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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 12.06.2001
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 10.01
Rechtsgebiete: BVFG, GG


Vorschriften:

BVFG § 15
BVFG §§ 26 ff.
GG Art. 116 Abs. 1
Dem Anspruch des Abkömmlings eines Spätaussiedlers auf Erteilung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 Satz 1 BVFG steht nicht entgegen, dass die Aufnahme des Betreffenden nicht auf Grund seiner Abkömmlingseigenschaft im Wege der Einbeziehung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG, sondern auf Grund eigenen Aufnahmebescheids nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG erfolgt ist.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 5 C 10.01

Verkündet am 12. Juli 2001

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juli 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Rothkegel, Prof. Dr. Rojahn und Dr. Franke

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2. Februar 2001 wird aufgehoben.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 23. August 2000 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I.

Der 1974 geborene Kläger verließ Kasachstan mit einem im Januar 1995 beantragten und am 13. November 1996 ausgestellten Aufnahmebescheid und reiste damit am 19. Juli 1997 ins Bundesgebiet ein. Nach rechtskräftiger Ablehnung seines Antrags auf Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG begehrt der Kläger jetzt die Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2, § 7 Abs. 2 BVFG als Abkömmling seiner Großmutter, die am 24. September 1993 ausgereist sei und der am 6. Dezember 1994 eine Bescheinigung als Spätaussiedlerin nach § 15 Abs. 1 BVFG ausgestellt worden sei.

Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten verpflichtet, dem Kläger eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 2, § 7 Abs. 2 BVFG auszustellen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger sei Abkömmling einer Spätaussiedlerin, denn seine Großmutter sei im Besitz einer Spätaussiedlerbescheinigung. Auch habe er das Aussiedlungsgebiet im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen. Dabei schade nicht, dass er mit einem Aufnahmebescheid nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG und nicht einbezogen in den Aufnahmebescheid seiner Großmutter eingereist sei. Auf die Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der Kläger könne eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG nicht beanspruchen. Er sei nicht in den Aufnahmebescheid seiner Großmutter einbezogen gewesen, vielmehr habe er einen Aufnahmebescheid aus vermeintlich eigenem Recht und gerade nicht als Abkömmling eines Spätaussiedlers erhalten. Es fehle deshalb an dem notwendigen Kausalzusammenhang zwischen der Aufnahme im Bundesgebiet und seiner Eigenschaft als Abkömmling eines Spätaussiedlers, wie ihn das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung zu Art. 116 GG verlange, der ebenfalls von der Aufnahme als Abkömmling spreche. Nichts anderes könne für § 7 Abs. 2 BVFG gelten; der Zweck der Aufnahme müsse darin bestehen, die Familieneinheit zu wahren.

Der Kläger beantragt die Aufhebung dieses Urteils und die Zurückweisung der Berufung des Beklagten. Er rügt die Verletzung von § 15 Abs. 2, § 7 Abs. 2 BVFG.

Der Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen. Er verteidigt das Berufungsurteil.

Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht teilt die Auffassung des Berufungsgerichts, dass ein Verlassen des Aussiedlungsgebiets "im Wege des Aufnahmeverfahrens" von nichtdeutschen Abkömmlingen und Ehegatten im Sinne von § 7 Abs. 2 BVFG eine Einbeziehung in den Aufnahmebescheid der jeweiligen Bezugsperson - entweder nach § 27 Abs. 1 Satz 2 oder § 27 Abs. 2 BVFG - voraussetze.

II.

Die Revision des Klägers ist begründet.

Die Auffassung des Berufungsgerichts, ein Anspruch des Abkömmlings eines Spätaussiedlers auf eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG setze voraus, dass zwischen der Aufnahme des Abkömmlings eines Spätaussiedlers und seiner Eigenschaft als Abkömmling Kausalität besteht, dass die Aufnahme also aufgrund der Abkömmlingseigenschaft erfolgt ist, widerspricht dem Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsurteil kann deshalb keinen Bestand haben.

Der Verwaltungsgerichtshof stützt seinen Rechtsstandpunkt zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 116 Abs. 1 GG, wonach eine Aufnahme "als Abkömmling" eines Vertriebenen deutscher Volkszugehörigkeit voraussetzt, dass ein "kausaler Zusammenhang zwischen der Eigenschaft als Abkömmling eines vertriebenen Volksdeutschen und der Aufnahme im Bundesgebiet" besteht (BVerwGE 90, 173 <176>). Diese Rechtsprechung, die sich auf den Wortlaut des Art. 116 Abs. 1 GG ("... als Abkömmling ... Aufnahme gefunden") sowie Sinn und Zweck dieser Regelung stützt, "das aufgrund der Folgen des Zweiten Weltkrieges ungewisse staatsangehörigkeitsrechtliche Schicksal vertriebener Volksdeutscher einschließlich ihrer Familienangehörigen aufzufangen", indem ihnen "familieneinheitlich ein angemessener, ihre Eingliederung ermöglichender Status verschafft wird, der sie den deutschen Staatsangehörigen weitgehend gleichstellt und sie zu einem Teil des deutschen Staatsvolkes macht" (BVerwGE 90, 173 <174 f.> mit weiteren Nachweisen), und daraus herleitet, dass die nichtdeutschen Familienangehörigen vertriebener Volksdeutscher "mit ihnen" in Deutschland Aufnahme gefunden haben müssen, was bedeute, dass ihre Aufnahme "in Zusammenhang mit der des vertriebenen Volksdeutschen erfolgt" sein müsse (BVerwG, a.a.O. S. 179 unter Bezugnahme auf BVerwGE 68, 220 <235>), lässt sich auf § 15 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 2 BVFG nicht übertragen.

Schon im Wortlaut weichen beide Bestimmungen hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen erheblich voneinander ab. Während Art. 116 Abs. 1 GG voraussetzt, dass eine Person "als ... Abkömmling ... Aufnahme gefunden" hat, fehlt in § 7 Abs. 2 BVFG eine entsprechende Verknüpfung zwischen Aufnahme und Eigenschaft als Abkömmling; vielmehr erfordert diese Bestimmung lediglich, dass der Ehegatte und die Abkömmlinge "die Aussiedlungsgebiete im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen haben", ohne zwischen Personen, die selbst einen Aufnahmebescheid nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG erhalten haben, und solchen, die nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG einbezogen worden sind, zu differenzieren und die Vergünstigungsregelung auf letztere zu beschränken. Eine an Art. 116 Abs. 1 GG anknüpfende "Verbindung zwischen den Aufnahmeverfahren des Klägers und seines Großvaters" wird demzufolge entgegen der Auffassung des Beklagten von den Regelungen des Aufnahmeverfahrens in §§ 26 ff. BVFG und den für das Bescheinigungsverfahren geltenden Vorschriften des § 15 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 2 BVFG nicht vorausgesetzt, vielmehr umfasst der Begriff des Verlassens der Aussiedlungsgebiete "im Wege des Aufnahmeverfahrens" alle nach § 27 BVFG möglichen Verfahrensgestaltungen. Die Ansicht des Beklagten, der Spätaussiedler und seine Angehörigen müssten sich schon im Aufnahmeverfahren "endgültig entscheiden, ob sie gemeinsam nach Deutschland gehen wollen oder nicht", findet im Gesetzeswortlaut keine Stütze.

Das Aufnahmeverfahren der §§ 26 ff. BVFG hat gegenüber dem Bescheinigungsverfahren nach § 15 BVFG eigenständige Bedeutung und präjudiziert letzteres nicht, so dass Bewertungen im Aufnahmeverfahren einerseits und im Bescheinigungsverfahren andererseits - etwa hinsichtlich des Vorliegens der Spätaussiedlereigenschaft im konkreten Fall - unterschiedlich ausfallen können. Indem das Gesetz in § 7 Abs. 2 BVFG an die erfolgreiche Durchführung des Aufnahmeverfahrens ("... die Aussiedlungsgebiete im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen") anknüpft, misst es dem Vorliegen eines Aufnahmebescheides im Rahmen des Bescheinigungsverfahrens nach § 15 Abs. 2 BVFG Tatbestandswirkung bei, ohne aber darüber hinaus auch an die materiellen Voraussetzungen der Aufnahme anzuknüpfen. Der Grund für die Aufnahme ist darum nach der Gesetzessystematik für die Erteilung einer Bescheinigung nach § 15 BVFG bedeutungslos, der Aufnahmegrund legt nicht auch schon den allein möglichen Bescheinigungsgrund fest. Ebenso wenig wie der Wortlaut verknüpft die Systematik des Gesetzes Aufnahme und Bescheinigung derart, dass eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 2, § 7 Abs. 2 BVFG eine Aufnahme "als" Ehegatte oder Abkömmling voraussetzt.

Auch Sinn und Zweck des Aufnahmeverfahrens einerseits und des Bescheinigungsverfahrens andererseits rechtfertigen eine solche Verknüpfung nicht. Im Aufnahmeverfahren nach §§ 26 ff. BVFG soll der Zustrom von Ausreisewilligen aus den Aussiedlungsgebieten, der durch die dort eingetretenen politischen Veränderungen ausgelöst worden ist, durch eine jedenfalls vorläufige Prüfung der damals Aussiedler- bzw. jetzt Spätaussiedlereigenschaft in geordnete Bahnen gelenkt werden (vgl. BTDrucks 11/6937, S. 6; BVerwGE 95, 311 <317>). Diese Aufgabe, seinen Ordnungszweck, hat das Aufnahmeverfahren erfüllt, wenn es erfolgreich durchlaufen wurde, gleichgültig, ob dies bezogen auf die (vermeintliche) Eigenschaft als Spätaussiedler nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG oder bezogen auf die Eigenschaft als Ehegatte oder Abkömmling eines Spätaussiedlers nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG erfolgt ist. Demgegenüber dienen die Regelung des § 15 Abs. 2 BVFG und die Vergünstigungsregelung des § 7 Abs. 2 BVFG der Eingliederung des Ehegatten und der Abkömmlinge des Spätaussiedlers und damit auch des Spätaussiedlers selbst; denn blieben die Angehörigen ohne jede Hilfe, würde dies die Eingliederung des Spätaussiedlers über Gebühr erschweren (vgl. BTDrucks 12/3212, S. 24, zu § 7 Abs. 2 BVFG). Dieses Eingliederungsinteresse hängt aber nicht davon ab, aufgrund welcher der vom Gesetz vorgesehenen Alternativen die Aufnahme der Angehörigen stattgefunden hat (nach BTDrucks 12/3212 a.a.O. ist insofern nur erforderlich, "dass die Betroffenen im Aufnahmeverfahren nach § 26 die Aussiedlungsgebiete verlassen haben"). Der Regelungszweck von § 15 Abs. 2, § 7 Abs. 2 BVFG wird folglich nicht dadurch berührt, dass das Aufnahmeverfahren für den Angehörigen nicht durch dessen Einbeziehung in den Aufnahmebescheid einer Bezugsperson nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG, sondern auf der Grundlage von § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG durchgeführt worden ist.

Es trifft auch nicht zu, dass der Inhaber eines Aufnahmebescheides, der die Möglichkeit nicht genutzt hat, als Abkömmling in den Aufnahmebescheid einer Bezugsperson einbezogen zu werden, dann aber im Bescheinigungsverfahren seine deutsche Volkszugehörigkeit nicht nachweisen kann, bei Erteilung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG in den Genuss von - wie der Beklagte meint - "ungerechtfertigten Vorteilen" käme: Das Aufnahmeverfahren hat in diesem Falle seinen Zweck einer vorläufigen Prüfung der Spätaussiedlereigenschaft - mit einem positiven Ergebnis - erfüllt; als Folge der Vorläufigkeit dieses Ergebnisses hat es der Gesetzgeber in Kauf genommen, dass damit Personen in Deutschland aufgenommen werden, deren Spätaussiedlereigenschaft der Überprüfung im Bescheinigungsverfahren nach § 15 BVFG nicht standhält.

Da der Kläger mit Aufnahmebescheid im Wege des Aufnahmeverfahrens aus seiner Heimat ausgereist und in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist und er als Enkel Abkömmling einer Spätaussiedlerin ist, hat das Verwaltungsgericht den Beklagten zu Recht verpflichtet, dem Kläger eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 2, § 7 Abs. 2 BVFG auszustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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