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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 29.10.1997
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 11.97
Rechtsgebiete: BSHG, RegelsatzVO
Vorschriften:
BSHG § 12 Abs. 1 Satz 1 | |
RegelsatzVO § 3 Abs. 1 F. 1962 |
Urteil des 5. Senats vom 29. Oktober 1997 - BVerwG 5 C 11.97
I. VG Karlsruhe vom 14.02.1996 - Az.: VG 2 K 808/95 II. VGH Mannheim vom 03.09.1996 - Az.: VGH 7 S 833/96
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
BVerwG 5 C 11.97 VGH 7 S 833/96
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 29. Oktober 1997 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel und Dr. Franke
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Der Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 3. September 1996 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
G r ü n d e :
I.
Die Klägerin begehrt vom Beklagten für sich und ihre im Juni 1994 geborene Tochter die Übernahme von Unterkunftskosten im Rahmen der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt.
Die Klägerin war bis zum 10. Mai 1994 als kaufmännische Angestellte erwerbstätig und erzielte zuletzt ein monatliches Einkommen von DM 3 500 brutto. Am 11. Mai 1994 trat sie in den Mutterschutz ein, nach dessen Ablauf sie ihre Arbeitsstelle kündigte, um an dem Mutter-Kind-Programm des Beklagten teilzunehmen. Bis Ende Februar 1994 hatte sie in L. in einer Wohnung gewohnt, deren Mietkosten monatlich 1 300 DM betrugen; im Februar 1994 mietete sie zum 1. März 1994 eine in S. gelegene Wohnung mit einer Wohnfläche von 58,17 m², deren Kosten sich auf 800 DM Kaltmiete und 210 DM Nebenkosten beliefen.
Mit Bescheid vom 13. Oktober 1994, bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 1995, gewährte der Beklagte der Klägerin und ihrer Tochter Hilfe zum Lebensunterhalt ab 11. August 1994 (Antragstellung), ließ dabei die Kosten der Unterkunft jedoch unberücksichtigt, weil die neue Wohnung unangemessen groß und teuer sei. Die angemessene Kaltmiete für die Klägerin und ihre Tochter belaufe sich - ausgehend von einem nach den örtlichen Verhältnissen angemessenen Mietpreis von 10 DM pro m² und einer angemessenen Wohnungsgröße von 53 m² (45 m² für die Klägerin, 8 m² für das Kind) - bloß auf 530 DM. Bereits bei Anmietung der Wohnung hätte die Klägerin erkennen müssen, daß sie die Kaltmiete von 800 DM nicht ohne Hilfe zum Lebensunterhalt werde aufbringen können.
Auf die von der Klägerin erhobene Verpflichtungsklage, welche sich zuletzt auf den Betrag von 530 DM beschränkte, hat das Verwaltungsgericht den Beklagten zur Gewährung von Unterkunftskosten in Höhe von monatlich 530 DM für die Zeit vom 11. August 1994 bis einschließlich Februar 1995 verpflichtet und dies im wesentlichen wie folgt begründet:
Da die Klägerin nur noch die auch aus der Sicht des Beklagten angemessenen Kosten der Unterkunft begehre, sei der Beklagte entsprechend zur Kostenübernahme zu verpflichten. Die Klägerin sei zwar nicht während des Sozialhilfebezugs umgezogen, jedoch zu einem Zeitpunkt, zu dem voraussehbar gewesen sei, daß sie hilfebedürftig werden würde. In einem derartigen Fall sei nicht § 3 Abs. 1 RegelsatzVO anwendbar, vielmehr gelte der Grundsatz, daß zumindest die angemessenen Kosten der Unterkunft zu übernehmen seien, wenn ein Sozialhilfeempfänger während des Sozialhilfebezuges in eine (nach Miete und Größe) unangemessene Wohnung ziehe.
Die hiergegen von dem Beklagten eingelegte Berufung hat der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Urteils und seine vom Bundesverwaltungsgericht abweichende ständige Rechtsprechung zurückgewiesen: Auch der Gesetzgeber habe durch die Ergänzung des § 3 Abs. 1 RegelsatzVO durch Art. 11 des insoweit am 1. August 1996 in Kraft getretenen Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996 (BGBl I S. 1088) klargestellt, daß der Sozialhilfeträger zur Übernahme jedenfalls der angemessenen Unterkunftskosten auch dann verpflichtet sein solle, wenn der Sozialhilfeempfänger eine sozialhilferechtlich unangemessen teure Wohnung anmiete und der Sozialhilfeträger die Kostenübernahme zuvor abgelehnt habe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Beklagten, mit der er die Abweisung der Klage erstrebt. Er rügt Verletzung von § 3 Abs. 1 RegelsatzVO.
Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung. Sie macht geltend, die Miete von monatlich 800 DM habe 1994 an der untersten Grenze der Mieten im südlichen Rhein-Neckar-Kreis gelegen; ihre eigenen Bemühungen, im Umkreis eine den Anforderungen des Beklagten entsprechende Wohnung zu finden, seien erfolglos geblieben. Zumindest für eine Übergangszeit hätte der Beklagte sogar die erhöhten Kosten tragen müssen. Im übrigen habe sie die streitgegenständliche Wohnung im Hinblick auf ihre Vermögenslage und ohne Absicht, Sozialhilfe beanspruchen zu müssen, bezogen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.
II.
Die Revision des Beklagten, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist begründet. Die Ansicht der Vorinstanzen, der Beklagte sei verpflichet, im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt für die Klägerin und ihre Tochter von den unangemessen hohen Unterkunftskosten einen als angemessen angesehenen Teilbetrag von monatlich 530 DM (Kaltmiete) als Bedarf zu berücksichtigen, verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da eine abschließende Entscheidung des Rechtsstreits noch tatsächliche Feststellungen erfordert, die zu treffen dem Revisionsgericht verwehrt ist (§ 137 Abs. 2 VwGO), muß die Sache zur weiteren Sachaufklärung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen werden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Ob die Klägerin für den streitgegenständlichen Zeitraum laufende Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung des als angemessen anzusehenden Teils ihrer Unterkunftsaufwendungen beanspruchen kann, beurteilt sich nach §§ 11, 12 BSHG in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Januar 1991 (BGBl I S. 94, ber. S. 808) und § 3 Abs. 1 RegelsatzVO vom 20. Juli 1962 (BGBl I S. 515).
Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs ist § 3 Abs. 1 RegelsatzVO in seiner hier maßgeblichen Fassung keine Rechtsgrundlage für die Gewährung eines solchen bloßen Unterkunftskostenzuschusses. Nach dem sozialhilferechtlichen Bedarfsdeckungsgrundsatz darf kein ungedeckter Bedarfsrest hinsichtlich der Unterkunftskosten übrigbleiben (BVerwGE 92, 1 <5>; 101, 194 <197>). Andererseits ist dem Hilfesuchenden nur das zu gewähren, was er aus sozialhilferechtlicher Sicht benötigt (vgl. BVerwGE 72, 88 <89>; 75, 168 <170>; 97, 110 <112>; 101, 194 <196>). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist der Sozialhilfeträger daher berechtigt, einen Hilfesuchenden, der die Übernahme unangemessen hoher Unterkunftskosten begehrt, auf den Bezug einer geeigneten kostenangemessenen Unterkunft zu verweisen. Die darin liegende Beschränkung des Hilfeanspruchs ist im sozialhilferechtlichen Bedarfsdeckungsgrundsatz angelegt, sie läuft ihm nicht zuwider (BVerwGE 101, 194 <197>).
Ob sich aus der Ergänzung des § 3 Abs. 1 RegelsatzVO durch Art. 11 des insoweit am 1. August 1996 in Kraft getretenen Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996 (BGBl I S. 1088), insbesondere durch dessen neuen Satz 3 eine Änderung der Rechtslage im Sinne eines Anspruchs auf Übernahme auch eines bloßen Unterkunftskostenanteils ergeben könnte, hat der Senat nicht zu entscheiden, da das neue Recht für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht gilt. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat diese Neuregelung nicht die Bedeutung einer "Klarstellung", daß der Sozialhilfeträger für die vor Inkrafttreten liegende Zeit bei Anmietung einer sozialhilferechtlich unangemessenen Unterkunft zur Übernahme jedenfalls der angemessenen Aufwendungen verpflichtet sei. Diese Neuregelung soll ausweislich der Gesetzesbegründung der Bundesregierung (vgl. BTDrucks 13/2440 vom 27. September 1995, S. 33) einem Bedürfnis der Praxis Rechnung tragen, das Verhalten der Beteiligten bei einem Umzug des Hilfeempfängers zu regeln; eine die vom Gesetzgeber vorgefundene Rechtslage erhellende Interpretation der bis dahin maßgeblichen Bestimmungen ist damit ersichtlich nicht verbunden.
Die angefochtene Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO). Zwar könnte Rechtsgrund für die vom Berufungsgericht bestätigte Verpflichtung des Beklagten, der Klägerin Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung eines Unterkunftskostenanteils in Höhe von 530 DM monatlich zu gewähren, auch ein weitergehender, die gesamten Unterkunftskosten umfassender Anspruch der Klägerin sein. Hierzu fehlt es jedoch an den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen, so daß sich nicht entscheiden läßt, ob der Klägerin ein solcher Anspruch zusteht.
Auf § 3 Abs. 1 Satz 2 RegelsatzVO kann die Klägerin sich in diesem Zusammenhang allerdings nicht berufen. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat durch Bezugnahme auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils, für das Revisionsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindend, festgestellt, daß die Klägerin die neue Wohnung zwar nicht als Sozialhilfeempfängerin angemietet hatte, aber zu einem Zeitpunkt umgezogen war, in dem voraussehbar war, daß sie hilfebedürftig würde. Bereits deshalb scheidet § 3 Abs. 1 Satz 2 RegelsatzVO als Anspruchsgrundlage aus (BVerwGE 75, 168 <172>; 101, 194 <200>).
Nicht von vornherein auszuschließen ist es hingegen, daß der Klägerin für den streitbefangenen Zeitraum nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BSHG, § 3 Abs. 1 Satz 1 RegelsatzVO ein Anspruch auf Übernahme der gesamten Kosten ihrer neuen Wohnung zusteht. Denn auch ein Sozialhilfeempfänger, der eine aus sozialhilferechtlicher Sicht an sich abstrakt zu teure Wohnung bezieht, kann die Übernahme seiner tatsächlichen Unterkunftskosten in voller Höhe beanspruchen, wenn und solange für ihn auf dem Wohnungsmarkt im Zuständigkeitsbereich seines örtlichen Trägers der Sozialhilfe keine bedarfsgerechte, kostengünstigere Unterkunftsalternative verfügbar ist (BVerwGE 101, 194 <197 f.>).
Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - nicht festgestellt, ob für die Klägerin in den Bedarfsmonaten, die hier im Streit sind, eine andere bedarfsgerechte, aber kostengünstigere Wohnung im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten konkret verfügbar und zugänglich war. Auch das Urteil des Verwaltungsgerichts, dessen Gründe sich das Berufungsgericht zu eigen gemacht hat, enthält derartige Feststellungen nicht.
Ob die Klägerin in der Vergangenheit ausreichend dargetan hat, daß es ihr nicht möglich gewesen sei, eine angemessene Wohnung zu finden, kann dabei nicht entscheidend sein. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Senats (BVerwGE 101, 194 <198>) ein Hilfesuchender, der die Übernahme einer an sich (abstrakt) unangemessen hohen Miete für eine bereits bezogene Wohnung begehrt, verpflichtet, dem Sozialhilfeträger substantiiert darzulegen, daß eine andere bedarfsgerechte, kostengünstigere Unterkunft im Bedarfszeitraum auf dem örtlichen Wohnungsmarkt nicht vorhanden bzw. trotz ernsthafter und intensiver Bemühungen nicht auffindbar oder eine vorhandene Unterkunft ihm nicht zugänglich ist. Dies bedeutet aber nicht, daß die Prüfung der Wohnungsmarktsituation durch Sozialhilfeträger und Gericht auf die Fälle beschränkt sei, in denen der Hilfesuchende bereits in der Vergangenheit dieser Substantiierungslast nachgekommen ist. Denn die Klägerin hatte hierzu angesichts der Rechtsprechung der für sie zuständigen Landesverwaltungsgerichte keinen Anlaß.
Daß die von der Klägerin seit März 1994 bewohnte Wohnung die einzig verfügbare und der Klägerin zugängliche Wohnung auf dem örtlichen Wohnungsmarkt war, mag unwahrscheinlich sein, kann vom Revisionsgericht jedoch nicht ausgeschlossen werden. Das nötigt zur Zurückverweisung an die Vorinstanz.
Dr. Säcker
Dr. Pietzner
Schmidt
Dr. Rothkegel
Dr. Franke
e
Ende der Entscheidung
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