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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 29.03.2001
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 15.00
Rechtsgebiete: BVFG
Vorschriften:
BVFG § 5 Nr. 2 Buchstabe b |
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
BVerwG 5 C 15.00 OVG 2 A 233/95
Verkündet am 29. März 2001
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 29. März 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Franke und Dr. Jannasch
für Recht erkannt:
Tenor:
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. März 2000 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe:
I.
Der Kläger zu 1 wurde am 1. Dezember 1950 in Makinsk in Kasachstan geboren. Seinen Eltern wurden von der Stadt B. am 15. August 1995 Spätaussiedlerbescheinigungen ausgestellt. Die Kläger zu 3 und 4 sind die Kinder des Klägers zu 1 und dessen Ehefrau russischer Volkszugehörigkeit, der Klägerin zu 2.
Am 21. Juni 1991 stellte der in der Bundesrepublik Deutschland lebende Vetter des Klägers zu 1, Herr Peter N., für die Kläger einen Antrag auf Aufnahme als Aussiedler in die Bundesrepublik Deutschland. Die Kläger zu 1 und 2 hatten Herrn Peter N. mit Vollmacht vom 12. März 1991 bevollmächtigt, "einen Antrag auf Aufnahme als Aussiedler" zu stellen. In den Geburtsurkunden der Kläger zu 3 und 4 ist der Kläger zu 1 mit deutscher Nationalität eingetragen. Auf Nachfrage des Bundesverwaltungsamtes teilte der Bevollmächtigte der Kläger unter dem 5. Februar 1992 mit, dass der Kläger zu 1 weder Mitglied der Partei noch einer politischen Vereinigung gewesen sei. Von 1980 bis 1981 sei er als Anwärter bei der Staatsanwaltschaft der Stadt Temirtau, von 1981 bis 1982 als Untersuchungsrichter bei der Staatsanwaltschaft der Stadt Karaganda und seit 1983 bis jetzt als "Staatsanwalt-Kriminalist" bei der Staatsanwaltschaft des Gebietes Karaganda beschäftigt gewesen.
Mit Bescheid vom 18. Februar 1992 lehnte das Bundesverwaltungsamt den Aufnahmeantrag der Kläger ab. Der Kläger zu 1 sei zwar deutscher Volkszugehöriger, aber aufgrund seiner herausgehobenen Stellung als Staatsanwalt nicht mehr von einem Kriegsfolgenschicksal betroffen. Die Rechtsbehelfsbelehrung dieses Bescheides enthielt den Zusatz, die Widerspruchsfrist sei auch gewahrt, wenn der Widerspruch bei einer Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland eingelegt werde.
Den von den Klägern durch Herrn Peter N. gegen diesen Bescheid am 13. März 1992 eingelegten Widerspruch wies das Bundesverwaltungsamt mit Widerspruchsbescheid vom 2. April 1992 als unbegründet zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde Herrn Peter N. am 4. April 1992 zugestellt.
Am 7. Mai 1992 hat Herr Peter N. für die Kläger Klage auf Erteilung eines Aufnahmebescheides erhoben und hinsichtlich der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung beantragt, er habe den Widerspruchsbescheid inhaltlich zunächst nicht verstanden. In der Folgezeit - erstmals am 16. Juni 1992 - haben die Kläger um Wiedereinsetzung in die Klagefrist wegen der "postalischen Schwierigkeiten" gebeten und dazu vorgebracht, sie hätten den Ablehnungsbescheid "wegen der Zustellung der Post von einem Monat" erst am 10. Mai 1992 erhalten. Am gleichen Tag sei dem Bevollmächtigten eine schriftliche Vollmacht zur Klage erteilt worden, die diesem am 9. Juni 1992 zugegangen sei.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid als unzulässig abgewiesen. Die Berufung dagegen hat das Berufungsgericht mit Urteil vom 29. März 2000 zurückgewiesen, im Wesentlichen mit folgender Begründung:
Die Klage sei unzulässig, weil die Klagefrist nicht eingehalten sei. Sie sei erst am 7. Mai 1992 und damit später als einen Monat nach Zustellung des Widerspruchsbescheides an Herrn Peter N. am 4. April 1992 erhoben worden. Mit dieser Zustellung sei die Klagefrist auch in Gang gesetzt worden. Zwar sei Herr Peter N. schriftlich nur "für den Antrag auf Aufnahme als Aussiedler" und damit nicht auch für die Entgegennahme des Widerspruchsbescheides bevollmächtigt gewesen. Seine Bevollmächtigung dafür ergebe sich aber aus den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsätzen über das Vorliegen einer Anscheinsvollmacht. Nach diesen Grundsätzen liege eine Anscheinsvollmacht vor, wenn der Vertretene das Handeln seines angeblichen Vertreters nicht kennt, es bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern müssen und wenn die Behörde nach Treu und Glauben habe annehmen dürfen, der Vertretene dulde und billige das Handeln des Vertreters. Die Voraussetzungen einer Anscheinsvollmacht lägen hier vor. Denn Herr Peter N. sei nach dem Vortrag der Kläger in der letzten mündlichen Verhandlung nicht nur schriftlich zur Stellung des Aufnahmeantrags bevollmächtigt gewesen, sondern habe nach Erhalt des Ablehnungsbescheides telefonisch ausdrücklich auch den Auftrag und die Vollmacht erhalten, Widerspruch zu erheben. Auch wenn diese telefonische Bevollmächtigung sich nach dem Vortrag der Kläger inhaltlich auf die Einlegung des Widerspruchs beschränkt haben sollte, sei durch die von der Vollmacht gedeckte Einlegung des Widerspruchs unter Berücksichtigung der mit dem Aufnahmeantrag eingereichten Vollmacht und der widerspruchslosen Entgegennahme des Ablehnungsbescheides für einen objektiven Beobachter der Anschein erweckt worden, dass Herr Peter N. für die Durchführung des gesamten Aufnahmeverfahrens bevollmächtigt gewesen sei. Da das Bundesverwaltungsamt in dem Widerspruch vom 13. März 1992 nicht ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, dass die weitere Bevollmächtigung des schon für die Aufnahmeantragstellung Bevollmächtigten allein auf die Einleitung des Widerspruchs beschränkt gewesen sei, habe es davon ausgehen dürfen, dass die Kläger Herrn Peter N. auch bevollmächtigt hätten, den Widerspruchsbescheid in Empfang zu nehmen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne den Klägern nicht gewährt werden.
Die Kläger hätten darüber hinaus auch keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Aufnahmebescheide. Denn nach § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG erwerbe die Rechtsstellung nach § 4 Abs. 1 oder 2 BVFG nicht, wer in den Aussiedlungsgebieten eine Funktion ausgeübt habe, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam gegolten habe oder aufgrund der Umstände des Einzelfalles gewesen sei. Jedenfalls die vom Kläger zu 1 seit 1983 innegehabte Stellung als "Staatsanwalt-Kriminalist" bei der Staatsanwaltschaft des Gebietes Karaganda sei eine Funktion im Sinne dieser Bestimmung. Eine Funktion sei dann für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam geltend anzusehen, wenn sie in der Regel an die Mitgliedschaft des Funktionsträgers in der KPdSU gebunden gewesen sei. Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes sei davon auszugehen, dass die Funktion eines Staatsanwalts - nicht nur die Funktion des Gebietsstaatsanwalts - in der Regel mit Parteiangehörigen besetzt worden sei. Dass der Kläger zu 1, wie auch der eine oder andere in der Staatsanwaltschaft Tätige, kein Parteimitglied gewesen sei, sei unerheblich. Unabhängig von der Parteimitgliedschaft sei eine Funktion auch dann für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam anzusehen, wenn sie in einer staatlichen Einrichtung ausgeübt worden sei, die aufgrund der Organisationsstruktur des kommunistischen Herrschaftssystems dessen Aufrechterhaltung gedient habe, und auf einer mit Entscheidungs- und Leitungskompetenz ausgestatteten Ebene ausgeübt worden sei. Die vom Kläger zu 1 ausgeübte Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft sei eine solche Funktion gewesen. Wesen und Aufgabe der Staatsanwaltschaft in der ehemaligen Sowjetunion unterschieden sich grundlegend von denen der Staatsanwaltschaften des Westens. Der Staatsanwaltschaft habe umfassend der Schutz der Rechtsordnung oblegen. In der Praxis habe die Staatsanwaltschaft mit dem zuständigen Parteikomitee der KPdSU zusammengearbeitet und von dort Weisungen erhalten.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision gegen dieses Urteil verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter. Sie rügen die Verletzung formellen und materiellen Rechts, insbesondere die Annahme einer Anscheinsvollmacht durch das Berufungsgericht.
Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil und beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht ist der Auffassung, dass der Kläger zu 1 als Staatsanwalt eine für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam geltende Funktion ausgeübt habe und die Revision deshalb keinen Erfolg haben könne.
II.
Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Kläger ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, die Klage sei unzulässig, weil verspätet. Denn Herrn Peter N. ist der Widerspruchsbescheid nicht wirksam für die Kläger zugestellt worden. Er war nur für die Stellung des Antrags auf Aufnahme und später für die Einlegung des Widerspruchs bevollmächtigt. Weder daraus noch aus anderen Umständen kann ein Anschein für eine weitere Bevollmächtigung, also auch zur Entgegennahme eines Ablehungsbescheides oder des Widerspruchsbescheides, entnommen werden. Herr Peter N. hat nur den Aufnahmeantrag gestellt und Widerspruch eingelegt. Anzeichen für eine weitergehende Bevollmächtigung sind von ihm nicht ausgegangen und waren deshalb auch nicht von den Klägern zu erkennen. Vielmehr ist es bei den bekannt langen Postlaufzeiten im wohlverstandenen Interesse der Kläger sachgerecht, dass sie zunächst nur zur Antragstellung und später nur zur Wiederspruchseinlegung bevollmächtigten. Da die Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts Herrn Peter N. nach Kenntnis von der Ablehnung ihres Antrags eigens zur Einlegung des Widerspruchs bevollmächtigt haben, kann die spätere Bevollmächtigung zur Klage auch nicht als Genehmigung der Zustellung des Widerspruchsbescheides an Herrn Peter N. verstanden werden.
Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger zu 1 einen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG und folglich die Kläger zu 2 bis 4 einen Anspruch auf Einbeziehung in diesen Aufnahmebescheid nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG nur dann haben, wenn der Kläger zu 1 nach Verlassen des Aussiedlungsgebietes die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllt, und dass dies entscheidend davon abhängt, dass dem nicht die am 1. Januar 2000 in Kraft getretene Regelung des § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG i.d.F. des Art. 6 Nr. 1 Buchstabe b des Haushaltssanierungsgesetzes - HSanG - vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S. 2534) entgegensteht. Diese Vorschrift gilt in Ermangelung einer gesetzlichen Überleitungsvorschrift auch für noch nicht abgeschlossene Aufnahmeverfahren (vgl. BVerwGE 99, 133 <135 ff.>). Nach § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG erwirbt den Status als Spätaussiedler nach § 4 Abs. 1 oder 2 BVFG nicht, wer in den Aussiedlungsgebieten eine Funktion ausgeübt hat, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt oder aufgrund der Umstände des Einzelfalles war. Die Vorschrift knüpft an das fehlende Kriegsfolgenschicksal des Antragstellers an (BTDrucks 14/1523, S. 172; 14/1636, S. 175). § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG macht dies jedoch - ebenso wie seine Vorgängervorschrift § 5 Nr. 1 Buchstabe d BVFG a.F. - nicht an dem Erreichen einer bestimmten beruflichen Stellung und der hiermit verbundenen wirtschaftlichen Privilegierung in der Gesellschaft des Herkunftslandes fest. Das Gesetz billigt damit dem deutschen Volkszugehörigen nach wie vor zu, nach seinen Kräften und Fähigkeiten auch eine herausgehobene berufliche Stellung zu erreichen, und zwar auch innerhalb der Staatsverwaltung, der Armee und der staatlich gelenkten Wirtschaftsverwaltung in der früheren Sowjetunion (vgl. BVerwGE 108, 340 <343 f.> zur Vorgängervorschrift). § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG geht vielmehr davon aus, dass das für deutsche Volkszugehörige sonst (möglicherweise) bestehende Kriegsfolgenschicksal nicht mehr fortbestand, wenn der deutsche Volkszugehörige im Aussiedlungsgebiet eine Funktion ausgeübt hat, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt, weil er damit den Schutz dieses Systems genoss.
Nicht verkannt wird, dass auch diese Gruppe deutscher Volkszugehöriger nach dem Ende ihrer Funktionsausübung und insbesondere nach dem Untergang des kommunistischen Herrschaftssystems gegebenenfalls mit Nachteilen wegen ihrer deutschen Volkszugehörigkeit rechnen muss. Das für die Rechtsstellung als Spätaussiedler nach § 4 BVFG maßgebliche Kriegsfolgenschicksal knüpft aber nicht nur an die Benachteiligung als deutscher Volkszugehöriger oder deren Nachwirkungen an, sondern setzt weiter einen örtlichen und zeitlichen Bezug, den ständigen Aufenthalt bzw. Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet seit den in § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BVFG genannten Stichtagen, voraus. Damit stellt § 4 BVFG für die Rechtsstellung als Spätaussiedler mit den sich daraus ergebenden Rechten wesentlich auf eine in den Aussiedlungsgebieten entstandene und fortdauernde Gefahrenlage ab. Fehlt sie, z.B. bei späterer Einreise in das Aussiedlungsgebiet, z.B. zur Heirat, oder ist sie unterbrochen, z.B. bei Aus- und späterer Wiedereinreise, so sind spätere Benachteiligungen aufgrund deutscher Volkszugehörigkeit kein die Rechtsstellung als Spätaussiedler nach § 4 BVFG begründendes Kriegsfolgenschicksal. Entsprechend betrifft auch der Ausschlusstatbestand des § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG einen Fall, in dem die ursprünglich für den deutschen Volkszugehörigen bestehende Gefahrenlage entfallen ist. Das Gesetz geht davon aus, dass derjenige, der in den Aussiedlungsgebieten eine Funktion ausgeübt hat, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt, den Schutz dieses Systems genoss, für ihn also die für Volksdeutsche sonst bestehende Gefahrenlage nicht fortbestand. Wenn dieser Volksdeutsche dann später doch Benachteiligungen unterliegen sollte, z.B. nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als Volksdeutscher in einer dann selbstständigen Republik der ehemaligen Sowjetunion, so ist doch die ursprüngliche für die Rechtsstellung als Spätaussiedler maßgebliche Gefahrenlage unterbrochen gewesen und vermag eine neu entstehende Gefahrenlage nicht mehr die Rechtsstellung als Spätaussiedler zu begründen.
Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass sich die Frage, welche Funktionen i.S. des § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG gewöhnlich als bedeutsam galten, nach den zur Zeit des kommunistischen Herrschaftssystems herrschenden politischen und rechtlichen Auffassungen im Aussiedlungsgebiet beantwortet. Diese waren - wie der Senat bereits zur Vorgängervorschrift hervorgehoben hat (BVerwGE 108, 340 <345 f.>) - in der früheren Sowjetunion geprägt durch die führende Rolle, die der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) in Staat und Gesellschaft zukam. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der sowjetischen Verfassung vom 7. Oktober 1977 bezeichnete die KPdSU als die "führende und lenkende Kraft der sowjetischen Gesellschaft" und den "Kern ihres politischen Systems, der staatlichen und gesellschaftlichen Organisationen". Dem entsprach auch die Verfassungswirklichkeit und die politische Doktrin in der Sowjetunion (vgl. Meissner, in: Handbuch der Sowjetverfassung, redigiert von Martin Fincke, 2. Aufl. 1983, Art. 6 Rn. 8 ff.). Folgerichtig war die KPdSU auch auf allen territorialen Ebenen der Unionsrepubliken (vgl. Art. 79, 145 Sowjetverfassung 1977) bis hinunter zu den Rayons und den ländlichen Ortschaften, Siedlungen, Stadtbezirken und Kleinstädten mit Parteikomitees, Büros und Sekretariaten vertreten, um ihren Führungsanspruch bis auf die unterste staatliche Ebene hinab zur Geltung zu bringen. Zur Durchsetzung ihrer führenden Rolle hatte sich die Partei einen mit hauptamtlich tätigen Funktionären besetzten Apparat geschaffen, der zusammen mit den Parteiorganen das Herzstück des kommunistischen Herrschaftssystems bildete (vgl. Voslensky, Nomenklatura, 3. Aufl. 1987, S. 171 f.). Zu Recht ist deshalb das Berufungsgericht in anderen Verfahren davon ausgegangen, dass hauptamtlich tätige Parteifunktionäre der KPdSU eine Funktion ausgeübt haben, die in der ehemaligen Sowjetunion für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt i.S. des § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG.
Zu Unrecht vertritt das Berufungsgericht jedoch im vorliegenden Verfahren, eine Funktion habe dann für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam gegolten, wenn ihre Ausübung in der Regel an die Parteimitgliedschaft gebunden gewesen sei, weil einerseits die Partei die führende und lenkende Kraft und der Kern des politischen Systems gewesen sei und andererseits die Zahl der Parteimitglieder gemessen an der Gesamtbevölkerung relativ gering gewesen sei. Dem ist entgegenzuhalten, dass ungeachtet des Verhältnisses der Zahl der Parteimitglieder zur Gesamtbevölkerung die Regelvoraussetzung der Parteizugehörigkeit für die Ausübung einer Funktion nicht deren Bedeutung für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems belegt. Denn die führende, lenkende und das System stabilisierende Kraft ging systemtypisch nicht von einfachen Parteimitgliedern (von der Basis), sondern hierarchisch von Parteifunktionären (von oben gelenkt) aus. Das zuständige Parteikomitee bzw. der zuständige Parteifunktionär konnte unmittelbar auf die entsprechende Verwaltungsebene Einfluss nehmen. Zudem konnte in der Zeit, in die die Tätigkeit des Klägers zu 1 als Staatsanwalt fiel, grundsätzlich jeder Sowjetbürger ohne besondere Voraussetzung Parteimitglied werden. Folglich ergibt sich weder aus der einfachen Parteizugehörigkeit noch aus einer diese grundsätzlich voraussetzenden Funktionsausübung eine irgendgeartete Bedeutsamkeit für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems.
Nicht zutreffend ist auch die Auffassung des Berufungsgerichts, eine Funktion habe für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam gegolten, wenn sie in einer staatlichen Einrichtung, die aufgrund der Organisationsstruktur des kommunistischen Herrschaftssystems dessen Aufrechterhaltung diente, auf einer mit Entscheidungs- und Leitungskompetenz ausgestatteten Ebene ausgeübt worden sei. Damit wird zum einen bei der Erläuterung dessen, was für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt, bereits als Voraussetzung eingestellt, dass die Einrichtung, in der die Funktion ausgeübt wird, der Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems diente, und zum anderen verkannt, dass § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG in Bezug auf die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems maßgeblich auf eine konkret ausgeübte Funktion abstellt und nicht auf die gesamte Einrichtung, in der die Funktion ausgeübt wird. Ließe man jede Funktion auf einer mit Entscheidungs- und Leitungskompetenz ausgestatteten Ebene einer staatlichen Einrichtung, die aufgrund der Organisationsstruktur des kommunistischen Herrschaftssystems dessen Aufrechterhaltung diente, genügen, wäre jede Funktion mit Entscheidungs- und Leitungskompetenz in einer staatlichen Einrichtung - Entsprechendes müsste auch für die Wirtschaft und alle anderen gesellschaftlichen Bereiche gelten - von § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG erfasst, weil die Partei auf alle diese Einrichtungen Einfluss nehmen konnte und nahm.
Während Parteifunktionen mit der Aufgabe, den Willen der Partei in staatlichen, wirtschaftlichen und anderen gesellschaftlichen Einrichtungen durchzusetzen, für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galten, gilt das nicht gleichermaßen für alle Funktionen in den staatlichen, wirtschaftlichen und anderen gesellschaftlichen Einrichtungen, auf die die Partei Einfluss nehmen konnte und genommen hat. So können grundsätzlich alle diejenigen Funktionen, die auch in anderen, nichtkommunistischen Staats- und Gesellschaftsordnungen erforderlich sind und ausgeübt werden, nicht als für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich bedeutsam geltend angesehen werden.
Das Berufungsgericht hat die Klage zu Unrecht deshalb für unbegründet gehalten, weil es für die Frage, ob die vom Kläger zu 1 ausgeübte Funktion für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt, nicht, wie von § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG vorausgesetzt, auf die vom Kläger zu 1 ausgeübte Funktion, sondern allgemein auf die Aufgabe der Staatsanwaltschaft abgestellt hat. Sollte der Kläger zu 1 tatsächlich nur die Funktion "Staatsanwalt-Kriminalist" ausgeübt haben, war das eine allgemeine staatliche Funktion, der keine spezifische Bedeutung für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems zukam. Dabei wird nicht verkannt, dass andere Funktionen der Staatsanwaltschaft, insbesondere soweit sie gelenkt von der KPdSU ausgeübt wurden, für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems als bedeutsam geltend in Betracht kommen konnten. Die normale, d.h. nicht politische, Strafverfolgung gehörte dazu aber nicht.
Das Berufungsgericht hat bisher nicht ermittelt, ob sich aus dem Arbeitsbuch des Klägers zu 1 seine weiteren Tätigkeiten ergeben. Es erscheint unwahrscheinlich, dass die bis dahin ausführlichen Angaben über die Funktionen des Klägers im Arbeitsbuch 1983 abrupt enden und nicht eingetragen lediglich die Entlassung 1997 sei. Das Berufungsgericht wird aufzuklären haben, welche Funktionen der Kläger zu 1 bis zum Ende des kommunistischen Herrschaftssystems ausgeübt hat. Das erfordert die Zurückverweisung.
Beschlus
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 32 000 DM festgesetzt.
Ende der Entscheidung
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