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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 18.03.1999
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 2.99
Rechtsgebiete: BVFG


Vorschriften:

BVFG § 5 Nr. 1 d
Leitsätze:

1. Die Statusausschlußvorschrift des § 5 Nr. 1 d BVFG billigt es einem deutschen Volkszugehörigen zu, innerhalb der Staatsverwaltung, der Armee und der staatlich gelenkten Wirtschaft der früheren Sowjetunion nach seinen Kräften und Fähigkeiten auch eine herausgehobene berufliche Stellung zu erreichen.

2. Eine besondere Bindung an das totalitäre System im Sinne des § 5 Nr. 1 d BVFG ist nicht bereits bei einer lediglich passiven Mitgliedschaft in der früheren KPdSU gegeben.

3. Zur Ursächlichkeit einer besonderen Systembindung für das Erreichen der herausgehobenen Stellung bei Personen, die als Spezialisten zu der durch qualifiziertes Fachwissen gekennzeichneten sog. Intelligenz der früheren Sowjetunion gehörten (hier: Augenchirurg an einem Militärkrankenhaus im Rang eines Oberstleutnants der früheren Sowjetarmee).

Urteil des 5. Senats vom 18. März 1999 - BVerwG 5 C 2.99 -

I. VG Köln vom 29.06.1995 - Az.: VG 17 K 4819/92 - II. OVG Münster vom 17.03.1998 - Az.: OVG 2 A 4942/95 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 5 C 2.99 OVG 2 A 4942/95

Verkündet am 18. März 1999

Müller Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 18. März 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bender, Schmidt, Dr. Rothkegel und Dr. Franke

für Recht erkannt:

Die Revisionen der Beklagten und des Beigeladenen gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 17. März 1998 werden zurückgewiesen.

Die Beklagte und der Beigeladene tragen die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I.

Der Kläger zu 1 begehrt die Erteilung eines Aufnahmebescheids nach § 27 Abs. 1 BVFG, in den seine dem russischen Volkstum zugehörende Ehefrau, die Klägerin zu 2, sowie die beiden Töchter, die Klägerinnen zu 3 und 4, einbezogen werden wollen.

Der Kläger zu 1 wurde am 28. Oktober 1951 in Uljanowsk in der früheren Sowjetunion geboren. In seiner Geburtsurkunde ist die Nationalität seiner Eltern mit "deutsch" angegeben. Auch seine eigene Nationalität ist in den Geburtsurkunden seiner Töchter sowie in seinem 1984 ausgestellten Militärpaß mit "deutsch" eingetragen.

Nach seiner Schulzeit studierte der Kläger zu 1 von 1969 bis 1973 am 1. Moskauer medizinischen Setschenow-Institut und sodann an der Gorkowski Militärisch-Medizinischen Fakultät in Gorki. Mitte 1975 schloß er das Studium mit einem Diplom ab, das ihm die Qualifikation als Militärarzt bescheinigt. Anschließend war er bis Dezember 1976 als Unterarzt im Rang eines Leutnants oder Unterleutnants bei einem Militärregiment im Gebiet Murmansk und sodann bis September 1978 als Allgemeinarzt bei einem Militärregiment in der Stadt Murmansk tätig. 1977 war er der KPdSU beigetreten. Von 1978 bis August 1980 war er bei einem Militärregiment im Gebiet Murmansk beschäftigt. Während dieser Zeit erwarb er die Qualifikation im Fach Augenheilkunde mit der Note "sehr gut" und wurde zum Oberleutnant befördert. Von August 1980 bis November 1982 war er darauf am Militärhospital in Uljanowsk tätig. Während dieser Zeit wurde er als Chirurg in militärischer Feldchirurgie ausgebildet, wobei er die Note "sehr gut" erhielt, und im Bereich Augenchirurgie weitergebildet. In dieser Zeit wurde er zum Hauptmann befördert. Von November 1982 bis November 1984 war er an einem Militärhospital in Belorezk tätig. Anfang 1983 nahm er an einem dreimonatigen Weiterbildungskurs im Fach Augenheilkunde teil. Am 12. November 1983 wurde er zum Major befördert. Von November 1984 bis August 1985 war er Augenarzt am Militärhospital in Saratow und sodann bis August 1987 an einem Militärhospital in Kuibyschew. Sodann studierte er bis Juli 1989 an der Militärmedizinischen Kirow-Akademie in Leningrad. Dieses Studium schloß er am 22. Juni 1989 "mit Auszeichnung" ab und erwarb dadurch die Qualifikation als Arzt mit militärmedizinischer Universitätsbildung. Am 22. Dezember 1987 war er zum Oberstleutnant befördert worden. Seit 1989 bis heute ist er als Augenarzt am Militärhospital in Moskau tätig. Am 30. Dezember 1992 wurde er zum Oberst befördert.

Den vom Kläger zu 1 für sich und seine Familie gestellten Aufnahmeantrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 17. Oktober 1991 mit der Begründung ab, der Kläger zu 1 habe sich aufgrund seiner Stellung als Berufsoffizier dem in der früheren Sowjetunion bestehenden System völlig angepaßt und deshalb nicht mehr unter Vertreibungsdruck gestanden. Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht aufgrund des inzwischen in Kraft getretenen § 5 Nr. 1 d BVFG abgewiesen, weil die Stellung des Klägers als Oberstleutnant als eine herausgehobene Stellung anzusehen sei, die er nur durch eine besondere Bindung an das politische System in der früheren Sowjetunion habe erreichen können.

Das Berufungsgericht hat der Klage unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung stattgegeben: Dem Kläger zu 1, dessen Begehren nach dem Bundesvertriebenengesetz in der Fassung des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes zu beurteilen sei, stehe nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheids zu, in den die Kläger zu 2 bis 4 entsprechend ihrem Aufnahmeantrag nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG einzubeziehen seien. Der Kläger zu 1 sei deutscher Volkszugehöriger im Sinne des § 6 Abs. 2 BVFG. Der Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft sei auch nicht durch § 5 Nr. 1 d BVFG ausgeschlossen. Dabei könne offenbleiben, ob die vom Kläger zu 1 bis zum Ende des totalitären Systems in der ehemaligen Sowjetunion innegehabte berufliche Stellung herausgehoben gewesen sei, wofür die Rangstelle im System der militärischen Dienstgrade sprechen möge. Diese Stellung habe der Kläger zu 1 jedenfalls nicht nur durch eine besondere Bindung an das totalitäre System erreichen können. Mit § 5 Nr. 1 d BVFG habe der Gesetzgeber hinsichtlich der Aufnahme der Spätaussiedler eine Grenze staatlicher Hilfsbereitschaft wegen "Unwürdigkeit" gezogen. Derjenige, der sich mit einem totalitären Regime in den Aussiedlungsgebieten in besonderem Maße arrangiert habe, solle nicht die Gunst der Aufnahme in die Bundesrepublik Deutschland erhalten, da er aufgrund seiner besonderen Bindung an das totalitäre System zu dessen Fortbestand und damit letztlich auch zum fortdauernden Vertreibungsdruck auf die deutsche Volksgruppe beigetragen habe. Dieser Regelungszweck ergebe sich aus der systematischen Stellung der Vorschrift im Gesetz. Denn der Ausschlußtatbestand des § 5 Nr. 1 d BVFG sei im Zusammenhang zu sehen mit den ihm vorausgehenden Regelungen der Buchstaben a bis c des § 5 Nr. 1 BVFG, die ebenfalls solche Grenzen staatlicher Hilfsbereitschaft aufzeigten. Hingegen besage § 5 Nr. 1 d BVFG nicht, daß unter den dort gegebenen Voraussetzungen die in § 4 Abs. 1 BVFG enthaltene Vermutung für ein Verlassen des Aussiedlungsgebiets wegen der Spätfolgen der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen widerlegt sei. Auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift könne nicht abgehoben werden. Unwürdig für die mit der Aufnahme eines Spätaussiedlers verbundene staatliche Hilfe sei ein Aufnahmebewerber, der durch seine politische oder berufliche Tätigkeit zur Erhaltung des totalitären Regimes unmittelbar beigetragen und dadurch geholfen habe, den Macht- und Herrschaftsanspruch dieses Regimes durchzusetzen bzw. aufrechtzuerhalten. Welche Stellungen zu diesen systemsichernden und damit den Ausschlußtatbestand erfüllenden zu rechnen seien, ergebe sich aus dem Aufbau und den Herrschaftsstrukturen der jeweiligen Staaten in den Aussiedlungsgebieten. Wesentliches Merkmal der totalitären Systeme sei gewesen, daß zur Aufrechterhaltung des Alleinvertretungsanspruchs der jeweiligen kommunistischen Partei von Anfang an insbesondere durch ein besonderes System der Personalpolitik eine Herrschaftsstruktur geschaffen worden sei, welche die Herrschaft der Partei gesichert habe. Dieses als Nomenklatura bezeichnete System sei dadurch gekennzeichnet gewesen, daß alle politischen und beruflichen Stellungen, in denen Macht ausgeübt worden sei und die der Machterhaltung gedient hätten, in Listen erfaßt gewesen seien und nur in einem besonderen Verfahren unter Beteiligung der kommunistischen Partei hätten besetzt werden dürfen. Diese Einflußnahme der Partei bei der Stellenbesetzung habe nicht der Sicherung der fachlichen Qualität, sondern allein der Sicherung der Machterhaltung der Partei gedient. Lediglich diese Stellen in der ehemaligen Sowjetunion seien nur durch eine besondere Bindung an das totalitäre System erreicht worden. Hiervon ausgehend könne nicht festgestellt werden, daß der Kläger zu 1 die Voraussetzungen des § 5 Nr. 1 d BVFG erfülle. Die Frage, ob die Stellung eines Offiziers der sowjetischen Armee allgemein erst ab dem Generalsrang oder schon ab dem Rang eines Obersten zum Bereich der Nomenklatura gezählt habe, könne hier offenbleiben, da der Kläger den Rang eines Obersten erst im Dezember 1992 und damit eindeutig erst nach dem Zusammenbruch des totalitären Systems in der ehemaligen Sowjetunion erreicht habe. Für den Rang eines Oberstleutnants werde dies nicht substantiiert behauptet oder nachvollziehbar dargelegt. Es spreche auch nichts dafür, daß die vom Kläger zu 1 in der sowjetischen Armee konkret innegehabte Stellung als Arzt dem Nomenklatursystem unterfallen sei. Nach seinem eigenen Vortrag sei er ausschließlich als Facharzt für Augenchirurgie in Armeekrankenhäusern tätig. Diese berufliche Stellung lasse Leitungsfunktionen zur Aufrechterhaltung des Herrschaftsanspruchs des Systems weder im Bereich des Militärs im allgemeinen noch im Bereich der medizinischen Versorgung im besonderen erkennen. Anhaltspunkte dafür, daß die vom Kläger zu 1 bis zum Zusammenbruch des totalitären Systems erreichte berufliche Stellung gleichwohl zur Nomenklatura gehört habe, seien auch von der Beklagten und vom Beigeladenen nicht substantiiert vorgetragen worden und ergäben sich auch nicht aus den vorliegenden Gutachten.

Gegen dieses Urteil haben sowohl der Beigeladene als auch die Beklagte Revision eingelegt.

Der Beigeladene macht geltend: Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sei die Vorschrift des § 5 Nr. 1 d BVFG nicht unter "Unwürdigkeitsgesichtspunkten" auszulegen. Vielmehr ergebe die Entstehungsgeschichte eindeutig, daß die Vorschrift im Zusammenhang mit einer Kriegsfolgenschicksalsprüfung stehe und beim Vorliegen ihrer Voraussetzungen ein Kriegsfolgenschicksal entgegen der in § 4 Abs. 1 BVFG enthaltenen Regel ausgeschlossen sein solle. § 5 Nr. 1 d BVFG sei keine Sanktionsnorm für eine Hinwendung zu einem totalitären System, sondern ihr liege als vertriebenenrechtlicher Norm die Vorstellung des Gesetzgebers zugrunde, daß bei Personen, die infolge einer die politisch neutral orientierte Durchschnittsbevölkerung deutlich übersteigenden politischen oder beruflichen Stellung in das sowjetische Gesellschaftssystem integriert gewesen seien, vertreibungsbedingte Folgen nicht mehr auszugleichen seien. Der Kläger zu 1 gehöre zu diesem Personenkreis. Für gehobene Offiziersränge seien nur loyale und systemtreue Personen ausgewählt worden.

Die Beklagte trägt vor: Dem Berufungsgericht sei zwar in seinem rechtlichen Ansatz zu folgen, daß § 5 BVFG eine Grenze staatlicher Hilfsbereitschaft aufgrund eines Arrangements mit dem totalitären System normiere. Unzutreffend sei es jedoch, allein den aus der systematischen Stellung hergeleiteten Begriff der Unwürdigkeit heranzuziehen, ohne den Willen des Gesetzgebers und den Sinn und Zweck des Gesetzes zu berücksichtigen. Das Berufungsgericht übersehe nämlich, daß nach der Entstehungsgeschichte neben den in Anlehnung an frühere Regelungen eingeführten Ausschlußtatbeständen neue Ausschlußtatbestände aufgenommen worden seien, bei deren Vorliegen davon auszugehen sei, daß der Betroffene kein Kriegsfolgenschicksal erlitten habe, also nicht mehr von den Spätfolgen der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen betroffen sei. § 5 Nr. 1 d BVFG sei deshalb ein völlig neuer, mit den anderen Ausschlußtatbeständen nicht ohne weiteres vergleichbarer Ausschlußtatbestand. Gehe man von dieser Interpretation aus, sei eine berufliche Stellung nicht erst bei Zugehörigkeit zur Nomenklatura aufgrund besonderer Bindung an das totalitäre System erreicht, sondern schon bei Feststellung von besonderen Dienst- und Treueverhältnissen, in denen sich der Betreffende befunden habe. Die Stellung eines Offiziers in der sowjetischen Armee sei jedoch bereits für sich allein mit einer aus den typischen funktionsbedingten Dienst- und Treueverhältnissen resultierenden Systemverbundenheit gekoppelt, die deutlich über die Bindung eines normalen Bürgers hinausgehe. Schließlich sei auch nicht zutreffend, daß die Beförderung des Klägers zum Oberst im Jahre 1992 außer Betracht zu bleiben habe. Das sei zwar nach dem Zusammenbruch des totalitären Systems geschehen. Dieser Rang sei jedoch ohne die vorausgegangene Karriere nicht denkbar gewesen.

Der Oberbundesanwalt trägt vor: Die Buchstaben a bis d des § 5 Nr. 1 BVFG enthielten ein abgestuftes System von Ausschlußtatbeständen, deren Reihenfolge dadurch gekennzeichnet sei, daß das Gewicht der zum Ausschluß des Statuserwerbs führenden Verhaltensweisen abnehme. Deshalb dürften an die Tatbestandsmerkmale "herausgehobene berufliche Stellung" und "besondere Bindung an das totalitäre System" nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden. Da "herausgehoben" nicht gleichbedeutend mit "herausragend" sei, werde bereits jede den Durchschnitt übersteigende berufliche Stellung erfaßt. Dabei genüge es, wenn Systemtreue und systemkonformes Verhalten selbstverständliche Grundlage für die Ausübung des Berufs gewesen seien. Die Verwaltungspraxis des Bundes und der Länder gehe daher davon aus, daß Offiziere der ehemaligen sowjetischen Armee im allgemeinen vom Rang eines Majors an eine herausgehobene berufliche Stellung innegehabt hätten, die nur durch eine besondere Bindung habe erreicht werden können, es sei denn, bei den ausgeübten Tätigkeiten habe es sich um rein technische Aufgaben gehandelt, die weder mit Weisungsbefugnissen verbunden gewesen seien noch ein regelmäßiges Zusammentreffen mit Soldaten erfordert hätten. Die Änderung der politischen Verhältnisse in der ehemaligen Sowjetunion seit Mitte der 80er Jahre habe Bund und Länder weiterhin dazu veranlaßt, bei beruflichen Stellungen, die seit 1989 erreicht worden seien, das Beruhen auf einer besonderen Systembindung nicht mehr zu unterstellen. Weiterhin hätten sich Bund und Länder darauf verständigt, daß eine besondere Bindung an das System der ehemaligen UdSSR nicht vorliege, wenn ein bestimmter Beruf nicht ohne Mitgliedschaft in der KPdSU erreichbar gewesen wäre oder wenn ein Aufnahmebewerber ausschließlich aufgrund persönlicher Qualifikation aufgestiegen sei. Diese Maßgaben würden in der Verwaltungspraxis dahin konkretisiert, daß bei Offizieren der Sowjetarmee oder des Polizeidienstes ein Ausschlußgrund gegeben sei, wenn diese Personen politischen Einfluß genommen oder eine hervorgehobene Leitungsfunktion innegehabt hätten. Auf dieser Grundlage bejahe die Verwaltungspraxis bei Offizieren der ehemaligen Sowjetarmee einen Ausschlußgrund im allgemeinen ab dem Rang eines Majors. Daß eine persönliche Qualifikation in einem Fachberuf zum Erwerb der Position mitbeigetragen habe, ändere nichts an der besonderen Eingebundenheit in die Systemverhältnisse. Gerade bei Militärärzten sei naheliegend, daß diese Bindung schon deshalb unverzichtbar gewesen sei, weil der durch die konkrete Tätigkeit eröffnete ständige Kontakt mit Armeeangehörigen eine besondere Möglichkeit der Einflußnahme geboten habe.

Die Kläger verteidigen das angefochtene Urteil.

II.

Die Revisionen sind unbegründet.

Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß dem Kläger zu 1, auf dessen Begehren das Bundesvertriebenengesetz in seiner seit dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung anzuwenden ist (Urteil vom 29. August 1995 - BVerwG 9 C 391.94 - BVerwGE 99, 133), ein Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheids nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG zusteht und die Klägerin zu 2 als seine Ehefrau sowie die Klägerinnen zu 3 und 4 als seine Kinder nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG einen Anspruch auf Einbeziehung in diesen Bescheid haben.

Der 1951 in der früheren Sowjetunion geborene und dort noch wohnhafte Kläger zu 1 erfüllt - wie § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG verlangt - nach Verlassen des Aussiedlungsgebiets die Voraussetzungen als Spätaussiedler im Sinne des § 4 Abs. 1 BVFG. Er ist nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts deutscher Volkszugehöriger im Sinne des § 6 Abs. 2 BVFG und erwirbt, da auch die Voraussetzung des § 4 Abs. 1 Nr. 3 BVFG vorliegt, nach Verlassen der Sowjetunion die Rechtsstellung als Spätaussiedler. Die Vorschrift des § 5 Nr. 1 d erste Alternative BVFG steht dem nicht entgegen.

§ 5 Nr. 1 d erste Alternative BVFG schließt einen deutschen Volkszugehörigen vom Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft aus, wenn er "in den Aussiedlungsgebieten eine herausgehobene politische oder berufliche Stellung innegehabt hat, die er nur durch eine besondere Bindung an das totalitäre System erreichen konnte". Diese Voraussetzungen, für deren Vorliegen die Beklagte die materielle Beweislast trägt, sind nach dem festgestellten Sachverhalt nicht gegeben. Es kann dabei offenbleiben, ob - wie das Berufungsgericht meint - in § 5 Nr. 1 d erste Alternative BVFG eine "Grenze staatlicher Hilfsbereitschaft wegen 'Unwürdigkeit' " zum Ausdruck kommt oder ob - wie die Beklagte und der Beigeladene meinen - die Vorschrift bezweckt, die in § 4 Abs. 1 BVFG enthaltene Regelvermutung für ein Verlassen des Aussiedlungsgebiets wegen der Spätfolgen der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen zu widerlegen. Es ist nämlich nicht erkennbar, inwiefern diese Auffassungen jeweils zu einer unterschiedlichen Auslegung der Vorschrift führen könnten. Auszugehen ist vielmehr vom Wortlaut des § 5 Nr. 1 d BVFG, der zunächst eine herausgehobene politische oder berufliche Stellung verlangt. Wann eine solche gegeben ist, läßt sich weder in abstrakter Form noch generell bestimmen. Es kann insbesondere nicht allein auf einen Rang in der früheren Sowjetarmee, einen Titel oder eine Amtsbezeichnung abgehoben werden. Das Gesetz spricht von einer "Stellung" und meint damit auch die Funktion, den konkreten Tätigkeitsbereich. Hiernach mag der Kläger zu 1 sowohl nach seinem während des Bestands des totalitären Systems in der früheren Sowjetunion erreichten Rang als Oberstleutnant - bei seiner Beförderung zum Oberst im Jahre 1992 existierte die Sowjetunion nicht mehr - als auch nach seiner Tätigkeit als Augenchirurg an einem Militärkrankenhaus eine herausgehobene berufliche Stellung innegehabt haben. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut in § 5 Nr. 1 d erste Alternative BVFG führt dies für sich allein jedoch nicht zu einem Ausschluß des Erwerbs der Spätaussiedlereigenschaft. Vielmehr verlangt die Vorschrift eine herausgehobene Stellung des deutschen Volkszugehörigen, "die er nur durch eine besondere Bindung an das totalitäre System erreichen konnte", also eine kausale Verknüpfung der herausgehobenen Stellung mit einer besonderen Systembindung. Dies kann jedenfalls in aller Regel nicht bereits aus der herausgehobenen Stellung selbst geschlossen werden, sondern muß im Einzelfall konkret festgestellt werden. Das Gesetz billigt damit dem deutschen Volkszugehörigen durchaus zu, nach seinen Kräften und Fähigkeiten auch eine herausgehobene berufliche Stellung zu erreichen, und zwar auch innerhalb der Staatsverwaltung, der Armee und der staatlich gelenkten Wirtschaftsverwaltung in der früheren Sowjetunion. Es beschränkt den deutschen Volkszugehörigen nicht auf einen beruflichen Aufstieg im "zivilen" Bereich, den es - wie dem Gesetzgeber bekannt war - in den totalitären Staaten des früheren Ostblocks nicht gegeben hat. Insoweit stimmt die Regelung des § 5 Nr. 1 d erste Alternative BVFG mit dem bis zum 31. Dezember 1992 geltenden Recht überein (vgl. dazu zuletzt Urteil vom 21. Oktober 1997 - BVerwG 9 C 27.96 - <DokBer A 1998, 55> sowie Urteil vom 18. März 1999 - BVerwG 5 C 1.99 -).

Entscheidend ist deshalb, ob der Kläger zu 1 eine besondere Bindung an das totalitäre System der früheren Sowjetunion hatte, sowie weiter, ob er seine Stellung als Augenarzt im Rang eines Oberstleutnants nur durch diese besondere Bindung erreichen konnte. Es fehlt bereits an der ersten Voraussetzung. Der Senat folgt in dieser Hinsicht allerdings nicht der Auffassung des Berufungsgerichts, eine besondere Bindung an das totalitäre System könne nur angenommen werden, wenn der deutsche Volkszugehörige eine Stelle innegehabt habe, die Bestandteil des Nomenklatursystems gewesen sei, das - wie das Berufungsgericht unter Hinweis auf einschlägiges Schrifttum (vgl. z.B. Voslensky, Nomenklatura, 3. Aufl., München 1987) zutreffend ausführt - dadurch gekennzeichnet war, daß bestimmte, der KPdSU besonders wichtig erscheinende Stellen nur durch die Partei oder unter ihrer Mitwirkung besetzt werden konnten. Das Nomenklatursystem mag zwar im Einzelfall Hinweise auf eine besondere Systembindung geben. Indessen ist unbekannt, welche Stellen im einzelnen zum System der Nomenklatura gehörten, das streng geheimgehalten wurde (Voslensky, a.a.O., S. 44, 45). Es ist daher zu diffus, um auf seiner Grundlage den Begriff der besonderen Bindung generell zu präzisieren. Andererseits kann aber auch nicht der Ansicht der Beklagten und des Beigeladenen gefolgt werden, bei einem Berufsoffizier der früheren Sowjetarmee müsse eine besondere Systembindung allein schon deswegen angenommen werden, weil er in einem speziellen Dienst- und Treueverhältnis gestanden habe, wie der abzulegende Fahneneid dokumentiere. Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, daß Berufsoffiziere in einem speziellen Treueverhältnis zu ihrem jeweiligen Staat stehen, was auch dem Gesetzgeber nicht verborgen war. Wenn das Gesetz gleichwohl - wie ausgeführt - dem deutschen Volkszugehörigen eine herausgehobene Stellung auch in der sowjetischen Armee grundsätzlich zubilligt, schließt dies das damit zwangsläufig verbundene spezielle Treueverhältnis ein. Mit der "besonderen Bindung" im Sinne des § 5 Nr. 1 d BVFG kann daher nicht dieses spezielle Treueverhältnis gemeint sein. Die besondere Bindung an das totalitäre System läßt sich auch nicht aus den von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Zitaten aus verschiedenen sowjetischen Quellen herleiten. Diese belegen - wie sich auch sonst aus dem einschlägigen Schrifttum ergibt (vgl. z.B. Decker, Die Wehrordnung der Sowjetunion, Ludwigshafen, 1975, S. 33 f.; Gosztony, Die rote Armee, München 1980, S. 409) - lediglich, daß die frühere Sowjetarmee durch die in sie eingegliederte, praktisch mit der militärischen Abteilung des ZK der KPdSU identische politische Hauptverwaltung und ihre bis zu den unteren Mannschaftseinheiten reichenden Gliederungen in besonderem Maße dem Einfluß und der Propaganda der Partei ausgesetzt war. Sie besagen hingegen nichts darüber, wie sich dieser Einfluß auf den einzelnen Offizier ausgewirkt hat und ob er zu der vom Gesetz verlangten "besonderen Bindung an das totalitäre System" geführt hat.

Als besondere Bindung an das totalitäre System kann daher nur die Mitgliedschaft des Klägers zu 1 in der KPdSU in Betracht kommen. Ob diese als besondere Bindung anzusehen ist, ist wiederum dem Wortlaut des § 5 Nr. 1 d BVFG zu entnehmen. Dieser verlangt eine "besondere" Bindung an das totalitäre System, also eine Bindung, die gegenüber anderen Bindungen "eine besondere" war, weil sie über diese hinausging. Es ist deshalb zwischen einer bloß einfachen Bindung und einer besonderen Bindung an das totalitäre System zu unterscheiden. Der Begriff der Bindung ist - wovon auch die Beteiligten ausgehen - objektiv im Sinne einer nach außen hervorgetretenen Bindung, einer äußeren Bindung an das totalitäre System zu verstehen. Dieses bestand in der früheren Sowjetunion in der Herrschaft der KPdSU als "führende und lenkende Kraft der sowjetischen Gesellschaft" und "Kern ihres politischen Systems" (vgl. Art. 6 der sowjetischen Verfassung von 1977). Wer lediglich unter dieser Herrschaft lebte, ihren Einflüssen ausgesetzt war oder sich ihr anpaßte, hatte unabhängig von seiner inneren Einstellung schon keine solche "Bindung" an das totalitäre System. Wer sich hingegen hierauf nicht beschränkte, sondern - wie der Kläger zu 1 - in die KPdSU eintrat, ging allerdings eine Bindung in dem vorgenannten Sinne ein. Eine "besondere" Bindung, wie sie das Gesetz verlangt, liegt darin jedoch noch nicht, sofern die Mitgliedschaft passiv blieb und sich auf das beschränkte, was von Parteimitgliedern allgemein erwartet wurde, wie z.B. die Teilnahme an Aufmärschen. Das muß auch deshalb angenommen werden, weil dem Gesetzgeber, der - wie ausgeführt - dem deutschen Volkszugehörigen eine herausgehobene Stellung auch im Staatsdienst oder der Armee der früheren Sowjetunion durchaus zubilligt, nicht unbekannt gewesen sein kann, daß solche herausgehobenen Stellungen in der Regel eine Mitgliedschaft in der KPdSU voraussetzten. Um eine "besondere" Bindung an das totalitäre System annehmen zu können, müssen vielmehr objektive Umstände hinzukommen, die den deutschen Volkszugehörigen als jemanden ausweisen, der der KPdSU über eine bloße passive Mitgliedschaft hinaus verbunden war, wie etwa durch die Übernahme eines Parteiamts. Solche Umstände fehlen hier jedoch. Dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt läßt sich nicht entnehmen, daß der Kläger zu 1, der sich nach seinem nicht in Zweifel gezogenen Vorbringen nicht um Politik gekümmert hat, sondern lediglich seinen Dienstpflichten und seiner Tätigkeit als Augenarzt nachgegangen ist, über noch im Rahmen "passiver" Parteimitgliedschaft übliche Aktivitäten hinaus Aktivitäten für die KPdSU entfaltet hat.

Aber auch dann, wenn eine besondere Bindung an das totalitäre System bestanden hätte, würde es jedenfalls an der von § 5 Nr. 1 d BVFG weiter geforderten kausalen Verknüpfung zwischen der besonderen Systembindung und der - unterstellten - herausgehobenen Stellung fehlen. Die besondere Systembindung muß für das Erreichen der herausgehobenen Stellung kausal gewesen sein. Das kann bei Personen, die - wie der Kläger - als Spezialisten zu der durch qualifiziertes Fachwissen gekennzeichneten sog. Intelligenz der früheren Sowjetunion gehörten (vgl. dazu Meissner, in: Finke, Handbuch der Sowjetverfassung, S. 123), in der Regel nicht angenommen werden. Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, daß für deren beruflichen Aufstieg ihre besondere Systembindung und nicht ihre Qualifikation maßgebend war. Auch speziell im Fall des Klägers zu 1 liegen dafür keine Anhaltspunkte vor. Dieser hat sich nach seiner Ausbildung zum Militärarzt während seiner Laufbahn ständig weiter qualifiziert. Er erwarb zunächst die Qualifikation als Augenarzt und bildete sich sodann in Chirurgie und speziell in Augenchirurgie sowie allgemein in der Augenheilkunde weiter, wobei seine Leistungen mit "sehr gut" bewertet wurden. Das Studium an der Militärakademie in Leningrad schloß er 1989 mit Auszeichnung ab. Seine Beförderungen wurden jeweils mit seiner fortschreitenden Qualifikation ausgesprochen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 100 Abs. 1 ZPO.

Beschluß

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 32 000 DM festgesetzt (§ 13 Abs. 1, § 14 Abs. 1 GKG).

Ende der Entscheidung

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