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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 24.02.2000
Aktenzeichen: BVerwG 4 C 12.98
Rechtsgebiete: BauNVO


Vorschriften:

BauNVO § 22
Leitsätze:

1. Ein Doppelhaus im Sinne des § 22 Abs. 2 BauNVO ist eine bauliche Anlage, die dadurch entsteht, daß zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken durch Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Einheit zusammengefügt werden.

2. Das Erfordernis der baulichen Einheit ist nur erfüllt, wenn die beiden Gebäude in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinander gebaut werden. Insoweit ist die planerische Festsetzung von Doppelhäusern in der offenen Bauweise nachbarschützend.

3. Kein Doppelhaus entsteht, wenn ein Gebäude gegen das andere so stark versetzt wird, daß es den Rahmen einer wechselseitigen Grenzbebauung überschreitet, den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus vermittelt und dadurch einen neuen Bodennutzungskonflikt auslöst.

Urteil des 4. Senats vom 24. Februar 2000 - BVerwG 4 C 12.98 -

I. VG Düsseldorf vom 09.12.1996 - Az.: VG 23 K 11601/93 - II. OVG Münster vom 04.06.1998 - Az.: OVG 10 A 1318/97 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 4 C 12.98 OVG 10 A 1318/97

Verkündet am 24. Februar 2000

Kurowski Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 24. Februar 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gaentzsch und die Richter Prof. Dr. Dr. Berkemann, Dr. Lemmel, Halama und Prof. Dr. Rojahn

für Recht erkannt:

Tenor:

Der Beschluß des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. Juni 1998 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 9. Dezember 1996 werden aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gesamten Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Rücknahme einer dem Kläger erteilten und von den Beigeladenen angegriffenen Baugenehmigung des Beklagten.

Die Beigeladenen sind Eigentümer eines Grundstücks in Goch-Kessel, auf dem sie ein 1971 genehmigtes zweigeschossiges, zur Straße hin traufenständiges, 9 m breites und 8 m tiefes Einfamilienhaus errichtet haben. Das Haus steht ohne seitlichen Grenzabstand unmittelbar an der Grenze zum südöstlichen Nachbargrundstück des Klägers, das zunächst unbebaut blieb.

Beide Grundstücke waren im Bebauungsplan Nr. 3 "Kessel" von 1969 als Dorfgebiet mit zweigeschossiger offener Bauweise ausgewiesen. Die überbaubare Grundstücksfläche wurde durch Baugrenzen festgelegt. Der Abstand zwischen der vorderen und der hinteren Baugrenze betrug 12 m. Die Baufenster auf den beiden Grundstücken reichten unmittelbar an die gemeinsame Grundstücksgrenze; das Baufenster auf dem Grundstück des Klägers war jedoch um 3 m nach Südwesten versetzt. Im Bebauungsplan Nr. 3/1 "Goch-Kessel" von 1983 wird für beide Grundstücke - bei im übrigen gleichbleibenden Festsetzungen - offene Bauweise mit der Maßgabe, daß nur Einzel- und Doppelhäuser zulässig sind, festgesetzt und der Abstand zwischen der vorderen und der hinteren Baugrenze auf 13 m erweitert.

Im Juli 1992 erteilte der Beklagte dem Kläger die Baugenehmigung für ein zweigeschossiges Zweifamilienhaus, das die zulässige Gebäudetiefe von 13 m ausschöpft und grenzständig zum Grundstück der Beigeladenen, um 3 m rückwärtig (gartenseitig) versetzt an das Wohnhaus der Beigeladenen angebaut werden soll. Danach ergibt sich für das Bauvorhaben des Klägers eine Anbautiefe von 5 m und ein rückwärtiger anbaufreier Gebäudeversprung von etwa 8 m an der gemeinsamen Grundstücksgrenze. Die Beigeladenen legten Widerspruch gegen die Baugenehmigung ein. Daraufhin nahm der Beklagte die Baugenehmigung mit Bescheid vom 9. März 1993 zurück.

Der vom Kläger nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren gegen den Rücknahmebescheid erhobenen Anfechtungsklage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beigeladenen mit Beschluß vom 4. Juni 1998 (BauR 1999, 478) zurückgewiesen, im wesentlichen mit folgender Begründung:

Der Rücknahmebescheid des Beklagten sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten, weil die ihm erteilte Baugenehmigung Rechte der Beigeladenen nicht (mehr) verletze. Das Bauvorhaben des Klägers stehe in Einklang mit der seit dem 1. Januar 1996 geltenden Neufassung der bauordnungsrechtlichen Abstandflächenregelung. Bauplanungsrechtlich sei das Vorhaben im Verhältnis zu den Beigeladenen ebenfalls rechtmäßig. Es bilde zusammen mit dem Grenzbau der Beigeladenen ein Doppelhaus, das nach § 22 Abs. 2 BauNVO in der festgesetzten offenen Bauweise zulässig sei. Doppelhäuser seien zwei aneinandergebaute und hierdurch zu einer Einheit zusammengefügte, im übrigen jedoch frei stehende Häuser. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt. § 22 BauNVO regele hingegen weder den Standort eines Hauses auf dem Grundstück oder seine allenfalls bauordnungsrechtlich relevante "Bauart" noch das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubare Grundstücksfläche oder etwa die gestalterische Ausbildung benachbarter Gebäude nach Höhe, Dachform, Firstverlauf oder sonstigen Gestaltungsaspekten. Eine Ähnlichkeit der Doppelhaushälften, die bei natürlicher Betrachtungsweise eine Bezogenheit der beiden Baukörper aufeinander erkennen lasse, sei nicht erforderlich. An seiner entgegenstehenden früheren Rechtsprechung halte das Berufungsgericht nicht fest. Im Hinblick auf den Regelungszweck von § 22 BauNVO, eine aufgelockerte Bauweise zu ermöglichen, möge es fraglich sein, ob zwei Gebäude ein Doppelhaus bildeten, wenn sie sich zwar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze noch berührten, sich in ihrer baulichen Ausformung jedoch so eklatant unterschieden wie etwa der "Anbau" eines sechsgeschossigen Wohngebäudes an ein eingeschossiges kleines Wohnhaus. Derart "extreme" Unterschiede in Grundfläche und Kubatur bestünden im Streitfall nicht. Insoweit sei der planungsrechtliche Begriff des Doppelhauses hier nicht abschließend zu klären. Das Vorhaben des Klägers sei im Verhältnis zum Wohnhaus der Beigeladenen auch nicht rücksichtslos.

Mit ihrer Revision machen die Beigeladenen im wesentlichen geltend: Der Rücknahmebescheid des Beklagten sei rechtmäßig. Das Berufungsgericht habe die Anfechtungsklage des Klägers daher abweisen müssen. Die ihm erteilte Baugenehmigung sei rechtswidrig und verletze sie in ihren Nachbarrechten. Das Berufungsgericht habe den Begriff des Doppelhauses in § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO verkannt. Begrifflich lege das Wort "Doppelhaus" die Verdoppelung eines Hauses nahe und signalisiere damit das Erfordernis eines hohen Maßes an Entsprechung der beiden Haushälften. Das folge aus dem herkömmlichen, städtebaugeschichtlichen Verständnis dieses Begriffs. Wegen seines 8 m tiefen rückwärtigen Gebäudeversprungs bilde das Bauvorhaben des Klägers mit dem Wohnhaus der Beigeladenen kein Doppelhaus. Schon deshalb sei es planungsrechtlich unzulässig. Im übrigen verletze das Bauvorhaben des Klägers auch das nachbarschützende Rücksichtnahmegebot des § 15 Abs. 1 BauNVO.

Die Beigeladenen beantragen,

den angefochtenen Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. Juni 1998 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Beklagte stellt keinen Antrag.

Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht trägt vor: Der planungsrechtliche Begriff des Doppelhauses besage nur, daß an ein etwa vorhandenes Gebäude angebaut werden müsse. Gegen eine versetzte Anordnung der Baukörper an der Grundstücksgrenze ergebe sich aus dem Doppelhaus-Begriff nichts. Soweit im Einzelfall stadtgestalterische Gründe gegen eine solche Anordnung sprächen, könne dies durch Regelungen zu den überbaubaren Grundstücksflächen und zum Maß der baulichen Nutzung gesteuert werden. Ausnahmsweise könne der Grundsatz der Rücksichtnahme eine extrem unterschiedliche Bebauung auf den angrenzenden Grundstücken verhindern. Auch das sei indes eine Frage des Einzelfalls.

II.

Die zulässige Revision ist begründet. Die Entscheidung des Berufungsgerichts verletzt § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO. Es legt den Begriff des Doppelhauses in dieser Vorschrift fehlerhaft aus. Das Bauvorhaben des Klägers ist nicht genehmigungsfähig, da es mit der im Bebauungsplan Nr. 3/1 getroffenen Festsetzung der offenen Bauweise, in der Einzel- und Doppelhäuser zulässig sind, nicht vereinbar ist. Das vom Kläger zur Genehmigung gestellte Gebäude bildet zusammen mit dem Wohnhaus der Beigeladenen kein Doppelhaus (1.). Die Rücknahmevoraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1, § 50 VwVfG sind erfüllt (2.). Das Berufungsgericht hätte daher das erstinstanzliche Urteil aufheben und die gegen den Rücknahmebescheid gerichtete Anfechtungsklage des Klägers abweisen müssen.

1. Nach § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO werden in der offenen Bauweise die Gebäude mit seitlichem Grenzabstand als Einzelhäuser, Doppelhäuser oder Hausgruppen errichtet. Ein Doppelhaus im Sinne dieser Vorschrift ist eine bauliche Anlage, die dadurch entsteht, daß zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken durch Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Einheit zusammengefügt werden (vgl. auch BVerwG, Beschluß vom 11. März 1991 - BVerwG 4 B 4.91 - Buchholz 406.12 § 22 BauNVO Nr. 2).

1.1 Im System der offenen Bauweise gewinnt der Begriff des Doppelhauses seine planungsrechtliche Bedeutung dadurch, daß die bauliche Anlage auf zwei Nachbargrundstücken errichtet wird. Die Festsetzung der offenen Bauweise betrifft allein die Anordnung der Gebäude auf einem Baugrundstück im Verhältnis zu den seitlichen Grenzen der Nachbargrundstücke. Doppelhäuser (und Hausgruppen), die auf verschiedenen Grundstücken errichtet werden, zeichnen sich gerade dadurch aus, daß sie gemeinsame Grundstücksgrenzen ohne seitlichen Grenzabstand überwinden. Sie erscheinen daher in der offenen Bauweise zunächst als systemwidrig. Bauplanungsrechtlich werfen sie die Frage auf, ob sie gleichwohl in der offenen Bauweise zulässig sein sollen. Diese Frage hat der Verordnungsgeber in § 22 Abs. 2 BauNVO bejaht. Darin liegt eine "Modifikation" der offenen Bauweise, die dem Begriff des Doppelhauses (und der Hausgruppe) eine eigenständige, das Abstandsgebot an der gemeinsamen Grundstücksgrenze überwindende Bedeutung verleiht (vgl. im Ergebnis ebenso OVG Rh.-Pf., NVwZ 1987, 145; NdsOVG, NVwZ-RR 1996, 489; HessVGH, Hessische Städte- und Gemeindezeitung 1999, 149).

1.2 Nach § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO werden in der offenen Bauweise "die Gebäude mit seitlichem Grenzabstand" als Einzelhäuser, Doppelhäuser oder Hausgruppen errichtet. Gebäude im Sinne dieser Vorschrift ist das Doppelhaus als bauliche Einheit; denn nur als Gesamtgebäude wird es "mit seitlichem Grenzabstand", d.h. mit einem Grenzabstand vor den äußeren Seitenwänden errichtet. Ein Doppelhaus entsteht deshalb nur dann, wenn zwei Gebäude derart zusammengebaut werden, daß sie einen Gesamtbaukörper bilden. Das bestätigt § 22 Abs. 2 Satz 2 BauNVO, der das Doppelhaus als "Hausform" bezeichnet (vgl. auch König, in: König/Roeser/Stock, BauNVO, 1. Aufl. 1999, Rn. 13, 16 zu § 22). Nicht erforderlich ist, daß die Doppelhaushälften gleichzeitig oder deckungsgleich (spiegelbildlich) errichtet werden. Das Erfordernis einer baulichen Einheit im Sinne eines Gesamtbaukörpers schließt auch nicht aus, daß die ein Doppelhaus bildenden Gebäude an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zueinander versetzt oder gestaffelt aneinandergebaut werden.

Kein Doppelhaus bilden zwei Gebäude, die sich zwar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze noch berühren, aber als zwei selbständige Baukörper erscheinen. Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, daß das Bauvorhaben des Klägers und das Wohnhaus der Beigeladenen nicht zwei derart verselbständigte, praktisch allseitig freistehende Baukörper sind. Die beiden Gebäude erscheinen ungeachtet ihrer straßenseitig um 3 m versetzten Anordnung und ihrer unterschiedlichen Gebäudetiefe noch als ein die gemeinsame Grundstücksgrenze überbrückender, einheitlicher Baukörper, da sie grenzständig über eine Seitenlänge von 5 m aneinandergebaut werden sollen. Damit allein ist jedoch der bauplanungsrechtliche Begriff des Doppelhauses noch nicht erfüllt.

1.3 Die bauplanungsrechtliche Festsetzung des Doppelhauses verlangt ferner, daß die beiden "Haushälften" in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinander gebaut werden. Insoweit enthält das Erfordernis einer baulichen Einheit nicht nur ein quantitatives, sondern auch ein qualitatives Element. Dies hat das Berufungsgericht nicht erkannt.

In dem System der offenen Bauweise, das durch seitliche Grenzabstände zu den benachbarten Grundstücken gekennzeichnet ist, ordnet sich ein aus zwei Gebäuden zusammengefügter Baukörper nur ein und kann somit als Doppelhaus gelten, wenn das Abstandsgebot an der gemeinsamen Grundstückgrenze auf der Grundlage der Gegenseitigkeit überwunden wird. Ein einseitiger Grenzanbau ist in der offenen Bauweise unzulässig. Die Zulässigkeit einer Bebauung als Doppelhaus setzt daher in Gebieten der offenen Bauweise den wechselseitigen Verzicht auf seitliche Grenzabstände an der gemeinsamen Grundstücksgrenze voraus. Dieser Verzicht bindet die benachbarten Grundeigentümer bauplanungsrechtlich in ein Verhältnis des gegenseitigen Interessenausgleichs ein: Ihre Baufreiheit wird zugleich erweitert und beschränkt. Durch die Möglichkeit des Grenzanbaus wird die bauliche Nutzbarkeit der (häufig schmalen) Grundstücke erhöht. Das wird durch den Verlust seitlicher Grenzabstände an der gemeinsamen Grenze, die Freiflächen schaffen und dem Wohnfrieden dienen, "erkauft". Diese enge Wechselbeziehung, die jeden Grundeigentümer zugleich begünstigt und belastet, ist Ausdruck einer planungsrechtlichen Konzeption. Sie ist aus städtebaulichen Gründen (Steuerung der Bebauungsdichte, Gestaltung des Orts- oder Stadtbildes) gewollt und begründet ein nachbarliches Austauschverhältnis, das nicht einseitig aufgehoben oder aus dem Gleichgewicht gebracht werden darf.

Damit wird nicht gefordert, daß die ein Doppelhaus bildenden Gebäude vollständig oder im wesentlichen deckungsgleich aneinandergebaut werden müssen. Die beiden "Haushälften" können auch zueinander versetzt oder gestaffelt an der Grenze errichtet werden, sie müssen jedoch zu einem wesentlichen Teil aneinandergebaut sein. Insoweit setzt die Doppelhaus-Festsetzung der Baufreiheit Schranken. In welchem Umfang die beiden Haushälften an der Grenze zusammengebaut sein müssen, läßt sich jedoch weder abstrakt-generell noch mathematisch-prozentual festlegen. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Kein Doppelhaus entsteht, wenn ein Gebäude gegen das andere an der gemeinsamen Grundstücksgrenze so stark versetzt wird, daß sein vorderer oder rückwärtiger Versprung den Rahmen einer wechselseitigen Grenzbebauung überschreitet, den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus vermittelt und dadurch einen neuen Bodennutzungskonflikt auslöst.

Nicht zu folgen ist dagegen der weitergehenden Ansicht der Revision, aus den "städtebaugeschichtlichen Wurzeln des Doppelhauses" folge, daß die Hälften eines Doppelhauses (oder die Elemente einer Hausgruppe) "in ihren städtebaulich relevanten Merkmalen - Überdeckung der Giebelflächen, Kubatur, Traufen, Dachform, Dachneigung und Firsthöhen, Grundfläche und Bautiefe - einander im wesentlichen entsprechen müßten". Ähnliche Auffassungen finden sich auch im Schrifttum (vgl. Boeddinghaus, BauR 1998, 15 ff.; ders., ZfBR 1998, 16 ff.; Grabe, BauR 1991, 530 ff.). Hierzu wird auf baurechtliche Vorschriften verwiesen, die aufgrund von Art. 4 § 3 des Preuß. Wohnungsbaugesetzes vom 28. März 1918 (Pr.GS S. 23) Doppelhäuser in der offenen Bauweise nur zuließen, "falls die Verdeckung aller Brandmauern sichergestellt wird" (§ 8 der BaupolizeiVO für den Regierungsbezirk Düsseldorf vom 1. April 1939), oder vorschrieben, daß Doppelhäuser (und Hausgruppen) u.a. nur zulässig seien, wenn sie "in ihrer äußeren Erscheinung, namentlich in Hauptgesimshöhe, Dachumriß, Baumassenverteilung und in ihrer Beziehung zur Umgebung übereinstimmten" (§ 8 Abs. 1 Satz 4 der BauO für die Hansestadt Köln vom 26. Januar 1929 i.d.F. vom 1. Dezember 1955). Aus diesen und vergleichbaren Vorschriften wird insbesondere abgeleitet, der Schutzzweck "Ver-hinderung freistehender Brandgiebel" sei eindeutig ein städtebaulicher Belang und als solcher § 22 BauNVO immanent (so Grabe, a.a.O., S. 534).

Diese historische Interpretation des Doppelhaus-Begriffs übersieht, daß die Baupolizeiverordnungen früheren Rechts rechtssystematisch nicht zwischen bauordnungs- und bauplanungsrechtlichen Zielsetzungen unterschieden. Die vorgenannten Vorschriften über die Vermeidung von Brandgiebeln und die einheitliche äußere Gestaltung von Doppelhäusern waren bauordnungsrechtlicher Natur: Sie dienten vor allem der Abwehr von Verunstaltungen und der positiven Baugestaltungspflege, wie sie heute in örtlichen Bauvorschriften als Satzung vorgeschrieben werden kann. Darunter fallen typischerweise Vorschriften über die Höhe und Breite von Gebäuden, die traufen- oder giebelständige Anordnung, First-, Sockel- und Traufhöhen, Farbe und Gliederung von Fassaden, der Drempel, Dächer und Dachaufbauten. Bauordnungsrechtliche Vorschriften dieser Art sind nicht geeignet, den bauplanungsrechtlichen Gehalt des "Doppelhauses" als eine der in der offenen Bauweise zulässigen Hausformen zu erfassen. In diesem städtebaulichen Regelungszusammenhang beurteilt sich die Frage, ob zwei an der gemeinsamen Grundstücksgrenze errichtete Gebäude (noch) ein Doppelhaus bilden, allein nach dem Merkmal des wechselseitigen Verzichts auf seitliche Grenzabstände, mit dem eine spezifisch bauplanerische Gestaltung des Orts- und Straßenbildes verfolgt wird.

1.4 Vor diesem rechtlichen Hintergrund und auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts kann der erkennende Senat entscheiden, daß das Bauvorhaben des Klägers mit dem vorhandenen Wohngebäude der Beigeladenen kein Doppelhaus im Sinne von § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO bildet. Das umstrittene Bauvorhaben hält den in der offenen Bauweise vorgeschriebenen seitlichen Grenzabstand zum Grundstück der Beigeladenen nicht ein. Der dem Kläger genehmigte Baukörper ist zwar über eine Länge von 5 m an das Wohnhaus der Beigeladenen angebaut, verspringt jedoch dahinter um weitere 8 m in den rückwärtigen Gartenbereich hinein. Dieser Versprung ist in diesem Ausmaß durch den die Doppelhaus-Festsetzung kennzeichnenden wechselseitigen Verzicht auf seitliche Grenzabstände an der gemeinsamen Grundstücksgrenze nicht mehr gedeckt. Er riegelt die Freifläche hinter dem Wohnhaus der Beigeladenen wandartig vom Grundstück des Klägers ab und vermittelt damit den Eindruck eines massiven einseitigen Grenzanbaus. Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, daß das Wohnhaus der Beigeladenen 4 m vor der rückwärtigen Baugrenze steht, während das Bauvorhaben des Klägers an die - inzwischen um 1 m nach hinten verschobene - rückwärtige Baugrenze heranreicht und damit die überbaubare Fläche voll ausschöpft. Bauherren, die, wie die Beigeladenen, in Ausnutzung einer Doppelhaus-Festsetzung einen Grenzbau errichten, ohne daß auf dem Nachbargrundstück ein Gebäude zeitgleich angebaut wird, können zwar nicht erwarten, daß die später errichtete Doppelhaushälfte die überbaubare Grundstücksfläche nur in demselben eingeschränkten Umfang wie die zuerst gebaute Haushälfte ausnutzt. Insoweit bleibt Raum für eine versetzte Anordnung der beiden Haushälften, auch über das hinaus, was der Bebauungsplan in Gestalt versetzter Baulinien oder -grenzen ohnehin an Staffelung mit sich bringt. Sie tragen - sozusagen als planerische Vorbelastung - das Risiko, daß die spätere Nachbarbebauung den planerisch eröffneten Freiraum stärker ausschöpft als sie selbst. Gleichwohl muß sich der spätere Bau an der Grenzstellung des früheren orientieren und in eine "harmonische Beziehung" zu diesem treten. Der frühere Grenzbau wirkt daher für den späteren als maßstabsbildende "Vorbelastung". Das kann im Einzelfall für den späteren Bau bedeuten, daß er die überbaubare Grundstücksfläche nicht voll ausschöpfen darf. So liegt es hier.

2. Die auf den Widerspruch der Beigeladenen hin erfolgte Rücknahme der dem Kläger erteilten Baugenehmigung ist gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1, § 50 VwVfG zu Recht erfolgt.

Der gegen die Baugenehmigung erhobene Widerspruch der Beigeladenen war zulässig und begründet; denn die angegriffene Baugenehmigung war rechtswidrig und verletzte die Beigeladenen in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Doppelhaus-Festsetzung in der offenen Bauweise gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO ist nachbarschützend. Der bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses: Weil und soweit der einzelne Eigentümer gemeinsam mit anderen - benachbarten - Eigentümern in der Ausnutzung seines Grundstücks öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er grundsätzlich deren Beachtung auch im Verhältnis zu den anderen Eigentümern verlangen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. August 1996 - BVerwG 4 C 13.94 - BVerwGE 101, 364 <375>; Urteil vom 16. September 1993 - BVerwG 4 C 28.91 - BVerwGE 94, 151 <155>; Urteil vom 11. Mai 1989 - BVerwG 4 C 1.88 - BVerwGE 82, 61 <74 f.>). Der wechselseitige Verzicht auf seitliche Grenzabstände an der gemeinsamen Grenze, der den Begriff des Doppelhauses in der offenen Bauweise prägt, begründet wie dargelegt ein derartiges nachbarliches Austauschverhältnis. Die Beigeladenen durften sich daher gegen das Bauvorhaben des Klägers mit dem Einwand zur Wehr setzen, dieses überschreite durch seinen rückwärtigen Versprung von 8 m den Rahmen des Verträglichen. Bei dieser Rechtslage ist für einen Rückgriff auf das in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO verankerte Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme, das die Revision und der Oberbundesanwalt ergänzend in Betracht ziehen, kein Raum (zum Anwendungsbereich von § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO vgl. im übrigen BVerwG, Urteil vom 16. März 1995 - BVerwG 4 C 3.94 - Buchholz 406.12 § 15 BauNVO Nr. 24 = ZfBR 1995, 212).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Beschluß

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 30 000 DM festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 1 GKG).

Ende der Entscheidung

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