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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 29.10.1997
Aktenzeichen: BVerwG 5 C 22.97
Rechtsgebiete: BSHG, RegelsatzVO


Vorschriften:

BSHG § 12 Abs. 1 Satz 1
RegelsatzVO § 3 Abs. 1 F. 1962
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Urteil des 5. Senats vom 29. Oktober 1997 - BVerwG 5 C 22.97

I. VG Hannover vom 12.03.1996 - Az.: VG 3 A 1927/95.Hi II. OVG Lüneburg vom 28.05.1997 - Az.: OVG 4 L 2663/96

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

BVerwG 5 C 22.97 OVG 4 L 2663/96

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 29. Oktober 1997 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel und Dr. Franke

ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 28. Mai 1997 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.

G r ü n d e :

I.

Die Kläger begehren von dem Beklagten die Übernahme von Unterkunftskosten im Rahmen der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit vom 1. Dezember 1993 bis zum 25. Oktober 1995.

Die Kläger bewohnten bis November 1993 eine 74,58 m² große Dreizimmerwohnung in der Stadt H. Hierfür zahlten sie monatlich 607 DM Miete zuzüglich 149 DM Heizkosten. Zum 1. Dezember 1993 tauschten sie die Wohnung gegen eine 92,5 m² große Dreieinhalbzimmerwohnung zum Preis von 878,75 DM zuzüglich einer Nebenkostenpauschale von 300 DM, in der etwa 80 DM monatlich für Heizung enthalten waren.

Mit Bescheid vom 25. November 1993 lehnte die Stadt H. im Auftrag des beklagten Landkreises die Übernahme der Kosten der neuen Wohnung aus Sozialhilfemitteln als unangemessen hoch ab. Im Sozialhilfebescheid vom 20. Dezember 1993 wurden Unterkunftskosten lediglich in Höhe der Kosten der alten Wohnung berücksichtigt. Gegen diese Bescheide wie auch gegen den Folgebescheid vom 9. März 1994 legten die Kläger Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 1995 zurückwies.

Mit ihrer daraufhin erhobenen Klage haben die Kläger zuletzt begehrt, den Beklagten zu verpflichten, ihnen laufende Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung von Aufwendungen für die Unterkunft in Höhe von monatlich 850 DM und für die Heizung in Höhe von monatlich 80 DM zu bewilligen. Die Klage hatte im zweiten Rechtszug Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat sein Urteil im wesentlichen wie folgt begründet:

Bei der Berechnung der Hilfe zum Lebensunterhalt für die Kläger sei der angemessene Teil der Unterkunftskosten zu berücksichtigen, den die Kläger in Anlehnung an die Ausführungen im Beschwerdebeschluß des erkennenden Senats im einstweiligen Anordnungsverfahren zutreffend ermittelt hätten. Die Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts, einen Anspruch auf "Teilleistungen" (Zuschuß) für die Unterkunft bis zur Höhe der Angemessenheitsgrenze könne es nicht geben, sei durch die seit dem 1. August 1996 geltende Neufassung des § 3 Abs. 1 RegelsatzVO widerlegt. Mit dieser Änderung im Wortlaut des § 3 Abs. 1 RegelsatzVO habe der Gesetzgeber nicht eine Änderung des materiellen Rechts bewirkt, sondern lediglich - auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts reagierend - die Rechtslage klargestellt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten, mit der er die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt. Er rügt die Verletzung der §§ 11 und 12 BSHG sowie des § 3 Abs. 1 RegelsatzVO. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts stelle die Neufassung des § 3 Abs. 1 RegelsatzVO eine Ergänzung der bisherigen Rechtslage dar.

Die Kläger verteidigen das angefochtene Urteil.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.

II.

Die Revision des Beklagten, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist begründet. Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Beklagte sei verpflichtet, im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt für die Klägern von den unangemessen hohen Unterkunftskosten einen als angemessen angesehenen Teilbetrag von monatlich 805 DM als Bedarf zu berücksichtigen, verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da eine abschließende Entscheidung des Rechtsstreits noch tatsächliche Feststellungen erfordert, die zu treffen dem Revisionsgericht verwehrt ist (§ 137 Abs. 2 VwGO), muß die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen werden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

Das Berufungsgericht hat, für das Revisionsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindend, festgestellt, daß die von der Klägerin zu 1 vereinbarten Unterkunftskosten von 1 098,75 DM nebst 80 DM Heizkosten in der Stadt H. sozialhilferechtlich unangemessen hoch sind und angemessen Unterkunftskosten bis zu 850 DM wären. Ob die Kläger für den streitgegenständlichen Zeitraum Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung des als angemessen anzusehenden Teils ihrer Unterkunftsaufwendungen haben, beurteilt sich nach §§ 11, 12 BSHG in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Januar 1991 (BGBl I S. 94, ber. S. 808) und § 3 Abs. 1 RegelsatzVO vom 20. Juli 1962 (BGBl I S. 515).

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist § 3 Abs. 1 RegelsatzVO in seiner hier maßgeblichen Fassung keine Rechtsgrundlage für die Gewährung eines solchen bloßen Unterkunftskostenzuschusses. Nach dem sozialhilferechtlichen Bedarfsdeckungsgrundsatz darf kein ungedeckter Bedarfsrest hinsichtlich der Unterkunftskosten übrigbleiben (BVerwGE 92, 1 <5>; 101, 194 <197>). Andererseits ist dem Hilfesuchenden nur das zu gewähren, was er aus sozialhilferechtlicher Sicht benötigt (vgl. BVerwGE 72, 88 <89>; 75, 168 <170>; 97, 110 <112>; 101, 194 <196>). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist der Sozialhilfeträger daher berechtigt, einen Hilfesuchenden, der die Übernahme unangemessenen hoher Unterkunftskosten begehrt, auf den Bezug einer geeigneten kostenangemessenen Unterkunft zu verweisen. Die darin liegende Beschränkung des Hilfeanspruchs ist im sozialhilferechtlichen Bedarfsdeckungsgrundsatz angelegt, sie läuft ihm nicht zuwider (BVerwGE 101, 194 <197>).

Ob sich aus der Ergänzung des § 3 Abs. 1 der RegelsatzVO durch Art. 11 des insoweit am 1. August 1996 in Kraft getretenen Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996 (BGBl I S. 1088) insbesondere durch dessen neuen Satz 3 eine Änderung der Rechtslage im Sinne eines Anspruchs auf Übernahme auch eines bloßen Unterkunftskostenanteils ergeben könnte, hat der Senat nicht zu entscheiden, da das neue Recht für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht gilt. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat diese Neuregelung nicht die Bedeutung einer "Klarstellung", daß der Sozialhilfeträger für die vor Inkrafttreten liegende Zeit bei Anmietung einer sozialhilferechtlich unangemessenen Unterkunft zur Übernahme jedenfalls der angemessenen Aufwendungen verpflichtet sei. Diese Neuregelung soll ausweislich der Gesetzesbegründung der Bundesregierung (vgl. BTDrucks 13/2440 vom 27. September 1995, S. 33) einem Bedürfnis der Praxis Rechnung tragen, das Verhalten der Beteiligten bei einem Umzug des Hilfeempfängers zu regeln; eine die vom Gesetzgeber vorgefundene Rechtslage erhellende Interpretation der bis dahin maßgeblichen Bestimmungen ist damit ersichtlich nicht verbunden.

Das angefochtene Urteil stellt sieh auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO). Zwar könnte Rechtsgrund für die vom Berufungsgericht ausgesprochene Verpflichtung des Beklagten, den Klägern Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung eines Unterkunftskostenanteils in Höhe von 850 DM monatlich zu gewähren, auch ein weitergehender, die gesamten Unterkunftskosten umfassender Anspruch der Kläger sein. Hierzu fehlt es jedoch an den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen, so daß sich nicht entscheiden läßt, ob den Klägern ein solcher Anspruch zusteht.

Nicht von vornherein auszuschließen ist nämlich, daß den Klägern für den streitbefangenen Zeitraum nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BSHG, § 3 Abs, 1 Satz 1 RegelsatzVO ein Anspruch auf Übernahme der gesamten Kosten ihrer neuen, seit Dezember 1993 bewohnten Wohnung zusteht. Denn auch ein Sozialhilfeempfänger, der eine aus sozialhilferechtlicher Sicht an sich abstrakt zu teure Wohnung bezieht, kann die Übernahme seiner tatsächlichen Unterkunftskosten in voller Höhe beanspruchen, wenn und solange für ihn auf dem Wohnungsmarkt im Zuständigkeitsbereich seines örtlichen Trägers der Sozialhilfe keine bedarfsgerechte, kostengünstigere Unterkunftsalternative verfügbar ist (BVerwGE 101, 194 <197 f.>).

Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - nicht festgestellt, ob den Klägern in den Bedarfsmonaten, die hier im Streit sind, keine andere bedarfsgerechte, aber kostengünstigere Wohnung im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten konkret verfügbar und zugänglich war. Dies mag unwahrscheinlich sein, kann vom Revisionsgericht jedoch nicht ausgeschlossen werden. Das nötigt zur Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht.

Dr. Säcker Dr. Pietzner Schmidt Dr. Rothkegel Dr. Franke e

Ende der Entscheidung

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