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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 14.02.2008
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 19.07
Rechtsgebiete: EntschG, VermG


Vorschriften:

EntschG § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11
VermG § 4 Abs. 2 Satz 1
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 EntschG ist nicht anwendbar, wenn der Veräußerungserlös aus einem sogenannten Komplettierungskauf (Hinzuerwerb eines ehemals volkseigenen Grundstücks durch den redlichen Nutzer) vom Entschädigungsfonds wegen Entschädigung für den Ausschluss der Wiederbegründung eines hieran begründeten Erbbaurechts verlangt wird.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 5 C 19.07

Verkündet am 14. Februar 2008

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 14. Februar 2008 durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Franke, Dr. Brunn und Prof. Dr. Berlit

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 9. Mai 2007 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I

Die Klägerin (Stadt Leipzig) wendet sich dagegen, den anteiligen Erlös aus dem Verkauf eines vormals volkseigenen Grundstücks, das vor der Überführung in Volkseigentum in ihrem Eigentum gestanden hatte, an den redlichen Erwerber eines Nutzungsrechts (sogenannter Komplettierungsverkauf) deshalb an den Entschädigungsfonds abführen zu müssen, weil die Wiederbegründung und Rückübertragung eines vor der Überführung in das Volkseigentum an dem Grundstück begründeten Erbbaurechts ausgeschlossen und deswegen Entschädigung geleistet worden ist.

Die Klägerin hat aus dem Verkauf eines Grundstücks an die Eheleute N. als Inhaber eines dinglichen Nutzungsrechts im Juni 1992 einen Kaufpreis von 1 480 DM erlöst. Der Vertrag betraf ein in Leipzig belegenes - mit einem Eigenheim bebautes - Grundstück, welches vor seiner Überführung in Volkseigentum (im Jahre 1952) im Eigentum der Stadt Leipzig gestanden hatte. Der Klägerin ist deshalb durch bestandskräftigen feststellenden Bescheid vom 12. September 1995 bescheinigt worden, dass sie zum Beitrittszeitpunkt nach den Regeln des Einigungsvertrages Eigentümerin des Grundstücks geworden ist.

An dem Grundstück hatte seit 1929 zugunsten eines Privaten ein Erbbaurecht bestanden. Nachdem der Erbbauberechtigte im Jahr 1954 ohne Erlaubnis das Gebiet der ehemaligen DDR verlassen hatte, wurde das Erbbaurecht mit Wirkung vom 1. Januar 1959 in staatliche Treuhandverwaltung genommen. In der Folge ist das "Einfamiliengrundstück" mit Kaufvertrag vom 9. Februar 1973 an die Eheleute N. veräußert worden. Ausweislich einer Urkunde über die Verleihung eines Nutzungsrechts an einem volkseigenen Grundstück vom 21. Juni 1973 führte dies zu einem Nutzungsrecht des Ehepaares hinsichtlich des Grundstücks (und des Eigenheims) sowie zur Löschung des Erbbaurechts. Dem Rechtsnachfolger des Erbbauberechtigten wurde mit bestandskräftigem Bescheid aus dem Jahre 1995 eine Entschädigung für den Verlust des Erbbaurechts mit der Begründung zugesprochen, der im Jahre 1973 erfolgte Verkauf sowie die Verleihung des dinglichen Nutzungsrechts stellten eine Maßnahme im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG dar.

Mit dem streitbefangenen Bescheid vom 16. September 2004 setzte das Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen einen von der Klägerin an den Entschädigungsfonds abzuführenden Veräußerungserlös in Höhe von 529,70 € fest. Bezogen auf den Schädigungszeitpunkt 1. Januar 1959 (Beginn der staatlichen Verwaltung) habe das Erbbaurecht noch eine Restlaufzeit von annähernd 40 Jahren gehabt, sodass nach bewertungsrechtlichen Regeln 70 % des Veräußerungserlöses abzuführen seien.

Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 9. Mai 2007 den Bescheid aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 EntschG beziehe sich nur auf nicht rückübertragbare Grundstücke, nicht aber auf nicht rückübertragbare Erbbaurechte hieran.

Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 EntschG. Diese Vorschrift erfasse auch (zumindest in entsprechender Anwendung) nicht rückübertragbare Erbbaurechte, weil nach der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 28. Oktober 1998 - 1 BvR 2349/96 - BVerfGE 99, 129) das Eigentumsrecht und das Erbbaurecht an Grundstücken rechtsähnlich seien.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.

II

Die Revision ist unbegründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt im Ergebnis Bundesrecht nicht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), weil der Entschädigungsfonds nicht deswegen nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 EntschG einen Anspruch auf Auskehrung des (anteiligen) Verkaufserlöses hat, weil die Wiederbegründung und Rückübertragung eines an dem Grundstück bestellten Erbbaurechts ausgeschlossen und deswegen Entschädigung geleistet worden ist. Die Erlösabführung aus einem Komplettierungsverkauf wegen einer an den Inhaber eines Erbbaurechts geleisteten oder zu leistenden Entschädigung liegt außerhalb des Anwendungsbereichs der von der Beklagten herangezogenen Anspruchsnorm des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 EntschG.

1. Aus einer unmittelbaren (direkten) Anwendung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 EntschG folgt mit Blick auf den Ausschluss der Rückübertragung des Erbbaurechts an die früheren Erbbaurechtsinhaber kein Anspruch auf eine (teilweise) Erlösauskehr.

§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 EntschG, soweit vorliegend von Bedeutung, bestimmt, "dass Veräußerungserlöse aus dem Verkauf von ehemals volkseigenem Grund und Boden nach dem 27. Juli 1990 an die Inhaber dinglicher Nutzungsrechte für Eigenheime" an den Entschädigungsfonds abzuführen sind, "wenn die Rückübertragung nach § 4 des Vermögensgesetzes ausgeschlossen oder wegen der Wahl von Entschädigung entfallen ist". Das Tatbestandsmerkmal des Ausschlusses der Rückübertragung ist auf Fälle beschränkt, in denen die Rückgabe des früher volkseigenen Grund und Bodens an einen Alteigentümer nach § 4 des Vermögensgesetzes - VermG - (insbesondere wegen eines redlich erworbenen Nutzungsrechts hieran) ausgeschlossen ist und deswegen dem Alteigentümer ein Entschädigungsanspruch zusteht.

Aus Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Vorschrift hat das Bundesverwaltungsgericht (Urteile vom 20. Juni 2002 - BVerwG 3 C 47.01 - Buchholz 428.41 § 10 EntschG Nr. 2 und vom 8. September 2005 - BVerwG 3 C 32.04 - Buchholz 428.41 § 10 EntschG Nr. 3) abgeleitet, dass sie erkennbar auf die Fälle der (nach dem 27. Juli 1990) erfolgten "Komplettierungsverkäufe" zugeschnitten ist. Damit wird an Vorgänge angeknüpft, die als Verkauf eines früher volkseigenen (und damit zu früheren DDR-Zeiten regelmäßig unveräußerlichen) Grundstücks an den redlichen Inhaber eines dinglichen Nutzungsrechts zu qualifizieren sind. Hintergrund der Vorschrift ist die Bestimmung in § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG, wonach die Rückübertragung ausgeschlossen ist, wenn nach dem 8. Mai 1945 in redlicher Weise an dem Vermögenswert (Eigentum oder) dingliche Nutzungsrechte erworben worden sind.

Der Ausschluss der "Rückübertragung nach § 4 des Vermögensgesetzes" bezieht sich hiernach auf den ehemals volkseigenen Grund und Boden und knüpft daran an, dass die Rückübertragung eines früher privaten und später volkseigenen Grundstücks an den privaten Alteigentümer deswegen ausgeschlossen ist, weil ein redlich erworbenes Nutzungsrecht an diesem Grundstück (oder ein redlich erworbenes Eigentumsrecht hieran) dazu geführt hat, dass im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 VermG die Rückübertragung des Eigentumsrechts nicht mehr möglich ist. Deswegen beschränkt sich "die Rückübertragung" im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 EntschG auf die Fälle einer (ausgeschlossenen) Rückgabe zuvor volkseigenen Grund und Bodens an einen privaten Alteigentümer.

Sinn und Zweck der Regelung bestätigen diese Auslegung. Zum Zweck dieser Vorschrift lässt sich den Materialien (BTDrucks 12/4887 S. 37 zu Nr. 12) Folgendes entnehmen: "Grundstücke, die wegen eines redlich erworbenen dinglichen Nutzungsrechts nicht zurückgegeben werden können, sind aus dem Entschädigungsfonds zu entschädigen. Deshalb stehen dem Entschädigungsfonds die Erlöse ... zu, die vom Erwerber ... erbracht werden". Diesem Zweck entspricht, dass Nutzungsrechtsinhaber an Immobilien, deren Rückgabe an den privaten Alteigentümer nach § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG gerade wegen dieses redlichen Erwerbs des Nutzungsrechts ausgeschlossen ist, mit ihrem Kaufpreis für die hinzuerworbenen (früher volkseigenen) Grundstücksflächen wenigstens einen Teil der Entschädigung für die nicht mehr rückgabeberechtigten Alteigentümer mit finanzieren (vgl. auch Rodenbach, in: Rädler/Raupach/Bezzenberger, Vermögen in der ehemaligen DDR, Teil 3 A IV, Stand Dezember 2004 Vorbemerkung zum Entschädigungsgesetz, Rn. 52).

2. Der Beklagten, die ihr Erlösauskehrungsbegehren hiernach nicht auf § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 EntschG stützen kann, weil nicht ehemals volkseigener Grund und Boden verkauft worden ist, dessen "Rückübertragung" hier nach § 4 des Vermögensgesetzes ausgeschlossen war - hier war sogar eine Rückübertragung an die Klägerin erfolgt -, steht ein Anspruch auf (teilweise) Auskehrung des Erlöses auch nicht in entsprechender Anwendung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 EntschG zu.

Aus der Perspektive eines geschädigten vormals Berechtigten ist das Erbbaurecht trotz seiner Einordnung als beschränkt dingliches Recht zwar als grundstücksgleiches Recht anzusehen und hat eigentumsähnlichen Charakter, so dass es mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar ist, Erbbaurechte, die zu einem in der Deutschen Demokratischen Republik rechtsstaatswidrig enteigneten Unternehmen gehörten und später im Grundbuch gelöscht wurden, im Rahmen des § 6 Abs. 6a Satz 1 VermG nicht an den Berechtigten zurückzugeben und damit anders zu behandeln als Grundeigentum (BVerfG, Beschluss vom 28. Oktober 1998 a.a.O.). Hieraus folgt indes nicht, dass das Erlöschen eines Erbbaurechts, dessen Wiederbegründung und Rückübertragung nach § 4 VermG ausgeschlossen ist, dem Verkauf von ehemals privatem und später volkseigenem Grund und Boden entspricht oder insoweit eine Regelungslücke besteht, die durch eine analoge Anwendung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 EntschG zu schließen wäre. Das Erbbaurecht ist schon nicht Gegenstand des Verkaufs, für den ein Erlös erzielt worden ist. Die in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 EntschG normierte Pflicht zur Abführung des Erlöses aus einem Komplettierungsverkauf eines früher volkseigenen Grundstücks knüpft zudem der Sache nach daran an, dass es nicht gerechtfertigt ist, den Erlös aus einem entsprechenden Verkauf einem Verkäufer zu belassen, der an dem ehemals volkseigenen Grund und Boden keine eigenen Rechte geltend machen kann, sondern zur Verfügung nur nach § 8 VZOG berechtigt gewesen ist. Hiermit nicht vergleichbar ist die Interessen- und Sachlage in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Verkäuferin zugleich öffentlich-rechtlich restitutionsberechtigte Alteigentümerin des Grundstücks gewesen ist, und zwar unabhängig davon, ob die Rückübertragung im Verkaufszeitpunkt bereits bewirkt worden war oder noch ausstand. Es fehlen Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber diesen Unterschied verkannt haben und die Begrenzung des Erlösabführungsanspruchs nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 EntschG auf Fälle, in denen die Rückübertragung des verkauften ehemals volkseigenen Grund und Boden nach § 4 VermG ausgeschlossen ist, auf einer planwidrigen Regelungslücke beruhen könnte. Soweit der Gesetzgeber in Fällen, in denen an einem mit öffentlich-rechtlichen Restitutionsansprüchen belasteten Grundstück auch ein (zwischenzeitlich) untergegangenes Erbbaurecht eines entschädigungsberechtigten Dritten bestanden hatte, einen Anspruch des Entschädigungsfonds auf zumindest anteilige, etwa nach bewertungsrechtlichen Grundsätzen ermittelte Abführung des Verkaufserlöses für das Grundstück für gerechtfertigt halten sollte, müsste er dies nach Grund und Umfang ausdrücklich und eindeutig bestimmen. An einer solchen Regelung fehlt es.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 530 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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