine Bebauungsgenehmigung für einen Lebensmittelmarkt hätte erteilt werden müssen. Die Beklagte hatte den Vorbescheidsantrag der Kläger 1991 mit der Begründung abgelehnt, daß sich das Vorhaben nicht in die Eigenart der näheren Umgebung (§ 34 Abs. 1 BauGB) einfüge. Ihre daraufhin erhobene Verpflichtungsklage haben die Kläger nach Erlaß der Veränderungssperre als Fortsetzungsfeststellungsklage fortgeführt. Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben und festgestellt, daß die Ablehnung des Vorbescheides rechtswidrig gewesen sei und ein Anspruch der Kläger auf Erteilung der Bebauungsgenehmigung bestanden habe, weil sich das geplante Vorhaben in die Eigenart der näheren Umgebung eingefügt hätte. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen zurückgewiesen.

Die Beklagte und die Beigeladene wenden sich mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision.

II.

Die auf § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.

1. Der Rechtssache kommt nicht die grundsätzliche Bedeutung zu, die ihr die Beklagte und die Beigeladene beimessen. Der von ihnen in den Vorinstanzen erhobene und mit der Beschwerde wiederholte Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens führt nicht zu einer im Revisionsverfahren klärungsbedürftigen Rechtsfrage.

Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, daß die Kläger auch bei unterstellter bauplanungsrechtlicher Zulässigkeit (§ 34 Abs. 1 BauGB) des beabsichtigten Vorhabens keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Bebauungsgenehmigung gehabt hätten, da die Beigeladene mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln ihre Planungsvorstellungen rechtzeitig durchgesetzt, einen Aufstellungsbeschluß für einen Bebauungsplan gefaßt, eine Veränderungssperre beschlossen und bis zum Inkrafttreten der Veränderungssperre auch einen Zurückstellungsantrag gemäß § 15 Abs. 1 BauGB gestellt hätte. Die Beigeladene wäre so vorgegangen, wenn auch nur die geringsten Zweifel daran bestanden hätten, daß dem Vorhaben schon § 34 Abs. 1 BauGB entgegenstehe. Bei diesem Vorgehen wäre das Vorhaben planungsrechtlich nach Maßgabe der §§ 14, 15 BauGB unzulässig gewesen. Nach Ansicht des Berufungsgerichts sei der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens erst im Rahmen eines (hier bereits eingeleiteten) Amtshaftungs- und Entschädigungsprozesses zu überprüfen. Rechtsgrundsätzlich bedeutsam sei daher die Frage, ob dieser Einwand nicht auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Rahmen der Begründetheit der Fortsetzungfeststellungsklage und zwar bei der Überprüfung des öffentlich-rechtlichen Anspruchs auf Erteilung der beantragten Bebauungsgenehmigung berücksichtigt werden müsse.

Diese Rechtsfrage bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, weil sie sich anhand des Gesetzes und der hierzu ergangenen Rechtsprechung ohne weiteres beantworten läßt: Hat eine Bauaufsichtsbehörde die Erteilung einer Bebauungsgenehmigung auf der Grundlage von § 34 Abs. 1 BauGB zu Unrecht abgelehnt, kann sie dem Bauherrn, der die gerichtliche Feststellung begehrt, er werde dadurch in seinen Rechten verletzt, nicht anspruchsvernichtend entgegenhalten, bei richtiger Würdigung der Sach- und Rechtslage hätte die Gemeinde ihre Planungsvorstellungen nach Maßgabe der §§ 14, 15 BauGB gesichert.

Zwar hat der beschließende Senat bereits mehrfach entschieden, daß eine Gemeinde nicht gehindert ist, einen Bauantrag, der nach bestehender Rechtslage positiv beschieden werden muß, zum Anlaß zu nehmen, die Aufstellung eines Bebauungsplans zu beschließen, auf seiner Grundlage eine Zurückstellung des Baugesuchs zu beantragen, eine Veränderungssperre zu erlassen, den Bebauungsplan als Satzung zu beschließen und damit im Ergebnis die rechtlichen Voraussetzungen der Zulässigkeit des Vorhabens noch zu verändern (vgl. Beschlüsse vom 9. Februar 1989 BVerwG 4 B 236.88, vom 26. Juni 1992 BVerwG 4 NB 19.92 und vom 21. Dezember 1993 BVerwG 4 NB 40.93 Buchholz 406.11 § 14 BauGB Nrn. 13, 21 und 23 m.w.N.). Nutzt die Gemeinde den Zeitraum, der für eine ordnungsgemäße Bearbeitung der Bauvoranfrage ohnehin erforderlich ist, um das planerische Instrumentarium zur Sicherung ihrer Planungsabsichten einzusetzen, müßte der Antragsteller diese Verfahrensweise hinnehmen (vgl. auch BGH, Beschluß vom 23. Januar 1992 III ZR 191/90 NVwZ 1993, 299 <300>; Berkemann in: Berliner Kommentar zum BauGB, 2. Aufl. 1995, Rn. 181 zu § 18 BauGB m.w.N.). Das Baugesetzbuch eröffnet den Gemeinden jedoch nur die Möglichkeit, die Sicherungsmittel der Veränderungssperre und der Zurückstellung gezielt dazu einzusetzen, die rechtlichen Voraussetzungen der Zulässigkeit eines Vorhabens zu verändern. Solange eine Gemeinde die gesetzlich vorgesehenen Sicherungsmittel nicht nutzt, ist ein Vorbescheidsantrag (Baugenehmigungsantrag) für ein Vorhaben, das planungsrechtlich nach den §§ 34, 35 BauGB zulässig ist, positiv zu bescheiden, selbst wenn das Vorhaben den Planungsabsichten der Gemeinde zuwiderlaufen sollte. Die Gegenansicht der Beschwerdeführerinnen verkennt die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition des Grundeigentümers. Die Sicherungsmittel der §§ 14, 15 BauGB entfalten ihre Sperrwirkung erst dann, wenn sie von der Gemeinde tatsächlich ergriffen werden. Hat die Bauaufsichtsbehörde verkannt, daß ein Vorhaben planungsrechtlich zulässig ist, und einen Vorbescheidsantrag deshalb zu Unrecht abgelehnt, kann sie im verwaltungsgerichtlichen Streit um die Erteilung eines positiven Vorbescheids nicht mehr mit dem Einwand durchdringen, die Gemeinde hätte bei zutreffender Würdigung der Sach- und Rechtslage von den Sicherungsmitteln der §§ 14, 15 BauGB rechtzeitig Gebrauch gemacht.

Nichts anderes gilt, wenn die Gemeinde wie hier die Beigeladene im Verlauf des verwaltungsgerichtlichen Streits um den Anspruch auf Erteilung eines positiven Vorbescheids eine Veränderungsperre in Kraft setzt, die das umstrittene Bauvorhaben erfaßt, und das Verwaltungsgericht nach § 113 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 Satz 4 VwGO ausspricht, daß die Ablehnung der Bebauungsgenehmigung rechtswidrig und die Baugenehmigungsbehörde verpflichtet gewesen ist, dem Kläger (Bauherrn) vor Inkrafttreten der Veränderungssperre die beantragte Bebauungsgenehmigung zu erteilen. Erwächst diese Feststellung in Rechtskraft, ist sie für die Zivilgerichte in einem Amtshaftungs- und Entschädigungsprozeß bindend (vgl. BGH, Beschluß vom 28. September 1995 III ZR 202/94 NVwZ-RR 1996, 65; OLG Köln, Urteil vom 20. Oktober 1994 7 U 68/94 NWVBl 1995, 276 <278>; vgl. auch BGH, Urteil vom 8. Oktober 1992 III ZR 220/90 BGHZ 119, 365 <368>). Es ist sodann Aufgabe der Zivilgerichte, darüber zu entscheiden, unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens im Rahmen einer Schadensersatzklage wegen Amtspflichtverletzung zu berücksichtigen ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 24. Oktober 1985 IX ZR 91/84 BGHZ 96, 157 <170 ff.>; OLG Köln a.a.O. S. 277 f.). Entgegen der Beschwerde kann den vorgenannten Urteilen nicht entnommen werden, daß dieser Einwand schon im verwaltungsgerichtlichen Verfahren "im Rahmen der materiellen Rechtmäßigkeit bestand eine Verpflichtung zur Erteilung der Baugenehmigung? überprüft werden muß".

2. Die erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.

2.1 Die Beschwerdeführerinnen rügen die Verletzung rechtlichen Gehörs, weil das Berufungsurteil sich nicht mit ihrem Vorbringen auseinandergesetzt habe, der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens führe bereits zur Unbegründetheit der Fortsetzungsfeststellungsklage. Die Rüge bleibt erfolglos, weil sich aus dem Tatbestand des Berufungsurteils ergibt, daß das Berufungsgericht das hierauf bezogene Vorbringen der Beschwerdeführerinnen zur Kenntnis genommen und im Rahmen seiner Ausführungen zur Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage (UA S. 13) konkludent zurückgewiesen hat. Das Berufungsgericht war nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen der Beschwerdeführerinnen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist erst dann anzunehmen, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, daß tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist. Dafür fehlt hier jeglicher Anhaltspunkt.

2.2 Die Aufklärungsrügen (§ 86 Abs. 1 VwGO) genügen nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die ordnungsgemäße Darlegung eines Verfahrensmangels. Die Beschwerde legt nämlich nicht substantiiert dar, warum sich der Vorinstanz von ihrem Rechtsstandpunkt aus weitere Ermittlungen in die von der Beschwerde bezeichnete Richtung hätten aufdrängen müssen. Im übrigen läßt sich entgegen der Beschwerde dem Protokoll betreffend den vom Berufungsgericht am 19. Juli 1996 durchgeführten Ortstermin nicht die Feststellung entnehmen, "daß das streitbefangene Grundstück, Flurstück Nr. 42, von dem Gelände des Brennstoffhandels aus noch nicht einmal eingesehen werden kann". Aus einer solchen Feststellung lassen sich daher auch nicht Widersprüche in der vorinstanzlichen Sachverhaltswürdigung ableiten. Der mit der Beschwerde erhobene Vorwurf einer unzureichenden Würdigung der Verkehrsbedeutung der Gronauer Straße ist angesichts der eindeutigen Feststellungen auf S. 15 des Berufungsurteils nicht nachvollziehbar.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und 3, § 162 Abs. 3 und § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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