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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 11.10.2007
Aktenzeichen: BVerwG 4 C 7.07
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 34 Abs. 3
Zentrale Versorgungsbereiche sind räumlich abgrenzbare Bereiche einer Gemeinde, denen auf Grund vorhandener Einzelhandelsnutzungen eine Versorgungsfunktion über den unmittelbaren Nahbereich hinaus zukommt. Sie können sich sowohl aus planerischen Festlegungen als auch aus den tatsächlichen Verhältnissen ergeben.

Ein Vorhaben lässt schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche einer Standortgemeinde jedenfalls dann erwarten, wenn es deren Funktionsfähigkeit so nachhaltig stört, dass sie ihren Versorgungsauftrag generell oder hinsichtlich einzelner Branchen nicht mehr substantiell wahrnehmen können.

Als Maßstab zur Feststellung schädlicher Auswirkungen darf der zu erwartende Kaufkraftabfluss herangezogen werden.

Es ist Aufgabe des Tatsachengerichts, die Methode zu bestimmen, anhand derer ein Kaufkraftabfluss prognostisch ermittelt wird, bzw. zu überprüfen, ob die von der Genehmigungsbehörde verwandte Methode zu beanstanden ist. Die Relation zwischen der Größe der Verkaufsfläche des Vorhabens und der Größe der Verkaufsfläche derselben Branche im betroffenen zentralen Versorgungsbereich ist eines von mehreren tauglichen Hilfsmitteln zur Quantifizierung eines erwarteten Kaufkraftabflusses.


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 4 C 7.07

Verkündet am 11. Oktober 2007

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 11. Oktober 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rojahn, Gatz, Dr. Jannasch und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Gründe:

I

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Erteilung einer Baugenehmigung in Anspruch.

Am 23. Dezember 1999 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Erteilung einer Baugenehmigung für die teilweise Änderung der Nutzung eines Möbelmitnahmemarktes in einen Elektrofachmarkt. Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 175 "Mannesmannstraße/Rheinische Bahn/Dortmunder Straße" der Stadt Witten, der für ein ca. 6,3 ha großes Areal der ehemaligen Mannesmann-Röhrenwerke zwei Sondergebiete mit der Zweckbestimmung "großflächige Einzelhandelsbetriebe" in einer Entfernung von 1 km zur Wittener Innenstadt festsetzt. Zulässig sind nach dem Bebauungsplan neben einem Möbelmarkt und einem Bau- und Heimwerkermarkt Fachmärkte mit maximal 3 000 m² Verkaufsfläche für nicht citytypische Sortimente. Der von der Klägerin zur Genehmigung gestellte Fachmarkt soll auf einer Verkaufsfläche von 2 256,41 m² Elektrogroß- und -kleingeräte, Rundfunkgeräte, Hifi-Anlagen, Fernseher, Tonträger, Videofilme und Computer im Angebot führen.

Mit Bescheid vom 3. Januar 2002 lehnte die Beklagte den Bauantrag ab, weil die vorgesehenen Sortimente citytypisch seien und das Bauvorhaben deshalb den Festsetzungen des Bebauungsplans widerspreche. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Das Oberverwaltungsgericht (Urteil vom 11. Dezember 2006 - OVG 7 A 964/05 - UPR 2007, 393) hat festgestellt, dass die Beklagte bis zum 19. Juli 2004 verpflichtet war, der Klägerin die beantragte Baugenehmigung zu erteilen. Den weitergehenden Antrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der Baugenehmigung hat es abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

Die Festsetzungen des Bebauungsplans stünden dem Bauvorhaben nicht entgegen. Da unklar bleibe, was unter nicht citytypischen Sortimenten zu verstehen sei, sei der Plan mangels hinreichender Bestimmtheit ungültig. Das somit nach § 34 BauGB zu beurteilende und nach dessen Absatz 1 oder 2 zulässige Vorhaben scheitere aber an Absatz 3 in der seit dem 20. Juli 2004 maßgeblichen Fassung, weil von ihm schädliche Auswirkungen auf die Innenstadt von Witten zu erwarten seien, die mit ihrem breit gefächerten Angebot von Waren für den lang-, mittel- und kurzfristigen Bedarf die Funktion eines zentralen Versorgungsbereichs wahrnehme.

Auswirkungen auf einen zentralen Versorgungsbereich seien schädlich, wenn sie dessen Funktionsfähigkeit beachtlich beeinträchtigten. Für den Fall, dass es um Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche der Standortgemeinde des betreffenden Vorhabens gehe, seien beachtliche Funktionsstörungen jedenfalls dann zu erwarten, wenn das Vorhaben außerhalb eines zentralen Versorgungsbereichs angesiedelt werden solle, sein Warenangebot gerade (auch) solche Sortimente umfasse, die zu den für die gegebene Versorgungsfunktion des betreffenden zentralen Versorgungsbereichs typischen Sortimenten gehörten, und das Vorhaben nach seiner konkreten Lage und Ausgestaltung erwarten lasse, dass die Funktionsfähigkeit des betroffenen zentralen Versorgungsbereichs insbesondere durch zu erwartende Kaufkraftabflüsse in beachtlichem Ausmaß beeinträchtigt und damit gestört werde. Dabei sei hinsichtlich des letztgenannten Kriteriums der beachtlichen Funktionsstörung nicht maßgeblich auf die Größenordnung prognostizierter Umsatzumverteilungen abzustellen; denn diese werde von Faktoren beeinflusst, die bodenrechtlich nicht relevant seien. Wie § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3, Satz 3 und 4 BauNVO beispielhaft zeige, sei primärer Maßstab für die Beurteilung der städtebaulichen Fernwirkung von Einzelhandelsbetrieben vielmehr die Verkaufsfläche. Im Rahmen des § 34 Abs. 3 BauGB komme es deshalb in erster Linie darauf an, welche Verkaufsfläche der jeweils in Rede stehende Betrieb im Vergleich zur gesamten Verkaufsfläche derselben Branche in dem zentralen Versorgungsbereich habe, auf den er einwirke. Freilich lasse sich kein genereller Prozentsatz feststellen, bei dessen Unterschreiten stets von nicht schädlichen Auswirkungen auszugehen sei und dessen Überschreiten stets die Annahme schädlicher Auswirkungen zur Folge habe. Welcher Prozentsatz im genannten Sinne beachtliche Funktionsstörungen erwarten lasse, hänge auch von verschiedenen weiteren objektiv feststellbaren Faktoren ab. Hierzu zähle namentlich der Abstand zwischen dem beabsichtigten Vorhaben und dem betroffenen zentralen Versorgungsbereich. Im Einzelnen könne auch die konkrete städtebauliche Situation des betroffenen Versorgungsbereichs von Belang sein, etwa wenn er wegen bereits bestehender Leerstände in besonderem Maße empfindlich gegenüber Kaufkraftabflüssen sei oder wenn der außerhalb des zentralen Versorgungsbereichs anzusiedelnde Einzelhandelsbetrieb gerade auf solche Sortimente abziele, die im zentralen Versorgungsbereich von einem "Magnetbetrieb" angeboten würden, dessen unbeeinträchtigter Fortbestand maßgebliche Bedeutung für die weitere Funktionsfähigkeit eben dieses zentralen Versorgungsbereichs habe.

Bei Anwendung dieser Kriterien seien schädliche Auswirkungen vorliegend zu erwarten. Das umstrittene Vorhaben solle außerhalb des zentralen Versorgungsbereichs der Innenstadt von Witten errichtet werden. Sein von der Klägerin vorgesehenes Sortiment umfasse gerade solche Warengruppen, die in diesem zentralen Versorgungsbereich der Innenstadt unstreitig in gewichtigem Umfang, nämlich von mehreren Einzelhandelsbetrieben mit insgesamt 3 000 m² Verkaufsfläche angeboten würden. Das Sortiment ziele damit gerade auf die Kundschaft ab, deren Versorgung der zentrale Versorgungsbereich der Innenstadt Witten diene. Die vorgesehene neue Verkaufsfläche betrage mit rund 2 250 m² immerhin 75 % der im Versorgungsbereich bereits vorhandenen Verkaufsfläche des Bereichs Elektro/Foto von gut 3 000 m². Diese gehörten zu dem auch von dem Gutachter der Klägerin als "Magnetbetrieb" bezeichneten Unternehmen S. sowie zu weiteren zwei Elektrofachhandelsgeschäften mit jeweils rund 400 m² Verkaufsfläche. Auch solle das Vorhaben mit einem angestrebten Umsatz von knapp 14 Mio. Euro immerhin rund 60 % des im Versorgungsbereich bereits getätigten Umsatzes von rund 23 Mio. Euro erzielen. Bei diesen Größenordnungen sei hier ohne Weiteres davon auszugehen, dass die Auswirkungen auf den zentralen Versorgungsbereich der Innenstadt Witten als beachtliche Funktionsstörungen und damit als schädliche Auswirkungen im Sinne von § 34 Abs. 3 BauGB zu qualifizieren seien. Dies gelte umso mehr, als das Vorhaben zwar außerhalb des zentralen Versorgungsbereichs der Innenstadt Witten angesiedelt werden solle, aber doch in so dichter Nähe zu diesem, dass es ersichtlich weitgehend auf die Kundschaft abziele, deren Versorgung der zentrale Versorgungsbereich diene.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin im Umfang ihrer Beschwer die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt.

II

Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil beruht nicht zu Lasten der Klägerin auf der Verletzung von Bundesrecht.

Streitentscheidende Norm ist § 34 Abs. 3 BauGB in der Fassung vom 20. Juli 2004. Danach dürfen von Vorhaben, die nach Absatz 1 oder 2 im unbeplanten Innenbereich zulässig sind, keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein. Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts scheitert das geplante Bauvorhaben der Klägerin an dieser Vorschrift, weil es schädliche Auswirkungen auf die Wittener Innenstadt in ihrer Funktion als zentraler Versorgungsbereich der Standortgemeinde erwarten lässt. Dies hält der revisionsgerichtlichen Kontrolle stand.

Nach zutreffender Ansicht der Vorinstanz sind zentrale Versorgungsbereiche räumlich abgrenzbare Bereiche einer Gemeinde, denen auf Grund vorhandener Einzelhandelsnutzungen - häufig ergänzt durch diverse Dienstleistungen und gastronomische Angebote - eine Versorgungsfunktion über den unmittelbaren Nahbereich hinaus zukommt. Innenstädte sind, wenn nicht stets, so doch in der Regel als Versorgungsbereiche zentral, weil sie nach Lage, Art und Zweckbestimmung nicht nur der Versorgung ihrer Bewohner dienen, sondern auf einen Kundenkreis aus einem größeren Einzugsbereich ausgerichtet sind. Für Innenstädte ist typisch, dass in ihnen ein breites Spektrum von Waren für den lang-, mittel- und kurzfristigen Bedarf angeboten wird. Nach den tatsächlichen Feststellungen im Berufungsurteil erfüllt die Innenstadt von Witten diese Merkmale. Im Wege der Bezugnahme auf ein Marktgutachten hat das Oberverwaltungsgericht ermittelt, dass der Stadtkern sich durch eine Branchenvielfalt auszeichnet, wie sie für die Zentren größerer Städte kennzeichnend ist, und eine gesamtstädtische, in gewissem Umfang auch auf das weitere Umland bezogene Versorgungsfunktion erfüllt (UA S. 31).

Die Vorinstanz hat den Umgriff des zentralen Versorgungsbereichs der Wittener Innenstadt mangels planungsrechtlicher Absicherung anhand der vorhandenen örtlichen Gegebenheiten bestimmt. Eine in jeder Hinsicht exakte Grenzziehung hat sie nicht vornehmen können, jedoch auch für entbehrlich gehalten, weil das in Aussicht genommene Baugrundstück, wie von § 34 Abs. 3 BauGB gefordert, in jedem Fall nicht mehr dem zentralen Versorgungsbereich der Innenstadt von Witten zuzuordnen sei (UA S. 32). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Zu Unrecht möchte die Klägerin den Anwendungsbereich des § 34 Abs. 3 BauGB auf die Fallgestaltung beschränkt wissen, dass der zentrale Versorgungsbereich als Ziel der Raumordnung in einem Raumordnungsplan festgelegt ist. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers können sich zentrale Versorgungsbereiche nicht nur aus planerischen Festschreibungen, sondern auch aus nachvollziehbar eindeutigen tatsächlichen Verhältnissen ergeben (BTDrucks 15/2250 S. 54). Im Einzelfall auftretende Schwierigkeiten, zentrale Versorgungsbereiche an ihren Rändern gleichsam parzellenscharf abzugrenzen, rechtfertigen nicht die Schlussfolgerung, dem Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit von Normen werde § 34 Abs. 3 BauGB nur dann gerecht, wenn sein Anwendungsbereich verfassungskonform auf die Fälle reduziert werde, in denen zentrale Versorgungsbereiche planerisch festgesetzt seien. Das im Rechtsstaatprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) begründete Gebot hinreichender Bestimmtheit von Gesetzen zwingt den Gesetzgeber nicht, den Tatbestand mit Maßstäben zu umschreiben, die so genau sind, dass es bei dessen Auslegung und Anwendung keine Zweifelsfragen gibt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Mai 1988 - 2 BvR 579/84 - BVerfGE 78, 205 <212>). Es genügt, dass die Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können. Hieran gemessen bedarf § 34 Abs. 3 BauGB nicht der Einschränkung, die die Klägerin für geboten hält. Ob und in welchen räumlichen Grenzen eine Agglomeration von Einzelhandelsbetrieben einen zentralen Versorgungsbereich darstellt, lässt sich anhand definierter Merkmale und objektiver Kriterien im Regelfall mit einem Maß an Gewissheit beurteilen, das eine dem Normzweck entsprechende Anwendung des § 34 Abs. 3 BauGB ermöglicht. Die Vorschrift wäre nur dann entsprechend der Forderung der Klägerin in ihrem Geltungsanspruch einzuschränken, wenn sie andernfalls so konturenlos bliebe, dass ihre willkürfreie Handhabung durch Behörden und Gerichte nicht gewährleistet wäre (vgl. Urteil vom 12. Juli 2006 - BVerwG 10 C 9.05 - BVerwGE 126, 222 Rn. 30). Davon kann keine Rede sein.

Schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche im Gebiet der Standortgemeinde sieht das Oberverwaltungsgericht voraus, wenn das Vorhaben außerhalb eines zentralen Versorgungsbereichs angesiedelt werden soll, sein Warenangebot gerade (auch) solche Sortimente umfasst, die zu den für die gegebene Versorgungsfunktion des betreffenden zentralen Versorgungsbereichs typischen Sortimenten gehören und das Vorhaben nach seiner konkreten Lage und Ausgestaltung erwarten lässt, dass die Funktionsfähigkeit des betroffenen zentralen Versorgungsbereichs insbesondere durch zu erwartende Kaufkraftabflüsse in beachtlichem Ausmaß beeinträchtigt und damit gestört wird (UA S. 34 f.). Mit dem Begriff der Funktionsstörung stellt die Vorinstanz einerseits klar, dass nach ihrer Auffassung der Schutz zentraler Versorgungsbereiche nicht erst im Falle eines bevorstehenden Funktionsverlustes einsetzt. Andererseits verlangt sie Folgen, die in ihrer Intensität über die "nicht nur unwesentlichen" Auswirkungen hinausgehen, von denen in § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 BauNVO die Rede ist, und setzt die Schwelle der Schädlichkeit höher an als diejenige der Geringfügigkeit, ab der im Falle der gemeindeübergreifenden Wirkung einer Planung eine interkommunale Abstimmung gemäß § 2 Abs. 2 BauGB als Ausprägung des "einfachen" Abwägungsgebots nach § 1 Abs. 7 BauGB geboten ist (vgl. Urteil vom 1. August 2002 - BVerwG 4 C 5.01 - BVerwGE 117, 25 <33>). Unter einer Funktionsstörung versteht sie mithin die Herbeiführung eines Zustandes der Unausgewogenheit, der zur Folge hat, dass der Versorgungsbereich seinen Versorgungsauftrag generell oder hinsichtlich einzelner Branchen nicht mehr in substantieller Weise wahrnehmen kann.

Der Senat pflichtet dem Oberverwaltungsgericht darin bei, dass Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche nicht erst dann schädlich sind, wenn sie die Schwelle zur Unzumutbarkeit überschreiten, die im Anwendungsbereich des interkommunalen Abstimmungsgebots der Planungsbefugnis der Gemeinde eine äußerste, nicht überwindbare Schranke setzt. Im rechtswissenschaftlichen Sinn ist jeder Nachteil für ein Rechtsgut und nicht erst dessen Verlust ein Schaden. Auch der Gesetzgeber will die Schädlichkeitsschwelle nicht mit der Schwelle der Unzumutbarkeit gleichgesetzt wissen. In der Gesetzesbegründung gibt er als Ziel des § 34 Abs. 3 BauGB die Vermeidung städtebaulich "nachhaltiger" Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche aus (BTDrucks 15/2250 S. 54). Schließlich kann § 34 Abs. 3 BauGB seinen Anspruch, zentrale Versorgungsbereiche vor den unerwünschten Fernwirkungen zu schützen, die insbesondere von großflächigen Einzelhandelsbetrieben ausgehen, adäquat nur erfüllen, wenn er den Schutz graduell vor der Stufe der Abwägungsresistenz einsetzen lässt; denn diese wird nach der bisherigen Erfahrung lediglich in Extremfällen erreicht (vgl. Uechtritz, DVBl 2006, 799 <809>). Ob die Schädlichkeitsgrenze niedriger liegt, als das Oberverwaltungsgericht angenommen hat, braucht aus Anlass des vorliegenden Falls nicht entschieden zu werden.

Die Fragestellung, ob die Schädlichkeitsschwelle des § 34 Abs. 3 BauGB erreicht wird, zwingt den Rechtsanwender dazu, ökonomische Zusammenhänge zu ermitteln und im Hinblick auf ihre städtebauliche Relevanz zu bewerten. Das Oberverwaltungsgericht benennt die zu erwartenden Kaufkraftabflüsse als Kriterium dafür, ob die ökonomischen Fernwirkungen eines Vorhabens die Funktionsfähigkeit eines zentralen Versorgungsbereichs stören können. Dieses Kriterium stellt eine bekannte Größe in Rechtsprechung und Schrifttum zu § 2 Abs. 2 BauGB und § 11 Abs. 3 BauNVO dar und wird weitgehend gebilligt. Auch der Senat hat es in seinem Urteil zum Einkaufszentrum Mülheim-Kärlich vom 17. September 2003 - BVerwG 4 C 14.01 - (BVerwGE 119, 25 <33>) herangezogen, um die Gefährdung innenstadtnaher Einzelhandelsbetriebe durch die Fernwirkungen eines großflächigen Einkaufszentrums zu umschreiben.

In Abgrenzung zu der Praxis, den zu erwartenden Kaufkraftabfluss mit Hilfe gutachterlich prognostizierter Umsatzumverteilungen zu ermitteln, stellt das Oberverwaltungsgericht den Rechtssatz auf, die voraussichtlichen Umsatzumverteilungen seien als solche kein maßgebliches Kriterium für die mit dem Begriff der schädlichen Auswirkungen erfassten Funktionsstörungen (UA S. 35). Auch bei § 34 Abs. 3 BauGB sei - nicht anders als sonst im Baurecht - primär auf baurechtlich relevante und vom Baurecht erfasste Vorhabenmerkmale abzustellen. Die konkreten Umsatzumverteilungen hingen von verschiedenen, baurechtlich nicht beeinflussbaren Faktoren der individuellen Betriebsgestaltung und ihren Auswirkungen auf ein wiederum durch individuelle Besonderheiten anderer Betriebe geprägtes Marktgeschehen ab. Faktoren wie die Preisgestaltung, die Attraktivität des Warenangebots oder das - mehr oder weniger aggressive - Werbeverhalten seien bei der bauplanungsrechtlichen Beurteilung der Zulassungsfähigkeit von Vorhaben irrelevant. Eine Baugenehmigung werde nicht für einen konkreten Betreiber des Vorhabens erteilt, sondern für einen abstrakt umschriebenen Betrieb. Mit der Baugenehmigung könne nicht die betreiberunabhängige Produktivität des jeweiligen Vorhabens gesteuert werden. Wie fragwürdig der gleichwohl unternommene Versuch sei, objektive Aussagen über voraussichtliche Umsatzumverteilungen zu machen, zeige die im vorliegenden Verfahren von der Klägerin in Auftrag gegebene Untersuchung. Diese gehe davon aus, dass der anzusiedelnde Elektrofachmarkt bei einem besonders flächenproduktiven Betreiber einen Umsatz in einer Größenordnung um 13 bis 14 Mio. Euro erwarten lasse und im zentralen Versorgungsbereich der Innenstadt Witten und weiteren sechs zentralen Versorgungsbereichen im Umland Umsatzrückgänge in Höhe von 3 Mio. Euro auslöse. Die Frage, wie die für das Vorhaben erwarteten weiteren 10 Mio. Euro Umsatz erzielt würden, werde nicht beantwortet.

Das Oberverwaltungsgericht verfolgt im Anwendungsbereich des § 34 Abs. 3 BauGB erkennbar das Ziel, aus grundsätzlichen Erwägungen, deren Berechtigung sie durch das in das Verfahren eingeführte Marktgutachten der Klägerin bestätigt sieht, die Möglichkeit des Rückgriffs auf Prognosen der Umsatzumverteilung aus Rechtsgründen auszuschließen. Dem ist zu widersprechen.

Unklar bleibt nach dem Berufungsurteil bereits, worin sich ein zu erwartender vorhabenbedingter Kaufkraftabfluss von einer durch das Vorhaben ausgelösten prognostizierten Umsatzumverteilung unterscheidet. Die erwartete Umsatzumverteilung soll die Größenordnung markieren, in der der Kundenstrom vom zentralen Versorgungsbereich zum neuen (großflächigen) Einzelhandelsbetrieb umgelenkt wird. Dann aber sind Umsatzumverteilungen lediglich eine andere Bezeichnung für Kaufkraftabflüsse. Beide Begriffe sind geeignet, die städtebaulich relevanten schädlichen Auswirkungen eines Vorhabens auf zentrale Versorgungsbereiche im Rahmen des § 34 Abs. 3 BauGB zu konkretisieren. Beide Begriffe verweisen auf ökonomische Zusammenhänge, die auf ihre städtebauliche Relevanz zu prüfen sind. Der Gegensatz von Kaufkraftabflüssen, die auch das Oberverwaltungsgericht als städtebaulich bedeutsam ansieht, und Umsatzumverteilungen, die städtebaulich irrelevant sein sollen, ist nicht plausibel dargestellt.

Von der Frage der Geeignetheit der Kriterien "Kaufkraftabfluss", "Umsatzumverteilungen", "Verlagerung von Kundenströmen" zu unterscheiden ist die Frage, in welcher Detailschärfe und mit welchen Mitteln die maßgeblichen ökonomischen Zusammenhänge aufzuklären sind. Gegenstand der im Anwendungsbereich des § 34 Abs. 3 BauGB anzustellenden Prognose ("... zu erwarten sein") ist das zur Genehmigung gestellte Vorhaben. Dem Oberverwaltungsgericht ist darin zu folgen, dass Preisgestaltung, Werbemethoden, Schaufensterdekoration, Sachkunde und Freundlichkeit des Personals nicht zum Prüfprogramm der Genehmigungsbehörde gehören. Die Prognose schädlicher Auswirkungen kann im Wesentlichen nur auf den baurechtlich relevanten Angaben in den Bauvorlagen und einer mitgelieferten Sortimentsbeschreibung aufbauen.

Das Oberverwaltungsgericht stellt nicht in Abrede, dass es branchenspezifische Erfahrungswerte für die übliche Flächenproduktivität des Elektrofachhandels gibt. Dabei mag es Bandbreiten geben, die eine deutlich höhere Flächenproduktivität einschließen. Der Baugenehmigungsbehörde bleibt es unbenommen, derartige Bandbreiten in die städtebauliche Beurteilung des Vorhabens einzubeziehen. Auf diese Weise kann sie den Unsicherheiten einer Prognose entgegenwirken. Das Landesentwicklungsprogramm Bayern (Verordnung vom 16. Juli 2002, BayGVBl 2002, 341) greift z.B. auf numerisch präzise Quoten der Kaufkraftabschöpfung zur Steuerung des großflächigen Einzelhandels zurück. Es legt fest, wieviel Prozent der sortimentsspezifischen Kaufkraft im jeweiligen Verflechtungsbereich des innerstädtischen Einzelhandels durch ein neues Einzelhandelsprojekt abgeschöpft werden darf, nämlich je nach Größe des Verflechtungsbereichs und je nach Sortiment zwischen 10 und 30 %. Der nordrhein-westfälische Einführungserlass zum EAG Bau vom 30. Januar 2005 (MinBl. S. 342 <345>) nennt als Anhaltspunkt für die Existenz schädlicher Auswirkungen im Sinne von § 34 Abs. 3 BauGB u.a. die Unvertretbarkeit der zu erwartenden Kaufkraftabschöpfung in betroffenen zentralen Versorgungsbereichen, ohne sich allerdings auf Zahlen festzulegen. Allein der Umstand, dass die Beurteilung wirtschaftlicher Zusammenhänge dem Rechtsanwender im Rahmen des § 34 Abs. 3 BauGB schwerfallen mag, und die Erfahrung, dass Vorhabenbetreiber in einzelnen Fällen unplausible Marktgutachten vorlegen, erlauben nicht die Schlussfolgerung, die voraussichtlichen Umsatzumverteilungen seien kein maßgebliches Kriterium für die mit dem Begriff der schädlichen Auswirkungen erfassten Funktionsstörungen. Somit verbietet sich die Annahme, Marktgutachten seien von vornherein und generell ungeeignet, um auf der Ebene der Vorhabenzulassung oder in einem Gerichtsverfahren aufzuklären, ob schädliche Auswirkungen zu erwarten sind.

Gleichwohl folgt daraus kein revisionsgerichtlich beachtlicher Fehler des angefochtenen Urteils. Denn es ist grundsätzlich Aufgabe des Tatsachengerichts, die Methode zu bestimmen, anhand derer ein voraussichtlicher Kaufkraftabfluss prognostisch ermittelt wird, bzw. zu überprüfen, ob die von der Genehmigungsbehörde verwandte Methode zu beanstanden ist. Entwickelt das Gericht andere Kriterien, als sie in der Praxis gängige Verwendung finden, ist das revisionsrechtlich hinzunehmen, wenn die Wahl der Kriterien nicht von einem Rechtsirrtum infiziert ist, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt oder sonst zu einer schlechthin ungeeigneten Ermittlungsmethode führt. Das ist hier nicht der Fall.

Die Frage, ob ein Einzelhandelsvorhaben schädliche Auswirkungen auf einen zentralen Versorgungsbereich erwarten lässt, beantwortet das Oberverwaltungsgericht mit Hilfe des Vergleichs zwischen der Größe der Verkaufsfläche des Vorhabens und der Größe der Verkaufsfläche derselben Branche im betroffenen zentralen Versorgungsbereich. Hiergegen ist im Grundsatz nichts zu erinnern. Wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 27. April 1990 - BVerwG 4 C 36.87 - BRS 50 Nr. 68), trägt die Größe der Verkaufsfläche zur Kapazität, Wettbewerbskraft und Attraktivität eines Handelsbetriebes bei und beeinflusst von daher die geordnete städtebauliche Entwicklung. Von der städtebaulichen Erheblichkeit geht auch die Baunutzungsverordnung aus, selbst wenn sie den Begriff der Verkaufsfläche nicht ausdrücklich erwähnt. So beantwortet sich etwa die Frage, ob ein Betrieb im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 3 BauNVO großflächig ist, nach dem Umfang seiner Verkaufsfläche (Urteil vom 24. November 2005 - BVerwG 4 C 10.04 - BVerwGE 124, 364 <367>). Die Vermutungsregel in § 11 Abs. 3 und 4 BauNVO hat ebenfalls die Größe der Verkaufsfläche im Auge. Deren Systematik liegt nämlich die Annahme des Verordnungsgebers zugrunde, dass - jedenfalls nach den bei der Festlegung der Vermutungsgrenze von 1 200 m² Geschossfläche maßgeblichen Erfahrungen - eine solche Geschossfläche ungefähr einer Verkaufsfläche von 800 m² entsprach (vgl. Beschluss vom 22. Juli 2004 - BVerwG 4 B 29.04 - BRS 67 Nr. 76). Auch der bereits erwähnte nordrhein-westfälische Einführungserlass zum EAG Bau führt die Unverhältnismäßigkeit der geplanten Verkaufsflächen im Vergleich zu den Verkaufsflächen im zentralen Versorgungsbereich als Gesichtspunkt auf, der einen Anhalt für das Vorliegen schädlicher Auswirkungen im Sinne des § 34 Abs. 3 BauGB liefern kann.

Dem Oberverwaltungsgericht ist darin beizupflichten, dass sich für den Verkaufsflächenvergleich feste Prozentsätze nicht angeben lassen, bei dessen Unterschreiten stets von unschädlichen und bei dessen Überschreiten immer von schädlichen Auswirkungen auszugehen ist. Die Vorinstanz zählt selbst eine Reihe weiterer Faktoren auf, von denen es abhängt, welcher Prozentsatz beachtliche Funktionsstörungen erwarten lässt, namentlich den Abstand zwischen dem betrachteten Vorhaben und dem betroffenen zentralen Versorgungsbereich, die Konstellation der "Vorschädigung" des zentralen Versorgungsbereichs oder die Gefährdung eines im zentralen Versorgungsbereich vorhandenen "Magnetbetriebs", der maßgebliche Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des betroffenen zentralen Versorgungsbereichs hat.

Die vom Oberverwaltungsgericht beispielhaft genannten zusätzlichen Differenzierungsmerkmale machen deutlich, dass das Kriterium des Verkaufsflächenvergleichs nicht überbewertet werden darf. Ihm ist nicht eine Art Anwendungsvorrang einzuräumen. Die Relation der Verkaufsflächen ist vielmehr nur eines von mehreren Hilfsmitteln, anhand derer sich schädliche Auswirkungen ermitteln lassen. Die Klägerin macht geltend, beim Verkaufsflächenvergleich bleibe unberücksichtigt, dass in der Innenstadt Erlebniseinkauf und Serviceorientierung im Vordergrund stünden, während bei dezentralen Fachmarktstandorten der Preis und die Angebotsvielfalt auf großer Fläche wie z.B. bei Baumärkten oder Möbelhäusern die entscheidende Größe sei. Sie wendet ferner ein, dezentrale Fachmarktstandorte konkurrierten erfahrungsgemäß (auch) mit systemgleichen dezentralen Anbietern an nicht integrierten Standorten. Ein Großteil der Kunden sehe also nicht die Innenstadt oder einen dezentralen Fachmarktstandort als in Betracht zu ziehende Alternativen an, sondern wähle zwischen mehreren Fachmarktstandorten. Das mag zutreffen und je nach Fallgestaltung Anlass zu weiterer Aufklärung sein. Auch liegt auf der Hand, dass die Aussagekraft des vom Oberverwaltungsgericht favorisierten Verkaufsflächenvergleichs bei zunehmender Entfernung zwischen dem Vorhaben und dem betroffenen Zentrum und bei weniger eindeutigen Relationen in Bezug auf die geplanten und die bereits vorhandenen Verkaufsflächen nachlässt. In derartigen Konstellationen wird regelmäßig der Rückgriff auf ein (ergänzendes) Marktgutachten zur Ermittlung von Kaufkraftabflüssen notwendig sein.

Vorliegend sind die Feststellungen im Berufungsurteil allerdings hinreichend aussagekräftig und tragen auch ohne sachverständige Bestätigung den Befund, dass das Vorhaben der Klägerin schädliche Auswirkungen im Sinne des § 34 Abs. 3 BauGB auf den zentralen Versorgungsbereich der Innenstadt Witten erwarten lässt. Die vorgesehene neue Verkaufsfläche beträgt mit rund 2 250 m² etwa 75 % der in der Innenstadt bereits vorhandenen Gesamt-Verkaufsfläche des Bereichs Elektro/Foto von gut 3 000 m². Das Oberverwaltungsgericht folgert ferner aus der "so dichten Nähe" des geplanten dezentralen Standorts zur Innenstadt, dass es mit seinem Sortiment gerade auf die Kundschaft dieses zentralen Versorgungsbereichs abzielt, deren Kaufkraft "nicht beliebig vermehrbar ist" (UA S. 37 f.). Es betont auch, dass der in der Innenstadt bereits ansässige, etwa gleich große Betrieb S. für den zentralen Versorgungsbereich die Funktion eines "Magnetbetriebs" hat. Schließlich stellt es darauf ab, dass das Vorhaben der Klägerin mit dem angestrebten Umsatz von knapp 14 Mio. Euro immerhin rund 60 % des in der Innenstadt bereits erwirtschafteten Umsatzes von 23 Mio. Euro erzielen soll (UA S. 41). Angesichts dieser Größenordnungen ist seine Schlussfolgerung, dass das Vorhaben an § 34 Abs. 3 BauGB scheitern müsse, gerechtfertigt. Mit einem Verfahrensfehler ist sie entgegen der Ansicht der Klägerin nicht behaftet; denn das Oberverwaltungsgericht hat den Beweisantrag, zu der Tatsache, dass von dem streitgegenständlichen Vorhaben keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche zu erwarten sind, ein Sachverständigengutachten einzuholen, zu Recht mit der Begründung abgelehnt, der Antrag sei nicht auf die Ermittlung von Tatsachen gerichtet, sondern auf die vom Gericht vorzunehmende rechtliche Beurteilung, ob ein bestimmter Sachverhalt die Merkmale der Rechtsbegriffe "schädliche Auswirkungen" und "zu erwarten" erfülle.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 250 000 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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