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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 31.08.2000
Aktenzeichen: BVerwG 4 CN 6.99
Rechtsgebiete: BNatSchG, NatSchG BW, BauNVO, BauGB


Vorschriften:

BNatSchG § 8 Abs. 1
BNatSchG § 8 Abs. 8
BNatSchG § 8 a Abs. 1
NatSchG BW § 10 Abs. 1
BauNVO (1990) § 17 Abs. 3
BauGB § 1 Abs. 6
Leitsätze:

Auch die Errichtung baulicher Anlagen im bebauten Innenbereich kann ein Eingriff in Natur und Landschaft im Sinne des § 8 Abs. 1 BNatSchG sein.

Der bundesrechtliche Begriff des Eingriffs in Natur und Landschaft steht grundsätzlich nicht zur Disposition des Landesgesetzgebers.

Ob eine Überschreitung der Obergrenzen des § 17 Abs. 1 BauNVO 1990 für das Maß der baulichen Nutzung städtebaulich erforderlich im Sinne des Absatzes 3 dieser Vorschrift ist, beurteilt sich nach dem mit der jeweiligen Planung verfolgten städtebaulichen Konzept und danach, ob eine vom städtebaulichen Standard abweichende städtebauliche Aufgabe zu lösen ist (städtebauliche Ausnahmesituation).

Der Zweck, in einem innerstädtischen und durch den öffentlichen Personennahverkehr gut erschlossenen Gewerbe- und Industriegebiet unter Ergänzung und Erneuerung der vorhandenen Infrastruktur und Bebauung für vorhandene Betriebe mit vielen Arbeitsplätzen Entwicklungsmöglichkeiten zu sichern und Ansiedlungsmöglichkeiten für neue Betriebe zu schaffen, reicht zur Begründung der städtebaulichen Erforderlichkeit einer Überschreitung der Obergrenzen für das Maß der baulichen Nutzung (§ 17 Abs. 3 BauNVO 1990) im Bebauungsplan aus.

Die Gemeinde darf durch ihre Bauleitplanung die bauliche Nutzbarkeit von Grundstücken ändern und dabei auch die privaten Nutzungsmöglichkeiten einschränken oder gar aufheben; die privaten Eigentümerinteressen müssen allerdings in der nach § 1 Abs. 6 BauGB gebotenen Abwägung als wichtige Belange berücksichtigt werden.

Urteil des 4. Senats vom 31. August 2000 - BVerwG 4 CN 6.99 -

I. VGH Mannheim, Urteil vom 27.11.1998 - Az.: VGH 8 X 1030/98 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 4 CN 6.99 VGH 8 S 1030/98

Verkündet am 31. August 2000

Kurowski Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Normenkontrollsache

hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 31. August 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gaentzsch und die Richter Prof. Dr. Dr. Berkemann, Dr. Lemmel, Halama und Prof. Dr. Rojahn

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 27. November 1998 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller wenden sich im Normenkontrollverfahren gegen den Bebauungsplan "Arbeitsstättengebiet Feuerbach-Ost" vom 9. November 1995/24. Juli 1996 der Antragsgegnerin. Dessen Plangebiet gehört zu den alten innerstädtischen Industriegebieten der Antragsgegnerin. Ziel der Planung ist es vor allem, diesen Produktionsstandort für die Zukunft zu sichern. Hierzu soll das bestehende Planungsrecht modifiziert werden. Der Bebauungsplan soll ferner die rechtliche Grundlage für die Anlegung von Vorgartenzonen mit großkronigen Bäumen und Durchgrünungen sowie für die Durchführung von sonstigen Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Gebiets schaffen.

Die Antragsteller sind Eigentümer von Grundstücken im Plangebiet. Dem Antragsteller zu 1 gehört das mit einem Wohnhaus bebaute Grundstück Magirusstraße 37 und das angrenzende unbebaute Grundstück, auf dem sich eine Ausstellungsfläche für Gebrauchtwagen befindet. Auf dem Grundstück Heilbronner Straße 313 des Antragstellers zu 2 wird eine Kraftfahrzeugwerkstatt betrieben. Dem Antragsteller zu 3 gehört das innerhalb einer Häuserzeile von sechs Wohnhäusern gelegene Grundstück Sieglestraße 46, auf dem ebenfalls ein Wohngebäude steht. Sämtliche Grundstücke sind im Bebauungsplan als Gewerbegebiet mit einer Baumassenzahl von 12,0 festgesetzt. Erweiterungen und Erneuerungen vorhandener Wohngebäude, die im Gewerbegebiet unzulässig wären, können ausnahmsweise zugelassen werden, wenn Schallschutzfenster eingebaut werden (§ 1 Abs. 10 BauNVO). Ferner sind größere Teile der Grundstücke vor allem der Antragsteller zu 1 und zu 2 als Verkehrsfläche und als Fläche mit Pflanzzwang/Pflanzbindung ausgewiesen.

Die Antragsteller meinen, die Antragsgegnerin habe ihre, der Antragsteller, Interessen als Eigentümer der überplanten Grundstücke nicht hinreichend beachtet. Mit ihren Normenkontrollanträgen haben sie geltend gemacht, der Bebauungsplan sei aus formellen und materiellen Gründen unwirksam. Die Anträge blieben ohne Erfolg. Nach der Rechtsauffassung des Normenkontrollgerichts ist der angefochtene Bebauungsplan in einem ordnungsgemäßen Verfahren zustandegekommen und verstößt auch inhaltlich nicht gegen höherrangiges Recht.

Mit ihrer Revision wenden sich die Antragsteller gegen die Rechtsauffassung des Normenkontrollgerichts, § 8 a Abs. 1 BNatSchG 1993 sei hier nicht einschlägig und deshalb nicht verletzt, weil das Plangebiet im Innenbereich liege, nach § 10 Abs. 1 NatSchG BW aber nur Vorhaben im Außenbereich als Eingriffe in Natur und Landschaft in Betracht kämen. Sie machen ferner geltend, die auf 12,0 festgesetzte Baumassenzahl sei nicht im Sinne von § 17 Abs. 3 BauNVO 1990 erforderlich. Schließlich habe die Antragsgegnerin bei ihrer Abwägung das Eigentumsrecht der Antragsteller nicht hinreichend beachtet.

Die Antragsteller beantragen,

das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 27. November 1998 aufzuheben und den Bebauungsplan "Arbeitsstättengebiet Feuerbach-Ost (Feu 225)" vom 9. November 1995/24. Juli 1996 für nichtig zu erklären, soweit er den Bereich zwischen Heilbronner-, Krupp-, Magirus- und Sieglestraße sowie den Bereich zwischen Heilbronner-, Siegle-, Leitzstraße und der mit einem Geh- und Leitungsrecht zu belastenden Fläche in gedachter Verlängerung der Dieselstraße betrifft.

Die Antragsgegnerin stellt den Antrag,

das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zurückzuverweisen.

Auch sie hält § 8 a Abs. 1 BNatSchG 1993 für anwendbar. Dementsprechend habe sie geprüft, ob mit der streitigen Planung ein Eingriff (im Innenbereich) verbunden sei; dies sei jedoch nicht der Fall. Von seinem anderen rechtlichen Ansatz aus habe das Normenkontrollgericht hierzu keine Feststellungen getroffen. Im Übrigen sei die Revision unbegründet.

II.

Die zulässige Revision ist begründet. Das Urteil des Normenkontrollgerichts beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht. Zu Unrecht hat das Normenkontrollgericht angenommen, § 8 a Abs. 1 BNatSchG sei bei der Überplanung des Innenbereichs nicht anwendbar. Die übrigen Angriffe der Revision gegen das Normenkontrollurteil sind dagegen unbegründet. Da für eine abschließende Entscheidung weitere Tatsachenfeststellungen erforderlich sind, ist die Sache an das Normenkontrollgericht zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO).

1. Durch den streitigen Bebauungsplan werden alte innerstädtische Industriegebiete der Antragsgegnerin überplant. Auf die Rüge der Antragsteller, die Antragsgegnerin habe bei ihrer Planung gegen § 8 a Abs. 1 des Bundesnaturschutzgesetzes in der hier maßgeblichen Fassung des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes vom 22. April 1993 (BGBl. I, S. 466) - BNatSchG 1993 - verstoßen, führt das Normenkontrollgericht aus, diese Vorschrift sei im vorliegenden Fall nicht einschlägig, weil das Plangebiet im Innenbereich liege; nach § 10 Abs. 1 NatSchG BW kämen nur Vorhaben im Außenbereich als Eingriffe in Natur und Landschaft in Betracht. Diese Rechtsaufassung ist mit Bundesrecht nicht vereinbar.

Nach § 8 a Abs. 1 BNatSchG 1993 ist über die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege im Bauleitplan zu entscheiden, wenn auf Grund der Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung von Bauleitplänen Eingriffe in Natur und Landschaft zu erwarten sind. Die Anwendbarkeit dieser gemäß § 4 Satz 3 BNatSchG 1993 unmittelbar geltenden Vorschrift ist nicht auf die Überplanung von Flächen im Außenbereich beschränkt; sie gilt grundsätzlich auch für die Bauleitplanung im beplanten und im unbeplanten Innenbereich. Voraussetzung ist allein, dass Eingriffe in Natur und Landschaft zu erwarten sind. Von diesem rechtlichen Ansatz geht auch das Normenkontrollgericht aus. Es legt jedoch unter Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. August 1994 - 8 S 903/94 - VBlBW 1995, 241 - BWVP 1995, 39 <mit ablehnender Anmerkung Kratsch> und Urteil vom 29. Juni 1995 - 5 S 1537/94 - NuR 1996, 256) dar, dass nach der landesrechtlichen Regelung des § 10 Abs. 1 NatSchG BW, nach dem bestimmte Vorhaben im Außenbereich Eingriffe in Natur und Landschaft sind, nur Vorhaben im Außenbereich Eingriffe in Natur und Landschaft sein könnten.

Dieser Rechtsauffassung ist nicht zu folgen. Sie beruht auf einer bundesrechtswidrigen Interpretation des § 10 Abs. 1 NatSchG BW, die seit dem In-Kraft-Treten des Bundesnaturschutzgesetzes im Jahre 1976 nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Nach § 8 Abs. 1 BNatSchG sind Eingriffe in Natur und Landschaft Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen, die die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild erheblich oder nachhaltig beeinträchtigen können. Derartige Veränderungen können auch durch bauliche Anlagen im Innenbereich bewirkt werden. Dieser bundesrechtliche Eingriffsbegriff ist bei der Auslegung des zeitlich früheren § 10 Abs. 1 NatSchG BW zu beachten. Zwar gehört § 8 Abs. 1 BNatSchG nicht zu den bundesrechtlichen Vorschriften, die gemäß § 4 Satz 3 BNatSchG unmittelbare Geltung haben. Gleichwohl darf der landesrechtliche Begriff des Eingriffs nicht von dem des Rahmengesetzes des Bundes abweichen; unbeschadet der Vorschrift des § 8 Abs. 8 BNatSchG steht der Eingriffsbegriff nicht zur Disposition des Landesgesetzgebers. Was als Eingriff in Natur und Landschaft zu gelten hat, kann nämlich im Interesse eines notwendigen Mindestmaßes an Rechtseinheit in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich nur übereinstimmend beantwortet werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. September 1990 - BVerwG 4 C 44.87 - BVerwGE 85, 348 <356 f.>).

Einem solchen Verständnis des § 8 Abs. 1 BNatSchG steht auch nicht § 8 Abs. 8 Satz 1 BNatSchG entgegen. Zwar gestattet er den Ländern zu bestimmen, dass Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen bestimmter Art, die im Regelfall nicht zu einer erheblichen oder nachhaltigen Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes führen, nicht als Eingriff anzusehen sind. Auch diese Ermächtigung lässt jedoch kein Landesrecht zu, durch das die Möglichkeit eines naturschutzrechtlichen Eingriffs im Innenbereich generell ausgeschlossen wird. Denn zum einen dürfen die Länder gemäß § 8 Abs. 8 Satz 1 BNatSchG nur bestimmen, dass "Veränderungen ... bestimmter Art" nicht als Eingriff anzusehen sind; die landesrechtliche Sonderregelung darf sich also nur auf bestimmte Veränderungen, nicht aber auf bestimmte Grundflächen - wie die Grundflächen im Innenbereich - beziehen. Zum andern setzt die Ermächtigung voraus, dass es sich um Veränderungen handelt, die im Regelfall nicht zu einer erheblichen oder nachhaltigen naturschutzrechtlichen Beeinträchtigung führen; eine solche Regel gibt es für die Bebauung des Innenbereichs nicht, weil auch im Innenbereich eine erhebliche oder nachhaltige Beeinträchtigung naturschutzrechtlicher Belange nicht nur in atypischen Fällen möglich ist. Darüber hinaus dürfte es sich bei landesrechtlichen Regelungen auf der Rechtsgrundlage des § 8 Abs. 8 BNatSchG regelmäßig um "Positiv-" oder "Negativlisten" handeln, die zum Zweck einer vereinfachten Handhabung durch die Verwaltung aufgestellt werden, jedoch nur eine im Einzelfall widerlegbare Vermutung für das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Eingriffs enthalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. September 1990 - BVerwG 4 C 44.87 - BVerwGE 85, 348 <355>).

Die Unanwendbarkeit des § 8 a Abs. 1 BNatSchG 1993 lässt sich schließlich auch nicht mit Abs. 6 dieser Vorschrift begründen. Zwar sind nach § 8 a Abs. 6 BNatSchG 1993 Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile, die nach § 34 BauGB zulässig sind, nicht als Eingriffe anzusehen. Die Vorschrift gilt jedoch als Spezialregelung nur für die Zulassung von Vorhaben im unbeplanten Innenbereich. Im Übrigen bleibt der Begriff des Eingriffs gemäß § 8 Abs. 1 BNatSchG unverändert. Auf ihn bezieht sich der für die Bauleitplanung geltende § 8 a Abs. 1 BNatSchG 1993. Die Grundentscheidung des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes, dass die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege aus Gründen der Rechts- und Verwaltungsvereinfachung nur auf einer Ebene, und zwar grundsätzlich auf der Ebene der Bauleitplanung, geprüft werden sollen (BTDrucks 12/3944, S. 51), gilt nicht nur für die Überplanung des Außenbereichs, sondern für die gesamte Bauleitplanung. § 8 a Abs. 1 BNatSchG 1993 ist nämlich auch für die Änderung von Bauleitplänen und damit auch für die Bauleitplanung auf Innenbereichsflächen anwendbar. Für eine unterschiedliche Behandlung der Bauleitplanung im beplanten Innenbereich und der Bauleitplanung im unbeplanten Innenbereich im Hinblick auf § 8 a Abs. 1 BNatSchG 1993 gibt es keinen nachvollziehbaren Grund.

2. Dagegen ist die Revision unbegründet, soweit sie geltend macht, die Festsetzung einer Baumassenzahl (BMZ) von 12,0 im festgesetzten Gewerbegebiet sei mit § 17 BauNVO 1990 nicht vereinbar. Zu Recht hat das Normenkontrollgericht die Überschreitung der in § 17 Abs. 1 BauNVO 1990 auf 10,0 festgelegten Obergrenze im streitigen Bebauungsplan als durch § 17 Abs. 3 BauNVO 1990 gerechtfertigt angesehen.

Das Normenkontrollgericht geht davon aus, dass "städtebauliche Gründe" die Überschreitung im Sinne des § 17 Abs. 3 BauNVO 1990 "erfordern", wenn die Festsetzung einer höheren BMZ als "vernünftigerweise geboten" anzusehen sei. Unter Anlegung dieses Maßstabs hält es die für die Überschreitung der BMZ in der Begründung des Bebauungsplans angegebenen Gründe für ausreichend. In der Begründung werde die Festsetzung einer BMZ von 12,00 damit gerechtfertigt, dass im Einzugsbereich der Haltestellen des öffentlichen Personennahverkehrs besonders arbeitsplatzintensive Nutzungen geschaffen und damit ein Anreiz zur langfristigen Änderung der heute teilweise vorhandenen kleinteiligen Struktur gegeben werden solle. Im Grundsätzlichen folgt der Senat der Rechtsauffassung des Normenkontrollgerichts sowohl in seinem rechtlichen Ansatz als auch in der Rechtsanwendung auf den vorliegenden Bebauungsplan.

Zu Recht weist die Revision allerdings darauf hin, dass § 17 Abs. 3 BauNVO 1990 die Anforderungen gegenüber der Regelung des § 17 Abs. 9 BauNVO 1977 strenger gefasst hat. Während eine Überschreitung der für den Regelfall in § 17 Abs. 1 BauNVO festgelegten Höchstwerte für das Maß der baulichen Nutzung in Gebieten, die im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der BauNVO 1962 bereits überwiegend bebaut waren, nach § 17 Abs. 9 BauNVO 1977 grundsätzlich schon zulässig war, wenn städtebauliche Gründe dies rechtfertigten, verlangt § 17 Abs. 3 BauNVO 1990 nunmehr, dass städtebauliche Gründe die Überschreitung erfordern. Das bedeutet gleichwohl nicht, dass die städtebauliche Erforderlichkeit mit einer "Unabweisbarkeit" gleichzusetzen ist (BVerwG, Beschluss vom 23. Januar 1997 - BVerwG 4 NB 7.96 - ZfBR 1997, 215). Wie der Senat in seinem Urteil vom 25. November 1999 - BVerwG 4 CN 17.98 - (DVBl 2000, 80 - ZfBR 2000, 191) näher ausgeführt hat, ist § 17 Abs. 3 BauNVO 1990 systematisch in den Zusammenhang des § 1 Abs. 3 BauGB einzuordnen. Danach haben die Gemeinden Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Was die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erfordert, ist nicht allein aus räumlichen Vorgegebenheiten sowie aus allgemeinen Grundsätzen oder sonstigen abstrakten Vorgaben zu bestimmen. Vielmehr bestimmt die Gemeinde kraft ihrer Planungshoheit und planerischen Gestaltungsfreiheit selbst, welche städtebauliche Entwicklung und Ordnung mit der Planung verfolgt wird; was städtebaulich erforderlich im Sinne von § 1 Abs. 3 BauGB ist, hängt weitgehend von Willensentscheidungen der Gemeinde ab. In gleicher Weise kommt es für die Erforderlichkeit der Überschreitung der Obergrenzen des § 17 Abs. 1 BauNVO auf die von der Gemeinde mit der jeweiligen Planung verfolgte städtebauliche Konzeption an.

Dabei ist allerdings auch zu beachten, dass § 17 Abs. 3 BauNVO 1990 im Ausnahme-Regel-Verhältnis zu § 17 Abs. 1 BauNVO steht. Bei der Auslegung und Anwendung des § 17 Abs. 3 BauNVO 1990 muss der Ausnahmecharakter der Vorschrift erkennbar bleiben. Deshalb genügt der planerische Wille der Gemeinde, von § 17 Abs. 1 BauNVO abzuweichen, allein nicht. Vielmehr muss die Überschreitung der Obergrenzen des § 17 Abs. 1 BauNVO auch aus dem Charakter oder aus besonderen Umständen des neu überplanten Gebietes objektiv begründbar sein; die städtebaulichen Gründe müssen ein gewisses Gewicht besitzen und nicht in jeder Standardsituation einsetzbar sein. In diesem Sinne setzt § 17 Abs. 3 BauNVO 1990 eine städtebauliche Ausnahmesituation voraus.

Eine derartige besondere städtebauliche Situation ist im vorliegenden Fall gegeben. Aus der knappen Begründung des Normenkontrollgerichts zur Zulässigkeit der festgesetzten Baumassenzahl und aus seinen weiteren Feststellungen ergibt sich, dass hier ein seit langer Zeit vorhandenes innerstädtisches Industrie- und Gewerbegebiet, das verkehrlich gut erschlossen ist, den modernen Anforderungen entsprechend überplant worden ist. Nach der planerischen Konzeption der Antragsgegnerin soll das Gebiet arbeitsplatzintensive Betriebe aufnehmen. Um es für derartige Betriebe attraktiv zu machen, werden die Obergrenzen für das Maß der baulichen Nutzung erhöht. Der Zweck der Erhöhung liegt also darin, unter Ausnutzung der vorhandenen Bebauung und Infrastruktur gerade Betriebe mit vielen Arbeitnehmern in das innerstädtische und durch den öffentlichen Personennahverkehr gut erschlossene Gewerbe- und Industriegebiet zu holen. Diese städtebaulichen Gründe sind hinreichend spezifisch, um die Anwendung des § 17 Abs. 3 BauNVO 1990 zu rechtfertigen.

Mit dieser Wertung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu seinem Urteil vom 25. November 1999 - BVerwG 4 CN 17.98 - (ZfBR 2000, 191). Zwar hat er dort ausgeführt, die von der Antragsgegnerin (im damaligen Verfahren) vorgetragenen ergänzenden Erwägungen, die mit den im vorliegenden Verfahren erörterten städtebaulichen Gründen vergleichbar waren, seien sehr allgemein und nicht geeignet, eine "Ausnahmesituation" in dem genannten Sinne darzutun. Mit seinen Ausführungen hat sich der Senat jedoch nicht unmittelbar zur Auslegung des § 17 Abs. 3 BauNVO 1990 geäußert, sondern hat nur im Rahmen der Prüfung einer Verfahrensrüge dargelegt, weshalb sich der Vorinstanz auf der Grundlage ihrer materiellen Rechtsauffassung die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung hinsichtlich neuer Gründe für eine Maßüberschreitung nicht habe aufdrängen müssen.

3. Der streitige Bebauungsplan ist auch nicht deshalb unwirksam, weil die Antragsgegnerin, wie die Revision meint, das Grundeigentum der Antragsteller und damit den Schutz des Privateigentums durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG in der Abwägung nicht ordnungsgemäß berücksichtigt hätte.

Bebauungspläne dienen der städtebaulichen Ordnung (vgl. § 1 Abs. 1 BauGB). Durch sie wird zugleich die eigentumsrechtliche Situation im Plangebiet gestaltet. Ein (wirksamer) Bebauungsplan bestimmt, wie auch die Revision nicht verkennt, Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Ihm gegenüber ist deshalb eine Berufung auf die Eigentumsgewährleistung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG versagt (BVerwG, Urteil vom 1. November 1974 - BVerwG 4 C 38.71 - BVerwGE 47, 144 <153>). Die Gemeinde darf durch ihre Bauleitplanung die (bauliche) Nutzbarkeit von Grundstücken verändern und dabei auch die privaten Nutzungsmöglichkeiten einschränken oder gar aufheben. Einen Planungsgrundsatz, nach dem die vorhandene Bebauung eines Gebiets nach Art und Maß auch bei einer Überplanung weiterhin zugelassen werden muss, gibt es nicht. Allerdings setzt eine wirksame städtebauliche Planung voraus, dass hinreichend gewichtige städtebaulich beachtliche Allgemeinbelange für sie bestehen (BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1969 - BVerwG 4 C 105.66 - BVerwGE 34, 301 <305>). Diese städtebaulich beachtlichen Allgemeinbelange müssen umso gewichtiger sein, je stärker die Festsetzungen eines Bebauungsplans die Privatnützigkeit von Grundstücken beschränken oder gar ausschließen (BVerwG, Urteil vom 16. April 1971 - BVerwG 4 C 66.67 - DVBl 1971, 746 <750>). Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten eines Grundstücks muss von der Gemeinde als ein wichtiger Belang privater Eigentümerinteressen in der nach § 1 Abs. 6 BauGB gebotenen Abwägung der öffentlichen und der privaten Belange beachtet werden (BVerwG, Beschluss vom 16. Januar 1996 - BVerwG 4 NB 1.96 - ZfBR 1996, 223). Entscheidend ist deshalb allein, ob die von der planenden Gemeinde vorgenommene Abwägung einer rechtlichen Überprüfung standhält. Im vorliegenden Fall sind Abwägungsmängel nicht erkennbar.

Die Revision macht geltend, die Antragsteller würden durch die Festsetzungen für ihre Grundstücke zu stark belastet. Die Antragsgegnerin habe ihre privaten Belange als Grundeigentümer und Gewerbetreibende in der Abwägung objektiv fehlgewichtet; für die Reduzierung ihrer Eigentümerrechte auf den bloßen Bestandsschutz fehlten entgegenstehende öffentliche Belange. Mit diesem Vorbringen stellt die Revision nicht in Abrede, dass die Antragsgegnerin eine Abwägung vorgenommen hat. Sie macht auch nicht geltend, dass die Antragsgegnerin bestimmte Interessen der Antragsteller übersehen habe. Ein solcher Mangel ist auch nicht ersichtlich. Nach den Feststellungen des Normenkontrollgerichts hat die Antragsgegnerin die Grundstückssituation der Antragsteller und ihre abwägungserheblichen privaten Belange erkannt und bei der Abwägung berücksichtigt. Die Kritik der Revision richtet sich vielmehr sinngemäß allein gegen das Ergebnis der Abwägung. Insoweit übersieht sie jedoch, dass der Gemeinde bei der Bauleitplanung hinsichtlich der Bewertung der privaten und der öffentlichen Belange und der Frage, welchem Belang der Vorzug zu geben ist, ein weiter planerischer Ermessensspielraum eingeräumt ist. Nach der rechtlich nicht zu beanstandenden Beurteilung durch das Normenkontrollgericht hat die Antragsgegnerin die Grenzen dieser planerischen Freiheit nicht überschritten.

Das Normenkontrollgericht legt im Einzelnen dar, dass es der Antragsgegnerin hier darum geht, das alte innerstädtische Industrie- und Gewerbegelände für neue und moderne gewerbliche Nutzungen wieder attraktiv zu machen. Um dieses Ziel zu erreichen, werden die zulässigen Nutzungen im Plangebiet neu geordnet und die bauliche Ausnutzbarkeit der Grundstücke generell erhöht; ferner werden die planungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Verbesserung der Verkehrsverhältnisse und für eine Durchgrünung des Gebiets geschaffen. Dieses Konzept ist legitim. Es wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass es möglicherweise nicht sofort und für das gesamte Plangebiet realisiert werden kann und hier nach dem Vortrag der Antragsteller in den vier Jahren seit dem In-Kraft-Treten des Bebauungsplans auch tatsächlich noch nicht umgesetzt worden ist. Eine Gemeinde darf grundsätzlich auch dann Bauleitpläne aufstellen, wenn es noch an konkreten Interessenten für die Baugrundstücke fehlt oder wenn die Finanzierung des Baus oder des Ausbaus von öffentlichen Straßen noch nicht gesichert ist. Bauleitplanung ist grundsätzlich Angebotsplanung. Durch Bebauungspläne werden die planerischen Voraussetzungen für die bauliche und sonstige Nutzung des Plangebiets für mehrere Jahrzehnte geschaffen.

Das planerische Konzept der Antragsgegnerin lässt sich nicht ohne Eingriffe in das Privateigentum verwirklichen. Die geplante Verbreiterung der Heilbronner Straße und die zur Durchgrünung des Plangebiets vorgesehene Verlegung der vorderen Baugrenze führen notwendig zu Reduzierungen der überbaubaren Flächen auf den Grundstücken der Antragsteller. Nach den Ausführungen des Normenkontrollgerichts ist den Anregungen der Antragsteller jedoch soweit wie möglich Rechnung getragen worden, indem im Falle des Antragstellers zu 1 die Baugrenze ausgedehnt und im Übrigen die bauliche Nutzbarkeit der Grundstücke im gesamten Plangebiet erweitert worden sei. Die Festsetzung des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks des Antragstellers zu 3 als Gewerbegebiet ist nach den Ausführungen des Normenkontrollgerichts schon wegen seiner Lage in einer überwiegend gewerblich genutzten Umgebung gerechtfertigt; den privaten Interessen des Antragstellers zu 3 ist zudem durch die auf § 1 Abs. 10 BauNVO gestützte Festsetzung Rechnung getragen worden, nach der Erweiterungen und Erneuerungen vorhandener Wohnhäuser zugelassen werden können, wenn Schallschutzfenster eingebaut werden.

4. Da andere Mängel des streitigen Bebauungsplans im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht worden und auch nicht ersichtlich sind, hängt seine Wirksamkeit allein davon ab, ob er mit § 8 a Abs. 1 BNatSchG 1993 vereinbar ist. Von seinem rechtlichen Ansatz aus folgerichtig hat das Normenkontrollgericht nicht geprüft, ob die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege bei der Aufstellung des streitigen Bebauungsplans hinreichend berücksichtigt worden sind. Die Antragsgegnerin macht dies zwar geltend. Nach ihrem Vorbringen hat sie untersucht, ob mit der Planung ein naturschutzrechtlicher Eingriff verbunden sei; dies sei nicht der Fall. Im Gegenteil sei es sogar eines der Ziele dieser Planung, die rechtliche Grundlage für die Anlegung von Vorgartenzonen mit großkronigen Bäumen und Durchgrünungen zu schaffen. Eine Überprüfung dieses Vortrags ist dem Senat jedoch nicht möglich, weil das Normenkontrollurteil keine Feststellungen enthält, die eine Beurteilung ermöglichen, ob der neue Bebauungsplan (neue) Eingriffe zulässt und ob gegebenenfalls über die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege in der Abwägung korrekt entschieden worden ist. Dies nötigt dazu, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Normenkontrollgericht zurückzuverweisen.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 90 000 DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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