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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 03.12.1998
Aktenzeichen: BVerwG 4 C 2.98
Rechtsgebiete: BauGB
Vorschriften:
BauGB § 34 Abs. 1 |
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
BVerwG 4 C 2.98 VGH 1 B 95.2014
Verkündet am 3. Dezember 1998
Kurowski Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 12. November 1998 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gaentzsch und die Richter Hien, Dr. Lemmel, Halama und Dr. Rojahn am 3. Dezember 1998
für Recht erkannt:
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Dezember 1997 wird wie folgt geändert:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 2. März 1995, soweit es nicht durch Rücknahme der Berufung rechtskräftig bzw. durch übereinstimmende Hauptsacheerledigungserklärung gegenstandslos geworden und das Verfahren einzustellen ist, in Ziffer II dahingehend geändert, daß der Beklagte verpflichtet wird, den Vorbescheidsantrag der Klägerin zur Nutzung der Hallen auf dem Grundstück FlNr. 1509/5 der Gemarkung Ebenhausen als Lagerhallen positiv zu bescheiden.
Im übrigen wird die Berufung der Klägerin und der Beigeladenen zu 1 zurückgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug tragen die Klägerin und die Beigeladene zu 3 je 85/200 und der Beklagte 30/200. Der Beklagte trägt außerdem 30/200 der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 3. Im übrigen tragen die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen die Klägerin und die Beigeladene zu 3 je 85/200 und der Beklagte und die Beigeladene zu 1 je 15/200.
Die Revision der Beigeladenen zu 1 wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen die Klägerin und die Beigeladene zu 3 je 3/8 und die Beigeladene zu 1 1/4.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt einen Bauvorbescheid für die gewerbliche Nutzung von Hallen, die von der Bundeswehr errichtet und bis zum Jahr 1987 zur Einlagerung von Sanitätsfahrzeugen genutzt wurden.
Die zwei (kleineren) südlichen Hallen liegen auf dem Gebiet der Gemeinde Baar-Ebenhausen (Beigeladene zu 1), die daran nördlich anschließenden drei (größeren) Hallen auf dem Gebiet des Marktes Manching (Beigeladener zu 2). Die Beigeladene zu 3 ist Eigentümerin der Grundstücke, auf denen die Hallen stehen.
Der Beklagte hat mit zwei Bescheiden jeweils vom 30. September 1993 den Antrag auf Vorbescheid zur Nutzungsänderung der Hallen abgelehnt, weil die Hallen im Außenbereich lägen und das Vorhaben öffentliche Belange beeinträchtige. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat das Verwaltungsgericht den Ablehnungsbescheid für die beiden südlichen Hallen aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, über den Vorbescheidsantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Die Klage hinsichtlich der drei nördlichen Hallen hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die zwei südlichen Hallen lägen innerhalb des im Zusammenhang bebauten Ortsteils, der die Hallen im Osten, Süden und Westen umgebe. Wegen der dort vorhandenen Sondermüll- und Shredderanlage füge sich die gewerbliche Nutzung in die Eigenart der Umgebung ein. Wegen noch offener bauordnungsrechtlicher Fragen könne jedoch nur ein Bescheidungsurteil ergehen. Die drei nördlichen Hallen lägen dagegen außerhalb des Bebauungszusammenhangs, da sie nicht von Bebauung umgeben seien, sondern sich fingerförmig in die freie Landschaft erstreckten. Die beantragte Nutzung widerspreche den Darstellungen des Flächennutzungsplans und lasse die Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten.
Mit Urteil vom 18. Dezember 1997 (BayVBl 1998, 466) hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung der Beigeladenen zu 1 zurückgewiesen und auf die Berufung der Klägerin den Beklagten verpflichtet, den Vorbescheidsantrag für sämtliche Hallen positiv zu bescheiden. Mit dem Verwaltungsgericht sei davon auszugehen, daß die beiden südlichen Hallen innerhalb des im Zusammenhang bebauten Ortsteils von Ebenhausen liegen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts seien auch die drei nördlichen Hallen Teil dieses Bebauungszusammenhangs. Alle fünf Hallen stellten nach dem Eindruck der Ortsbesichtigung eine tatsächlich aufeinanderfolgende und zusammenhängende Bebauung dar. Der im Zusammenhang bebaute Ortsteil könne sich auch über die Gemeindegrenze hinaus erstrecken, weil es insoweit nur auf die optisch wahrnehmbaren Umstände ankomme. Die frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts habe ausschließlich auf einer Wendung im damaligen Wortlaut des § 34 BBauG 1960 beruht, die bei der Baurechtsnovelle 1976 entfallen sei. Da die Klägerin den Vorbescheidsantrag im Berufungsverfahren auf die planungsrechtliche Zulässigkeit beschränkt habe, sei der Beklagte verpflichtet, den beantragten Bauvorbescheid zu erteilen.
Gegen dieses Urteil haben der Beklagte, die Beigeladene zu 1 und der Beigeladene zu 2 Revision eingelegt. Der Beklagte und der Beigeladene zu 2 greifen das Berufungsurteil hinsichtlich der drei nördlichen Hallen an, die Beigeladene zu 1 hinsichtlich der zwei südlichen Hallen. Die Revisionsführer rügen die Verletzung materiellen Rechts.
Der Oberbundesanwalt beteiligt sich am Verfahren. Er hält die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs für zutreffend, daß sich ein Ortsteil auch über die Gemeindegrenze hinaus erstrecken kann.
II.
1. Die Revision des Beklagten und des Beigeladenen zu 2 ist begründet. Die Auffassung des Berufungsgerichts, für die Bestimmung des im Zusammenhang bebauten Ortsteils sei auch eine Bebauung jenseits der Gemeindegrenze einzubeziehen, ist mit § 34 Abs. 1 BauGB nicht vereinbar.
Wie der Senat in dem Urteil ebenfalls vom 3. Dezember 1998 BVerwG 4 C 7.98 ausgeführt hat, umfaßt der Begriff der "im Zusammenhang bebauten Ortsteile" in § 34 Abs. 1 BauGB zwei Komponenten, zum einen den Bebauungszusammenhang und zum anderen den Ortsteil. Nur ein Bebauungszusammenhang, der auch Ortsteil ist, vermittelt ein Baurecht nach § 34 BauGB. Soweit es um den Bebauungszusammenhang geht, ist mit dem Berufungsgericht - auf die äußerlich wahrnehmbaren Verhältnisse abzustellen. Da das tatsächlich Vorhandene im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB den Maßstab für die Zulassung weiterer Bebauung darstellt, kommt es insoweit nur auf die äußerlich erkennbaren, also mit dem Auge wahrnehmbaren Gegebenheiten der vorhandenen Bebauung und der übrigen Geländeverhältnisse an (vgl. insbesondere Urteil vom 12. Dezember 1990 - BVerwG 4 C 40.87 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 138 = ZfBR 1991, 126). Im Gegensatz zu dem rein äußerlich und faktisch zu bestimmenden Bebauungszusammenhang hat der Begriff des Ortsteils insoweit eine rechtliche Komponente, als sich darin die Beziehung - auch - des in § 34 BauGB normierten Zulassungstatbestands zur Planungshoheit der Gemeinde ausdrückt (so auch Jäde in Jäde/Dirnberger/Weiß, BauGB, 1998, Rn. 26 zu § 34). Im Sinne einer Art "Planersatz" - oder im Fall eines einfachen Bebauungsplans einer "Planergänzung", vgl § 30 Abs. 3 BauGB - sind nach dieser Bestimmung Vorhaben zulässig, die sich in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen. Die Fortentwicklung der Bebauung nach dem "Planersatz" wird der Gemeinde gerade auch deshalb zugemutet, weil sie durch eigene aktive Bauleitplanung die Möglichkeit hat, die bauliche Entwicklung in eine andere Richtung zu steuern. Daraus folgt jedenfalls dem Grundsatz nach, daß der Gemeinde im Rahmen der "Ersatzplanung" nur das zuzurechnen ist, was sie durch sachgerechte eigene Planung auch abwenden könnte. Die Gemeinde hat aber - abgesehen von der Abstimmungspflicht bei benachbarter Bauleitplanung nach § 2 Abs. 2 BauGB - kaum eine Möglichkeit, das Heranrücken eines benachbarten bebauten Ortsteils an ihren Außenbereich planerisch zu verhindern. Die Möglichkeit, durch die Aufstellung eines Bebauungsplans nach § 30 BauGB ein Übergreifen der Bebauung zu verhindern, würde häufig rechtlich am Verbot der "Negativplanung" (vgl. z.B. Beschluß vom 18. Dezember 1990 - BVerwG 4 NB 8.90 - Buchholz 406.11 § 9 BauGB Nr. 47) und faktisch an möglichen Entschädigungsforderungen nach § 42 BauGB scheitern, wenn der Ortsteilsbegriff gemeindegebietsübergreifend zu verstehen wäre.
Der Bezug des Begriffs "Ortsteil" zur Planungshoheit der Gemeinde zeigt sich auch noch in anderem Zusammenhang. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist unter Ortsteil jeder Bebauungskomplex zu verstehen, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Mit diesen Anforderungen soll die Abgrenzung zur unerwünschten Splittersiedlung erreicht werden (vgl. bereits Urteil vom 6. November 1968 - BVerwG 4 C 31.66 - BVerwGE 31, 22). Für die Frage aber, ob ein Bebauungskomplex nach seinem Gewicht als Ortsteil oder als Splittersiedlung anzusehen ist, kommt es auf die Siedlungsstruktur der jeweiligen Gemeinde an (vgl. Urteil vom 17. Februar 1984 - BVerwG 4 C 56.79 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 211 = BRS 42 Nr. 80). Der Senat hat das in der genannten Entscheidung ebenfalls aus der Planungshoheit der Gemeinde für ihr Gebiet abgeleitet, die es verbiete, für die siedlungsstrukturelle Bewertung vorhandener Bebauung einen anderen räumlichen Bezugsrahmen zugrunde zu legen, als er für die Planungshoheit maßgebend ist.
Das Berufungsgericht weist zutreffend darauf hin, daß der Senat in seinem Urteil vom 26. Mai 1967 - BVerwG 4 C 25.66 - (BVerwGE 27, 137) die Gemeindegebietsbezogenheit eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils aus der damaligen Formulierung des § 34 Abs. 1 BBauG gefolgert hat ("In Gebieten, für die die Gemeinde noch nicht beschlossen hat, einen Bebauungsplan im Sinne des § 30 aufzustellen..."). Der Senat hat bereits darauf hingewiesen, daß wegen Wegfalls dieser Wendung in der jetzigen Fassung des § 34 Abs. 1 BauGB in einer abweichenden Auslegung der jetzigen Fassung keine Divergenz im Sinn von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegen "dürfte" (vgl. Beschluß vom 15. Mai 1997 - BVerwG 4 B 74.97 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 184). Der Senat mißt jedoch den unterschiedlichen Formulierungen des § 34 BBauG 1960 und der späteren Fassungen nicht die entscheidende Bedeutung für die Auslegung des Begriffs "Ortsteil" zu. Entscheidend ist vielmehr der Sinn der Bestimmung und ihr Verhältnis zur gemeindlichen Planungshoheit; insoweit ist der Regelungsgehalt der Bestimmung indes gleich geblieben. Im übrigen war für den Senat in der genannten Entscheidung vom 26. Mai 1967 der damalige Wortlaut nicht das allein ausschlaggebende Argument. Er hat vielmehr erwogen, ob aus der Einordnung des § 34 in den Dritten Teil des Gesetzes nicht bereits folge, daß ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil im Sinne des § 34 BBauG "nur innerhalb der Grenzen der jeweils mit Planungsbefugnissen ausgestatteten Gemeinde entstehen kann". Er hat diese Frage dann offengelassen, weil sich das Ergebnis "jedenfalls" aus der damaligen Formulierung der Bestimmung ergebe.
Es ist auch nicht erkennbar, daß der Gesetzgeber mit der Streichung der oben zitierten Formulierung im BBauG 1976 entgegen der bisherigen Rechtsprechung eine gemeindegrenzübergreifende Sicht des Begriffs "Ortsteil" hätte erreichen wollen. Zweck der Änderung war es vielmehr, der Gefahr einer unkontrollierten städtebaulichen Entwicklung innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zu begegnen (vgl. BTDrucks 7/2496 S. 48).
Können somit die drei nördlichen Hallen wegen der dazwischenliegenden Gemeindegrenze nicht dem Ortsteil von Ebenhausen zugerechnet werden, so liegen sie im Außenbereich des Beigeladenen zu 2; denn sie haben für sich gesehen nach der Anzahl und der Art der Baulichkeiten (vgl. hierzu Urteil vom 17. Februar 1984 - BVerwG 4 C 55.81 - Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 97) nicht das Gewicht, um ihrerseits einen Ortsteil zu bilden. Im Außenbereich ist das Vorhaben aber unzulässig, da es - wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat - den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht und die Verfestigung einer Splittersiedlung zu befürchten ist. Der Einwand der Klägerin, wegen der vorhandenen Bodenbefestigung sei die beabsichtigte Nutzung dem öffentlichen Interesse weniger abträglich als eine Nichtnutzung, nötigt nicht zur Zurückverweisung an den Verwaltungsgerichtshof. Nach § 35 Abs. 2 BauGB ist ein Vorhaben unzulässig, wenn es - wie hier - öffentliche Belange beeinträchtigt. Eine Saldierung oder Kompensation negativer Auswirkungen auf bestimmte öffentliche Belange gegen positive Auswirkungen auf andere gestattet § 35 BauGB nicht; dies ist der Planung vorbehalten (vgl. Urteil vom 16. Februar 1973 - BVerwG 4 C 61.70 BVerwGE 42, 8/14 ff. = Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 104).
2. Die Revision der Beigeladenen zu 1 ist unbegründet. Der Verwaltungsgerichtshof hat auf der Grundlage einer Ortsbesichtigung näher dargelegt, daß die die beiden südlichen Hallen auf drei Seiten umgebende Bebauung vom Umfang her das Gewicht eines Ortsteils hat, daß die beiden Hallen diesem Bebauungszusammenhang zuzurechnen sind und sich nach der Art der beabsichtigten Nutzung in die Eigenart der Umgebung einfügen. Diese auf einer Bewertung der konkreten Situation beruhende Feststellung ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Auch die Beigeladene zu 1 vermag nicht aufzuzeigen, daß die Einschätzung des Berufungsgerichts auf einem unzutreffenden rechtlichen Ansatz beruht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154, 159, 162 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 100 ZPO. Dabei geht der Senat davon aus, daß die beiden südlichen Hallen zusammen etwa so viel "wert" sind wie eine nördliche Halle. Daraus folgt, daß die Klägerin im Ergebnis nur zu einem Viertel erfolgreich ist.
Beschluß:
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 60 000 DM festgesetzt.
Ende der Entscheidung
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