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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 11.08.2005
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 18.04
Rechtsgebiete: SGB VIII F. 2001, BSHG F. 2001


Vorschriften:

SGB VIII F. 2001 § 35 a
BSHG F. 2001 § 39 Abs. 3
BSHG F. 2001 § 40 Abs. 1 Nr. 3
1. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe muss für die Kosten der von Dritten durchgeführten Eingliederungshilfemaßnahmen nur aufkommen, wenn der Hilfebedarf rechtzeitig an ihn herangetragen worden ist (wie BVerwGE 112, 98).

2. Die Verpflichtung eines Jugendhilfeträgers zu vorläufigem Tätigwerden nach § 86 d SGB VIII beruht nicht auf einem allgemeinen, auf Fälle ungeklärter sachlicher Zuständigkeit übertragbaren Rechtsgedanken.

3. § 14 SGB IX gilt nicht für die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Rahmen der Jugendhilfe.

4. Für den die Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Jugendhilfe zu Leistungen an Deutsche im Ausland begründenden tatsächlichen Aufenthalt kommt es nicht auf melderechtliche Eintragungen an.


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 5 C 18.04

Verkündet am 11. August 2005

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 11. August 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke und Prof. Dr. Berlit

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 19. März 2003 wird aufgehoben. Die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 29. August 2001 wird hinsichtlich des Zeitraums Sommertrimester 1999 bis einschließlich Frühjahrstrimester 2000 zurückgewiesen. Im Übrigen wird der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten, soweit der Rechtsstreit zurückverwiesen worden ist. Im Übrigen tragen die Klägerinnen die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Übernahme von Kosten für eine Internatsunterbringung in England im Rahmen der Gewährung von Jugendhilfe.

Die am 1. Juni 1989 geborenen Klägerinnen sind Zwillinge. Bei beiden wurden cerebrale Dysfunktion bei Zustand nach Risiko-Zwillingsschwangerschaft, Frühgeburt, sensomotorische Wahrnehmungsstörung, Muskeltonusdysregulation sowie Sprachentwicklungsverzögerung diagnostiziert. Das Versorgungsamt H. erkannte beide Kinder mit Bescheiden vom 30. September 1999 als schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50 an.

Die Klägerin zu 1 besuchte nach Zurückstellung vom Schulbesuch 1995/1996 zunächst den Schulkindergarten und ab dem Schuljahr 1996/1997 die erste Klasse der G.-Schule in L., einer Schule für Sprachbehinderte. Zum 22. April 1998 wechselte die Klägerin zu 1 an die P.-Schule, eine Schule für Lernhilfe. Zu Beginn des Schuljahrs 1998/1999 nahm sie dort am Unterricht der zweiten Klasse teil.

Die Klägerin zu 2 wurde ebenfalls im Schuljahr 1995/1996 vom Schulbesuch zurückgestellt und besuchte zunächst den Schulkindergarten, in den folgenden Schuljahren die erste und zweite Klasse der R.-Schule B. Zum 22. April 1998 wechselte die Klägerin zu 2 auch an die P.-Schule. Mit Zeugnis vom 22. Juli 1998 wurde sie in die dritte Klasse versetzt und nahm zu Beginn des Schuljahrs 1998/1999 dort am Unterricht teil.

Im Oktober 1998 wurden die Klägerinnen von den Eltern in das S. College in England umgeschult. An diesem Internat wird für Kinder mit Lernschwierigkeiten und Legasthenie Einzelunterricht und Unterricht in Kleinklassen durchgeführt. Die Kosten des Schulbesuchs in der streitgegenständlichen Zeit vom Sommertrimester 1999 bis einschließlich Sommertrimester 2000 betrugen nach einer mit Schriftsatz vom 7. März 2001 (VG-Akte Bl. 63 ff.) überreichten Kostenaufstellung der Klägerinnen 75 052 DM.

Am 26. August 1999 beantragten die Eltern der Klägerinnen beim Landkreis H. die Gewährung von Eingliederungshilfe und legten im März 2000 die Übersetzung eines am S. College erstellten psychologischen Gutachtens vom 26. November 1999 vor, wonach die Klägerinnen seit ihrer Aufnahme dort erhebliche Fortschritte gemacht hätten. Der Landkreis lehnte die Anträge mit Bescheid vom 28. März 2000 ab, da weder eine seelische Behinderung der Klägerinnen erkennbar sei noch eine solche drohe. Die Klägerinnen erhoben Widerspruch und legten ein weiteres an der Schule erstelltes psychologisches Gutachten vom 16. Juni 2000 vor, wonach sich ihre Situation durch die Förderung in dem Internat verbessert habe und es derzeit keine Hinweise auf emotionale oder psychische Störungen mehr gebe. Der Landkreis wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2000, zugestellt am 3. August 2000, zurück und ergänzte die bisher gegebene Begründung dahin, das S. College sei keine Einrichtung der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte oder von einer seelischen Behinderung bedrohte Kinder und Jugendliche.

Die Klage der Klägerinnen mit dem Antrag, den Landkreis H. zu verpflichten, die Kosten im S. College für die Zeit des Sommertrimesters 1999 bis einschließlich Sommertrimester 2000 zu übernehmen, hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 29. August 2001 abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerinnen hat das Oberverwaltungsgericht - nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und mündlicher Erläuterung durch die Sachverständige - die Beklagte, Rechtsnachfolgerin des Landkreises H., verpflichtet, den Klägerinnen Jugendhilfe in Form der Übernahme der Kosten für die Betreuung im Internat S. College in der Zeit vom Sommertrimester 1999 bis einschließlich Sommertrimester 2000 in Höhe von 75 051,88 DM zu gewähren. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Das Verwaltungsgericht habe die Klage zu Unrecht abgewiesen. Ihnen stehe Eingliederungshilfe in der zugesprochenen Höhe zu (§ 35a SGB VIII i.V.m. § 39 Abs. 3, § 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG - jeweils in der hier anzuwendenden bis zum 30. Juni 2001 gültig gewesenen Fassung). Von einer seelischen Behinderung, d.h. einer Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft aufgrund einer seelischen Störung (§ 35a Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII i.V.m. § 3 Satz 1 EingliederungshilfeVO), bedroht seien Kinder und Jugendliche, bei denen eine seelische Behinderung als Folge seelischer Störung noch nicht vorliege, aber ihr Eintritt nach allgemeiner ärztlicher oder sonstiger fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei (§ 5 EingliederungshilfeVO). Zu der entscheidenden Frage, ob die seelischen Störungen nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv seien, dass sie die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigten, trete also die Prognoseentscheidung, ob und gegebenenfalls wann mit welcher Wahrscheinlichkeit der Eintritt einer Behinderung zu erwarten sei. Anhand dieser Maßstäbe nehme der Senat aufgrund des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens vom 29. Oktober 2002 an, dass bei der Klägerin zu 1 im Zeitpunkt der Umschulung in das S. College im Herbst 1998 bereits eine seelische Behinderung vorgelegen habe und die bei der Klägerin zu 2 noch nicht so verfestigten Anzeichen einer seelischen Behinderung durch die für sie im S. College adäquate Förderung hätten behoben und somit eine Verstärkung der Symptome habe vermieden werden können. Das Gutachten habe keinen Zweifel daran gelassen, dass bei einer Rückkehr der Klägerinnen nach Deutschland in diesem Zeitraum für beide eine - erneute - seelische Behinderung zumindest gedroht hätte.

Der Senat halte mit dem Gutachter die Beschulung der beiden Kinder im S. College im Zeitraum vom Sommertrimester 1999 bis einschließlich Sommertrimester 2000 auch für geeignet, die vorhandene seelische Behinderung zu beheben oder zu mildern bzw. die drohende seelische Behinderung zu verhüten. Die Maßnahme sei erforderlich gewesen. Das Gutachten habe nachvollziehbar dargelegt, dass die - unstreitig vorhandenen - seelischen Störungen der Klägerinnen in ihrer Schulzeit in Deutschland nicht oder nur unvollständig erkannt worden seien. Daraus folgend sei die den Klägerinnen seinerzeit angediehene Förderung zur Behebung oder Kompensation der vorhandenen Störungen nicht geeignet gewesen. Sie habe vielmehr dazu geführt, dass bei den Kindern, insbesondere bei der Klägerin zu 1, sich das Versagen auf den gesamten schulischen Bereich ausgebreitet habe und es zu einer emotionalen Blockade mit schwerer Neurotisierung, gleichzusetzen mit einer seelischen Behinderung, gekommen sei. Dies habe zu einer tiefgreifenden Verweigerungs- und Angsthaltung gegenüber dem erfahrenen deutschen Schulsystem geführt, die auch heute noch bestehe, wie schon aus den von den Sachverständigen berichteten Gesprächen mit den beiden Kindern zu ersehen sei. Dabei liege es nach Auffassung des Senates geradezu auf der Hand, dass die - geeignete - Förderung in dem außerhalb des deutschen Schulsystems gelegenen englischen Internat in diesen beiden Einzelfällen als Maßnahme der Eingliederungshilfe erforderlich gewesen sei. Diese Annahme habe die Sachverständige in der mündlichen Verhandlung geteilt und dazu bekannt, ihr falle keine andere Maßnahme ein, die in diesen beiden nach ihrer Einschätzung sehr schwierigen Fällen erfolgreich hätte angewandt werden können.

Der Anspruch der Klägerinnen scheitere auch nicht daran, dass zwischen ihr und dem S. College Vereinbarungen nach § 78b Abs. 1 SGB VIII nicht geschlossen seien. Denn die Erbringung der Leistung in der gewählten Form sei im hier zu entscheidenden Einzelfall geeignet und erforderlich gewesen. Dass es eine gleichermaßen geeignete und kostengünstigere Maßnahme gegeben hätte als die Unterbringung im Internat S. College, habe die Beklagte nicht vorgetragen. Vor dem Hintergrund der Beurteilung durch die Sachverständige seien dafür auch keine Anhaltspunkte zu erkennen.

Zu Recht verweise die Beklagte darauf, dass die Gewährung von Leistungen der Jugendhilfe einen Antrag, mindestens in Form des schlüssigen Verhaltens, voraussetze. Daraus folge aber nicht, dass die Kosten der Unterbringung der Klägerinnen im englischen Internat nicht zu übernehmen seien, weil der Antrag erst nach Beginn der Maßnahme gestellt worden sei. Leistungen für die Zeit vor der Antragstellung seien nicht Gegenstand des Verwaltungsrechtsstreits. Zu entscheiden sei vielmehr über die Kosten der Unterbringung ab Sommertrimester 1999 bis einschließlich Sommertrimester 2000. Nur insoweit hätten die Eltern der Klägerinnen unter dem 20. August 1999, eingegangen beim Rechtsvorgänger der Beklagten am 26. August 2000, die Gewährung von Eingliederungshilfe beantragt. In dieser Zeit hätten die Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe vorgelegen. Die Beklagte könne dem Anspruch auch nicht mit Erfolg entgegen halten, ihr Rechtsvorgänger habe die vor allem nach § 36 SGB VIII zugebilligten Einflussmöglichkeiten nicht mehr nutzen können, weil die Kinder bereits seit einem dreiviertel Jahr in England beschult worden seien, so dass er hier entgegen der Konzeption des Jugendhilferechts vom Leistungs- zum Kostenträger gemacht worden sei. Es wäre nämlich der Beklagten bzw. ihrem Rechtsvorgänger nach Antragstellung grundsätzlich noch möglich gewesen, zumutbare alternative Förderungsmöglichkeiten für die Klägerinnen zu suchen und sie ihnen gegebenenfalls anzubieten. Derartige konkrete Vorschläge habe der Rechtsvorgänger der Beklagten aber nicht gemacht. Er habe vielmehr die Anträge wegen Fehlens einer drohenden seelischen Behinderung abgelehnt. Nunmehr sei nur noch die von den Eltern der Klägerinnen selbst beschaffte als die geeignete und auch erforderliche Maßnahme geblieben. Das Ansinnen, die Klägerinnen nachträglich auf eine andere Maßnahme zu verweisen, von der sie nicht mehr Gebrauch machen könnten, sei bereits unabhängig von der Frage abzulehnen, ob es eine solche zumutbare Alternative tatsächlich gegeben hätte.

Soweit die Beklagte erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geltend gemacht habe, sie sei sachlich nicht zuständig, da für Leistungen der Jugendhilfe an Deutsche im Ausland (§ 6 Abs. 3 SGB VIII) der überörtliche Träger sachlich zuständig sei (§ 85 Abs. 2 Nr. 9 SGB VIII), sei dem entgegenzuhalten, dass die Beklagte zumindest zum vorläufigen Tätigwerden verpflichtet sei (Rechtsgedanke aus § 86d i.V.m. § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII). Denn der überörtliche Träger sei bislang mit dieser Angelegenheit überhaupt nicht befasst worden, während die Beklagte und ihr Rechtsvorgänger gegenüber den Klägerinnen im gesamten bisherigen Verfahren, also über mehrere Jahre, als vermeintlich zuständiger Jugendhilfeträger aufgetreten seien.

Schließlich sei der Beklagten zuzugestehen, dass die Gewährung von Jugendhilfe an Deutsche im Ausland grundsätzlich im Ermessen des Jugendhilfeträgers stehe und zudem gegenüber den Hilfemöglichkeiten des Aufenthaltslandes subsidiär sei (§ 6 Abs. 3 SGB VIII). Solche ausländischen Hilfemöglichkeiten habe aber die Beklagte nicht aufgezeigt. Auch für den Senat seien Anhaltspunkte nicht erkennbar, dass die Klägerinnen von englischer Seite Hilfen hätten erhalten können. Das Ermessen der Beklagten hingegen, den Klägerinnen Jugendhilfe zu gewähren, sei soweit reduziert, dass ein Anspruch der Klägerinnen auf die begehrte Hilfe bestehe. Wie dargelegt, seien die Unterbringung und Betreuung der beiden Mädchen im S. College aus ärztlicher und jugendhilferechtlicher Sicht geeignet und erforderlich gewesen. Andere geeignete und kostengünstigere Maßnahmen seien nicht ersichtlich gewesen und seien es auch derzeit nicht. Eine Rückkehr nach Deutschland im hier zu beurteilenden Zeitraum wäre für beide unzumutbar gewesen.

Die Beklagte verfolgt mit ihrer Revision die Wiederherstellung des die Klage abweisenden erstinstanzlichen Urteils und rügt die Verletzung von § 35a SGB VIII i.V.m. § 39 Abs. 3, § 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG in der bis zum 30. Juni 2001 geltenden Fassung.

Die Klägerinnen verteidigen das Berufungsurteil.

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend das angefochtene Berufungsurteil.

II.

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Berufungsurteil, das die Beklagte verpflichtet, den Klägerinnen Jugendhilfe in Form der Übernahme der Kosten für die Betreuung im Internat S. College in England in der Zeit vom Sommertrimester 1999 bis einschließlich Sommertrimester 2000 in Höhe von 75 051,88 DM zu gewähren, beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

1. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die Beklagte verpflichtet, die Schulkosten für das Sommertrimester 1999 zu übernehmen. Zwar ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Gewährung von Leistungen der Jugendhilfe grundsätzlich einen Antrag voraussetzt und dass die Klägerinnen erst mit Schreiben vom 20. August 1999, eingegangen am 26. August 1999, die Gewährung von Eingliederungshilfe beantragt haben. Unzutreffend ist jedoch seine Annahme, Leistungen für die Zeit vor der Antragstellung seien nicht Gegenstand dieses Verwaltungsrechtsstreits, da die Klägerinnen für diese Zeit keine Kostenübernahme geltend machten. Dabei verkennt es, dass das Sommertrimester 1999 jedenfalls Mitte August 1999 bereits beendet war. Denn wie sich aus der Kostenaufstellung der Klägerinnen (VG-Akte Bl. 65 f.) ergibt, war im S. College auch das Schuljahr 1999 in Trimester gegliedert. Zwar werden Anfang und Ende der jeweiligen Trimester in jedem Schuljahr auf andere Tage fallen, doch bleiben die Zeitblöcke der Trimester jedenfalls grundsätzlich gleich. Ausgehend von den wohl vergleichbaren, aus den Akten belegten Trimesterdaten des S. College für das Schuljahr 2000/2001 - Beiakte IX Bl. 70 u.a.: Schulbeginn des Herbsttrimesters 2000 am 6. September 2000, Schulbeginn des Sommertrimesters 2001 am 19. April 2001, Schulende des Sommertrimesters 2001 am 29. Juni 2001 - war das Sommertrimester 1999 beim Eingang des Antrags der Klägerinnen auf Eingliederungshilfe am 26. August 1999 bereits beendet.

2. Die Beklagte ist auch nicht verpflichtet, die Schulkosten für das Herbsttrimester 1999 und das Frühlingstrimester 2000 zu übernehmen. Denn die Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII setzt nicht nur voraus, dass überhaupt ein Antrag gestellt ist, sondern grundsätzlich auch, dass er so rechtzeitig gestellt ist, dass der Jugendhilfeträger zu pflichtgemäßer Prüfung sowohl der Anspruchsvoraussetzungen als auch möglicher Hilfemaßnahmen in der Lage ist. Dass der Träger der öffentlichen Jugendhilfe für die Kosten der von Dritten durchgeführten Eingliederungshilfemaßnahmen nur aufkommen muss, wenn der Hilfebedarf rechtzeitig an ihn herangetragen worden ist, hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 28. September 2000 - BVerwG 5 C 29.99 - (BVerwGE 112, 98 = Buchholz 436.511 § 35a KJHG/SGB VIII Nr. 3) ausgeführt. Hieran ist festzuhalten. Dementsprechend soll nach der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BTDrucks 15/5616 vom 1. Juni 2005 S. 8 f.) in das Achte Buch Sozialgesetzbuch ein § 36a eingefügt werden, der bestimmt, dass der Träger der öffentlichen Jugendhilfe abgesehen von der niederschwelligen unmittelbaren Inanspruchnahme von ambulanten Hilfen, insbesondere der Erziehungsberatung, die Kosten der Hilfe grundsätzlich nur dann trägt, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird. Davon abweichend ist nach § 36a Abs. 3 Satz 1 des Gesetzentwurfs der Träger öffentlicher Jugendhilfe bei selbst beschaffter Hilfe zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen, auch wenn die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen (Nummer 2), nur verpflichtet, wenn der Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung - grundsätzlich rechtzeitig bzw., wenn das nicht möglich ist, unverzüglich nach Wegfall des Hinderungsgrundes (§ 36a Abs. 3 Satz 2 Entwurf) - über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt ist (Nummer 1) und die Deckung des Bedarfs bis zur Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat (Nummer 3). In dem dieser Beschlussempfehlung zugrunde liegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe heißt es zum dortigen § 36a in der allgemeinen Begründung (BTDrucks 15/3676 S. 26 unter 4. a):

"Stärkung des Entscheidungsprimats des Jugendamts und Eindämmung der Selbstbeschaffung von Leistungen

... versuchen auch manche Eltern durch unmittelbare Kontaktaufnahme mit Leistungserbringern die Entscheidungszuständigkeit der Jugendämter zu unterlaufen und sie zu einem bloßen 'Kostenträger' zu reduzieren. Dies gilt in besonderer Weise für die Inanspruchnahme von Hilfen nach § 35a SGB VIII ... Eine solche Verfahrensweise steht jedoch nicht im Einklang mit den Prinzipien des Sozialleistungsrechts. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat in Abkehr von der früheren Rechtsprechung betont, dass der Träger der öffentlichen Jugendhilfe Leistungs- und nicht bloßer Kostenträger ist (BVerwGE 112, 98 ...). Gleichzeitig hat das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung Fallgruppen entwickelt, in denen eine sog. Selbstbeschaffung zulässig ist. Diese Rechtsprechung soll nunmehr im Interesse der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit eine positiv-rechtliche Grundlage erfahren."

In der besonderen Begründung (BTDrucks 15/3676 S. 36 zu Nummer 13) heißt es weiter:

"In vielen Stellungnahmen ... sowie dem Bericht ... zur Praxis der Umsetzung von § 35a SGB VIII wird beklagt, dass die Jugendämter sowohl von anderen Institutionen (Schule, Psychiatrie, Arbeitsverwaltung) aber auch von Bürgerinnen und Bürgern als bloße 'Zahlstelle' für von dritter Seite angeordnete oder selbst beschaffte Leistungen missbraucht werden. Diese Praxis steht im Widerspruch zur Systematik des SGB VIII, das dem Jugendamt die Funktion eines Leistungsträgers zuweist, der die Kosten grundsätzlich nur dann trägt, wenn er selbst vorab auf der Grundlage des SGB VIII und dem dort vorgesehenen Verfahren über die Eignung und Notwendigkeit der Hilfe entschieden hat (vgl. auch BVerwGE 112, 98). Um diesem Prinzip praktische Geltung zu verschaffen und dem Jugendamt wieder zu seinem Entscheidungsprimat zu verhelfen, erscheint eine klarstellende Regelung im SGB VIII notwendig ..."

Die Klägerinnen haben den von ihnen geltend gemachten Bedarf an Eingliederungshilfe für ihren Schulbesuch am S. College für das Herbsttrimester 1999 und das Frühlingstrimester 2000 unter den gegebenen Umständen nicht so rechtzeitig an den Landkreis H. herangetragen, dass er darüber rechtzeitig vor Ablauf dieser Zeit hätte entscheiden können. Zwar ist der Antrag der Klägerinnen beim Landkreis H. bereits am 26. August 1999 eingegangen, der Jugendhilfeträger musste aber prüfen, ob bei den Klägerinnen eine seelische Behinderung vorlag oder ihnen drohte und ob eine stationäre Maßnahme notwendig war. Dazu hielt er, ohne das dies zu beanstanden wäre, ein kinder- und jugendpsychiatrisches Gutachten für erforderlich. Da die Eltern die Vorstellung der Klägerinnen bei einem Kinder- und Jugendpsychiater in Deutschland ablehnten, konnte der Jugendhilfeträger erst nach Eingang der Übersetzung des englischen psychologischen Gutachtens vom 26. November 1999 im März 2000 prüfen, ob die Voraussetzungen für die begehrte Eingliederungshilfe vorlagen, und hat er nach angemessener Zeit der Prüfung dieses Gutachtens mit Bescheid vom 28. März 2000 über den Antrag auf Eingliederungshilfe unter diesen Umständen rechtzeitig entschieden. Gegen Ende März 2000 war das Frühlingstrimester 2000 aber bereits beendet (vgl. die entsprechenden Trimesterdaten im Schuljahr 2000/2001 <Beiakte IX Bl. 70>).

3. Auch die Verpflichtung der Beklagten, die Schulkosten für das Sommertrimester 2000 zu übernehmen, beruht auf der Verletzung von Bundesrecht.

a) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die Frage, wer für die begehrte Jugendhilfeleistung an die Klägerinnen eigentlich sachlich zuständig ist, mit der Begründung offen gelassen, dass die Beklagte nach dem Rechtsgedanken aus § 86d i.V.m. § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zumindest zum vorläufigen Tätigwerden verpflichtet gewesen sei. Vielmehr bezieht sich die spezielle Regelung des § 86d SGB VIII mit der Verpflichtung zum vorläufigen Tätigwerden allein auf die örtliche Zuständigkeit; ihr kann kein auf die sachliche Zuständigkeit übertragbarer allgemeiner Rechtsgedanke entnommen werden.

Entgegen der Auffassung der Klägerinnen ist die Beklagte auch nicht zwei Wochen nach dem Inkrafttreten des § 14 SGB IX zum 1. Juli 2001 zuständig geworden, weil ihr Antrag in dieser Frist nicht weitergeleitet worden sei. Denn zum einen wirkt eine Zuständigkeitsbestimmung vorbehaltlich einer - hier nicht vorliegenden - anderweitigen gesetzlichen Regelung nicht auf Leistungen vor ihrem Inkrafttreten zurück und zum anderen gilt § 14 SGB IX nur für Rehabilitationsträger, was die Träger der öffentlichen Jugendhilfe für die hier im Streit stehende Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung (§ 35a SGB VIII i.V.m. § 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG) nicht sind.

Der Rechtsstreit ist zur Klärung der Zuständigkeit der Beklagten an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil Feststellungen zum tatsächlichen Aufenthalt der Klägerinnen fehlen. Ob die Beklagte für die begehrten Leistungen für das Sommertrimester 2000 nach § 85 Abs. 1 SGB VIII sachlich zuständig ist, hängt davon ab, wo sich die Klägerinnen aufgehalten haben. Denn nach § 85 Abs. 2 Nr. 9 SGB VIII ist für die Gewährung von Leistungen an Deutsche im Ausland (§ 6 Abs. 3 SGB VIII) der überörtliche Träger sachlich zuständig; die örtliche Zuständigkeit richtet sich in diesem Fall nach § 88 SGB VIII. Um die Fortsetzung einer bereits im Inland gewährten Leistung handelt es sich im Streitfall nicht, weil die Klägerinnen nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts die Schulausbildung in England auf eigene Kosten bereits seit Oktober/November 1998 aufgenommen, Jugendhilfe dafür aber erst im August 1999 beantragt haben.

Aus der Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerinnen seien aus dem gesellschaftlichen Umfeld in Deutschland herausgenommen und von diesem getrennt worden (Berufungsurteil S. 9 Abs. 2), und aus seiner Prüfung und Bejahung des Anspruchs der Klägerinnen nach § 6 Abs. 3 SGB VIII (Berufungsurteil S. 12 Abs. 3) kann einerseits nicht sicher geschlossen werden, es sei im Tatsächlichen von ihrem Aufenthalt im Sinne dieser Vorschrift in England ausgegangen. Andererseits kann den Akten nicht umgekehrt entnommen werden, dass die Klägerinnen ihren tatsächlichen Aufenthalt 2000 in Deutschland hatten. Anders als in dem vom Senat bereits entschiedenen Fall einer Internatsunterbringung (BVerwGE 96, 152) haben die Klägerinnen nicht nur die Schultage im Internat, die schulfreien Tage aber (Wochenenden, Feiertage, Ferien) zu Hause verbracht, sondern hielten sich von auswärtigen Ferienaufenthalten abgesehen in England auf. Zwar tragen die Klägerinnen vor, sie seien nach wie vor mit Wohnsitz in Deutschland gemeldet und verbrächten ihre Ferien in Deutschland, doch kommt es für ihren tatsächlichen Aufenthalt nicht auf melderechtliche Angaben oder Eintragungen an und befindet sich in den Akten u.a. eine Kostenaufstellung, die für einen Aufenthalt der Klägerinnen in England auch außerhalb der Schulzeit spricht. Die Beurteilung des tatsächlichen Aufenthalts der Klägerinnen ist aber Aufgabe des Berufungsgerichts. Dieses wird auch über eine Beiladung der Bezirksregierung H., des Landesjugendamts, als überörtlichen Träger zu entscheiden haben, da statt der Zuständigkeit der Beklagten alternativ nur deren Zuständigkeit nach § 85 Abs. 2 Nr. 9, § 88 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII in Betracht kommt.

b) Die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Klägerinnen hätten nach § 35a SGB VIII i.V.m. § 39 Abs. 3, § 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG - in deren bis zum 30. Juni 2001 gültigen Fassung - einen Anspruch auf Übernahme der Schulkosten, verletzt auch insoweit Bundesrecht.

Zwar stellt das Berufungsgericht seiner Prüfung und Entscheidung, dass bei den Klägerinnen eine seelische Behinderung vorlag beziehungsweise drohte, die Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 26. November 1998 - BVerwG 5 C 38.97 - Buchholz 436.511 § 35a KJHG/SGB VIII Nr. 1 = FEVS 49, 487) zu den Voraussetzungen für eine seelische Behinderung bzw. eine drohende seelische Behinderung voraus, stützt sich aber bei seiner Feststellung einer seelischen Behinderung beziehungsweise drohenden seelischen Behinderung allein auf das von ihm in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten. Das ist jedoch nicht ausreichend, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass dieses Sachverständigengutachten von den richtigen Maßstäben für die Beurteilung einer seelischen Behinderung beziehungsweise einer drohenden seelischen Behinderung nach den vom Berufungsgericht seiner Entscheidung vorangestellten Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts ausgegangen ist. Denn das Berufungsgericht hat der Gutachterin diese Maßstäbe weder im Beweisbeschluss vom 8. April 2002 selbst noch in einem Begleitschreiben vorgegeben. Im Beweisbeschluss war zu den Begriffen "seelisch behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht" nur auf § 35a SGB VIII (in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Dezember 1998 <BGBl I S. 3546>) Bezug genommen. Aus dieser Vorschrift sind aber die für diese Begriffe maßgeblichen Kriterien nicht ohne weiteres ersichtlich. Zwar befand sich unter den der Gutachterin übersandten umfangreichen Akten auch das Urteil des Verwaltungsgerichts, in dem die rechtlichen Voraussetzungen für eine seelische Behinderung und eine drohende seelische Behinderung dargelegt sind, und enthielt das gerichtliche Begleitschreiben zum Beweisbeschluss vom 8. April 2002 unter anderem den allgemeinen Hinweis, die in den Akten befindlichen Unterlagen bei der Erstellung des Gutachtens zu berücksichtigen. Auch hat die Gutachterin anfangs ihres Gutachtens vermerkt, dass sich das Gutachten auf die Kenntnis der Akten sowie auf die ambulante Untersuchung am 19. und 20. August 2002 stütze. Diesen Umständen sowie ihrer medizinischen Qualifikation als Landesärztin und Fachärztin an einer Landesfachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie kann aber nicht mit Sicherheit entnommen werden, dass der Gutachterin die rechtlichen Voraussetzungen für eine seelische Behinderung beziehungsweise drohende seelische Behinderung im Sinne von § 35a SGB VIII nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bekannt waren und sie davon in ihrem Gutachten ausgegangen ist. Die Gutachterin hat ihrem Gutachten nur die Fragen des Gerichts aus dem Beweisbeschluss vorangestellt, nicht aber die den Beweisfragen zugrunde liegenden Begriffe der seelischen Behinderung und der drohenden seelischen Behinderung mit ihren rechtlichen Voraussetzungen offen gelegt. Auch mittelbar lässt sich den Ausführungen des Sachverständigengutachtens insgesamt nicht, auch nicht der "Zusammenfassung und Beurteilung" (ab S. 44) entnehmen, dass das Gutachten von den hier maßgeblichen rechtlichen Voraussetzungen der Begriffe der seelischen Behinderung und der drohenden seelischen Behinderung, wie sie der Senat (a.a.O.) festgelegt hat, ausgegangen ist. Denn im Gutachten sind abgesehen von den dort bezeichneten Lernschwächen, die als solche unstreitig noch keine seelischen Störungen sind, allenfalls seelische Störungen (z.B. emotionale Blockade, schwere Neurotisierung) bezeichnet, nicht aber wird weitergehend ausgeführt, ob beziehungsweise dass diese Störungen nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv sind, dass sie die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigen (BVerwG, a.a.O.).

Zudem ist die Annahme des Berufungsgerichts, den Klägerinnen habe eine seelische Behinderung zumindest gedroht, zum einen nicht schlüssig begründet, zum anderen beruht sie auf einer im Tatsächlichen nicht ausreichend belegten Prognose.

Soweit das Berufungsgericht angenommen hat, eine im Zeitpunkt der Einschulung in das S. College im Herbst 1998 bereits vorhandene oder jedenfalls drohende seelische Behinderung habe auch im Sommer 2000 "fortbestanden", steht das im Widerspruch zu seiner Ansicht, die Beschulung der Klägerinnen in diesem College sei eine geeignete Maßnahme. Denn wenn eine im Zeitpunkt der Einschulung in das S. College im Herbst 1998 bestehende oder drohende seelische Behinderung noch im Sommer 2000 "fortbestanden" haben sollte, hätte die Beschulung dort keine Besserung bewirkt.

Bei seiner Prognose, dass den Klägerinnen "bei einer Rückkehr ... nach Deutschland ... eine - erneute - seelische Behinderung zumindest gedroht hätte", geht das Berufungsgericht dem Sachverständigengutachten folgend davon aus, dass die Klägerinnen durch ihre früheren Schulerlebnisse in Deutschland traumatisiert seien und deshalb eine Rückkehr nach Deutschland fürchteten, und unterstellt dabei zu Unrecht, dass die Klägerinnen bei einer Rückkehr nach Deutschland eine für sie ungeeignete Schule besuchen müssten. Für Letzteres gibt es aber, worauf schon das Verwaltungsgericht in seinem Urteil hingewiesen hat, keinen Anhalt. Es ist nämlich nicht gerechtfertigt, von früheren schlechten Schulerlebnissen in Deutschland auf erneut schlechte Schulerlebnisse nach einer Rückkehr dorthin zu schließen. Denn für die in der streitgegenständlichen Zeit bekannten Lernbehinderungen der Klägerinnen gab und gibt es auch in Deutschland geeignete Schulen und Fördereinrichtungen. Soweit bei den Klägerinnen Ängste vorhanden sein sollten, sie würden bei einer Rückkehr nach Deutschland an aus ihrer Sicht ungeeignete Schulen kommen, müsste zunächst geklärt werden, ob solche Ängste abgebaut werden können. Denn davon, dass Ängste mit Unterstützung überwunden werden können, geht auch das Sachverständigengutachten aus. Solange aber die Möglichkeit, Ängste der Klägerinnen vor einer für sie ungeeigneten Beschulung in Deutschland abzubauen, nicht geklärt ist, können solche Ängste nicht als drohende seelische Behinderung gewertet werden.

Die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts rechtfertigen auch nicht seine Annahme, dass die Beschulung der Klägerinnen im S. College in England eine geeignete Eingliederungshilfemaßnahme zu einer angemessenen Schulbildung (§ 35a SGB VIII i.V.m. § 39 Abs. 3, § 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG) sei.

Zwar ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass einem Anspruch der Klägerinnen auf Kostenübernahme nicht entgegenhalten werden darf, sie hätten mit ihrer Einschulung in das S. College bereits im Herbst 1998 und ihrem Aufenthalt dort lange vor ihrem Antrag auf Eingliederungshilfe erst im August 1999 unzulässig vollendete Tatsachen geschaffen. Denn für den Anspruch auf Eingliederungshilfe ist die aktuelle Bedarfslage der Klägerinnen, hier im Sommertrimester 2000, maßgeblich. Allerdings war der erst nach Beginn einer selbst beschafften Maßnahme um Hilfe angegangene Jugendhilfeträger bei seiner Prüfung und Entscheidung über die erforderliche und geeignete Maßnahme nicht auf die (Fortsetzung der) Hilfemaßnahme, hier die Betreuung im S. College, beschränkt, die sich die Klägerinnen zuvor selbst beschafft hatten. Seine Prüfung war vielmehr maßnahmeoffen. Dabei hatte der Gesichtspunkt der Kontinuität für den weiteren Aufenthalt der Klägerinnen in der Einrichtung zwar eine gewisse, aber keine vorrangig entscheidende Bedeutung. Denn die Klägerinnen waren im Herbst 1998 auf das S. College gewechselt, ohne insoweit mit dem Jugendhilfeträger Kontakt aufgenommen und ihm gegenüber einen jugendhilferechtlichen Bedarf an Eingliederungshilfe geltend gemacht zu haben. Dabei war bei ihren und ihrer Eltern finanziellen Verhältnissen bereits im Herbst 1998 voraussehbar, dass sie die Kosten der Unterbringung im S. College nicht auf Dauer würden tragen können. Eine maßnahmeoffene Prüfung hatte deshalb im März 2000 zwar vom bisherigen Aufenthalt der Klägerinnen in diesem College und ihrem Wunsch, dort zu bleiben, auszugehen, aber mit einer Entscheidung abzuschließen, ob eine Eingliederungshilfemaßnahme erforderlich und gegebenenfalls welche geeignet war. Bei einer Entscheidung des Jugendhilfeträgers für eine andere als die bisher selbst beschaffte Maßnahme wären umstellungsbedingte Schwierigkeiten für die Klägerinnen von ihnen jedenfalls dann hinzunehmen gewesen, wenn sie lediglich in einer Übergangsphase zu erwarten gewesen wären und durch flankierende Hilfen hätten aufgefangen werden können. Denn sie selbst, vertreten durch ihre Eltern, hätten die Ursachen für eine solche Umstellung dadurch gesetzt, dass sie im Herbst 1998 ohne Einschaltung des Jugendhilfeträgers auf das S. College gewechselt sind. Andererseits hatte der Jugendhilfeträger mit Bescheid vom 28. März 2000 eine Hilfe als nicht erforderlich abgelehnt und haben sich die Klägerinnen für das folgende Sommertrimester 2000 Hilfe im S. College selbst gesucht. Sollte sich bei der weiteren Prüfung des Berufungsgerichts erweisen, dass Eingliederungshilfe für die Klägerinnen im Sommertrimester 2000 erforderlich und ihre Beschulung im S. College eine dafür geeignete Maßnahme war, so wäre die Beklagte für diesen Zeitraum an die Hilfewahl der Klägerinnen gebunden und dürfte sie nicht auf andere geeignete Hilfemöglichkeiten verweisen (vgl. BVerwGE 111, 328 <333>).

Die Frage aber, ob die Beschulung der Klägerinnen am S. College im Sommertrimester 2000 eine geeignete Hilfemaßnahme gewesen ist, ob sie dort nicht nur seelisch gut aufgehoben waren, sondern auch eine angemessene Schulbildung (§ 35a SGB VIII i.V.m. § 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG) erhalten konnten und haben, hat das Berufungsgericht im Tatsächlichen bislang nicht geklärt.

Wie bereits zur sachlichen Zuständigkeit ausgeführt, hat das Berufungsgericht ausdrückliche Feststellungen zum Aufenthalt der Klägerinnen im Sommertrimester 2000 nicht getroffen. Das erscheint aber mit Rücksicht auf ihren Vortrag, sie hätten ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in der streitgegenständlichen Zeit in Niedersachsen gehabt, auch für die Beurteilung der Beschulung in England als geeigneter Hilfemaßnahme geboten. Denn wenn die Klägerinnen im Sommertrimester 2000 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Niedersachsen gehabt haben sollten, wären sie vorbehaltlich einer bislang nicht festgestellten Ausnahmegenehmigung dort schulpflichtig gewesen (§§ 63 ff. NdsSchulG in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. September 1993 <Nds.GVBl S. 383>, geändert durch Gesetz vom 12. Juli 1994 <Nds.GVBl S. 304>), was einer Beschulung in England als geeigneter Maßnahme entgegengestanden hätte.

Der streitige Anspruch auf Eingliederungshilfe zu angemessener Schulbildung (§ 35a SGB VIII i.V.m. § 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG) am S. College setzt weiter voraus, dass die Klägerinnen dort eine angemessene Schulbildung erhalten konnten. Das Berufungsgericht hat zwar angenommen, dass sich die Klägerinnen im S. College wohlfühlen und ihr weiterer Aufenthalt dort dem Ziel der Jugendhilfe entspreche, eine seelische Behinderung von Kindern zu verhüten, deren Folgen zu mildern und eine Eingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen. Damit hat es aber nur festgestellt, dass das S. College in Bezug auf die seelische Verfassung der Klägerinnen geeignet war, "Feststellungen" zu den schulischen Entwicklungs- und Leistungsmöglichkeiten der Klägerinnen am S. College aber nicht getroffen. Aus den Akten ist nicht ersichtlich, dass das Berufungsgericht von sich aus Ermittlungen zu den schulischen Leistungen der Klägerinnen am S. College angestellt hat. Aussagekräftige Unterlagen zur schulischen Entwicklung der Klägerinnen enthalten die Akten nicht. Die verschiedenen Stellungnahmen und Leistungsbeschreibungen des S. College selbst sowie die Gutachten, die sich in den Akten befinden, äußern sich insoweit nur allgemein zur Leistungsbereitschaft und -fähigkeit der Klägerinnen, ohne aus sich heraus verständlich den schulischen Leistungsstand der Klägerinnen konkret aufzuzeigen. Dass Anlass zu einer solchen Prüfung für die streitgegenständliche Zeit bestand und besteht, ergibt sich unter anderem daraus, dass das vom Berufungsgericht in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten nach Untersuchungen der Klägerinnen im August 2002, also im Alter der Klägerinnen von dreizehn Jahren und nach einem Aufenthalt am S. College von dreieinhalb Jahren festhielt, dass die Klägerin S. nicht in der Lage gewesen sei, "einfachste Sätze in Englisch zu lesen" (Gutachten S. 37 Abs. 2).

c) Sollte das Berufungsgericht der Auffassung sein oder im Rahmen seiner weiteren Prüfung zur Auffassung gelangen, dass sich die Klägerinnen im Sommertrimester 2000 im Sinne des § 6 Abs. 3 SGB VIII in England aufgehalten haben, ist das Berufungsgericht, von der Zuständigkeit für Jugendhilfeleistungen an Deutsche im Ausland abgesehen, zu Recht davon ausgegangen, dass die Gewährung von Jugendhilfe an Deutsche im Ausland nach § 6 Abs. 3 SGB VIII im Ermessen des Jugendhilfeträgers steht. Zum Vorbehalt in dieser Bestimmung "soweit sie nicht Hilfe vom Aufenthaltsland erhalten" fehlen allerdings Ermittlungen im Tatsächlichen. Dabei mag offen bleiben, ob dieser Vorbehalt mit dem Berufungsgericht dahin verstanden werden kann, dass der Anspruch unabhängig vom Ermessen bereits im Umfang bestehender Hilfemöglichkeiten des Aufenthaltslandes subsidiär ist, oder dahin zu verstehen ist, dass ein Hilfeanspruch von vornherein nur im Fall tatsächlich erhaltener Hilfe vom Aufenthaltsland entfällt und die Möglichkeit einer solchen Hilfe gegebenenfalls im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen ist. Denn das Berufungsgericht hat bisher weder ermittelt, ob die Klägerinnen Hilfen vom Aufenthaltsland erhalten haben, noch, ob sie solche hätten erhalten können. Dass die Beklagte solche Hilfemöglichkeiten nicht aufgezeigt hat, entbindet das Berufungsgericht nicht von seiner Aufklärungspflicht.

Erst wenn das Berufungsgericht die Fragen zum Aufenthalt der Klägerinnen, zu ihrer drohenden seelischen Behinderung und zu der - auch für ihre angemessene Schulbildung - geeigneten Maßnahme geklärt hat, kann sich im Falle einer Prüfung nach § 6 Abs. 3 SGB VIII die Frage nach den dafür relevanten Ermessenskriterien stellen. Bezogen auf den Streitfall kann dabei unabhängig von der Frage, ob mit der Eingliederung in die Gesellschaft im Sinne des Jugendhilferechts allein die Gesellschaft in Deutschland oder auch die Gesellschaft im Aufenthaltsland, hier im EU-Staat England, gemeint ist, im Rahmen des Ermessens nach § 6 Abs. 3 SGB VIII berücksichtigt werden, dass eine Schulausbildung der unstreitig lernbehinderten Klägerinnen in England und damit grundsätzlich in englischer Sprache ihre sprachliche Eingliederung in die Gesellschaft dort oder in eine andere englischsprachige Gesellschaft, nicht aber in die Gesellschaft in Deutschland oder eine andere deutschsprachige Gesellschaft fördern wird.

Soweit die Kosten des Verfahrens von den Klägerinnen zu tragen sind, beruht die Kostenentscheidung auf §§ 154 ff. VwGO. Gerichtskosten werden nach § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.

Ende der Entscheidung

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