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Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 25.04.2002
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 16.01
Rechtsgebiete: SGB VIII
Vorschriften:
SGB VIII § 74 | |
SGB VIII § 90 |
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
BVerwG 5 C 16.01
Verkündet am 25. April 2002
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 25. April 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel und Dr. Franke
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 17. Mai 2000 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe:
I.
Die Kläger wohnen mit ihrer Tochter im Gebiet der beklagten Stadt H. Für den Besuch ihrer Tochter in dem außerhalb der Stadt H. gelegenen Waldorf-Kindergarten S. e.V. mussten sie ab Dezember 1997 ein Entgelt in Höhe von 557 DM (303 DM als einkommensorientierten Teil und 254 DM als Zuschlag, weil die Beklagte in dieser Höhe zwar Kindergartenplätze in ihrem Gebiet, nicht aber außerhalb institutionell förderte) bezahlen.
Unter dem 27. März 1998 beantragten die Kläger bei der Beklagten, ihnen den als "Auswärtigenzuschlag" bezeichneten Teil des Betreuungsentgelts von 254 DM ab Dezember 1997 aus Jugendhilfemitteln zu erstatten.
Die Beklagte berechnete aufgrund der mitgeteilten Einkommensverhältnisse der Kläger einen die Einkommensgrenze übersteigenden Betrag in Höhe von 2 287 DM und lehnte mit Bescheid vom 13. April 1999 die begehrte Übernahme des Kindergartenbeitrages in Höhe von 254 DM ab, weil den Klägern in Anbetracht der Höhe des die Einkommensgrenze übersteigenden Betrages die Belastung mit dem vollen Kindergartenbeitrag zumutbar sei.
Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 1999) erhobene Klage ist in beiden Tatsacheninstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat sein die Berufung zurückweisendes Urteil im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der geltend gemachte Anspruch auf Übernahme eines Teils der Kosten des Besuchs des Kindergartens durch die Tochter der Kläger könne sich nur aus § 90 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 i.V.m. § 24 Satz 1 SGB VIII ergeben. Dieser Anspruch sei aber auf den Betrag begrenzt, der den zumutbaren Eigenanteil an den entstehenden Kosten übersteige. Allein der Umstand, dass nicht der Primäranspruch auf einen Kindergartenplatz durch den Träger der öffentlichen Jugendhilfe selbst oder einen in seinem Gebiet ansässigen und von ihm geförderten Träger der freien Jugendhilfe gedeckt werde, könne nicht dazu führen, dass den Eltern oder dem Kind ein Anspruch zuwachse, der den aus § 90 SGB VIII folgenden und durch einen Eigenanteil begrenzten Anspruch übersteige.
Ein weitergehender Erstattungsanspruch der Kläger ergebe sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag. Dem stünden in Fällen der vorliegenden Art, in denen die konkrete Art der Bedarfsdeckung lediglich auf der Ausübung des durch § 5 Abs. 2 SGB VIII gewährleisteten Wunsch- und Wahlrechts beruhe, die gesetzlichen Beteiligungsregelungen des § 90 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 und 4 SGB VIII i.V.m. §§ 76 bis 79, 84 und 85 BSHG entgegen, die ansonsten durch die Anerkennung einer Geschäftsführung ohne Auftrag unterlaufen würden.
Die Argumentation der Kläger laufe vielmehr darauf hinaus, dass die Beklagte deshalb zur Gewährung des von ihr für Einrichtungen in ihrem Zuständigkeitsbereich gewährten Sockelbetrages verpflichtet sei, weil sie diesen Betrag dadurch spare, dass ihre Tochter einen Kindergarten außerhalb des örtlichen Zuständigkeitsbereichs der Beklagten besuche. Diese Bereicherungserwägungen knüpften nicht an einer anspruchsbegründenden Norm an und verkennten, dass damit ein Anspruch jedes Kindes aus dem örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten begründet werden könnte, das einen Platz in einer von der Beklagten institutionell geförderten Einrichtung nicht in Anspruch nehme. Damit aber verlöre das Achte Buch Sozialgesetzbuch in diesem Bereich seinen Charakter als Erziehungsgesetz und würde zu einem Gesetz über staatliche Transferleistungen, das Leistungen unabhängig vom tatsächlichen Bedarf gewährte.
Mit ihrer Revision verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter. Ihr Anspruch rechtfertige sich vorrangig als ein Erstattungsanspruch aufgrund selbst beschafften Kindertagesstättenplatzes. Der für die Tochter der Kläger beschaffte Kindertagesstättenplatz außerhalb der Stadt H. sei erheblich verkehrsgünstiger zu erreichen als andere Waldorfkindergärten im Bereich der Stadt H. Nachdem sowohl bundesrechtlich als auch im einschlägigen Landesrecht ein Anspruch auf einen Kindertagesstättenplatz verankert sei, bestehe im Fall der Selbstbeschaffung eines Kindergartenplatzes ein zumindest teilweiser Kostenerstattungsanspruch, soweit als ein vom Jugendhilfeträger nachgewiesener Platz diesem selbst einen finanziellen Aufwand abgefordert hätte, der nunmehr von den Eltern zu erbringen sei. Die Beklagte fördere in ihrem Bereich einen großen Teil der Einrichtungen der freien Träger, insbesondere die Waldorfkindergärten, kindbezogen. Dies bedeute, dass sie für das Kind der Kläger ohne weiteres Zahlungen erbracht hätte, wenn das Kind in einem Waldorfkindergarten im Bereich der Beklagten untergebracht worden wäre. Durch die jetzige Unterbringung entstünden der Beklagten damit keine Mehrkosten. Gehe man jedoch mit dem Berufungsgericht davon aus, dass der Übernahmeanspruch nach § 90 SGB VIII abschließend sei, so sei hier das Fehlen einer institutionellen Sockelförderung gemäß § 74 SGB VIII für den konkret vom Kind der Kläger eingenommenen Platz im Zusammenhang mit § 84 Abs. 1 BSHG zu berücksichtigen. Nach dieser Vorschrift sei der Einsatz des Einkommens oberhalb der Einkommensgrenze lediglich in "angemessenem Umfang" zuzumuten. Dementsprechend sei es unangemessen, einerseits von den Klägern den Einkommenseinsatz zu verlangen, andererseits die Beklagte von ihrer Verpflichtung, wirtschaftliche Jugendhilfe zu gewähren, freizustellen, nur weil das Kind außerhalb des Zuständigkeitsbereichs untergebracht sei.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hält das angefochtene Berufungsurteil für zutreffend.
II.
Die Revision der Kläger ist unbegründet, so dass sie zurückzuweisen ist (§ 144 Abs. 2 VwGO). Ohne Verstoß gegen Bundesrecht hat das Berufungsgericht entschieden, dass den Klägern kein Anspruch auf die von ihnen begehrte Übernahme des Kindergartenbeitrages in Höhe des so genannten Auswärtigenzuschlages zusteht.
Zu Recht geht das Berufungsgericht davon aus, dass sich ein solcher Anspruch nur aus § 90 SGB VIII ergeben könnte. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 25. April 1997 - BVerwG 5 C 6.96 - (Buchholz 436.511 § 90 KJHG/SGB VIII Nr. 3 = DVBl 1997, 1438 = FEVS 48, 16) darauf hingewiesen, dass nach der Systematik des Gesetzes die Kostenbeteiligung für die in § 90 SGB VIII bezeichnete Inanspruchnahme von Angeboten der Jugendhilfe dort abschließend geregelt ist. Das Achte Buch Sozialgesetzbuch sieht beim Kindergartenbesuch nicht wie bei anderen Leistungen der Jugendhilfe (s. § 2 Abs. 2 SGB VIII) eine Kostenübernahme im Einzelfall, gegebenenfalls mit anschließender Heranziehung zu den Kosten nach den §§ 91 ff. SGB VIII, vor, sondern regelt in § 90 SGB VIII für die Inanspruchnahme von Angeboten der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen nach den §§ 22, 24 SGB VIII durch Träger der freien Jugendhilfe die "Erhebung von Teilnahmebeiträgen", bei deren Bemessung eine nach § 74 SGB VIII bereits erhaltene institutionelle Förderung zu berücksichtigen ist (BVerwG, Urteil vom 25. April 1997 <a.a.O.>) und die auf Antrag ganz oder teilweise vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden sollen, wenn die Belastung den Eltern und dem Kind nicht zuzumuten ist (§ 90 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII). Für die Feststellung der zumutbaren Belastung gelten die §§ 76 bis 79, 84 und 85 BSHG entsprechend, soweit nicht Landesrecht eine andere Regelung trifft (§ 90 Abs. 4 SGB VIII). Diese Regelungen sind abschließend und schließen andere Ansprüche aus, wie sie die Kläger als Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag, als aus dem Anspruch auf einen Kindergartenplatz (§ 24 SGB VIII) abgeleiteten Erstattungsanspruch für die Kosten eines selbst beschafften Kindergartenplatzes oder als Erstattungsanspruch wegen Aufwendungen geltend machen, die die Beklagte deshalb erspart habe, weil die Tochter der Kläger keinen von der Beklagten geförderten Kindergartenplatz in Anspruch genommen habe.
Nach den von den Klägern nicht angegriffenen und daher für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts ist ihnen nach ihren Einkommensverhältnissen die Belastung mit dem vollen Teilnahmebeitrag zumutbar im Sinne von § 90 Abs. 4 SGB VIII i.V.m. §§ 76 bis 79, 84 und 85 BSHG.
Zu Recht hat es das Berufungsgericht abgelehnt, im Rahmen der von § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII geforderten Zumutbarkeitserwägungen den Umstand, dass der von der Tochter der Kläger in Anspruch genommene auswärtige Kindergartenplatz von der Beklagten nicht nach § 74 SGB VIII institutionell gefördert worden ist, dahin gehend zu berücksichtigen, dass der um diesen Förderungsausfall erhöhte Teilnahmebeitrag insoweit einkommensunabhängig zu übernehmen sei. Der Systematik der in § 74 SGB VIII geregelten, hier auf Kindergärten bezogenen institutionellen Förderung einerseits und der in § 90 SGB VIII geregelten auf den Einzelfall bezogenen gänzlichen oder teilweisen Übernahme von Teilnahmebeiträgen andererseits entspricht es, dass sie zwar beide dem gleichen Ziel, der Finanzierung der Kindergartenbetreuung, dienen, dass sie dafür aber je eigenständige, unterschiedliche Ansätze und Lösungen vorsehen.
Die institutionelle Förderung nach § 74 SGB VIII betrifft allein das Verhältnis zwischen Trägern öffentlicher Jugendhilfe und Trägern freier Jugendhilfe. Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom gleichen Tage (BVerwG 5 C 18.01 - Urteilsabdruck S. 8, 10) dargelegt hat, ist die institutionelle Förderung von Kindergärten bzw. Kindergartenplätzen nach § 74 SGB VIII nicht individuell auf ein konkretes Kind und dessen Wünsche im Einzelfall bezogen, sondern auf Kindergärten insgesamt oder auf ein bestimmtes Kontingent von Kindergartenplätzen, die der Träger der öffentlichen Jugendhilfe institutionell primär deshalb fördert, damit sie Kindern aus seinem Gebiet offen stehen, er ihnen gegenüber also seine Verpflichtung aus § 24 Satz 1 SGB VIII erfüllen kann. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe entscheidet nach seinem pflichtgemäßen Ermessen (§ 74 Abs. 3 SGB VIII), welche, gegebenenfalls auch auswärtigen, Kindergärten bzw. Kindergartenplätze er institutionell fördert, um dem Anspruch der Kinder, für die er nach § 86 SGB VIII Verantwortung trägt, nach § 24 SGB VIII entsprechen zu können.
Dagegen betrifft die in § 90 Abs. 3 und 4 SGB VIII geregelte gänzliche oder teilweise Übernahme von Teilnahmebeiträgen allein das Verhältnis zwischen dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe auf der einen Seite und Eltern und Kind auf der anderen Seite. Zwar kann und wird häufig das Ausbleiben institutioneller Förderung zu einem höheren Teilnahmebeitrag führen. Das rechtfertigt es aber nicht, diesen Anteil an den einkommensabhängigen Voraussetzungen des § 90 Abs. 3 und 4 SGB VIII vorbei einkommensunabhängig zu übernehmen. Denn eine solche Vermischung zwischen - unterbliebener - institutioneller Förderung nach § 74 SGB VIII und einzelfallbezogener Übernahme nach § 90 Abs. 3 und 4 SGB VIII widerspräche der vom Gesetz bewusst getrennten Regelung der institutionellen Förderung in § 74 SGB VIII einerseits und der auf den Einzelfall bezogenen gänzlichen oder teilweisen Übernahme von Teilnahmebeiträgen in § 90 SGB VIII andererseits. Die Geltendmachung institutioneller Förderung nach § 74 SGB VIII obliegt dem Träger der freien Jugendhilfe, die Geltendmachung der Übernahme von Teilnahmebeiträgen nach § 90 Abs. 3 SGB VIII den Eltern bzw. dem Kind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.
Ende der Entscheidung
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